Staat im Staat

Staat im Staat

Staat im Staate (lat.: Imperium in imperio) ist ein negativ besetztes politisches Schlagwort, das Gruppen bezeichnet, die sich tatsächlich oder angeblich gegenüber der Regierung eines Staates nicht oder nur eingeschränkt loyal verhalten und nur ihren eigenen Gesetzen gehorchen.

Inhaltsverzeichnis

Systematisierung

Der Vorwurf einen Staat im Staate zu bilden wird oft, aber nicht ausschließlich erhoben gegen

  • nationale und andere Minderheiten
  • Teile des Staatsapparats wie Armeen, Geheimdienste oder mächtige Behörden,
  • Interessengruppen wie Unternehmen, Gewerkschaften oder Verbände,
  • kriminelle Organisationen.

Nationale Minderheiten

Nationale, ethnische oder religiöse Minderheiten werden häufig beschuldigt, einen Staat im Staate zu bilden. Ein Beispiel waren die Deutschen in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit.[1]

Teile des Staatsapparats

Armeen und Nachrichtendienste sind aufgrund ihrer Intransparenz häufig dem Vorwurf ausgesetzt, Staat im Staate zu sein.

Während die Arbeit von Nachrichtendiensten in Demokratien – zumindest einer teilweisen – parlamentarischen Kontrolle unterliegen wie durch die Parlamentarische Kontrollkommission in Deutschland, bleibt sie in Diktaturen bewusst unkontrolliert. So spricht beispielsweise Georgij Popov von der Tscheka als Staat im Staate.[2] Christina Wilkening beschrieb unter dem Titel „Staat im Staate“ die Wirkung der Stasi.[3]

Auch das Militär wird oft als Staat im Staate beschrieben. Das trifft z.B. auf die starke Stellung der Armee in Preußen[4] zu, aber mehr noch auf die der Reichswehr zur Zeit der Weimarer Republik. Aufgrund des Ebert-Groener-Pakts konnte sich die Armee eine weitgehende innere Autonomie sichern. Sie nutzte dies, um der Regierung - z.B. während des Kapp-Putschs den Gehorsam zu verweigern. Ihre Soldaten waren nicht voll in die Republik integriert, da sie kein Wahlrecht besaßen.

Auch das staatliche Handeln durch Beamte, Richter und andere Amtsträger unterliegt meist nur indirekt der öffentlichen Kontrolle (siehe auch Transparenz (Politik)). Damit setzen sich die genannten Personengruppen leicht dem Vorwurf aus, im Eigen- statt im Staatsinteresse zu handeln und einen Staat im Staate zu bilden. Beispielsweise sieht Bernt Engelmann in der Beamtenschaft einen Staat im Staate.[5]

Interessengruppen

Interessengruppen (vornehmlich „dem (Groß-)Kapital“ und „den Gewerkschaften“) wird vielfach zugeschrieben, ein Staat im Staate zu sein.

Beispielsweise glaubt Hans Stadler die Gewerkschaften als Staat im Staate zu erkennen[6] der nach der Macht greift.[7]

Manuela Maschke beschreibt die Geschichte der israelischen Gewerkschaft Histadrut als anfänglichen Staat im Staate.[8]

In vielen mittel- und südamerikanischen Staaten galt die United Fruit Company wegen ihrer monopolartigen Stellung und ihrer Wirtschaftskraft, die oft größer war als die der Länder, in denen sie tätig war, als Staat im Staate.

Beispiele nach Ländern

Schweiz

In der Staatsschutzdiskussion im Nachgang zur Fichenaffäre sprach man in den Jahren 1989-90 oft vom Staat im Staate, um die fehlenden Kontrollen und ausgeuferten Überwachungspraktiken der Politischen Polizei zu kritisieren.

Russland

Seit den 1870er Jahren, in der Regierungszeit von Alexander II. wurden die Juden in Russland von Vertretern der slawophilen Bewegung, wie Konstantin Aksakow und Fjodor Dostojewski, beschuldigt, einen Staat im Staate zu bilden.

Libanon

Von Mitte der 1970er Jahre bis 1990 wurde der Libanon von einem Bürgerkrieg heimgesucht. Den offenen Gefechten zwischen der maronitischen Phalange-Miliz und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) vorausgegangen war eine Reihe wechselseitig verübter Anschläge und kleinerer Massaker zwischen diesen Gruppierungen. Ursache des Bürgerkrieges war der Verlust des ethnischen Gleichgewichts nach der Ankunft der im Schwarzen September 1970 aus Jordanien vertriebenen bewaffneten Kräfte der PLO. Diese errichteten mit Billigung muslimischer libanesischer Gruppen einen bewaffneten Staat im Staate.

Türkei

In der türkischen Sprache wird hierfür der Begriff Tiefer Staat (derin devlet) benutzt. Unter Tiefer Staat wird die Verflechtung von Sicherheitskräften, Politik, Justiz, Verwaltung und organisiertem Verbrechen (insbesondere Killerkommandos) verstanden. Die Diskussion entfachte sich besonders um den so genannten Susurluk-Skandal im Jahre 1996, wurde aber schon in den 70er Jahren mit Begriffen wie Kontra-Guerillla oder das Amt für besondere Kriegsführung (Özel Harp Dairesi) geführt. In den letzten Jahren tauchte häufiger auch der Geheimdienst der Gendarmerie mit seiner Abkürzung JITEM als inoffizielle Organisierung von Maßnahmen gegen die Opposition auf (wobei politische Morde, auch als extra-legale oder außergerichtliche Hinrichtungen bezeichnet, eingeschlossen sind). Ein Vorfall in Şemdinli (Provinz Hakkari) vom 10. November 2005, in den ein Überläufer der PKK und zwei Angehörige der Gendarmerie verstrickt waren, wird hierfür als Beispiel genannt.

Pakistan

In Pakistan gelten die Streitkräfte als Staat im Staate, sie haben großen Einfluss auf die Politik, die Justiz und die Wirtschaft. Siehe: Kritik an den Streitkräften.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. z.B. Kamil Krofta, „Die Deutschen im tschechoslovakischen Staate“, Prag, 1937
  2. [Georgij K. Popov, „Tscheka, der Staat im Staate: Erlebnisse u. Erfahrungen mit d. russ. außerordentl. Kommission“, Frankfurt a. M., 1925
  3. Christina Wilkening, „Staat im Staate: Auskünfte ehemaliger Stasi-Mitarbeiter“, Berlin, 1990, ISBN 3-351-01814-2
  4. Gordon A. Craig, „Die preussisch-deutsche Armee 1640 - 1945: Staat im Staate“, Königstein/Ts., 1980, ISBN 3-7610-7231-1 (formal falsche ISBN)
  5. Bernt Engelmann, „Die Beamten: unser Staat im Staate“, Göttingen, 1994, ISBN 3-88243-236-5
  6. Hans Stadler, „Die Gewerkschaften: Ein Staat im Staate“, München, 1965
  7. Hans Stadler, „Die Gewerkschaften greifen nach der Macht: Ein roter Staat im Staate“, München, 1969
  8. Manuela Maschke, „Die israelische Arbeiterorganisation Histadrut: vom Staat im Staate zur unabhängigen Gewerkschaft“, Frankfurt am Main, 2003, ISBN 3-89846-251-X

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