Sozialer Rechtsstaat

Sozialer Rechtsstaat
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Der Begriff Sozialstaat bezeichnet einen Staat, der in seinem Handeln soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit anstrebt, um die Teilnahme aller an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu gewährleisten. Es bezeichnet konkret auch die Gesamtheit staatlicher Einrichtungen, Steuerungsmaßnahmen und Normen um das Ziel zu erreichen Lebensrisiken und soziale Folgewirkungen abzufedern.[1]

Die konkrete Gestaltung des Sozialstaats erfolgt in der Sozialpolitik.

Inhaltsverzeichnis

Zu den Begriffen „Sozialstaat“ und „Wohlfahrtsstaat“

Der Begriff des Sozialstaats, der vor allem in der politischen und juristischen Diskussion Verwendung findet, dient häufig zur Selbstbeschreibung und Abgrenzung der deutschen Sozialordnung vom Versorgungs- bzw. Wohlfahrtsstaat nach skandinavischem Vorbild. Aus der international vergleichenden Perspektive wird in den Sozialwissenschaften jedoch dem aus dem Englischen entlehnten Begriff des Wohlfahrtsstaats der Vorzug gegeben. Nach Franz-Xaver Kaufmann handelt es sich hier „um verschiedene nationale Varianten des gleichen Typus gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen“ (Kaufmann 1997: 21). Im Unterschied zum deutschen Terminus verweist „welfare state“ aber mehr auf die „Gesamtheit der Wohlfahrtseinrichtungen“ und nicht nur auf „ein Element der verfassungsmäßigen Bestimmung des Staates“ (Kaufmann 2003: 34), wie dies für die Bundesrepublik mit den Artikeln 20 I GG und 28 I 1 GG der Fall ist.

Häufig anzutreffende Selbstbeschreibungen des Sozialstaates, die zur Unterscheidung herangezogen werden, betonen Differenzen in der Zielbestimmung des Sozialstaates gegenüber dem Wohlfahrtsstaat. Der Sozialstaat verfolge das Ziel, dem Menschen insbesondere in unverschuldeten Notlagen, die aus eigener Kraft nicht mehr bewältigt werden können, zur Seite zu stehen und darüber hinaus durch langfristig angelegte Maßnahmen vorzubeugen (→Subsidiarität),[2] während der Wohlfahrtsstaat weiter reichende Maßnahmen zur Steigerung des sozialen, materiellen und kulturellen Wohlergehens seiner Bürger ergreife.

Situation in Deutschland

In Deutschland gehört das Sozialstaatsprinzip neben dem Rechtsstaats-, dem Bundesstaats- und dem Demokratieprinzip zur Grundlage der Verfassungsordnung. Das Grundgesetz (Art. 20 Absatz 1 GG) bestimmt:

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

In Artikel 28 Absatz 1 Satz 1 GG steht des Weiteren:

„Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen.“

Das Sozialstaatsprinzip ist damit im Grundgesetz als Staatsziel verankert, das neben der Garantie der Menschenwürde und der Menschenrechte den Schutz der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG genießt.

Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber, die Rechtsprechung und die Verwaltung dazu, nach sozialen Gesichtspunkten zu handeln und die Rechtsordnung dementsprechend zu gestalten.

Das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik wird als Soziale Marktwirtschaft bezeichnet, da der Staat der Wirtschaft einen Ordnungsrahmen vorgibt, der für einen sozialen Ausgleich sorgen soll, während sich die Wirtschaft am Markt orientiert – im Gegensatz zur zentralen Planwirtschaft. Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ geht auf den Volkswirtschaftler Alfred Müller-Armack zurück, der unter Ludwig Erhard Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium war.

Geschichte des Sozialstaats

Bereits in der Antike und im Mittelalter gab es vereinzelt Versuche von Seiten des Staates, die materielle Not seiner Bürger oder Untertanen zu lindern. Dahinter stand seit jeher der Gedanke, Unruhen und Aufstände zu verhindern und für politische Stabilität zu sorgen.

Auch die Ursprünge des modernen Sozialstaatsgedankens gehen auf solche Überlegungen zurück. Entwickelt hat sich der Sozialstaat im 19. Jahrhundert als Folge der Industriellen Revolution und der Massenverelendung breiter Bevölkerungsschichten. Er basiert auf der Erkenntnis, dass Eigentum die Basis für die Ausübung von Rechten ist und dass Freiheit substanzlos bleibt, wenn ihre Ausübung nicht durch Eigentum gewährleistet ist. Durch staatliche Umverteilung sollten Arme und Schwache eine elementare Grundsicherung erhalten.

Soziales Handeln war aber immer zugleich Ordnungspolitik, die auf die Erhaltung des sozialen Friedens abzielte. So sollten die unter Reichskanzler Otto von Bismarck in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland eingeführte Renten-, Kranken- und Unfallversicherung die wachsende Bevölkerungsschicht der Industriearbeiter von revolutionären Bestrebungen abhalten. Der Schwerbeschädigtenschutz wurde nach dem 1. Weltkrieg 1919, die Arbeitslosenversicherung zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1927 und die Pflegeversicherung 1995, wegen eines prozentualen Anstiegs der älteren Bevölkerungsgruppen, eingeführt.

Seit dem 2. Weltkrieg wurden die sozialstaatlichen Leistungen in fast allen westeuropäischen Staaten über die reine Grundsicherung hinaus erweitert.

