Sozialphobie

Sozialphobie
Klassifikation nach ICD-10
F40.1 Soziale Phobien
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Die Soziale Phobie ist die dauerhafte Angst vor sozialen Begegnungen mit anderen Menschen und vor allem vor der Bewertung durch andere.

Inhaltsverzeichnis

Erscheinungsformen

Menschen mit sozialer Phobie meiden gesellschaftliche Zusammenkünfte, da sie fürchten, Erwartungen anderer nicht zu erfüllen und auf Ablehnung stoßen zu können. Sie fürchten, dass ihnen ihre Nervosität oder Angst angesehen werden könnte, was ihre Angst oftmals noch weiter verstärkt. Begleitet wird die Angst oft durch körperliche Symptome wie Erröten (Erythrophobie), Zittern, Herzrasen, Schwitzen, Atemnot, Verkrampfung, Sprechhemmung, Schwindelgefühle, Beklemmungsgefühle in der Brust, Kopf- und Magenschmerzen, Durchfall, Übelkeit (Würgereiz) oder Panikgefühle.

Um all dies zu vermeiden, gehen Menschen mit sozialen Ängsten Situationen, in denen sie der Bewertung durch andere ausgesetzt sind, oft von vornherein aus dem Weg, was ein berufliches und privates Weiterkommen sehr erschweren und mitunter zu vollkommener sozialer Isolation führen kann. Diese Störung kann über einen langen Zeitraum anhalten, und viele Betroffene erkranken noch zusätzlich an einer Depression oder werden abhängig von Alkohol, Beruhigungsmitteln oder anderen Drogen/Medikamenten, die hilfreich sind, die Symptome zu überdecken oder zu verdrängen.

Experten differenzieren vier Formen sozialer Ängste:

Nach Schätzungen leiden zwischen 2 und 8 Prozent der Bevölkerung unter sozialen Ängsten, nach neueren Untersuchung sollen sogar 10 % der Deutschen davon betroffen sein. Exakte Angaben sind jedoch schwer zu treffen, da sich soziale Phobien in ihrer Ausprägung sehr stark unterscheiden können und insbesondere der Übergang von Schüchternheit zur sozialen Phobie schwer zu bestimmen ist. Soziale Angst darf zudem nicht mit sozialen Defiziten verwechselt werden, obwohl die soziale Phobie aus sozialen Defiziten entstehen kann (oder auch erst zu diesen führen kann). Soziale Ängste oder Phobien können psychisch stabile wie instabile, gut wie schlecht aussehende, extra- wie introvertierte Menschen treffen. In Behandlung befinden sich etwa gleich viele Männer wie Frauen, allerdings könnten in der Realität mehr Männer betroffen sein, was mitunter mit einem für die männliche Geschlechtsrolle spezifischen, stärkeren Druck, selbstsicher zu wirken, erklärt wird.

Eng umschriebene Sozialphobien, zum Beispiel nur Furcht vor öffentlichem Sprechen und Essen, sind eher selten. Am häufigsten ist die allgemeine Sozialphobie vor den meisten Aktivitäten im zwischenmenschlichen Bereich wie an Partys oder Familienfesten teilzunehmen, anderen zu schreiben, neue Kontakte zu knüpfen (insbesondere zu den begehrten Geschlechtern) oder eine Unterhaltung mit dem Chef, den Kollegen und selbst mit Nahestehenden zu führen.

Ursachen

Gesellschaftliche Ursachen

Wie die meisten anderen Ängste entstehen auch die sozialen Ängste nicht durch ein bestimmtes Ereignis als solches, sondern durch die Art, in der Betroffene darauf reagieren. Im Mittelpunkt der sozialen Phobien stehen Fragen nach der Bewertung der eigenen Person durch andere, wie, ob man beliebt oder unbeliebt ist, ob man akzeptiert oder abgelehnt wird, ob man bewundert oder ausgelacht wird. Wegen des unangenehmen Gefühls, das durch negative Selbstbewertungen entsteht, fürchten sich die Betroffenen davor, dumm, unfähig und schwach zu wirken. Die Furcht bezieht sich auf möglicherweise unangenehme Reaktionen anderer Menschen sich selbst gegenüber. Eine Ursache kann auch die falsche Erziehung eines Kindes durch ein Elternteil sein. Wenn Eltern das „Angst machen“ als erzieherisches Mittel benutzen, z. B. „du bekommst Schläge/großen Ärger mit mir, wenn du das nicht ordentlich machst“. Für Kinder, die es praktisch nie schaffen, es ihren Eltern „recht zu machen“, kann dies fatale Auswirkungen haben. Somit entsteht Leistungsdruck und die permanente Angst vor Versagen. Die Betroffenen geben sich auf und werden oft als faul dargestellt, da sie bestimmte Situationen zu vermeiden versuchen. Neben falscher Erziehung kann eine Sozialphobie auch durch Mobbing ausgelöst werden, besonders in jungen Jahren (Mobbing in der Schule). Ein weiterer Auslöser kann durch Vertrauensmissbräuche entstehen. So zum Beispiel, wenn Kinder in jungen Jahren oft weggegeben werden und so das Urvertrauen und die Bindung zu anderen Menschen gestört werden.

