Sozialversicherung

Sozialversicherung

Eine Sozialversicherung ist ein öffentliches oder halböffentliches System der Pflichtversicherungen. Man spricht daher von gesetzlicher Sozialversicherung. Das System der Sozialversicherungen wird manchmal Soziales Netz genannt, weil es Schutz für die einzelne Person vor persönlichen Notlagen bietet. Die Leistungen der Sozialversicherung werden in erster Linie nicht durch Steuern, sondern durch Beiträge zum jeweiligen Versicherungsträger finanziert.

Inhaltsverzeichnis

Bereiche der Sozialversicherung

Die Sozialversicherung ist in Zweige gegliedert. In Deutschland sind dies:

Die Arbeitslosenversicherung wird nach herrschender Meinung nicht zur Sozialversicherung gezählt, weil sie in Art. 74 I Nr. 12 GG ausdrücklich neben der Sozialversicherung genannt wird. Dem folgt auch das einfache Recht in § 4 II 1 SGB I. § 1 I 3 SGB IV ordnet ausdrücklich an, dass die Bundesagentur für Arbeit als Sozialversicherungsträger im Organisationsrecht und im Beitragswesen gelte. Zum anderen wird dies aus den deutlich abweichenden Strukturen bei der Organisation und der Finanzierung der Arbeitsförderung hergeleitet.[1] Eine im Vordringen befindliche Meinung rechnet aber auch sie zur Sozialversicherung.[2] Da das Arbeitsförderungsrecht aber u. a. die Versicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit regelt, enthält es Bestimmungen, die bei funktionaler Betrachtung denen des Sozialversicherungsrechts gleichen.[3] Da im Übrigen § 1 I 2 SGB IV für viele Bereiche die Anwendung des SGB IV auf das Arbeitsförderungsrecht anordnet, wird im neueren Schrifttum teilweise vertreten, die strenge Abgrenzung zwischen Sozialversicherungsrecht einerseits und Arbeitslosenversicherung andererseits sei in der Praxis weitgehend obsolet geworden.[4]

Träger der Sozialversicherung

Träger der Sozialversicherung sind nicht Behörden der unmittelbaren Staatsverwaltung, sondern öffentlich-rechtliche Körperschaften, die als juristische Personen rechtliche Eigenständigkeit besitzen und sich selbst verwalten. Sie unterstehen der staatlichen Rechtsaufsicht. Dies sind:

Zweck der Sozialversicherung

Ein Zweck der Sozialversicherung ist es, Personen eine Versicherung zu ermöglichen, die bei privaten Versicherungen nicht oder nur zu sehr hohen Tarifen aufgenommen würden. Um eine Auslese nach Personen mit hohen und niedrigen Risiken (z.B. Gesunde und Kranke) zu vermeiden, besteht in der Regel Versicherungspflicht.

Beiträge

Die Beiträge werden meist nach den Bruttolöhnen und -gehältern (meist bis zu einer spartenspezifischen Beitragsbemessungsgrenze) berechnet. Die Versicherungen werden durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Beiträge je nach Sparte zu unterschiedlichen Teilen finanziert (vgl. auch Niedriglohn-Job), teilweise gibt es staatliche Steuerzuschüsse (begründet u.a. als Ausgleich für sogenannte versicherungsfremde Leistungen). Die Versicherungsbeiträge werden für beide Seiten durch den Arbeitgeber an die Krankenkasse abgeführt. Hierfür erhält er von der örtlichen Agentur für Arbeit eine Betriebsnummer.

Auszahlung von Ansprüchen

Die Auszahlung orientiert sich nach erworbenen Ansprüchen (z.B. bei Renten oder Krankengeld) oder es gibt für alle gleiche Sachleistungen bei Eintritt des Versicherungsfalles.

Entstehung der Sozialversicherungen

Schaubild der Arbeiterversicherung und ihre Ausgaben 1885-1909

Die gesetzlichen Sozialversicherungen wurden zumeist in der zweiten Hälfte des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts (Beginn der Großindustrie) ins Leben gerufen. Im Jahr 1883 setzte sich Reichskanzler Bismarck über die Bedenken seiner Berater hinweg und führte gesetzliche Krankenversicherungen in Deutschland ein. Sie waren überwiegend auf die Arbeiterschaft ausgerichtet.

„Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“

Otto von Bismarck: Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935, Band 9, S.195/196

Damit sollte einerseits sozialen Unruhen und dem Sozialismus begegnet werden, andererseits sollte bereits bestehenden, freiwilligen Sozialversicherungen der Gewerkschaften und der kirchlichen Arbeiterverbände die wirtschaftliche Grundlage entzogen werden.

Siehe auch: Geschichte des Sozialstaats

Die gesetzliche Sozialversicherung in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) bildet die gesetzliche Sozialversicherung zusammen mit den Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) den Sektor Staat.

Der Finanzierungssaldo der gesetzlichen Sozialversicherung in Abgrenzung der VGR im Unterschied zur Abgrenzung der Finanzierungsrechnung geht damit in den Finanzierungssaldo des Staates insgesamt ein. Der Finanzierungssaldo des Staates insgesamt in der VGR ist Gegenstand der "Maastrichtkriterien".

Sozialversicherungssysteme einzelner Staaten

Hauptartikel: Sozialversicherung (Deutschland), Sozialversicherung (Österreich), Sozialversicherung (Schweiz), Sozialversicherung (Vereinigte Staaten)

In Deutschland bildet die Sozialversicherung, die schrittweise seit 1883 aufgebaut wurde, die wichtigste Institution der sozialen Sicherung. Sie ist eine staatlich eng geregelte Fürsorge für wichtige Risiken des Daseins, die von selbstverwalteten Versicherungsträgern organisiert wird. Zur Sicherung des Beitragsaufkommens besteht überwiegend Versicherungspflicht für Personen und Organisationen. Der Leistungsbedarf eines Jahres wird nahezu vollständig aus dem Beitragsaufkommen des gleichen Jahres bestritten, d. h. angesammeltes Kapital dient im Wesentlichen nur als kurzzeitige Schwankungsreserve (Nachhaltigkeitsrücklage, Generationenvertrag). Die Leistungen werden vorwiegend als für alle Versicherten gleiche Sachleistungen (Solidaritätsprinzip) oder als beitragsabhängige Geldleistungen (zum Beispiel Renten, Krankengeld) erbracht. Sie wird zum überwiegenden Teil aus Beiträgen finanziert, in einigen Zweigen auch aus Steuermitteln. Die Beiträge sind bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze an den Bruttolöhnen und -gehältern orientiert und werden (mit einigen Ausnahmen) „paritätisch“, also jeweils zur Hälfte von Arbeitgebern (als Lohnnebenkosten) und Arbeitnehmern getragen. Rechtsgrundlage der Sozialversicherung sind das Sozialgesetzbuch (SGB) sowie noch einige wenige Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Auch in Österreich bildet die Sozialversicherung am Budget gemessen die wichtigste Institution der sozialen Sicherung, und es besteht weitgehend Pflichtversicherung. Zu einer ersten gesetzlichen Regelung der Sozialversicherung kam es 1889; sie wird heute weitgehend durch das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geregelt.

Auch in der Schweiz bildet die Sozialversicherung die wichtigste Institution der sozialen Sicherung, und es besteht weitgehend Versicherungspflicht. Die gesetzlichen Versicherungen in der Schweiz werden durch das Drei-Säulen-System geregelt – erstens einer obligatorischen Versicherung der gesamten Bevölkerung, zweitens Versicherungen für die berufstätige Bevölkerung und drittens die freiwillige, individuelle private Vorsorge. (Siehe auch Lohnnebenkosten Schweiz)

In Deutschland, Österreich und der Schweiz gehören neben den Versicherungsleistungen im engeren Sinn auch Prävention und Rehabilitation zu den Aufgaben der Sozialversicherung.

Die Sozialsysteme innerhalb der EU weisen deutliche Unterschiede auf. Beispielsweise finanziert die Sozialversicherung in Schweden unter Anderem ein Elterngeld.