Siehe auch: Entstehung der Sozialversicherungen

Krise des Sozialstaats

Angesichts wirtschaftlicher Probleme durch nachlassendes Wirtschaftswachstum, die Globalisierung, demografische Entwicklungen, Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit kam es in vielen Industrienationen dazu, dass der Sozialstaat zur Ursache der Probleme erklärt wurde. Zum Teil wurden staatliche Leistungen gekürzt. Positive Wirkungen werden von anderer Seite hingegen zum Beispiel für die schwedische Implementierung des Sozialstaates beschrieben, in dem Unternehmen – beispielsweise Saab – ungeschützter dem Markt überlassen werden als in Deutschland, aber die einzelnen Menschen besser abgesichert sind.[3]

Als Maßnahmen, welche die Beschäftigung fördern und dadurch die Grundlagen für das Funktionieren des Sozialstaats erhalten können, werden in der öffentlichen Diskussion in Deutschland oft angeführt:[4]

  • niedrige Belastung der Beschäftigungsverhältnisse durch lohnbezogene Sozialabgaben, Finanzierung der Sicherungssysteme in hohem Maße mit steuerlichen oder steuerähnlichen Elementen.
  • Finanzierung der Sicherungssysteme in gleichgewichtigerer Mischung von Deckungsverfahren: Zur üblichen Umlagefinanzierung stärkere Beimischung von Kapitaldeckungskomponenten, „insbesondere in der Alterssicherung“, dadurch würden Stabilitätsvorteile erreicht.
  • Begünstigung von Menschen mit niedrigem Einkommen in der sozialen Sicherung „in Hinblick auf Finanzierungsbeiträge und/oder die Absicherung“, dadurch Förderung von Teilzeitarbeit und höhere Differenzierung des Arbeitsmarktes. Auch Förderung der Beschäftigung von älteren Erwerbstätigen.
  • Hohe Investitionen in Bildung und Weiterbildung durch Staat und Unternehmen.
  • Vergleichbare Behandlung unterschiedlicher Erwerbsformen in Bezug auf die sozialen Sicherungssysteme, z. B. unselbständige und selbständige Arbeit, niedrige Schwellen zwischen den Beschäftigungsformen.
  • Erleichterung der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und privatem Leben, z. B. durch kostengünstige Möglichkeiten der Kinderbetreuung.

Einige der oben erwähnten politischen Lösungsversuche zur Krise des Sozialstaates (zum Beispiel in Deutschland die Maßnahmen der Agenda 2010) führten zu Kritik seitens Gewerkschaften, Sozialverbänden und sozialen Bewegungen.

Siehe auch

Literatur

Gesamtdarstellungen

  • Gerd Habermann (Hrsg.): Der Wohlfahrtsstaat. Die Geschichte eines Irrwegs. Berlin 1997, ISBN 3-548-33216-1.
  • Gabriele Metzler: Der deutsche Sozialstaat. Vom bismarckschen Erfolgsmodell zum Pflegefall. Stuttgart / München 2003, ISBN 3-421-05489-4.

Ideengeschichtliche Hintergründe

  • Gerd Habermann (Hrsg.): Der Weg zum Wohlstand. Ein Adam-Smith-Brevier. Bern 2008, ISBN 978-3-7225-0055-3.

Deutsches Kaiserreich

Nationalsozialismus

  • Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. 2. Aufl., Frankfurt a.M. 2005, ISBN 3-10-000420-5. (Rezension: Die Zeit vom 4. Mai 2005, Zeit-Archiv.)

Kalter Krieg

  • Georg Vobruba (Hrsg.): Der wirtschaftliche Wert der Sozialpolitik. Berlin 1989, ISBN 3-428-06702-9.

Entwicklungen und Tendenzen ab 1990

  • Franz-Xaver Kaufmann: Herausforderungen des Sozialstaates, Frankfurt a.M. 1997, ISBN 3-518-12053-0.
  • Gerd Habermann (Hrsg.): Wohlfahrtsstaat im Konkurs. Der Mythos des Sozialen schwindet. Flaach 1997, DNB.
  • Gerhard Bäcker The dismantling of welfare in Germany, Düsseldorf 1998.
  • Christoph Butterwegge / Rudolf Hickel u.a.: Sozialstaat und neoliberale Hegemonie. Vom Standortnationalismus zur Auflösung der Demokratie. Berlin 1998, ISBN 3-88520-718-4.
  • Friedrun Quaas: Soziale Marktwirtschaft. Wirklichkeit und Verfremdung eines Konzepts. Haupt, 2000, ISBN 3-258-06012-6
  • Franz-Xaver Kaufmann: Varianten des Wohlfahrtsstaates. Der deutsche Sozialstaat im internationalen Vergleich, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-518-12301-7.
  • Frank Pilz: Der Sozialstaat. Ausbau – Kontroversen – Umbau (Schriftenreihe; Bd. 452). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2004.
  • Franz-Xaver Kaufmann: Sozialpolitik und Sozialstaat. Soziologische Analysen. Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14347-6.
  • Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaates. VS–Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3-8100-4138-6.

Weblinks

Quellen

  1. Frank Nullmeier, Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik von Bundeszentrale für politische Bildung
  2. Norbert Hinske: Kants Warnung vor dem Wohlfahrtsstaat Die neue Ordnung, Jahrgang 58 Nr. 6, Dezember 2004.
  3. Gunnar Herrmann: Mensch und Markt, Süddeutsche Zeitung vom 21./22. Februar 2009, S. 23
  4. Diether Döring Der verlorene Charme des Sozialstaats. FAZ vom 5. August 2006, S. 13

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