Snipe-Zwischenfall

Snipe-Zwischenfall
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Als Snipe-Zwischenfall wird die Auseinandersetzung um den Felsen Snipe zwischen Chile und Argentinien im Jahr 1958 bezeichnet.

Die Insel Snipe befindet sich mitten im Beagle-Kanal etwa gleich entfernt von der nächsten Küsten der Inseln Picton, Navarino und Isla Grande de Tierra del Fuego.

Die Snipe-Insel im Beagle-Kanal

Inhaltsverzeichnis

Der Streit

Die argentinische Interpretationen des Grenzvertrags 1881 (siehe Beagle-Kartographie ab 1881)

Chile und Argentinien stritten um Souveränitätsrechte über die Zone südlich des Beagle-Kanals (siehe Beagle-Kartographie ab 1881) und der Snipe-Felsen wurde von beiden Ländern beansprucht.

1881 unterzeichneten Chile und Argentinien einen definitiven Grenzvertrag. Argentinien erkannte die Inseln Picton, Nueva und Lennox so wie die Inseln am Kap Hoorn als chilenisches Gebiet an. Bis etwa 1888 erschienen in Argentinien nur Landkarten mit den genannten Inseln als chilenisches Gebiet (ausgenommen die Karten, die von dem internationalen Schiedsgericht im Beagle-Konflikt als "exzentrisch" oder "vertragsfremd" gekennzeichnet wurden).[1] Ab 1889 wurden in Argentinien allmählich Karten publiziert, die eine abweichende Grenze zeigten. Trotzdem hatte Argentinien seitdem keine klare neue Interpretation des Grenzvertrages von 1881 am Beagle-Kanal. Das Bild rechts zeigt neun verschiedene argentinische Interpretationen des Grenzvertrags vom 1881 bis 1982.

Chile vertrat immer eine einzige Interpretation, die seit 1984 wieder (wie von 1881 bis 1888) auch von Argentinien anerkannt wird. Die chilenische Interpretation ist auf der rechts gezeigten Karte die rote Linie, gekennzeichnet mit "La Ilustración Argentina, 1881".[2]

Auch über die Ortsnamen gab es dementsprechend keine Einigkeit: Chile nannte die Gewässer um den Felsen "Beagle-Kanal", Argentinien nannte sie "Moat-Kanal" mit der Begründung, der Beagle-Kanal biege zwischen den Inseln Navarino und Picton nach Süden ab, so dass alle östlicheren Inseln nicht mehr «südlich des Beagle-Kanals» lägen und dem Grenzvertrag vom 1881 entsprechend Argentinien zugesprochen worden seien.

Der Zwischenfall

Am 12. Januar 1958 errichtete die Mannschaft des chilenischen Truppentransporters „Milcavi“ einen Leuchtturm auf dem Felsen, am 1. Mai 1958 wurde das Leuchtfeuer installiert, der Leuchtturm eingeweiht und die entsprechende internationale Benachrichtigung herausgegeben.[3]

1977, während der „Jornadas del Canal Beagle y Atlántico sur“, einer von Isaac Rojas mitorganisierten Konferenzreihe, um von argentinischer Seite eine Ablehnung des international bindenden Schiedsgerichtsurteils zu erwirken, berichtete Isaac Rojas der Versammlung von seinen Erinnerungen an die Tage des Zwischenfalls:

Cuando fui informado del ilegítimo acto posesorio llevado a cabo por Chile,…, resolví de inmediato, como Comandante de Operaciones Navales, aconsejar una contramedida enérgica. … Yo, en persona, llevé a Ushuaia una baliza luminosa, la que en la segunda quincena de abril fue instalada en el islote Snipe en lugar de la señal chilena violadora del statu quo.
(Übersetzung: Als ich vom Vollzug des illegitimen chilenischen Aktes informiert wurde,…, entschloss ich mich sofort, als Kommandant der Seeoperationen, der Regierung energische Gegenmaßnahmen zu empfehlen. … Ich persönlich brachte ein Leuchtfeuer nach Ushuaia, das in der zweiten Aprilhälfte auf Snipe installiert wurde, anstelle des chilenischen Leuchtturmes, der den „Status quo“ verletzte.)[4][5]

Vor der Aufstellung ihres Leuchtturms baute die Besatzung des argentinischen ARA Guaraní den chilenischen ab und warfen ihn ins Meer.[6]

Am 11. Mai 1958 baute die Crew des chilenischen Patrouillenboots Lientur wiederum den argentinischen Leuchtturm ab, lud die Teile ins Boot und fuhr zurück nach Puerto Williams. Wenige Tage später, am 15. Mai, holte die Mannschaft der Lientur den chilenischen Leuchtturm aus den Wasser, wo die Argentinier ihn versenkt hatten und brachte ihn auch nach Puerto Williams.