Siehe auch: Sozialpolitik, Sozialrecht, Sozialstaat, Sozialversicherungsnummer

Koordinierung der Sozialversicherungsleistungen innerhalb der EU

Zwischenstaatliche Abkommen über soziale Sicherheit sollen insbesondere Personen mit grenzüberschreitender Erwerbstätigkeit in zwei Staaten bei der Wahrung ihrer sozialen Rechte unterstützen.[5] Auf europäischer Ebene regeln die EWG-Verordnung Nr. 1408/71 und ihre Durchführungsverordnung (EWG-Verordnung Nr. 574/72[6]) die soziale Sicherheit von Arbeitnehmern, Selbständigen und deren Familienangehörigen, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern. Sie gelten seit Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Schweiz und der EU über die Personenfreizügigkeit am 1. Juni 2002 auch für die Schweiz. Die Bestimmungen dieser Verordnungen wurden durch die EG-Verordnung Nr. 859/2003 ausgedehnt auf Drittstaatsangehörige, deren Situation über die Grenze eines einzigen Mitgliedstaats hinausweist.[7]

Auf europäischer Ebene sind die unterschiedlichen Sozialsysteme nicht vereinheitlicht, sondern werden lediglich miteinander koordiniert. So werden Leistungen der sozialen Sicherheit teilweise auch dann vom Herkunftsstaat geleistet, wenn die betreffende Person in einem anderen Staat wohnt. Im Gegensatz hierzu werden besondere beitragsunabhängige Geldleistungen ausschließlich vom Wohnortstaat an anspruchsberechtigte Einwohner erbracht.[5]

Ein EU-weites Sozialversicherungsregister ist nach Aussage des Bundestags vom Mai 2007 nicht geplant; ein Missbrauch der E-101 Bescheinigungen würde durch elektronische Abwicklung besser bekämpft werden können.[8]

Der Artikel 141 EGV (früher Art. 119 EWGV) bezieht sich auf an das gleiche Entgelt für Männer und Frauen und erfasst somit zwar beitragsfinanzierte Sicherungssysteme (insbesondere betriebliche Sicherungssysteme, da der Beitrag als Entgeltersatzleistung angesehen wird), nicht aber steuerlich finanzierte staatliche Systeme der Grundsicherung. Im Juli 2008 legte die Europäische Kommission einen Richtlinienentwurf (KOM 426) vor, der Diskriminierung unter Anderem auch im Bereich der Sozialversicherung verhindern soll. Die bisherige „Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit“ bietet bisher keinen Schutz vor mittelbarer Diskriminierung bezüglich staatlicher Systeme der sozialen Grundsicherung (Sozialhilfe und in Deutschland seit dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II).[9] Das in dieser Richtlinie enthaltene Diskriminierungsverbot greift nach Art. 3 Abs. 1 b Richtlinie 79/7/EWG nur dann bei einem System der Sozialhilfe, wenn es ein gesetzliches System zum Schutz gegen die Arbeitnehmerrisiken Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Arbeitslosigkeit „ergänzen oder ersetzen“ sollen.[10]

Auf internationaler Ebene bestehen mehrere Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zur Sozialversicherung. Diese begründen nach ihrer Ratifizierung durch die hierfür zuständigen Stellen eines Mitgliedstaates rechtliche Verpflichtungen.

Siehe auch: Sozialpolitik der Europäischen Union#Sozialversicherungswesen

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gerhard Igl und Felix Welti: Sozialrecht.. 8. Auflage. Werner Verlag, Neuwied 2007, ISBN 978-3-8041-4196-4, S. 49 (§ 8 Rn. 3).
  2. Stefan Muckel: Sozialrecht. 3. Auflage. C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-57624-9, S. 48f. (§ 7 Rn. 2, ohne Nachweise zur h. M.).
  3. Raimund Waltermann: Sozialrecht. 6. Auflage. Müller, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-8114-8034-6 (Rn. 388).
  4. Frehse, in Jahn: Kommentar SGB IV, § 1 Rn. 6.
  5. a b Zwischenstaatliche Sozialversicherung. Abgerufen am 17. Januar 2009.
  6. Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern. Abgerufen am 17. Januar 2009.
  7. Verordnung (EG) Nr. 859/2003 des Rates vom 14. Mai 2003 zur Ausdehnung der Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Bestimmungen fallen. 20. Mai 2003, abgerufen am 17. Januar 2009.
  8. Regierung: EU-weites Sozialversicherungsregister ist nicht geplant. In: heute im bundestag. Deutscher Bundestag, 11. Mai 2007, abgerufen am 1. Mai 2009. (Link nicht mehr abrufbar)
  9. Sabine Bergham, Maria Wersig: Auf dem Weg zum Zweiverdienermodell? Rechtliche und politische Grundlagen des männlichen Ernährermodells, Vortrag, am 15. November 2004 im Rahmen der GenderLectures des GenderKompetenzZentrums Berlin gehalten und im März 2005 für die Druckfassung überarbeitet, S. 17
  10. Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit

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