Spiral Dynamics

Spiral Dynamics

Spiral Dynamics (engl.) ist ein kultursoziologisches Modell von Don Beck und Chris Cowan. Ihr Entwicklungsmodell, vorgestellt im gleichnamigen Buch von 1996 (dt. 2007), basiert auf den Arbeiten des US-amerikanischen Psychologen Clare W. Graves. Das Buch richtet sich an ein Management-Publikum, fand aber wegen der dargestellten Konzepte, die eine griffige Beschreibung von Kultur und Psyche des Menschen bieten, eine Leserschaft – einschließlich des US-amerikanischen Philosophen Ken Wilber –, die weit über den angezielten Adressatenkreis hinaus reicht. „Spiral Dynamics“ ist zudem ein eingetragenes Warenzeichen des National Values Center, Inc.

Inhaltsverzeichnis

Übersicht

Spiral Dynamics behauptet, dass die menschliche Natur nicht festgelegt ist: Menschen sind unter drängenden Umständen fähig, ihre Umwelt durch neue konzeptionelle Modelle der Welt so zu gestalten, dass die neu entstandenen Probleme bewältigt werden können.[1] Jedes neue Modell schließt alle vorherigen Modelle ein. Nach Beck und Cowan sind diese konzeptionellen Modelle in der Peripherie sogenannter vMeme organisiert: Systeme mit Kernkompetenzen oder kollektiven Intelligenzen, die sowohl individuell wie auch für die ganze Kultur nutzbar sind.

In Spiral Dynamics bezieht sich der Ausdruck „vMeme“ auf einen Wertekern (Wertesystem), der als organisierende Kraft wirksam ist und in Form von Memen (sich selbst verbreitende Ideen, Gebräuche oder Kulturpraktiken) sichtbar wird. Der voraus- und hochgestellte Buchstabe v zeigt an, dass es sich nicht um elementare Meme handelt, sondern um Ausprägungen solcher Meme, die sich selbst einschließen.

I am not saying in this conception of adult behavior that one style of being, one form of human existence is inevitably and in all circumstances superior to or better than another form of human existence, another style of being. What I am saying is that when one form of being is more congruent with the realities of existence, then it is the better form of living for those realities. And what I am saying is that when one form of existence ceases to be functional for the realities of existence then some other form, either higher or lower in the hierarchy, is the better form of living. I do suggest, however, and this I deeply believe is so, that for the overall welfare of total man's existence in this world, over the long run of time, higher levels are better than lower levels and that the prime good of any society's governing figures should be to promote human movement up the levels of human existence.

(Ich sage nicht, dass in dieser Konzeption des Verhaltens Erwachsener eine bestimmte Seinsstufe, eine bestimmte Form der menschlichen Existenz zwingend ist und unter allen Umständen höherrangig oder besser ist als eine andere Form der menschlichen Existenz oder eine andere Seinsstufe. Was ich sage ist, dass wenn eine Seinsform besser mit den bestehenden Lebensbedingungen übereinstimmt, dann ist sie die bessere Seinsform für solche Realitäten. Und was ich sage ist, dass wenn eine Seinsform aufhört für die Lebensrealitäten zu funktionieren, dann ist eine andere Seinsform – entweder höher oder tiefer in der Hierarchie – die bessere Seinsform. Ich schlage vor – und ich glaube fest daran, dass es sich so verhält – dass für das Wohlergehen der gesamten Weltbevölkerung höhere Ebenen besser sind als niedrigere Ebenen und dass die Hauptaufgabe jeder Regierung einer Gesellschaft sein sollte, die Weiterentwicklung der Menschen hinauf zu neuen Ebenen der menschlichen Existenz zu fördern.)

– Dr. Clare W. Graves

vMeme der Primärschicht

Diese vMeme-Ebenen sind auf unterschiedliche Bedingungen der Existenz ausgerichtet. Sie schließen nahezu alle Weltanschauungen, Kulturen und geistigen Strömungen bis in die Gegenwart ein. Neue Systeme sind durch Anpassung vorangegangener Ebenen entstanden und tendieren dahin, Probleme, die durch die Individuen auf der vorangegangenen Ebene geschaffen wurden, zu lösen. (Konkrete Beispiele für diese Ebenen psychischer Existenz zu nennen ist schwer und oft irreführend, weil (a) mehrere Gründe für dasselbe Verhalten bestehen können und (b) das gemeinsame Auftreten aller Aspekte des Lebens auf einer einzelnen Ebene selten ist. Solche Möglichkeiten bestehen für die Beschreibung von Gegenständen, nicht jedoch für menschliche Typen.)