Genetische Ursachen

Zwillingstudien (Studien mit eineiigen Zwillingen, die getrennt voneinander aufwuchsen) lassen vermuten, dass eine genetische Disposition mit ursächlich ist. Erkrankt ein Zwilling an einer sozialen Phobie, erkrankt der andere mit 30–50 prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls daran [1]. Es hängt vermutlich von Umwelteinflüssen ab, ob die Veranlagung sich manifestiert.

Behandlung

In einer Psychotherapie, insbesondere mit Hilfe der Kognitiven Verhaltenstherapie können Betroffene lernen, ihre negativen Bewertungen zu überprüfen und durch angemessene Bewertungen zu ersetzen. Gleichzeitig lernen sie, ein Risiko einzugehen und mögliche Fehler und Ablehnung zu ertragen. Sie lernen, ihren Perfektionsanspruch aufzugeben, sich zu akzeptieren und sich unabhängiger von der Meinung anderer zu machen. Unterstützend zu einer Therapie gelten körperliche Aktivität sowie Entspannungsübungen (bspw. Progressive Muskelentspannung) als angstlindernd. Die Wirksamkeit wurde sowohl in Kombination, als auch ohne medikamentöse Therapie, nachgewiesen. [2] Bei tatsächlich mangelnder sozialer Kompetenz kann auch ein Soziales Kompetenztraining durchgeführt werden.

Es gibt in Deutschland inzwischen eine Reihe von Selbsthilfegruppen, die sich des Problems der sozialen Phobie angenommen haben.

Medikamentöse Therapie

Am häufigsten kommen SSRI zum Einsatz: Für Sertralin[3][4], Fluoxetin [5]und Citalopram konnte eine mögliche Wirksamkeit gezeigt werden. Moclobemid[6], Paroxetin und Venlafaxin sind zur Behandlung der sozialen Phobie zugelassen. Bei Paroxetin ist die Langzeitwirkung (>12 Wochen) jedoch noch nicht etabliert [7]

Mirtazapin zeigte sich in einer 6-wöchigen Studie ähnlich wirksam wie Paroxetin [8]. Besonders stark scheint die Minderung der Symptome bei Frauen zu sein [9]

Für besonders belastende Situationen haben sich angstlösende Medikamente aus der Benzodiazepin-Familie wie Lorazepam als wirksam erwiesen. Benzodiazepine bergen jedoch immer die Gefahr des Missbrauchs (siehe dazu auch: Missbrauch von Benzodiazepinen)[10]. Die Behandlungsdauer mit Benzodiazepinen ist wegen der Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung so kurz wie möglich zu wählen. Im Falle einer Langzeittherapie sollte regelmäßig die Notwendigkeit einer Weiterführung der Behandlung abgeklärt werden.[11]

Siehe auch

Literatur

  • Hansruedi Ambühl, Barbara Meier, Ulrike Willutzki: Soziale Angst verstehen und behandeln. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutischer Zugang. Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart 2001, ISBN 3-608-89692-9
  • Andre Christophe und Patrick Legeron: Bammel, Panik, Gänsehaut - Die Angst vor den Anderen, Aufbau Verlag, 2001, ISBN 3-7466-1747-2
  • U. Stangier, T. Heidenreich, M. Peitz: Soziale Phobien, 1. Aufl., Weinheim 2003, ISBN 3-621-27541-X
  • Barbara G. Markway, Gregor P. Markway: Frei von Angst und Schüchternheit, Weinheim, Basel, Berlin 2003, ISBN 3-407-22853-8
  • U. Stangier, D. M. Clark, A. Ehlers: Soziale Phobie, Hogrefe Verlag, 2006, Reihe "Fortschritte der Psychotherapie"
  • H.-U. Wittchen, J. Hoyer: Klinische Psychologie & Psychotherapie, Springer, Berlin 2006, S. 795–810

Einzelnachweise

  1. Psychol Med, 1999, Volume 29, Issue 3, S. 539-53
  2. http://archpsyc.ama-assn.org/cgi/content/abstract/61/10/1005 Fluoxetine, Comprehensive Cognitive Behavioral Therapy, and Placebo in Generalized Social Phobia
  3. Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Zoloft; Stand der Informationen: Dezember 2005
  4. Am J Psychiatry 158:275-281, February 2001: Sertraline Treatment of Generalized Social Phobia: A 20-Week, Double-Blind, Placebo-Controlled Study
  5. http://archpsyc.ama-assn.org/cgi/content/abstract/61/10/1005 Fluoxetine, Comprehensive Cognitive Behavioral Therapy, and Placebo in Generalized Social Phobia
  6. Human Psychopharmacology: Clinical and Experimental, Volume 17, Issue 8 , S. 401–405: Efficacy of citalopram and moclobemide in patients with social phobia: some preliminary findings
  7. http://www.kompendium.ch/MonographieTxt.aspx?lang=de&MonType=fi Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz
  8. J Clin Psychiatry September 2000; 61(9):S. 656-63
  9. Evid Based Ment Health 2006 9: S. 75
  10. http://sozphobie.freehosting.net/sp-medikamente.html
  11. Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz: Temesta®/- Expidet®/- Injektion; Stand der Informationen: Mai 2006

Weblinks


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