Startbahn West

Startbahn West
Der Frankfurter Flughafen vor Beginn der Bauarbeiten an der Landebahn Nordwest, links im Bild die Startbahn West (Ausschnitt eines im April 2003 aus der ISS aufgenommenen Fotos)

Die Startbahn West, genaue Bezeichnung Startbahn 18 West, ist eine 4000 Meter lange reine Startbahn auf dem Flughafen Frankfurt am Main, die sich im westlichen Teil des Flughafens befindet und von Norden nach Süden verläuft. Die Planungen zur Startbahn stießen auf erhebliche Proteste und wurden zu einem der wichtigsten Bezugspunkte der Umweltbewegung der 1970er und 1980er Jahre.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Planungen

Im Jahr 1962 entschloss sich die Betreibergesellschaft des Flughafens Frankfurt Rhein-Main, die Flughafen Frankfurt/Main AG, neben einem neuen Empfangsterminal eine neue Startbahn in Planung zu geben. Der drastisch gestiegene Flugverkehr hatte sowohl die alten Empfangsgebäude als auch das bis heute bestehende Parallelbahnsystem an die Grenzen der Belastbarkeit gebracht. Das Rhein-Main-Gebiet befand sich in einem stetigen ökonomischen Aufschwung, was nicht zuletzt dem Flughafen als europäischem Luftdrehkreuz zu verdanken war.

Doch das Flughafengelände ist ausschließlich von Wald umgeben, darunter Bannwald. Hinzu kam ein weiteres Problem: Im Norden verläuft in Ost-West-Richtung die Bundesautobahn 3, im Osten verläuft in Nord-Süd-Richtung die Bundesautobahn 5, im Westen verläuft ebenfalls in Nord-Süd-Richtung eine oberirdische Hauptstromtrasse und im Süden machte die amerikanische Rhein-Main Air Base einen unkomplizierten Ausbau ebenfalls unmöglich. Lediglich in der südwestlichen Ecke des Geländes bestand die Möglichkeit einer neuen Piste in Nord-Süd-Richtung.

Dies bedeutete einerseits einen immensen Holzeinschlag und andererseits die Ausdehnung des Flughafengeländes auf eine nicht mehr zum Stadtgebiet gehörende Gemarkung. Doch noch stand der Ausbau des Flughafens als wichtiger Wirtschaftsfaktor weit vor ökologischen Argumenten.

Am 28. Dezember 1965 beantragte die Flughafen AG die Genehmigung für den Bau der Startbahn 18 West. Im Mai 1966 wurde im Hessischen Landtag dem Neubau der 4000 Meter langen Startbahn in Nord-Süd-Richtung stattgegeben. Angesichts der politischen Freigabe beschloss im November 1967 die Flughafen Frankfurt/Main AG (FAG) den Neubau des 78 Mio. DM teuren Projekts. Diesem Ausbau standen in einer Zeit des beginnenden Umweltbewusstseins immer mehr Bürger skeptisch gegenüber. Nach dem im März 1968 vom Verkehrsminister erlassenen Planfeststellungsbeschluss wurden 44 Anfechtungsklagen erhoben.

Anfechtungsklagen

Nachdem im März 1972 das neue Terminal Mitte (das heutige Terminal 1) eröffnet wurde, kam es ein Jahr später zum Planfeststellungsverfahren für die neue Startbahn.

Die Folge waren nun über 100 Klagen vor hessischen Gerichten. Argumentativ sahen sich die Startbahngegner, die sich mehr und mehr in Bürgerinitiativen (BI) zusammengeschlossen hatten, im Aufwind, da sowohl zurück gehende Flugbewegungen als auch die Ölkrise einen weiteren Ausbau als nicht mehr sinnvoll erscheinen ließen. Ein Teil der Startbahn-Gegner befürchtete eine Funktion für die NATO.[1]

Fast 10 Jahre lang befassten sich Gerichte mit dem geplanten Ausbau. Aus formellen Gründen wurde der Beschluss aufgehoben. Im März 1971 erließ das Ministerium einen zweiten Planfeststellungsbeschluss, der erneut die Gerichte beschäftigte. Ende 1978 gründete sich eine Bürgerinitiative (BI) hauptsächlich in den betroffenen Gemeinden Mörfelden-Walldorf, aber auch in Frankfurt und Umgebung gegen den Ausbau.