Patrouillenboot Lientur der chilenischen Marine

Am 8. Juni 1958 installierte die Mannschaft des Lientur wieder einen Leuchtturm auf dem Felsen, das zweite von den Chilenen errichteten Artefakt.

Am 9. Juni beschoss der argentinische Zerstörer „ARA San Juan“ den Felsen, zerstörte den (zweiten) chilenischen Leuchtturm und landete danach eine Abteilung Marineinfanterie auf der unbewohnten Felseninsel mit der Absicht, dort zu bleiben bis Chile die Rechte über die Insel als umstritten anerkennt.[7]

Trotz des militärischen Aufmarsches auf beiden Seiten entspannte sich die Situation nach direkten politischen Verhandlungen zwischen den Regierungen und wurde am 17. August entschärft. Man einigte sich darauf, keinen Leuchtturm auf dem Felsen zu bauen und die argentinische Marineinfanterie verließ den Felsen wieder.

Folgen

1958 konnte ein offener Krieg vermieden werden, aber der Konflikt schlummerte weiter und eskalierte 20 Jahre später bis an den Rand eines Krieges. 1978, nachdem ein internationales Gericht die umstrittene Inseln an Chile zusprach, startete Argentinien die Operation Soberania, um die Inseln südlich des Beagle-Kanals militärisch zu besetzen.

Fortan, wie vor dem Zwischenfall, konnten weder Chile noch Argentinien die Inseln besiedeln oder nutzen, denn durch den Zwischenfall konnte Argentinien diese Inseln als "umstrittenes Territorium" durchsetzen.

Um der materiell besser ausgestatteten argentinischen Marine entgegenzuwirken, verabschiedete die chilenische Regierung im Oktober 1958, nur wenige Tage vor dem verfassungsmäßigen Ausscheiden der Regierung Ibañez, das heute als „Ley Reservada del Cobre“ titulierte Gesetz 13.196, in dem ein Teil der Gewinne aus dem Kupferabbau für Waffenkäufe vorgesehen wird.[8]

Der Snipe-Felsen ist heute international anerkanntes chilenisches Staatsgebiet. Es steht auch wieder ein Leuchtturm auf dem Felsen.

Einzelnachweise

  1. Siehe §148 in Report and Decision of the Court of Arbitration:
    There can be no doubt that in the immediate post-Treaty period, that is to say from 1881 to at least 1887/88, Argentine cartography in general showed the PNL group as Chilean;
  2. Der Name bezieht sich auf die argentinische Zeitschrift "La Ilustración Argentina", die wenige Tage nach der Unterzeichnung des Vertrages die Karte mit der neuen Grenze publizierte.
  3. Das Schiff ist heute ein schwimmender Jachtklub in Puerto Williams
  4. Rojas war Chef der argentinischen Kriegsflotte, Vizepräsident des Landes und führte ein aktives politisches Leben in seinem Land
  5. Siehe "La Argentina en el Beagle y Atlantico sur, 1° Parte" von Francisco Rojas, Siehe Kapitel 4, "Conclusiones de 4 Jornadas"
  6. "El Mercurio de Valparaiso", vom 17. August 2008 (abgerufen 6. August 2009):
    que habían sido lanzadas al agua por el personal del patrullero argentino “Guaraní”,
  7. Siehe Historia General de las Relaciones Exteriores de la República Argentina Algunas cuestiones con los países vecinos: «mantener la ocupación hasta lograr el reconocimiento por parte del gobierno chileno del carácter litigioso del islote»
  8. Siehe ¿Cuál es el origen de la Ley Reservada del Cobre?: «Por este hecho, se conoció también a esta norma como "Ley de las Fragatas".»

Siehe auch

Literaturhinweis


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