Bahnhofsmission

Bahnhofsmission
Mitarbeiter der Bahnhofsmission im Leipziger Hauptbahnhof

Die Bahnhofsmission (Bahnhofsozialdienst in Österreich) ist eine Hilfsorganisation mit kostenlosen Anlaufstellen auf knapp 100 Bahnhöfen in Deutschland. Weitere Bahnhofsozialdienste mit ähnlichen Aufgabenfeldern existieren in Frankreich, der Schweiz, in Österreich und weiteren Ländern Europas.

Inhaltsverzeichnis

Hilfsangebote

Die Bahnhofsmissionen in Deutschland bieten ihre Hilfe grundsätzlich jedem Menschen anonym und kostenlos an und meist zu Tageszeiten, an denen andere soziale Hilfen nicht verfügbar sind. Das Hilfsangebot ist niederschwellig, für seine Nutzung sind weder bestimmte persönliche Voraussetzungen noch bestimmte Problemlagen erforderlich.

Das Hilfsangebot reicht meist von kleineren Hilfen (Pflaster, Fahrplanauskünfte, Hilfe beim Ausfüllen von Antragsformularen) über Reisehilfen (für Blinde, ältere Menschen, Kranke und Behinderte, Menschen mit Kinderwagen, alleinreisende Kinder) bis hin zu verweisenden sozialen Hilfen (Vermittlung in Therapieeinrichtungen, Vermittlung an die zuständigen Ämter und Behörden). In einigen Städten (z. B. in Fürth) können alleinstehende, wohnungs- und mittellose Männer entweder über die Stadt als Kostenträger bis zu drei Tage in den Durchgangszimmern der Bahnhofsmission übernachten oder, falls die Voraussetzungen erfüllt sind, auf Kosten des Regierungsbezirks dort bis zu eineinhalb Jahre wohnen bleiben.

Die von den Bahnhofsmissionen angebotenen Hilfen variieren zum Teil sehr stark. Während einzelne Bahnhofsmissionen über ausgebildete Sozialarbeiter verfügen und dementsprechende Hilfen anbieten können, stehen anderen Bahnhofsmissionen ausschließlich ehrenamtlich Mitarbeitende zur Verfügung. Bahnhofsmissionen an größeren Orten beschäftigten darüber hinaus Zivildienstleistende.

Über die bei weiten Bevölkerungsteilen bekannten Hilfen hinaus machen einige Bahnhofsmissionen spezielle Angebote, beispielsweise für Straßenkinder, Prostituierte und Senioren oder alleinreisende Kinder in den Zügen.

Geschichte der Bahnhofsmission

Eines von vielen Eingangsschildern

Die erste evangelische Bahnhofsmission wurde 1894 in Berlin durch den Pfarrer Johannes Burckhardt gegründet (1897 eröffnete in München die erste katholisch-evangelische Bahnhofsmission), ursprünglich um Frauen Schutz und Hilfe zu bieten, die im Zuge der Industrialisierung in die Städte zogen. Die vom Land stammenden Frauen suchten nach Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt in den Städten als Arbeiterinnen in Fabriken der Metall- und Blechindustrie oder in Anstellungen als Dienstmädchen zu verdienen. Dabei gerieten viele Mädchen und junge Frauen an unseriöse Arbeitsvermittler mit zweifelhaften Absichten, die ihnen Arbeit und Unterstützung bei der Unterbringung anboten, was aber nicht selten in Ausbeutung und/oder Prostitution endete.

Bereits seit 1882 unterstützten Frauen in Deutschland ratsuchende Mädchen bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft. Diese Frauen hatten sich nach dem Vorbild der aus der Schweiz stammenden Bewegung „Freundinnen junger Mädchen“ organisiert. In Zusammenarbeit mit lokalen Trägern wurden vor Ort erste Bahnhofsmissionen gegründet - als Beistand für junge Frauen und, um dem Mädchenhandel entgegenzuwirken.

Trägerverein der Evangelischen Deutschen Bahnhofsmission war der Internationale Verein der Freundinnen junger Mädchen unter der Protektion der Kaiserin Auguste Viktoria.