Im Juli 1978 verwies das Bundesverwaltungsgericht die Klagen der Startbahngegner zurück[2] an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Im Dezember desselben Jahres verkaufte das Land Hessen 303 Hektar Land an die FAG zum Bau der neuen Startbahn. Der zu erwartende Holzeinschlag betrug dabei 129 Hektar.

Zuspitzung des Konflikts

Mit der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Oktober 1980 für den Bau der neuen Startbahn endete die gerichtliche Auseinandersetzung, während sich der Widerstand vor Ort zuspitzte.

Auf dem Gelände der geplanten Startbahn West errichteten Gegner ab Mai 1980 eine BI-Hütte, die zur Information von Spaziergängern dienen sollte. Im Juli ordnete der hessische Minister für Wirtschaft und Verkehr, Heinz-Herbert Karry (FDP), den „Sofortvollzug“ für den Bau der Startbahn an. Den Widerspruch dagegen wies der hessische Verwaltungsgerichtshof im Oktober zurück. Die ersten Baumfällarbeiten begannen aus technischen Gründen noch vor dem Winter. Als erstes wurde ein sieben Hektar großes Gelände direkt am Flughafengelände gerodet. Dagegen demonstrierten am 2. November 1980 am Waldrand in Walldorf 15.000 Menschen, hauptsächlich Umweltschützer und Studenten, aber auch sehr viele ältere Menschen aus der Region. Da die geplanten Besetzungsaktionen der Protestbewegung am langatmigen Polizeikonzept scheiterte, beschloss die Bürgerinitiative, die BI-Hütte zu einem dauerbewohnten Hüttendorf auszubauen, um schneller und angemessener auf Rodungsabsichten reagieren zu können. Daraufhin entstanden mehrere, bau- und hausrechtlich illegale Hütten und sogar eine Hüttenkirche der Walldorfer Kirchengemeinde auf dem Flughafengelände.[3]

Betonzaun vor der Baustelle

Im Mai 1981 ordnete das Darmstädter Regierungspräsidium die Geländeenteignung an. Am 6. Oktober wurde das schon gerodete sieben Hektar große Gelände von der Protestbewegung besetzt und anschließend von der Polizei geräumt. Auf dem Gelände hatten sich am 6. Oktober viele hundert Leute versammelt, einen spitzwinkligen Graben ausgehoben und innerhalb des Grabens einen Turm gebaut. Die Räumung verlief weitgehend friedlich, allerdings konnte der Turm nicht so einfach geräumt werden und die Besetzer verließen diesen freiwillig am darauffolgenden Abend. Wenige Tage nach der Rodung wurde ein 2,5 Meter hoher Betonzaun zur Sicherung der Arbeiten errichtet.

Das Hüttendorf wurde am Morgen des 2. November 1981 geräumt. Die Räumung selbst verlief friedlich, als sich im Verlauf des Tages tausende im Wald vor den Polizeiabsperrungen versammelten, kam es zu mehreren umstrittenen Polizeieinsätzen gegen die Protestmenge. Nach der Hüttendorfräumung begannen – unter massivem Polizeischutz – die Bau- bzw. Rodungsarbeiten. Währenddessen kam es immer wieder zu Angriffen aus Demonstrationen heraus auf die Betonmauer und Polizeibeamte. Mehrere Versuche der Startbahngegner, erneute Hüttendörfer dauerhaft zu errichten, wurden immer wieder von der Polizei verhindert.

