Spiegeltest

Spiegeltest
Spiegeltest mit einem Hund

Als Spiegeltest bezeichnet man ein Experiment mit höheren Lebewesen, bei dem ein Spiegel ins Sichtfeld gehalten wird, und die Reaktion beobachtet wird.

Inhaltsverzeichnis

Spiegeltest

Der Spiegeltest dient insbesondere als Nachweis für die Existenz eines Bewusstseins, mehr noch eines Selbstbewusstseins. Es wird weithin akzeptiert, dass das „Bestehen“ des Spiegeltestes ein notwendiges Kriterium ist, um den kognitiven Fähigkeiten einer Spezies zuzuschreiben, das eigene Selbst erkennen zu können. Es ist allerdings umstritten, ob der Spiegeltest ein hinreichendes Kriterium liefert.

Das Erkennen des eigenen Spiegelbilds wird in einem Test in der Regel dann als nachgewiesen angesehen, wenn ein Tier gegenüber dem Spiegelbild folgende Reaktionen zeigt:

  • das Tier versucht, hinter das Spiegelbild zu gelangen
  • das Tier wiederholt vor dem Spiegel mehrfach bestimmte Bewegungsabläufe
  • das Tier bemerkt, dass es sich selbst im Spiegel sieht.

Eine typische Form des Tests bei Menschenkindern ist das Aufmalen einer Farbmarkierung auf der Stirn und der anschließenden Beobachtung, ob beim Betrachten des eigenen Spiegelbildes erkannt wird, dass sich dieser Fleck auf der eigenen Stirn befindet, d. h. dass das Kind diesen zum Beispiel wegzuwischen versucht (Rouge-Test). Menschenkinder bestehen diesen Test typischerweise im zweiten Lebensjahr (Spiegelstadium).

Andere Spezies, die den Spiegeltest regelmäßig bestehen, sind die Großen Menschenaffen (insbesondere Schimpansen) und eine Reihe von Arten der Zahnwale (insbesondere Delfine). Das Nichtbestehen des Spiegeltests drückt sich bei den meisten Spezies dadurch aus, dass sie das Spiegelbild wie ein fremdes Individuum begrüßen – je nach Art können dies Drohgebärden, Warnlaute oder schlichtes Ignorieren sein.

Ein positives Ergebnis ist nicht immer zweifelsfrei zu erkennen. So kann das Anbringen eines farbigen Flecks auf der Haut oder einer farbigen Klammer im Fell oft nicht unbemerkt erfolgen, oder es kann zwar erfolgen, aber eine Abwischreaktion ist nicht möglich (etwa bei den Zahnwalen), oder eine solche Markierung würde schon durch aufmerksame Mitglieder der sozialen Gruppen entfernt (etwa bei Menschenaffen). So muss man zum einfachen Spiegeltest ohne Markierung greifen, und dann beobachten, ob das Verhalten atypisch ist im Vergleich zu der Reaktion auf ein fremdes Individuum. Eine häufigere Beobachtung, die vielfach als Eigen-Erkennung gewertet wird, ist das enge Herantreten an den Spiegel mit atypischem Betrachten der Zähne, das für den Beobachter wie heftiges Schneiden von Grimassen erscheint.

Eine Voraussetzung zur Selbstwahrnehmung wurde 2009 in einem Test bei jungen Schweinen beobachtet: Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase suchten sie relativ rasch und gezielt einen Futtertrog auf, dessen genaue Position sie nur anhand seines Spiegelbilds lokalisieren konnten.[1]

Videotest

Eine Abwandlung des Spiegeltests ist der Videotest, der zur weiteren Erforschung des Ich-Bewusstseins herangezogen wird. Wenn es sich um eine Live-Übertragung handelt (hier bei zwei- bis fünfjährigen Kindern), so wurde der Fleck sofort entfernt. Wurde das Video jedoch einige Minuten zeitversetzt bei Dreijährigen eingespielt, so erfolgte dies nicht. Auf Nachfrage vom Betreuer „Wer ist das?“ kam jedoch deutlich ein „Ich“ als Antwort.

Offensichtlich ist der Zeitzusammenhang in Bezug auf das Ich noch nicht genügend ausgeprägt. Der Videotest bei Fünfjährigen führt dagegen sofort zur Reaktion des Wegwischens. Hier stellt sich die Frage der Definition des Selbstbewusstseins, die in anderem Kontext als die eigene Wesensschau in einem sozialen Kontext verstanden wird. Dieses jedoch erfordert auch Erinnerung und Planung von Situationen.

Obwohl die Großen Menschenaffen keine Reaktion auf den Videotest zeigen, so gibt es andere Beobachtungen, wonach die Affen ein soziales Bewusstsein haben, und damit auch planend umgehen – bis hin zu Täuschungsmanövern und Konspiration. Die Bedeutung des Videotests für die Definition von Selbstbewusstsein ist daher umstritten, es wird jedoch gern als Gegenbeleg genommen für die These, dass der Spiegeltest schon hinreichend wäre.