  • Beige: archaisch, instinktiv, überlebensbestimmt, selbsttätig, reflexologisch
    • Seit dem mittleren Paläolithikum 100,000 BC
    • Ebene des grundlegenden Überlebens; Nahrung, Wasser, Wärme, Sex und Sicherheit haben Vorrang. Gewohnheiten und Instinkte werden zum bloßen Überleben verwendet. Es ist noch kaum so etwas wie ein unterscheidbares Ich erwacht, und es gibt kaum Bemühungen, ein solches zu bewahren.
  • Purpur: animistisch, tribalistisch, magisch-animistisch
    • Seit dem mittleren Paläolithikum 50,000 BC
    • Opfer an die Ahnen und strenge Befolgung des Brauchtums ordnen das einzelne Individuum der Gruppe unter. Magische Geister, gute und böse, suchen die Erde heim und hinterlassen Segnungen, Verfluchungen und Verzauberungen, die das Geschehen bestimmen. Es werden ethnische Stämme gebildet. Die Geister existieren in den Ahnen und halten den Stamm zusammen. Blutsverwandtschaft und Familie begründen politische Bindungen.
  • Rot: egozentrisch-ausbeuterische Gewaltgötter
    • Seit 7000 BC
    • Erstes Auftreten eines sich vom Stamm unterscheidenden Ich; machtvoll, impulsiv, egozentrisch, heroisch. Magisch-mythische Geister, Drachen, wilde Bestien und machtvolle Menschen. Archetypische Götter und Göttinnen, Machtwesen, Mächte, mit denen man umgehen muss, und zwar gute wie böse.
  • Blau: absolutistisch, gehorsam, mythisch, ordentlich, entschlossen, autoritär
    • Seit 3000 BC
    • Das Leben hat Sinn, Richtung und Zweck, wobei das Ergebnis von einem allmächtigen Anderen oder einer allmächtigen Ordnung bestimmt wird. Diese gerechte Ordnung erzwingt einen Verhaltenskodex, der auf absoluten und unveränderlichen Prinzipien von „recht“ und „unrecht“ basiert. Eine Verletzung dieses Kodex oder dieser Regeln zieht gravierende und vielleicht „ewige“ Rückwirkungen nach sich. Die Befolgung des Kodex bringt dem Gläubigen Belohnung.
  • Orange: vielfältig, effizient, wissenschaftlich, strategisch
    • Seit 1700 AD (bereits vor 600 AD nach Graves und Calhoun)
    • Hypothetisch-deduktiv, experimentell, objektiv, mechanistisch, operational – also „wissenschaftlich“ im typischen Sinne. Die Welt ist eine rationale gut geölte Maschine mit Naturgesetzen, die man erkennen, meistern und für die eigenen Zwecke manipulieren kann. Stark leistungsorientiert, und zwar vor allem auf materiellen Gewinn hin. Die Gesetze der Naturwissenschaft beherrschen Politik, Wirtschaft und menschliche Gesellschaft.
  • Grün: relativistisch, personalistisch, kommunitaristisch, egalitär
    • Seit 1850 AD (aufkeimend im frühen 20. Jh.)
    • Gemeinschaftsgefühl, menschlicher Zusammenhalt, ökologische Sensibilität, Netzwerke. Der menschliche Geist muss von Habgier, Dogma, und Entzweiung befreit werden; Gefühle und Fürsorge gehen über kalte Rationalität; Wertschätzung der Erde, von Gaia, des Lebens. Gegen jede Hierarchie; Herstellung von Querverbindungen und Vernetzung.
Die Meme nach Beck und Cowan; 30% / 50% = Anteil in der Weltbevölkerung / Anteil an den Machtstrukturen

vMeme der Sekundärschicht

Hierbei handelt es sich um gerade auftauchende Ebenen, die sich nach und nach aus den Ebenen der ersten Stufe bilden und zunehmend gegenüber diesen an Bedeutung gewinnen. Charakteristisch ist die neugewonnene Fähigkeit, sich flexibel auf den vorhergehenden Stufen zu bewegen.[2]

  • Gelb: systemisch-integrativ
    • Seit etwa 1950
    • Das Selbst ist was es zu sein wünscht, mit Rücksicht auf andere Menschen und das Leben allgemein. Nicht nur das eigene Leben soll gefördert werden. Gute Regierung erleichtert das Aufsteigen von Entitäten auf allen Ebenen zunehmender Komplexität. Nach Schätzungen gehören am Beginn des 21. Jh. ca. 1 Prozent der Weltbevölkerung und ca. 5 Prozent der Machtstrukturen dieser Ebene an.
  • Türkis: holistisch
    • Seit etwa 1970
    • Ein opferbereites eigennütziges System aus multiplen Ebenen verwoben zu einem bewussten System.
  • Koralle
    • Die nach oben offene Theorie lässt weitere Stufen erwarten.

