Sokratische Methode

Sokratische Methode

Die Sokratische Methode ist im philosophischen Kontext bei Sokrates eine Methode zur Gewinnung von Erkenntnis, wobei die Mäeutik als Teil dieser Methode die Technik der Gesprächsführung darstellt.

Die Heraushebung des Wissens, der Theorie, findet in der griechischen Antike bei Sokrates ihre erste prägnante Form. Der Begriff episteme (Wissenschaft) verkörpert diesen Prozess in seiner sprachlichen Verfassung. Die Theorie wird damit selbst zum Betrachtungsgegenstand der Philosophie und mit der Theorie auch derjenige, der sie hervorbringt: der Mensch. Sokrates orientiert das Philosophieren auf den Menschen, auf das Subjekt. Die Lebensführung des Menschen soll nicht instinktiv sein, d. h. nicht fatalistische Züge tragen, sondern auf eigene Vernunftseinsicht begründet werden: theoretische Einsicht und praktische Tüchtigkeit. Die Tugend ist lehrbar und besteht im Wissen vom richtigen Handeln. Sokrates' philosophisches Erziehungsideal besteht aus der Einheit der sittlichen und wissenschaftlichen Bildung. Die Mittel dazu sah er in der Erkenntnis der Wahrheit. Gerade diese Forderung führte ihn weit über die Sophisten hinaus, hatten diese doch die Möglichkeit zur Gewinnung wahrer Erkenntnisse dem Skeptizismus preisgegeben.

Die Sokratische Methode ergibt sich aus drei Stufen:

  • Die erste Stufe ist die Selbsterkenntnis gemäß der delphischen Forderung: Erkenne dich selbst (Denn wenn ich weiß, was ich bin, weiß ich auch, was ich soll).
  • Die zweite Stufe besteht im Resultat der Selbsterkenntnis, wovon man zum Bewusstsein dessen gelangt, dass man nicht weiß. Diesen Zustand des Bewusstseins des Nichtwissens erklärt Sokrates als seine einzige Weisheit.
  • Die dritte Stufe besteht bei Sokrates darin, dass er sich zu dieser Erkenntnis aktiv verhält, denn die Stufe der Erkenntnis eigener Unwissenheit ist bei ihm der Ausgangspunkt, das Motiv zum Suchen des wahren Wissens.

Die Realisierung dieser Forderungen ist nach Sokrates nur im dialogischen Philosophieren möglich, denn

  • 1. ist die Gesprächsführung die günstigste Form, auf Menschen erziehend und bildend einzuwirken, sie zum Selbstdenken anzuregen, ihr Verständnis gegenüber sittlichen Mängeln und Aufgaben zu erwecken und zu leiten,
  • 2. ist der Dialog eine unentbehrliche Bedingung der Gedankenentwicklung für alle Teilnehmer und somit auch ein Erkenntnisprozess für alle Beteiligten[1].

Diese Philosophie realisiert sich eben erst im Dialog. Eine Philosophie, die in der Bewegung des Dialogs existiert. Die Sokratische Methode "verselbständigt" gerade den Gedanken, d.h. der Gedanke wird zum Gegenstand der Analyse und Kritik. Da der hauptsächliche Gedankengegenstand aus ethischen und moralischen Problemen besteht, berührt die philosophische Analyse unmittelbar die Geschehnisse der Gemeinschaft. Bei den drei Stufen der Sokratischen Methode ist zu bemerken, dass der Dialog und die damit verbundenen Bestandteile nur in der dritten Stufe angesiedelt werden können, denn hier erscheint der Kern der Forderungen: die Suche nach wahrem Wissen. Nach Sokrates ist wahres Wissen nur auf der Grundlage fest umgrenzter Begriffe möglich.

Das Verfahren der Sokratischen Methode besteht u.a. in den logischen Mitteln, die zur Begriffsbestimmung führen. Dies soll an zwei Beispielen des Dialogs gezeigt werden.

  • Beispiel 1 : Bestimmung des Begriffes "Gottesfurcht"

" 'Was ist wohl Euthydemos, die Gottesfurcht?' - 'Das Allerschönste bei Gott?' - 'Kannst du mir sagen, was ein gottesfürchtiger Mann ist?' - 'Ich denke, einer, der die Götter ehrt' - 'Darf man aber die Götter ehren wie man will?' - 'Nein, es gibt Gesetze, nach denen man sich richten muss' - 'Wer also die Gesetze kennt, muss doch auch wohl wissen, wie man die Götter ehren soll?' - 'Ich denke' - 'Und wer dies weiß, der glaubt doch auch gewiss, er dürfe die Götter auf keine andere Weise ehren, als wie er es weiß?' - 'Ohne Zweifel' - 'Ehrt man also die Götter, wenn man es anders tut, als man glaubt, dass es recht ist?' - 'Doch wohl nicht' - 'Wer also weiß, was bezüglich der Götter gesetzlich ist, der wird sie wohl auch in gesetzlicher Weise ehren?' - 'Sicherlich' - 'Und wer sie in gesetzlicher Weise ehrt, ehrt sie doch, wie er soll?' - 'Natürlich' - 'Wer sie ehrt, wie er soll, der ist doch gottesfürchtig?' - 'Zweifellos' - 'Wir werden also den Begriff 'gottesfürchtig' richtig bestimmen, wenn wir sagen: gottesfürchtig ist, wer weiß, was hinsichtlich der Götter gesetzlich ist?' - 'So scheint es wenigstens' "[2].