Artverhalten

  • Menschen – bestehen durchgängig den Spiegeltest ab dem zweiten Lebensjahr und den Videotest ab dem fünften Lebensjahr. Schon ab ungefähr anderthalb Jahren zeichnet sich beim Spiegeltest ein Erkennen ab. Vor dem „Spiegelstadium“ wird das Spiegelbild ignoriert.
  • Schimpansen – Sowohl viele Gemeine Schimpansen als auch viele Bonobos bestehen den Spiegeltest. Nach kurzer Phase mit Warnlauten (wie zu einem Individuum einer fremden Gruppe) wird das gleichartige Verhalten erkannt, auch durch spielerische Tests mit Herumwerfen der Arme, danach Herantreten an den Spiegel und Untersuchen der Zähne.[2] Dies alles gilt nur für Affen, die mit sozialem Kontakt aufwuchsen; isoliert aufgewachsene Affen erkennen sich nicht.[3]
  • Delfine – bestehen den Spiegeltest.[4]
  • Orang-Utans – bestehen durchgängig den Spiegeltest. Sie können danach auch mit einem Handspiegel gut umgehen und diesen frei nutzen.
  • Gorillas – bestehen den Spiegeltest im allgemeinen nicht – mit Ausnahme des Individuums Koko, die nach Training auch tausend Symbole der menschlichen Gebärdensprache beherrscht. Man vermutet, dass bei typischem Gorillaverhalten der Augenkontakt vermieden wird, und daher ein Spiegelbild nicht untersucht wird, wodurch eine Entscheidung zum Inhalt nicht erfolgen kann.
  • Kapuzineraffen – zeigen ein Mischverhalten zwischen Begrüßung eines Fremdindividuums und Inspektion des eigenen Selbst. Sie können sich nicht bleibend entscheiden und wechseln ständig die Reaktionsmuster.
  • Tauben – Tests von Epstein, Lanza und Skinner[5], publiziert 1981, behaupten ein Bestehen des Spiegeltests, die Experimente werden jedoch angezweifelt.
  • Elstern – Experimente der Ruhr-Universität Bochum aus den Jahren 2000 und 2008 berichten von bestandenen Spiegeltests bei Elstern, die unbemerkt mit einem Farbfleck markiert worden waren: „Das Ergebnis war überzeugend, das Interesse der Vögel richtete sich nur dann eindeutig auf den eigenen roten Kehlfleck, wenn sie sich vis-á-vis zu ihrem Spiegelbild befanden. (…) Wie viele derjenigen Komponenten, die menschliches Selbsterkennen ermöglichen, im hochentwickelten Gehirn der Elster realisiert sind, wissen wir noch nicht. Es bleibt aber festzustellen, dass Elstern vor dem Spiegel ähnlich reagierten wie Schimpansen und Orang Utans in vergleichbaren Tests, die bei diesen Menschenaffen als Hinweis auf Selbsterkennen interpretiert wurden.“[6] [7]
  • Asiatischer Elefant – Drei Elefanten wurden im New Yorker Bronx-Zoo mit ihrem Spiegelbild konfrontiert. Nach vergeblicher Kontaktaufnahme mit dem Spiegelbild wurde bei einem der Tiere schließlich beobachtet, wie es seinen Rüssel zu einer zuvor unbemerkt auf seinem Kopf angebrachten Markierung führte.[8] [9] [10]

Siehe auch

Quellen

  1. Donald Broom et al.: Pigs learn what a mirror image represents and use it to obtain information. Animal Behaviour, Band 78 (5), 2009, S. 1037–1041, doi:10.1016/j.anbehav.2009.07.027
    Siehe auch welt.de vom 10. November 2009: „Schweine können sich im Spiegel erkennen“; in der Originalarbeit ist jedoch nicht vom „Selbsterkennen“ die Rede, sondern von assessment awareness (sinngemäß: „Bewertung der Wahrnehmung“).
  2. Gordon G. Gallup, Jr.: Chimpanzees: Self-Recognition. In: Science, Band 167, Nr. 3914, 1970, S. 86–87, DOI:10.1126/science.167.3914.86
  3. G. G. Gallup (1977). Self-recognition in primates: A comparative approach to the bidirectional properties of consciousness. American Psychologist, 32, S. 329-337
  4. Diana Reiss, Lori Marino: Mirror self-recognition in the bottlenose dolphin: A case of cognitive convergence. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 98, 2001, S. 5937–5942, doi:10.1073/pnas.101086398
  5. Robert Epstein, Robert P. Lanza, B. F. Skinner: "Self-Awareness" in the Pigeon. In: Science. 212, Nr. 4495, 8. April 1981, S. 695 -696, doi:10.1126/science.212.4495.695.
  6. H. Prior, B. Pollok, O. Güntürkün: Sich selbst vis-à-vis: Was Elstern wahrnehmen. In: Rubin. Nr. 2, 2000, S. 26-30. Artikel der Ruhr-Universität Bochum
  7. H.Prior, A. Schwarz, O. Güntürkün: Mirror-Induced Behavior in the Magpie (Pica pica): Evidence of Self-Recognition. In: PLoS Biology. 2008. doi:10.1371/journal.pbio.0060202. [1]
  8. Joshua M. Plotnik, Frans de Waal, Diana Reiss: Self-recognition in an Asian elephant. In: Proc. Natl. Acad. Sci. USA. vor Druck online veröffentlicht am 30. Oktober 2006. doi:10.1073/pnas.0608062103.
  9. Zusammenfassung des Originalartikels (auf Englisch)
  10. Self-awareness in elephants, Plotnik et al., Video, 44 Sek.

Literatur

  • G. G. Gallup Jr. (1970): Chimpanzees: self-recognition. Science 167: 86–87
  • M. Beckoff, C. Allen, G. M. Burghardt (Hgs.): „The Cognitive Animal – Empirical and Theoretical Perspectives on Animal Cognition“, von 57 Autoren, The MIT Press, 2002, ISBN 0-262-02514-0

Weblinks


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