Speiche (Rad)

Speiche (Rad)
Speichenrad einer Kutsche
Speichenrad eines englischen Roadsters der 1960er Jahre

Speichen verbinden Naben mit Radkranz zu einem Rad. Sie können auf Druck belastet sein, wie bei Holzrädern, auf Zug wie bei Fahrrad-Rädern oder in beide Richtungen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Wagenrad aus Tschoga Zanbil, Iran. Mitte bis Ende des 2. Jahrtausends v. Chr.
Nationalmuseum Teheran

Die ersten Speichenräder tauchen in der Bronzezeit mit dem Gebrauch des zweirädrigen Streitwagens im Orient auf. Sie lösten teilweise die bis dahin üblichen schweren Scheibenräder ab, Scheibenräder waren aber in Anatolien noch bis ins letzte Jahrhundert gebräuchlich. Das älteste erhaltene Exemplar eines Rades aus Bronze mit vier Speichen in Europa stammt aus der Schweizer Siedlung Cortaillod. Es hat 47 cm Durchmesser, eine Nabenlänge von 37 cm und wog um die 10 kg. Real belastbar waren dagegen erst Räder mit sechs oder mehr Speichen, wie sie auf manchen ägyptischen Fresken abgebildet sind. Mit der Verbesserung der Holzverarbeitungstechniken tauchten dann auch Speichen aus Holz auf, die in Mitteleuropa z. B. für Gespann-Fuhrwerke noch heute in Gebrauch sind. Assyrische Streitwagen hatten zuerst sechs, seit Tiglat-Pileser III. acht Speichen.

Fahrrad

Fahrrad-Speichen gibt es in verschiedenen Durchmessern und mit unterschiedlich geformten Querschnitten. Am gebräuchlichsten sind Speichen mit kreisrundem Querschnitt von 1,8 mm, 2,0 mm (Standard) und 2,34 mm Durchmesser. Der bis auf 95° Winkel in der Biegung abgebogene Speichenbogen endet in einem dickeren Speichenkopf, dessen Form dem Kopf einer Linsensenkkopfschraube ähnelt; dieser Kopf hält die Speiche in einer gesenkten Bohrung des Nabenflansches.

Glatte Speichen haben - abgesehen vom Gewindeteil und vom Speichenkopf - überall gleichen Durchmesser. Für hochwertige Speichenlaufräder werden Eindickend- (ED), Doppeldickend- (DD) und 3D-Speichen angeboten. Bei ED-Speichen ist der Kopfteil dicker, bei DD-Speichen sind ein längerer Bereich in der Nähe des Kopfes und in der Nähe des Gewindes dicker, haben aber unter einander denselben Durchmesser. 3D-Speichen sind DD-Speichen mit unterschiedlichem Durchmesser im Kopf- und im Gewindebereich, wobei - wegen der dort besonders hohen Beanspruchung - der Speichenbogen am dicksten ausgeführt wird. Die derzeit - 2011 - leichtesten handelsüblichen Stahlspeichen haben im Bogen und Gewinde 1,8 mm Durchmesser und verjüngen sich in der Mitte auf 1,4 mm.

Eine Variante der verjüngten Speiche ist die Flachspeiche (auch Messer-, Säbel-, Aerospeiche), die einen etwa rechteckigen Querschnitt hat. Die Speichen sind so geformt, dass sie mit ihrer schmalen Seite die Luft in Bewegungsrichtung „durchschneiden“ (daher der Name). Dadurch soll die Aerodynamik verbessert werden, weswegen im Radsport heute fast ausschließlich nur noch dieser Speichentyp verwendet wird.

Allerdings zeigten Messungen von u. a. Radsportmagazinen, dass der Luftwiderstand bei Messerspeichen, die nicht exakt in Bewegungsrichtung ausgerichtet sind, drastisch ansteigt und leicht über dem gewöhnlicher Speichen liegen kann. Bei starken Seitenwind tritt ein ähnlicher Effekt auf. Die bessere Aerodynamik fällt auch erst bei Geschwindigkeiten ab etwa 40 km/h ins Gewicht.

Kopfspeichen vermeiden den stark beanspruchten Speichenbogen, sie verlaufen gerade und erfordern somit einen besonders gestalteten Nabenflansch.

Z-Speichen haben anstelle des Kopfes ein Z-förmig gebogenes Ende, das in die Nabenflanschbohrung eingehängt werden kann, ohne dass die Speiche vom Gewindeteil aus eingefädelt werden muss: ein Vorteil bei Pannen unterwegs, vor allem bei Hinterrädern mit großen Zahnkränzen.