Trägerverein der Katholischen Bahnhofsmission war der Deutsche Nationalverband der katholischen Mädchenschutzvereine.

Auch der Jüdische Frauenbund war auf diesem Gebiet tätig.

Bereits einige Jahre später erweiterte die Bahnhofsmission das Angebot um allgemeine Hilfen für Reisende. In dieser Zeit betrieben die Evangelische und die Katholische Kirche strikt getrennte Bahnhofsmissionen.

1910 wurde schließlich die Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmission in Deutschland (KKBM) gegründet,[1] die die Zusammenarbeit zwischen evangelischer und katholischer Bahnhofsmission verstärkte. Auf diese Weise entstand die erste und somit älteste ökumenische Struktur auf dem Gebiet der offenen sozialen Arbeit. 1911 warben die Bahnhofsmissionen in den Zugabteilen der 3. und 4. Klassen jedoch erstmals mit gemeinsamen Plakaten für ihre Arbeit. 1912 gab es in 90 deutschen Städten Bahnhofsmissionen.

Der Erste Weltkrieg brachte eine Zäsur: Internationaler Frauenhandel kam zum Erliegen und Deutschland fiel als Transitland für diese Zwecke aus. Neues Tätigkeitsfeld der Missionsarbeit wurde die Betreuung Arbeitsloser, die Schützengräben an der Front ausheben mussten, von Frauen, die als Munitionsarbeiterinnen in andere Städte verpflichtet wurden. Nach dem Weltkrieg betreuten die Bahnhofsmissionen Flüchtlinge, Vertriebene und zurückkehrende Soldaten. Erstmals wurden neben ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die von nun an verstärkt Fort- und Weiterbildungen erfuhren, auch hauptamtliche Arbeitskräfte in den Bahnhofsmissionen eingesetzt. In den Jahren vor der Machtergreifung waren es Landhelfer, alleinreisende Kinder und arbeitslose Jugendliche, auf die sich das Augenmerk der Bahnhofsmissionen am meisten richtete. Auf Grund der Gleichschaltung der Hilfsorganisationen und der Verdrängung der Arbeit konfessioneller Einrichtungen während des „Dritten Reiches“ wurde die Arbeit der Bahnhofsmissionen massiv behindert. 1939 wurden die Bahnhofsmissionen im „Dritten Reich“ endgültig verboten. Die Aufgaben übernahm die NS-Frauenschaft.

Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen einige Bahnhofsmissionen ihre Arbeit wieder auf, vielfach in provisorischen Unterkünften, beispielsweise in ausgedienten Eisenbahnwaggons auf den Bahnhofsgeländen.

Das zweite Verbot der Bahnhofsmissionen fand in den 1950er Jahren statt. Es betraf die Einrichtungen in der DDR unter dem Vorwurf der Spionage für den Westen.

Ab den 1960er Jahren erweitern die Bahnhofsmissionen ihr Hilfsangebot in der Bundesrepublik verstärkt um Reisehilfen für ältere Menschen, denen es oftmals schwer fällt, allein zwischen zwei Zügen umzusteigen und gleichzeitig ihr Gepäck zu transportieren. Während der 1970er Jahre gehören immer öfter Arbeitslose zur Klientel der Bahnhofsmissionen; sie vermitteln keine Arbeitsplätze, bieten aber Hilfe bei den unterschiedlichsten Folgeerscheinungen der Arbeitslosigkeit (z.B. Alkoholkrankheit, Überschuldung). Ebenfalls ab den 1970er Jahren kommen Aussiedler und Asylbewerber zur Klientel hinzu.

Während der 1990er Jahre werden die Bahnhöfe in Deutschland verstärkt mit Automaten ausgestattet, was viele Reisende vor Probleme stellt, da sie die Geräte nicht bedienen können. Der mit der Automatisierung einhergehende Personalabbau verstärkt die Probleme. Die Bahnhofsmissionen erweitern ihr Hilfsangebot erneut und tragen dazu bei, Menschlichkeit am Bahnhof zu erhalten.

