Spiegelaffäre

Spiegelaffäre

Die Spiegel-Affäre 1962 war eine politische Affäre in der Bundesrepublik Deutschland, bei der sich Mitarbeiter des Nachrichtenmagazins Der Spiegel auf Grund eines kritischen Artikels der Strafverfolgung wegen angeblichen Landesverrats ausgesetzt sahen. Der Ausgang der Affäre wird aus heutiger Sicht als Stärkung der Pressefreiheit in Deutschland angesehen.

Inhaltsverzeichnis

Ablauf

In der Spiegel-Ausgabe 41/1962 vom 10. Oktober erschien unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ ein von Conrad Ahlers verfasster Artikel, der, unter anderem gestützt auf Resultate des NATO-Manövers Fallex 62, das Verteidigungskonzept der Bundeswehr unter Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß in Frage stellte: Die Bundeswehr sei aufgrund ihrer Ausstattung zu einer konventionellen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland gegen einen potentiellen Angriff des Warschauer Pakts nicht fähig; ein Angriff ließe sich nur mithilfe des Einsatzes westlicher Atomraketen abwehren (zum Kontext siehe auch:Kampf dem Atomtod“-Bewegung, Nukleare Teilhabe).

Der Würzburger Staatsrechtler und Oberst der Reserve Friedrich August Freiherr von der Heydte erstattete am 11. Oktober Anzeige wegen Landesverrates gegen die Redaktion des Spiegel. Nach Einholen eines Gutachtens beim Bundesverteidigungsministerium durch die Bundesanwaltschaft – die Ermittlungen leitete Siegfried Buback – erließ der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof am 23. Oktober die gewünschten Haftbefehle und Durchsuchungsanordnungen. Die Haftbefehle betrafen mehrere Spiegel-Redakteure, darunter Conrad Ahlers, sowie den Herausgeber und Chefredakteur Rudolf Augstein.

Am Abend des 26. Oktober begann dann die Besetzung und Durchsuchung der Spiegel-Räume im Hamburger Pressehaus, später auch des Bonner Redaktionsbüros, durch die Polizei. Auf Veranlassung von Strauß wurde noch in der Nacht Conrad Ahlers, zusammen mit seiner Frau im Urlaub, in Torremolinos durch die spanische Polizei verhaftet. Die Verhaftung Ahlers im von Diktator Franco regierten Spanien erregte bei der Opposition besondere Empörung. Zwei Tage später, am Sonntag dem 28. Oktober, stellte sich Rudolf Augstein der Polizei und wurde in Untersuchungshaft genommen.

Diese Polizeimaßnahmen führten in Teilen der Bevölkerung, insbesondere von Studenten, sowie bei der restlichen Presse, die sie als Angriff auf die Pressefreiheit kritisierte, zu Protesten. Da die Besetzung der Redaktionsräume des Spiegel wochenlang anhielt, ermöglichte neben den ebenfalls im Pressehaus untergebrachten Zeit, Stern und Morgenpost auch die Springer-Presse den Spiegel-Redakteuren die Nutzung von Räumen und Ressourcen, so dass das Magazin weiterhin erscheinen konnte.

Während einer tumultartigen Fragestunde vor dem Bundestag verteidigte Bundeskanzler Adenauer (CDU) die Maßnahmen Anfang November dagegen mit den Worten „Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande“ .... (Gemurmel im Saal, Zwischenruf: „Wer sagt das?“) „Ich sage das!“.

Verteidigungsminister Franz Josef Strauß

Im Laufe des November weitete sich die Spiegel-Affäre zu einer Regierungskrise innerhalb des aus Union und FDP zusammengesetzten Kabinetts Adenauer aus. Während Verteidigungsminister Strauß (CSU), der zunächst beteuert hatte, mit der ganzen Aktion nichts zu tun zu haben, im Laufe der Zeit immer stärker in Verdacht geriet, im Detail über die Aktionen informiert gewesen zu sein und auch selbst vorangetrieben zu haben, war die FDP darüber erbost, dass der der FDP angehörende Justizminister Wolfgang Stammberger im Vorfeld der Aktion nicht informiert worden war – auch hierfür trug Strauß die Verantwortung: Er hatte es dem Staatssekretär im Justizministerium, Walter Strauß, untersagt, Stammberger zu informieren. Am 19. November erklärten alle fünf FDP-Minister ihren Rücktritt aus Protest gegen den Verteidigungsminister Strauß. Am 30. November erklärte dieser schließlich seinen Verzicht auf das Amt des Verteidigungsministers, woraufhin es Mitte Dezember zur Bildung der fünften – und letzten – Regierung Adenauer kam.

Die verhafteten Spiegel-Redakteure wurden nach und nach aus der Untersuchungshaft entlassen, zuletzt auch Rudolf Augstein nach 103 Tagen.

Am 13. Mai 1965 entschied der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs, dass keine Beweise vorlägen, die einen wissentlichen Verrat von Staatsgeheimnissen durch Conrad Ahlers und Rudolf Augstein belegen würden. Somit wurde kein Hauptverfahren eröffnet und die „Spiegel-Affäre“ von offizieller Seite beendet.

Im Rahmen der öffentlichen Diskussion wurden von der Presse und von namhaften Juristen Parallelen zum Weltbühne-Prozess gezogen. So veröffentlichte BGH-Senatspräsident Heinrich Jagusch den vielbeachteten Artikel „Droht ein neuer Ossietzky-Fall?“.[1] Die Erinnerung an den Weltbühne-Prozess trug sicherlich dazu bei, dass die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik in diesem Fall einen ähnlich gelagerten Eingriff in die Pressefreiheit nicht hinnehmen wollte. Inzwischen wäre eine Veröffentlichung wie im Falle des Weltbühne-Textes immer noch strafbar. Zwar ist in Paragraf 93, Absatz 2 des StGB der Begriff des Staatsgeheimnisses nun wie folgt ergänzt:

Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder unter Geheimhaltung gegenüber den Vertragspartnern der Bundesrepublik Deutschland gegen zwischenstaatlich vereinbarte Rüstungsbeschränkungen verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse.

Jedoch ist der Verrat eines solchen „illegalen Staatsgeheimnisses“ nach § 97a StGB ebenfalls strafbar.

Im Januar 1966 wollte der Spiegel-Verlag durch das Bundesverfassungsgericht feststellen lassen, dass die Bundesregierung mit der Durchsuchungsanordnung und Beschlagnahme gegen die Pressefreiheit verstoßen habe. Bei Stimmengleichheit der Verfassungsrichter wurde die Verfassungsbeschwerde im Spiegel-Urteil abgewiesen.

Siehe auch

Literatur

  • David Schoenbaum: Die Affäre um den Spiegel – Ein Abgrund von Landesverrat. ISBN 3932529537

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Droht ein neuer Ossietzky-Fall? In: Der Spiegel, 45/1964

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