Sonderzug nach Pankow

Sonderzug nach Pankow
Deutsche Briefmarke von 2010, gestaltet von Udo Lindenberg und Victor Malsy

Sonderzug nach Pankow ist der Titel eines im Jahre 1983 als Single veröffentlichten Liedes des deutschen Rocksängers Udo Lindenberg, das auf der Melodie des im Jahre 1941 erschienenen US-amerikanischen Klassikers Chattanooga Choo Choo beruht.

Inhaltsverzeichnis

Entstehungsgeschichte

Udo Lindenberg hatte in einem Radiointerview des SFB am 5. März 1979 seinen Wunsch geäußert, für seine Fans ein Konzert in Ostberlin veranstalten zu wollen. Das Interview wurde in der DDR im Originalton aufgezeichnet und einen Tag später als Information des Staatlichen Komitees für Rundfunk, Abteilung Monitor, dem Chefideologen und Kulturverantwortlichen der SED, Kurt Hager, vorgelegt. Dieser schrieb am 9. März 1979 handschriftlich auf die Information: „Auftritt in der DDR kommt nicht in Frage“.[1]

Lindenberg war über diese Ablehnung verärgert, doch gelang es ihm für einige Jahre nicht, seinen Plan umzusetzen.[2] Dann kam er Anfang 1983 auf die Idee, als Reaktion auf diese Ablehnung einen deutschen Text auf den Swing-Klassiker Chattanooga Choo Choo von Glenn Miller aus dem Jahr 1941 zu verfassen; das Original wurde von Harry Warren (Musik) und Mack Gordon (Text) komponiert und am 7. Mai 1941 aufgenommen. Der deutsche Text des 3:01 Minuten langen Songs richtet sich in ironischer Weise direkt an den damaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Dieser wird respektlos als verknöchert und scheinheilig bezeichnet, der offiziell die Ideologie der Regierung präsentiere, aber innerlich ein Rocker sei und heimlich West-Radio höre.[3] Der Text ist angelehnt an das Lied Zug nach Kötzschenbroda von Bully Buhlan vom Januar 1947, das dieselbe Melodie verwendet.

Der Bezug zum Berliner Bezirk Pankow im Titel beruht auf der Tatsache, dass das dort gelegene Schloss Schönhausen von 1949 bis 1960 Sitz des Präsidenten sowie anschließend bis 1964 des Staatsrates der DDR war. Auch danach hatten viele Angehörige der DDR-Regierung und ranghohe Mitarbeiter anderer Behörden ihren Wohnsitz in Pankow, unter anderem im Majakowskiring. Pankow wurde in der Zeit des Kalten Krieges als Synonym für „Regierungssitz der sowjetisch besetzten Zone“ benutzt.

Zum Schluss der Aufnahme ist eine Bahnhofsdurchsage in Russisch zu hören. Der Originaltext lautet: „Towarischtsch Erich! Meshdu protschim, werchownij sowjet ne imejet nitschewo protiw gastrolej Gospodina Lindenberga w GDR!“, auf Deutsch übersetzt: „Genosse Erich, im Übrigen hat der Oberste Sowjet nichts gegen ein Gastspiel von Herrn Lindenberg in der DDR!“ Diese Passage sollte darauf hinweisen, dass ohnehin wesentliche Entscheidungen der DDR in der Sowjetunion getroffen würden.

Veröffentlichung und Erfolg

Am 2. Februar 1983 wurde die von Lindenberg selbst produzierte Single Sonderzug nach Pankow / Sternentaler (Polydor # 810 076-7) in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht und gelangte am 7. Februar 1983 in die deutsche Hitparade, wo sie Platz 5 erreichte und dort für vier Wochen verblieb. Es war Lindenbergs bisher beste Hitparadennotierung. Sie verweilte für insgesamt 21 Wochen in den Charts, davon 7 Wochen in den Top10.

In einem Begleitbrief zum Song hatte Lindenberg am 16. Februar 1983 an Honecker geschrieben: „Lass doch nun auch mal einen echten deutschen Klartext-Rocker in der DDR rocken. Zeig Dich doch mal von Deiner locker-menschlichen und flexiblen Seite, zeig uns Deinen Humor und Deine Souveränität und lass die Nachtigall von Billerbeck ihre Zauberstimme erheben. Sieh das alles nicht so eng und verkniffen, Genosse Honey, und gib dein Okey für meine DDR-Tournee“.

Politische Folgen

Sein despektierlicher Text hatte den SED-Generalsekretär Honecker aufgebracht. In einem Brief versuchte der Lindenberg-Berater Michael Gaißmayer noch im August 1983, die Wogen zu glätten. FDJ-Chef Egon Krenz lud daraufhin Lindenberg ein, im Rahmen eines FDJ-Friedenskonzertes mit Künstlern aus aller Welt im Palast der Republik in Ost-Berlin vier seiner Lieder zu spielen.

Am 25. Oktober 1983 kam es dann zum ersten und einzigen Auftritt von Udo Lindenberg in der DDR. Dieser fand im Rahmen des Festivals „Rock für den Frieden“ vor 4200 Zuhörern im Palast der Republik statt, bei dem Lindenberg diesen Titel auf Wunsch der DDR-Führung jedoch nicht sang. Das Lied erreichte Kultstatus in der DDR und ist einer der bekanntesten Titel von Udo Lindenberg. Zu einer von Lindenberg für das folgende Jahr vorgesehenen Tournee durch die DDR kam es nicht, denn die Gastspielreise wurde im Februar 1984 endgültig abgesagt.

Lindenbergs Bemerkung im Lied, dass Honecker heimlich auch gerne eine Lederjacke anziehe, wurde im Jahre 1987 umgesetzt. Er sandte Honecker 1987 eine Lederjacke zu, was von Honecker mit einem Dankesbrief beantwortet wurde, in dem er die Rockmusik für vereinbar mit den Idealen der DDR hielt. Des Weiteren schrieb Honecker, dass er die Lederjacke an den Zentralrat der FDJ weitergeben werde, damit dieser sie einem Rockfan zukommen lassen könne. Außerdem lag dem Brief eine Schalmei als Geschenk für Lindenberg bei. Honecker hatte solch ein Instrument während seiner Jugend gespielt.[4] Als sich Honecker am 9. September 1987 während eines Staatsbesuches in Wuppertal aufhielt, schenkte ihm Lindenberg eine E-Gitarre mit der Aufschrift „Gitarren statt Knarren“.[5]

Einzelnachweise

  1. Bundesarchiv mit dem Originalvermerk
  2. vgl. Ingo Grabowski/Martin Lücke, Die 100 Schlager des Jahrhunderts, 2008, S. 63
  3. Ingo Grabowski/Martin Lücke, a.a.O., S. 64
  4. Erich Honeckers Dankesbrief an Udo Lindenberg bei Zeit Online
  5. Artikel bei Klangbeutel

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