Der Dialog beginnt damit, dass Sokrates eine Definition vom Gesprächspartner verlangt, damit erst einmal eine Art Begriffsbestimmung erreicht ist. Doch diese erweist sich als ungenügend, und er verlangt eine Korrektur. Dieser Vorgang wird so oft wiederholt, bis ein positives Resultat vorliegt. Das Verfahren wird im entgegengesetzten Fall abgebrochen. Sokrates verwendet zur Erlangung einer solchen Definition die Induktion (eigentlich: induktiv-definitorische Methode, wenn das ganze Verfahren einbezogen wird). Die Ausgangspunkte der Induktion sind in den meisten Fällen Beispiele aus dem Leben, allgemein anerkannte Sätze und Vorstellungen. Mittels einer Induktion soll aus der Mannigfaltigkeit der Auffassungen und Meinungen über einen bestimmten Sachverhalt das Gemeinsame herausgefunden werden in der Form des Dialogs.

  • Beispiel 2: Klarstellung der Art einer Beweisführung, die Sokrates in einem Gespräch mit dem Bildhauer Kleiton zeigen will

" 'Dass du die Läufer, Ringer, Faustkämpfer und Ringfaustkämpfer charakteristisch darstellst, sehe und begreife ich; aber sag' einmal, wie bringst du das, was beim Anblick am meisten bewegt, den Ausdruck der Lebendigkeit, in die Bildsäule hinein?' . Kleiton geriet in Verlegenheit und wusste nicht gleich zu antworten; da fragte Sokrates weiter:' Gelingt es dir nicht dadurch, dass du dir lebendige Menschen als Modell nimmst?' - 'Ja', antwortete Kleiton. 'Bildest du also nicht die bei den verschiedenen Bewegungen sich hebenden und senkenden, zusammengepressten und auseinandergezogenen, angespannten und gelockerten Muskeln nach und bringst so die Täuschung lebenswahrer Körper hervor?' - 'So mach ich das allerdings' - 'Ist es für den Beschauer aber nicht ein eigener Genuss, wenn auch die Gemütsbewegungen des tätigen Menschen dargestellt werden?' - 'Natürlich' - 'Also wird man dem Blick eines Kämpfers einen drohenden, dem des Siegers dagegen einen freudigen Ausdruck verleihen müssen?' - 'Sehr richtig' - 'Es wird also des Bildhauers Aufgabe sein, das Leben der Seele zur äußeren Darstellung zu bringen' "[3].

In diesem Dialog wird eine Art der Beweisführung gezeigt, deren Aufgabe es ist, die Notwendigkeit einer Handlungsweise zu untersuchen. Wie aus dem Dialog ersichtlich ist, "geht Sokrates auf den Begriff der Sache, um die es sich handelt, zurück und weist nach, was daraus für den gegebenen Fall folgt"(1, S. 129). Bei Sokrates gibt es allerdings keine nähere Bestimmung eines Beweises, sondern nur das hier typisch gezeigte Verfahrensprinzip.

Xenophon zeigt in seinen Memorabilien die vielseitige Anwendung dieses besprochenen Sokratischen Verfahrens auf. "Als den eigentlichen Gegenstand seiner Untersuchungen betrachtete er aber das Leben und Tun des Menschen, alles andere dagegen nur, inwiefern es auf die Zustände und die Aufgaben des Menschen Einfluss hat: seine Philosophie, ihrer allgemein wissenschaftlichen Form nach Dialektik, wird in ihrer konkreten Anwendung zur Ethik (1, S. 132).

Allgemein kann das Verfahren bei Sokrates so umrissen werden: den Handelnden, den tätigen Menschen soll die Art seiner Tätigkeit bewusst gemacht werden, d.h., sie sollen wissen, warum sie etwas so und so tun, warum sie z.B. fromm oder patriotisch sind. Mit anderen Worten: Sokrates will erreichen, dass der Handelnde ein bewusst Handelnder wird, der die Regeln seiner Tätigkeit kennt und der sein eigenes Handeln begreift.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, II. Teil, 1. Abteilung, 1922, S. 120
  2. Xenophon, Memorabilien, IV, 1-4
  3. Xenophon, Memorabilien, III, 10, 6-8

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