Eine weitere Sonderbauform stellen die Wellenspeichen dar, deren leicht wellenförmig ausgebildeter Mittelteil eine federnde Wirkung erzeugen soll.

Die Gewinde von Fahrradspeichen sind zur Vermeidung von Bruchkerben aufgewalzt, nicht geschnitten.

Speichen werden aus Edelstahl - rostfrei, Stahl, Aluminium, Titan und Carbon gefertigt. Stahlspeichen werden verzinkt, vernickelt oder verchromt. Hochwertige Stahlspeichen weisen eine Zugfestigkeit von 1200 N/mm² und mehr auf.

Beim Einbau von Speichen in ein Laufrad gibt es unterschiedliche Methoden. Unterschieden wird insbesondere die tangentiale und die radiale Einspeichung. Details siehe unter Laufrad.

Zugbelastung der Speichen

Bei heutigen Fahrrädern werden Drahtspeichen ausschließlich auf Zug belastet. Nur so hält der Nippel formschlüssig in der Felge. Wohl dosiertes Vorspannen der Speichen bei der Radherstellung und ein gewisses Anziehen mit der Zeit zum Ausgleich von Setzung und Längung hält alle Speichen beim Ablauf des Rades unter Zug.

Die Belastung der Vorderachse drückt auf die Radnabe, der Boden drückt dagegen und dadurch auf einer gewissen Länge den Reifen breit. Der Reifen gibt in diesem Bereich den Druck an ein Segment der Felge weiter, in dem vielleicht 1, 2 oder 3 Speichen sitzen.

Die Felge hat eine gewisse Eigensteife und ist durch die Spannung aller Speichen so steif eingespannt, dass sie sich daher unter Krafteinwirkung im grossen nur wenig verformt. Idealisiert ohne jegliche Felgenverformung betrachtet, und die (oft:) 36 Speichen in 4 Sektoren zu je 9 Stück eingeteilt, tragen die vorne und hinten liegenden je 9 Speichen nichts, der obere und untere Speichensektor jedoch jeweils die Hälfte der Achslast. Die oberen 9 durch eine Zugkrafterhöhung um je 1/18 der Achslast, die unteren um eine jeweils entsprechende Verringerung. 1/18 von mit 90 kg angenommener Achslast entsprechen pro Speiche 5 kg, also knapp 50 N.

In diesem Belastungsfall taucht die Nabe wegen der Steife von 2 mal 9 Speichen weniger als 1 mm unter das Zentrum der Felge.

Eine Speiche funktioniert dann gut im System, wenn sie entlang dem kleinen Weg der Verschiebung und Verformung der Felge (unten) ihre Zugkraft passend nachlässt.

Eine 1,8 mm dünne Speiche hat gut 2,5 mm² Querschnittsfläche. Mal 1200 N/mm² Zugfestigkeit ergibt eine maximale Zugkraft von 3000 N. Wird davon 1000 N als Vorspannkraft genützt, trägt das Rad unten je entspannter Speiche 1000 N, also rund 100 kg Gewichtskraft. Werden Speichen am Aufstand unten mangels ausreichender Vorspannkraft völlig entspannt, so hebt sich beim Abrollen der Speichennippel einen Moment etwas aus seinem Sitz in der Felge, es kommt zu Knistern und oft weiterem Lockern des Nippels.

Je Radumdrehung kommt es in jeder gut vorgespannten Speiche zu einer eher kurzen stärkeren Entspannung (unten) und einer weniger starken doch länger dauernden Zusatzanspannung (oben). Diese Wellen im zeitlichen Verlauf der Speichenzugkraft werden mit der Achslast grösser und werden von Stosswirkungen durch Unebenheiten noch überlagert. Vergleichsweise gering wirkt sich die Fliehkraft aus: 1 kg rotierende Radaussenmasse bei 630 mm Durchmesser, 72 km/h Geschwindigkeit, 2 m Radumfang, ergibt 138 N Zentrifugalkraft pro Speiche (von 36).

Nabeneingeleitete Axialmomente durch Antritt oder Bremsen, schräg wirkende Aufstandskraft beim Wiegetritt oder Kurvenfahrt eines Dreirades mit senkrechten Rädern belasten die Speichen zusätzlich. Auch Schwingungen des Rahmens werden als Speichenkräfte weitergeleitet. Besonders grob wirken "Radständer", die nur einen kleinen Teil des Radumfangs festhalten - schon alleine beim Kippen eines "aufgepackten" Fahrrades, Springen mit den Beinen auf ein liegendes Laufrad, zu beachten beim Einradfahren, oder griffiges Aufkommen mit Querbewegung zum Rad nach Sprung, Sturz oder Wegrutschen.