Eine eigentlich geplante Wiederbesetzung des Hüttendorfgeländes am 7. November, aus einer Kundgebung von mehreren zehntausend Menschen heraus, wurde nach Konflikten innerhalb der Bewegung über die Gewaltfrage doch nicht durchgeführt. Statt der geplanten Massenüberschreitung der Polizeiabsperrungen wurden fünfzig ausgewählte Demonstranten mit freiem Oberkörper von der Polizei auf das Gelände gelassen. Vier BI-Sprecher führten daraufhin mit dem Innenminister Ekkehard Gries (FDP) auf dem geräumten Gelände des Hüttendorfes ein ergebnisloses Gespräch über einen möglichen Stopp der Rodungsarbeiten bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofes (sogenannter „Nacktensamstag”).[4]

Demonstrationen

Am 14. November 1981 demonstrierten in Wiesbaden mehr als 120.000 Menschen gegen die Startbahn-Pläne. Dem Landeswahlleiter wurden 220.000 Unterschriften für ein Volksbegehren übergeben. Der Frankfurter Magistratsdirektor Alexander Schubart rief auf der Kundgebung zu einer „Besichtigung“ des Flughafens am nächsten Tag auf. Tags darauf blockierten über Stunden Startbahngegner die Eingänge zum Flughafen. Als die Polizei mit Gewalt gegen die Demonstration vorging, flüchteten die Demonstranten auf die benachbarte Autobahn, wo sie Barrikaden errichteten. Zur Räumung der Autobahn setzte die Polizei per Hubschrauber abgesetzte Bundesgrenzschutz-Einheiten ein. Über eine Woche war die Innenstadt von Frankfurt und anderen Städten des Rhein-Main-Gebietes durch tägliche Protestaktionen faktisch gesperrt. Eine Besetzung des Frankfurter Hauptbahnhofs wurde von Ordnungkräften verhindert. Am späten Abend des 3. November 1981 kam es in der Rohrbachstraße im Frankfurter Stadtteil Nordend zu einem schwer umstrittenen Polizeieinsatz gegen eine Startbahndemonstration, bei dem mehrere Demonstranten schwer verletzt wurden.[5]

Schubart wurde wegen Nötigung der Landesregierung und des Aufrufs zur Gewalt zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und aus dem Staatsdienst entlassen. Nach zehnjährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen waren es doch nur acht Monate auf Bewährung und er konnte im Staatsdienst verbleiben.

Der Antrag auf ein Volksbegehren – was die letzte legale Möglichkeit darstellte, den Bau der Startbahn zu verhindern – endete 1982 mit negativem Bescheid des hessischen Landtags unter Ministerpräsident Holger Börner (SPD)[6] und der Zurückweisung wegen Nichtzuständigkeit des Hessischen Staatsgerichtshofs.

Ab 1982 verlagerte die nach den Ereignissen im Herbst 1981 geschrumpfte Startbahn-Bewegung ihre Aktivität hauptsächlich auf wöchentliche, sogenannte „Sonntagsspaziergänge“ an die Betonmauer um das Baugelände für die Startbahn 18 West. Aus diesen wöchentlichen Demonstrationen heraus wurde immer wieder versucht, die Mauer zu demontieren, die Bauarbeiten zu behindern und Polizeikräfte anzugreifen.[7]

Nach dem Bau

Startbahn 18 W von Norden

Am 12. April 1984 wurde die neue Startbahn 18 West dem Verkehr übergeben; auf Eröffnungsfeierlichkeiten wurde verzichtet. Gegen die Inbetriebnahme der Startbahn 18 West demonstrierten am 14. April 1984 ca. 15.000 Menschen an der Mauer im Wald.