Anwendungen

Das Modell wird für die Analyse kultureller Entwicklung[3] insbesondere in Konfliktregionen[4] und für die politische Entscheidungsfindung verwendet.[5] Don Beck beriet auf dieser Grundlage Bill Clinton, Tony Blair und Nelson Mandela[6][7] und setzte das Modell zur Unterstützung des Übergangs zu einer Post-Apartheid-Ära in Südafrika ein.[8][9] Er erhielt dafür eine Auszeichnung vom Staat Texas.[10] Spiral Dynamics kommt auch im Nahen Osten zur Anwendung.[6][11]

Pathologien

Sowohl Don Beck als auch Ken Wilber sind der Auffassung, dass jedes vMem gesunde und ungesunde Versionen hat. Diese Pathologien werden manchmal auch mit der Präposition „gemein“ (von „mean“) wie z. B. in „Mean Green vMeme“ (MGM) oder „Mean Orange vMeme“ (MOM) gekennzeichnet. Ein Beispiel: Das MOM schließt die Extreme des Kapitalismus wie Ausbeutung, Umweltzerstörung sowie einen allgemeinen Verlust ethischer Werte und der Empfindsamkeit für den Menschen ein, während das MGM tätigen Widerspruch wie Anti-Hierarchie, Anti-Wettbewerb etc. einschließt.

Der Koautor von Spiral Dynamics, Chris Cowan, bestreitet, dass es einen glaubhaften Beleg für die Existenz des „Mean Green vMeme“ (MGM) gibt und er glaubt, dass es sich hierbei um eine Falschinterpretation der Theorie handelt. Er gibt zu bedenken, dass der Begriff „gemein“ unpassend und eine theoretische Entstellung sei wenn es um präzise Fragen der Anpassung oder Verhaltensanpassung, Kongruenz oder Versagen geht. Psychopathologie existiert potentiell auf allen Ebenen und hat eine eigene Dimension.

Andere theoretische Fragen

Clare Graves' Originaltheorie, auf der Spiral Dynamics aufbaut ist bekannt als „Emergent Cyclic Double-Helix Model of Adult Biopsychosocial Systems Development“ oder einfach: die Levels of Existence Theory (ECLET). Das von Beck und Cowan benutzte Farbsystem hat auch bei genauerer Betrachtung nichts mit der „queen color scale“ der Kabbala zu tun. Es wurde in den 1970er Jahren als grafisches Element für Vortragsunterlagen entwickelt und von Beck und Cowan benutzt. Der von Beck und Cowan in Spiral Dynamics eingeführte Begriff vMeme ersetzte zusammen mit der Farbterminologie die Originalbezeichnungen von Graves. Graves benutzte in seinem Entwicklungsmodell zur Bezeichnung der einzelnen Ebenen Buchstabenpaare, und er hatte keinerlei Beziehung zu „Memetik“. Beck und Cowan betonen aus Graves' Theorie die 'wechselnden Zustände'. Sie markieren Orientierungspunkte auf dem Weg der Transformation zwischen den Ebenen. Graves' Originaltheorie benutzt ein Doppelhelix-Modell, um die Wechselbeziehungen zwischen dem individuellen Erkenntnisvermögen bezüglich der Lebensbedingungen und dem für die Ebene der psychischen Existenz bestimmenden neuronalen System der Individuen zu zeigen. Diese Doppelhelix für zwei interagierende Kräfte ist in Spiral Dynamics ebenfalls als Spirale dargestellt.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Van Marrewijk, Marcel. "Strategic Orientations: Multiple Ways for Implementing Sustainable Performance." Technology and Investment, 2010, 1, 85-96. HTML, doi:10.4236/ti.2010.12010 (pdf)
  2. Christiane Prange: Organisationales Lernen und Wissensmanagement. Gabler, Wiesbaden 2002, S. 149, ISBN 3-409-11762-8.
  3. Christoph Zollinger: Die Debatte läuft: ganzheitliche Thesen für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Via Nova, Petersberg 2005, ISBN 3-86616-006-2, S. 84, 177.
  4. Vuk Stambolovic: The case of Serbia/Yugoslavia: An analysis through spiral dynamics. In: Medicine, Conflict and Survival. 18, Nr. 1, Januar 2002, S. 59-70. doi:10.1080/13623690208409606.
  5. Joseph Voros: Nesting social-analytical perspectives: an approach to macro-social analysis. In: Journal of Futures Studies. 11, Nr. 1, 2006, S. 11-13.
  6. a b Changing the World and Work. Radio National (Australien), 7. März 2004
  7. The eight-stage spiral to peace in the Mideast. Haaretz, 12. Februar 2006
  8. The story behind ‘Invictus’: Man aided team now onscreen. Denton Record-Chronicle, December 24, 2009, gefunden auf Invictus: Reflections on Power and Love, Don Beck and Rugby in South Africa. Integral Leadership Review + Volume X, No. 1 - January 2010.
  9. Don Beck and Graham Linscott, The Crucible: Forging South Africa’s Future, Denton 1991, ISBN 0-62016241-4
  10. http://www.legis.state.tx.us/tlodocs/74R/billtext/html/HR00627F.htm
  11. Build Palestine Initiative: How to Walk the Talk. pdf Palestine Times, 26 January 2007

Weiterführende Literatur


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