Ein nur 10 cm langes Stück der Felge, eben das vom Reifen im Bereich der 2 untersten Speichen nach oben gedrückt wird, dellt sich unter 90 kg entsprechendem Bodendruckkraft von ca. 900 N nur um weniger als 1 mm ein, da die Trägerlänge nur 1/6 des Felgendurchmessers beträgt.

Reine Zugbelastung der Speichen macht flexible sogenannte Notspeichen möglich, die aus einer festen Kordel oder (im Mittelteil) aus Stahlseil bestehen und daher zusammengerollt ohne Knickgefahr eingepackt und unterwegs einfacher ins Rad eingesetzt werden können.

Speichenlänge

Ihre Definition – von der Innenseite des Knicks (genau an der Innenkante zum Nippel) bis zum geraden Ende samt Gewinde – kommt vom Einhaken am Anfang eines dünnen Maßstabs zum Abmessen.

Vor dem Aufbau eines Laufrades muss die nötige Speichenlänge ermittelt werden, wobei folgende Formel genutzt werden kann:

L = \sqrt[2\,]{a^2 + \frac{D_w^2 + d^2 - 2\,D_w\,d\,\cos(\alpha) }{4}} - \frac{d_s} {2}

Dabei ist

\alpha = 2 \pi\,\frac{n_k} {n_s} im Bogenmaß bzw.

\alpha = 360\,\frac{n_k} {n_s} im Gradmaß

Die Parameter sind wie folgt:

L → Speichenlänge

Dw → Felgenwirkdurchmesser (Abstand der Speichennippelenden an zwei gegenüberliegenden Felgenlöchern)

d → Lochkreisdurchmesser der Speichenlöcher im Flansch

a → Distanz Speichenflansch zur Nabenmitte

nk → Anzahl Speichenkreuzungen

ns → Anzahl Speichen pro Flansch

ds → Speichenlochdurchmesser

Kraftrad

Technisch gilt grundsätzlich alles oben Stehende auch für Drahtspeichenräder an Krafträdern und Automobilen. In der DIN-Norm 74371 Teil 1 waren bis Juli 2006 abgewinkelte Speichen für Krafträder mit den Gewinden M 5, M 4, M 3,5 und M 3 als glatte Speiche und als Eindickend-Speiche (ED) genormt, früher auch als Doppeldickend-Speiche und in empfohlenen Standard-Längen. In der Norm wurde ein Winkel in der Biegung von 95° empfohlen. Die Normausgabe vom Dezember 1957 empfiehlt als Werkstoff Stahl mit einer Zugfestigkeit von 1000 bis 1400 N/mm². Bei Motorradkonstruktionen sind auch nicht-abgewinkelte Drahtspeichen verwendet worden.

Automobil

Bei Drahtspeichenrädern an Automobilen kommen auch andere Biegungswinkel als 95° vor, bei einigen Konstruktionen werden Speichen auch in mehr als 2 Ebenen je Rad angeordnet.

Eisenbahn

Nachbau einer Laufachse der Dampflokomotive Adler mit Speichenrädern
(Original von 1835, Nachbau von 1935)

Erste Eisenbahnräder waren oft als hölzerne Speichenräder ausgeführt, was ursprünglich durch die Tradition des Kutschenbaus beeinflusst war. Die großen Treibräder moderner Dampflokomotiven wurden später zwar durchgehend aus Stahl gefertigt, dennoch zur Gewichtsersparnis weiterhin als Speichenräder ausgeführt. Die ersten Vollbahn-Elektrolokomotiven hatten ebenfalls Speichenräder.

Literatur

  • Michael Gressmann, Franz Beck, Rüdiger Bellersheim: Fachkunde Fahrradtechnik. 1. Auflage, Verlag Europa Lehrmittel, Haan-Gruiten, 2006, ISBN 3-8085-2291-7
  • Fritz Winkler, Siegfried Rauch: Fahrradtechnik Instandsetzung, Konstruktion, Fertigung. 10. Auflage, BVA Bielefelder Verlagsanstalt GmbH & Co. KG, Bielefeld, 1999, ISBN 3-87073-131-1
  • Rob van der Plas: Die Fahrradwerkstatt - Reparatur und Wartung Schritt für Schritt. 1. Auflage, BVA Bielefelder Verlaganstalt, Bielefeld, 1995, ISBN 3-87073-147-8

Weblinks


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