Am 2. November 1987 wurde anlässlich einer Demonstration zum Jahrestag der Räumung des Hüttendorfs aus der Demonstration heraus mit einer auf einer Anti-AKW-Demonstration in Hanau am 8. November 1986 geraubten Polizeidienstwaffe auf Polizeibeamte geschossen. Dabei wurden neun Beamte getroffen, wobei die Polizeibeamten Thorsten Schwalm und Klaus Eichhöfer ihren Verletzungen erlagen. In der gleichen Nacht noch begann eine große Durchsuchungs- und Festnahmewelle gegen die gesamte Startbahnbewegung.[8] Die Startbahngegner Andreas E. und Frank H. wurden von der Bundesanwaltschaft als Todesschützen angeklagt. Frank H. wurde am Prozessende 1991 lediglich wegen anderer Taten zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die mit den tödlichen Schüssen nicht in Zusammenhang standen. Andreas E. dagegen wurde wegen Totschlags für schuldig befunden und zu 15 Jahren Haft verurteilt.[9] In Folge dieser Ereignisse brachen die Reste der Protestbewegung gegen die Startbahn West endgültig auseinander.

Als Relikt der Auseinandersetzungen blieb die Betonmauer um die Startbahn übrig, eine für die Zeit vor dem 11. September 2001 eher seltene Art von Sicherheitssperre um einen deutschen Flughafen.

Filme

  • Keine Startbahn West – Trilogie eines Widerstandes (1981), Dokumentarfilm von Thomas Frickel u. a.
  • Keine Startbahn West – Eine Region wehrt sich (1982), Dokumentarfilm von Thomas Frickel u. a.
  • Wertvolle Jahre (1989/90), Dokumentarfilm von Thomas Carlé und Gruscha Rode

Literatur

  • Wolf Wetzel: Tödliche Schüsse. Eine dokumentarische Erzählung. Unrast, Münster 2008, ISBN 978-3-89771-649-0
  • Horst Karasek: Das Dorf im Flörsheimer Wald. Eine Chronik gegen die Startbahn West. Luchterhand Verlag, Darmstadt und Neuwied 1981, ISBN 3-472-61368-8
  • Volker Luley: Trotzdem gehört uns der Wald! von einem, der auszog das Fürchten zu verlernen. Saalbau Verlag, Offenbach 1981, ISBN 3-922-879-08-X
  • Bruno Struif (Hrsg.): Kunst gegen StartbahnWest. Arbeiten von Betroffenen. Anabas, Gießen 1982, ISBN 3-87038-094-2
  • Ulrich Cremer: Bauen als Urerfahrung: dargestellt am Beispiel des Hüttendorfes gegen die Startbahn West. E. Weiss Verlag, München 1982, ISBN 3-88753-009-8

Einzelnachweise

  1. FAZ, 5. November 2010 ([1])
  2. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 1978, Az. 4 C 79/76, BVerwGE 56, 110 ff.
  3. H. Karasek: Das Dorf im Flörsheimer Wald. Luchterhand, 1982
  4. M. Himmelheber (Hrsg.): Startbahn 18 West, Bilder einer Räumung. Minotaurus, 1982
  5. Die Grünen im Römer (Hrsg.): Frankfurt am Main. Rohrbachstraße, 1982
  6. hr-online: Startbahn West Chronik
  7. M. Wilk, in: Redaktionsgruppe Schwarzspecht (Hrsg.): Turbulenzen. Widerstand gegen den Ausbau des Rhein-Main-Flughafens. Geschichten, Fakten, Facetten. Trotzdem Verlagsgenossensachft eG, 2002, S.14
  8. M. Wilk, in: Redaktionsgruppe Schwarzspecht (Hrsg.): Turbulenzen. Widerstand gegen den Ausbau des Rhein-Main-Flughafens. Geschichten, Fakten, Facetten. Trotzdem Verlagsgenossenschaft eG, 2002, S. 17
  9. Urteile. In: Der Spiegel. Nr. 12, 1991, S. 280 (18. März 1991, online).

Weblinks

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