Stadtguerilla

Stadtguerilla

Die Stadtguerilla ist eine Guerilla, die im städtischen/großstädtischen Umfeld operiert. Sie übernimmt Strategien und Methoden der Guerilla, die vornehmlich in ländlichen Regionen aktiv ist.

Kennzeichnend für die Guerilla/Stadtguerilla ist, dass sie mit oft militanten Mitteln versucht, aus dem Untergrund oder der Illegalität heraus gegen bestimmte politische Entscheidungen, vielfach jedoch auch gegen ein politisches System insgesamt, und damit gegen eine herrschende Regierung Widerstand zu leisten und die eigenen politischen Konzepte und Ziele durchzusetzen, wo dies mit den Mitteln einer legalen Opposition nach Auffassung der militanten Kämpfer nicht möglich oder wirkungslos ist oder zumindest erscheint.

Inhaltsverzeichnis

Methoden

Die Mittel der Stadtguerilla sind vielfältig. Sie reichen von Öffentlichkeitsarbeit wie der Verbreitung von Flugschriften bis hin zu Sabotageakten und anderen gewaltsamen Anschlägen, zu denen auch Entführungen und politische Morde gehören können.

Die Methodik der so verstandenen Stadtguerilla wird von einer herrschenden Regierung in aller Regel mit Terrorismus gleichgesetzt. Die entsprechenden Gruppen gelten als terroristische Vereinigungen. Eine objektive Trennung zwischen illegitimem Terrorismus und legitimem Freiheitskampf ist schwer zu vollziehen.

Geschichte

Lateinamerika

In der kubanischen Revolution (1953–1959) entstanden zwei unterschiedliche und miteinander konkurrierende Widerstandsstrategien, die damals Llano und Sierra genannt wurden. Llano (Ebene oder Flachland) verwieß auf den Vorrang und die Leitung des bewaffneten Kampfes in den kubanischen Städten. Sierra (Gebirge) stand hingegen für eine Kriegsführung ausgehend vom unwegsamen Berg- und Binnenland, wie sie die Bewegung des 26. Juli (M-26-7) unter Fidel Castro verkörperte, die zum Sieg der kubanischen Rebellenarmee führte.[1]

Ein weiterer Ursprung der Stadtguerilla lag im Uruguay der späten 1960er Jahre. Dort operierten die Tupamaros relativ erfolgreich in der Hauptstadt Montevideo. Sie machten das Konzept der Stadtguerilla weltweit bekannt.

Auch in Argentinien bildete sich unter der Militärdiktatur eine Stadtguerilla, eine Anzahl von revolutionären Splittergruppen, die in Buenos Aires und auch in kleineren Städten operierten. Zwischen 1969 und 1971 gab es Massenaufstände in Cordoba, Rosario und Mendoza, die von der gewerkschaftlichen Basis getragen wurden, an denen aber auch die Stadtguerilla teilnahm. 1973 war diese Stadtguerilla schließlich der Träger des militanten Widerstandes gegen den immer reaktionäreren Kurs der neuen Regierung Peron.

In Brasilien entstand 1968 ebenfalls eine Stadtguerilla, die meist aus den kommunistischen Parteien hervorging. Sie trat mit Einzelaktionen in Erscheinung, Entführungen und Banküberfällen.

Südafrika

Bereits Anfang der 1950er Jahre entwickelte die Anti-Apartheids-Bewegung den sogenannten Mandela-Plan, der den Untergrundkampf vor allem im urbanen Umfeld der Townships vorbereiten sollte. Später agierte der MK, der bewaffnete Arm des ANC, teilweise als Stadtguerilla.

Deutschland

Aus losen, informellen, persönlichen und politischen Zusammenhängen, die als „Blues“ bezeichnet wurden,[2] entstanden im Herbst 1969 im Westteil Berlins die Tupamaros West-Berlin. Teile des „Blues“ schlossen sich im Januar 1972 zur Bewegung 2. Juni zusammen.[3] Diese Gruppen und auch die Veröffentlichung Das Konzept Stadtguerilla[4] der Rote Armee Fraktion (RAF) im April 1971 prägten den Begriff in der Bundesrepublik Deutschland. Die Stadtguerillataktik der RAF orientierte sich stark an Mao Zedongs Buch Theorie und Praxis des Guerillakrieges[5], die RAF adaptierte in ihrem Buch im Wesentlichen Maos Konzepte, obwohl dieser davor ausdrücklich gewarnt hatte.

Einzelnachweise

  1. Ernesto Che Guevara: Kubanisches Tagebuch. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, S. 240.
  2. Michael Bommi Baumann: Wie alles anfing. Trikont Verlag, München 1975 (Reihe: Romane, Reportagen, Autobiographien) ISBN 3-920385-68-3
  3. Ralf Reinders, Ronald Fritzsch: Die Bewegung 2. Juni. Gespräche über Haschrebellen, Lorenz-Entführung und Knast. Edition ID-Archiv, Berlin 1995, ISBN 3-89408-052-3 Online-Ausgabe (PDF und HTML) S. 38ff.
  4. [* Martin Hoffmann (Hrsg.) Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF. ID-Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-89408-065-5, S.27 Download als PDF, oder: [1]
  5. Mao Tse-Tung: Theorie des Guerillakrieges oder Strategie der dritten Welt. Einleitender Essay von Sebastian Haffner. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1966, (Reihe: rororo aktuell 886) und: Mao Tse-Tung: Ausgewählte militärische Schriften. Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1969.

Literatur

Das „Standardwerk“ zur Stadtguerilla stammt von Carlos Marighella, der im Juni 1969 das „Handbuch der Stadtguerilla“ (Minimanual of the Urban Guerrilla (English, GFDL) veröffentlichte.

  • Thomas Fischer: Die Tupamaros in Uruguay. Das Modell der Stadtguerilla. In: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Band 2. Hamburger Edition, Hamburg 2006, ISBN 978-3-936096-65-1, S. 736–750.
  • Carlos Marighella: Minihandbuch des Stadtguerilleros in: Sozialistische Politik. Hrsg: Otto-Suhr-Institut Berlin. 2.Jg., Nr. 6/7 1970, S. 143-166. (deutschsprachige Erstveröffentlichung)
  • Marcio M. Alves, Konrad Detrez, Carlos Marighella (Hrsg.): Zerschlagt die Wohlstandsinseln der Dritten Welt. Mit dem Handbuch der Guerilleros von São Paulo., Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1971 (Reihe: rororo aktuell 1453/1454), ISBN 3-499-11453-4.
  • Friedrich A. von der Heydte: Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen. Executive Intelligence Review, Nachrichtenagentur GmbH, Wiesbaden, Neuausgabe 1986 ISBN 3-925725-03-2. (Erstausgabe: Holzner-Verlag, Würzburg 1972)
  • Martin Oppenheimer: Stadt-Guerilla. Ullstein Verlag, Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1971.

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