Situativ

Situativ

Das Wort Situation bezeichnet die Lage oder Position, die Gebundenheit an Gegebenheiten oder Umstände.

Inhaltsverzeichnis

Wortherkunft und Verwendung

Situation kommt vom lateinischen situs ‚Stelle, Stellung, Sitz‘, jedoch erst im späten 16. Jhd. als Fremdwort in der Bedeutung‚ geografische Lage, Lageplan, Gegend‘ aus dem Französischen entlehnt. [1] Im Deutschen ist diese konkrete Bedeutung ausser in der Fachsprache mittlerweile veraltet, in dieser Bedeutung nur noch in Form des Partizipaladjektivs situiert ‚gelegen‘ in Gebrauch (vgl. Unfallsituation)

Heute umfasst der Ausdruck Situation die Rahmenbedingungen, vor die jemand oder unter die ein Vorhaben oder eine Sache gestellt ist und die als konkrete Bedingungen die Möglichkeiten des Tuns oder Erleidens stellen und begrenzen, allgemein die Befindlichkeit in einer Umgebung, einem Zusammenhang oder einer Abhängigkeit (z. B. Dilemma, Sachzwang, Notlage).

Situation ist dabei stets „Situation von …“. Auch wenn die Situation ohne expliziten Bezug auf ein Subjekt genannt wird, ist sie auf ein Situiertes (‚Gelegenes, Gestelltes, Betroffenes‘) bezogen. Sie ist der zeitlich, räumlich oder persönlich-existenzial bestimmte Zusammenhang von Sachverhalten, in denen das Situierte steht. So spricht man etwa von gut situiert, wenn man eine schöne örtliche Lage, aber auch Wohlstand beschreibt.

Das Adjektiv situativ, als auf eine konkrete Situation bezogen, hat dabei auch einen Hang zum spontanen: Manche Entscheidungen werden situativ, das heißt lageangepaßt, aus den konkreten Umständen heraus, entschieden.

Philosophie

In der Philosophie ist die Situation ein wichtiger Begriff etwa bei Martin Heidegger, Karl Jaspers, Kierkegaard und Sartre oder den Situationisten. Durch den Existentialismus bekam der Begriff eine subjektive Färbung. Situation meint den Menschen in der Welt. Demgegenüber beschreibt der Begriff Lage einen mehr objektiv vorhandenen Zusammenhang. Auch in der Phänomenologie von Husserl sind wichtige Überlegungen zum Situationsbegriff vorhanden.

Wissenschaftstheorie

In der Psychologie verwendet C. F. Graumann[2] den Begriff Situation um die Perspektivität des Wahrnehmens zu beschreiben. Die menschliche Wahrnehmung bildet nur einen Ausschnitt der Welt ab, thematisiert die Welt. Dieser Ausschnitt wird wesentlich vom Zustand und der Motivation des Subjekts bestimmt. Graumann entwickelte dieses Modell unter Anlehnung an Begriffe die aus der Gestalt- und Ganzheitspsychologie stammen. Diese Psychologie entstand Anfang des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf die mehr naturwissenschaftlich ausgerichtete Psychologie, die Ende des 19. Jahrhunderts herrschende Lehre war.

Die Soziologie entdeckte vor allem in den 60er-Jahren den Situationsbegriff für sich. Sie knüpft dabei sowohl an die Phänomenologie Edmund Husserls, die Lebensphilosophie Wilhelm Diltheys, als auch an die Graumannsche Psychologie der Perspektivität. Der Begriff Situation und die, sich in den 80er Jahren daran anschließende empirische Situationsforschung, hatte das Ziel, industriell organisierte Arbeitsprozesse zu analysieren.

Einzelne Fachgebiete

Geografie

Geografische Situation: Sie ist der Ursprung des Fachausdrucks und bedeutet in etwa Einbettung in eine Region oder Landschaft, also das räumliche Umfeld eines Objektes der Erdoberfläche, etwa eines Bauwerks oder einer Stadt. Situiertes ist ein geografisches Objekt, Situation ist der räumliche Zusammenhang der topografischen Sachverhalte, in denen das Objekt liegt.

Die Kartografie unterscheidet zwischen Gelände (die Erdoberfläche als solche) und Situation (die auf ihr befindlichen Objekte). Im Bergbau spricht man vom Situationsplan - eine Darstellung der Lage gewisser Punkte an der Gebirgsoberfläche, die bezüglich allgemein bekannter, unverrückbare Objekte eingemessen werden.[1]

Wirtschaft

Wirtschaftliche Situation: Situiertes ist ein Wirtschaftssubjekt, Situation ist der Zusammenhang der Sachverhalte, die mit ihm in Wechselwirkung stehen.

Die soziale Situation als Faktor der Wirtschaftspolitik bezieht neben wirtschaftlichen auch z. B. familiäre Sachverhalte ein.

Soziologie

Soziale Situation im Sinne der situationalen Analyse in der Soziologie ist vom wirtschaftlichen Begriff zu unterscheiden, hier werden kurzfristigere soziale Prozesse untersucht, z. B. unter Aspekten der sozialen Rolle.

Lebenssituation: Situiert ist eine Person, Situation ist der Zusammenhang ihrer Lebensverhältnisse; im üblichen Sprachgebrauch sind dabei hauptsächlich die obengenannten materielle oder soziale Faktoren angesprochen, während die emotionale Situation davon stark abweichen kann (z. B. reiche, aber dennoch traurige oder depressive Personen)

Literatur und Sprache

Situationskomik ist eine Art des Humors, die sich auf eine gegenwärtige – von mehreren Personen – wahrnehmbare Lage bezieht. Ausserhalb ihres Rahmens bleibt sie unter Umständen unverständlich. In Bühnenwerken trennt man die „leichtere“ Situationskomik von der „ernsten“ Charakterkomik. Auch Situationsdrama wird als Erzählform dem Charakterdrama entgegengestellt: Ersteres entwickelt sich aus der Situation heraus, letzteres folgt einem strengen erzählerischen Konzept.[1]

Siehe auch

Literatur

  • K. Bühler: Die Krise der Psychologie. Jena 1927
  • W. Finke: Untersuchungen über den Begriff der Situation. Diss. Uni Göttingen, 1955
  • C. F. Graumann: Grundlagen einer Phänomenologie und Psychologie der Perspektivität. Phänomenologisch-Psychologische Forschungen Band 2, Berlin 1960
  • K. Thomas: Analyse der Arbeit. Möglichkeiten einer interdisziplinären Erforschung industrialisierter Arbeitsvollzüge. Göttinger Abhandlungen zur Soziologie und ihrer Grenzgebiete. Band 16, Stuttgart 1969

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c SITUATION, f. das franz. situation, stellung, lage. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854ff (germazope.uni-trier.de)
  2. Lit. Graumann 1960

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