Geschichte der Bahnhofsmissionen/Bahnhofsozialdienste in Österreich

Der Bahnhofsmission wurde als älteste Institution der Tiroler Caritas Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet. Sie musste allerdings im Ersten Weltkrieg ihren Dienst einstellen. Nach dem Krieg nahmen die Bahnhofsmissionen die Arbeit wieder auf. 1975 wurden die Bahnhofsmissionen in Bahnhofsozialdienst umbenannt.

Wie in Deutschland war der Schwerpunkt der Arbeit damals der Schutz und die Betreuung von jungen Frauen, die vom Land auf der Suche nach Arbeit in die Stadt kamen und Unterkunft und Unterstützung brauchten.

Die Bahnhofsmissionen als katholische Einrichtung ereilte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit der Schließung das gleiche Schicksal wie die Bahnhofsmissionen im Deutschen Reich.

1946 bauten die Caritas-Socialis-Schwestern die Bahnhofsmission wieder auf. Die Folgen des Krieges bestimmten das Arbeitsbild (Übernachtungen, Essensausgabe, Hilfe für Frauen am Bahnhof, usw.). In den 50er Jahren verlor die Mädchenarbeit immer mehr an Bedeutung. Dagegen trat die Arbeit mit Obdachlosen, Arbeitssuchenden und Reisenden in den Vordergrund. In den 70er Jahren wurde die Bahnhofsmission in den Bahnhofsozialdienst (BSD) umbenannt.

Infolge von Einsparungen musste der Bahnhofsozialdienst seine Erreichbarkeit von einer Öffnung rund um die Uhr immer weiter einschränken. Inzwischen sind die verbliebenen Stationen Wien Südbahnhof, Innsbruck und Salzburg nur noch zu normalen Geschäftszeiten zu erreichen.

Organisation in Deutschland

Die Bahnhofsmission wird gemeinsam von der evangelischen und katholischen Kirche mit ihren Organisationen Diakonie, Caritas und IN VIA sowie deren regionalen und lokalen Unterorganisationen betrieben.

Die Bahnhofsmissionen in Deutschland sind in folgenden Verbänden organisiert:

  • Konferenz für Kirchliche Bahnhofsmission in Deutschland (bundesweit, ökumenisch)
  • Bundesarbeitsgemeinschaft der Katholischen Bahnhofsmissionen in Deutschland (bundesweit, katholisch)
  • Verband der Deutschen Evangelischen Bahnhofsmission e.V. (bundesweit, evangelisch)
  • Diözesan-/Landesverbände IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit e.V. oder Diözesan-Caritasverbände (regional, katholisch)
  • Landesgruppen der Evangelischen Bahnhofsmission (regional, evangelisch)

Finanzierung

Die Arbeit der Bahnhofsmission wird zum Großteil aus Kirchensteuereinnahmen über die regionalen und lokalen Trägerorganisationen und aus direkten Spendenmitteln finanziert. Ebenso wird der Regierungsbezirk, in dem die jeweilige Bahnhofsmission liegt (z. B. für Nürnberg der Regierungsbezirk Mittelfranken) als Träger anerkannt und unterstützt die Einrichtung finanziell.

Die Bahnhofsmission verfügt als einzige Institution über das Recht, ohne größeren Verwaltungsaufwand an Bahnhöfen in Deutschland Spenden zu sammeln.

Das breite Spektrum der Arbeit der Bahnhofsmissionen und die teilweise ausgedehnten Öffnungszeiten der Einrichtungen ermöglicht aber vorrangig der Einsatz der ehrenamtlichen Mitarbeitenden, die etwa 90 Prozent der bundesweit über 2.000 Mitarbeitenden der Bahnhofsmission stellen.

Einzelnachweise

  1. Theodor Schober: Bahnhofsmission. In: Helmut Burkhardt und Uwe Swarat (Hrsg.): Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. 1, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal 1992, ISBN 3417246415, S. 170.

Weblinks


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