Sieben Sendschreiben

Sieben Sendschreiben
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Als die Sieben Sendschreiben werden sieben fiktive Briefe bezeichnet, die in der Offenbarung des Johannes im 2. und 3. Kapitel überliefert sind. Dem Textduktus nach sind sie Johannes, dem Verfasser der Offenbarung, von Jesus Christus diktiert worden, um verschiedene frühchristliche Gemeinden zu ermutigen und zu ermahnen.

Alle sieben adressierten Gemeinden lagen in der römischen Provinz Asia, auf dem Gebiet der heutigen Türkei.

Inhaltsverzeichnis

Die Sieben Sendschreiben im einzelnen

Brief an die Gemeinde in Ephesos

Bekannteste Aussage: „Aber ich habe gegen dich, daß du deine erste Liebe verlassen hast. Denke nun daran, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke!“ (Offb. 2,4+5a in der Elberfelder Übersetzung)

Brief an die Gemeinde in Smyrna

Bekannteste Aussage: „Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich“ (Offb. 2,9a in der Lutherübersetzung)

und „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ (Offb 2,10c - oft für Soldatenfriedhöfe verwandt)

Brief an die Gemeinde in Pergamon

Bekannteste Aussage: „Ich weiß, wo du wohnst: da, wo der Thron des Satans ist; und du hältst an meinem Namen fest und hast den Glauben an mich nicht verleugnet“ (Offb. 2,13a in der Lutherübersetzung)

Brief an die Gemeinde in Thyatira

Bekannteste Aussage: „Aber ich habe gegen dich, dass du Isebel duldest, diese Frau, die sagt, sie sei eine Prophetin, und lehrt und verführt meine Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen.“ (Offb. 2,20)

Brief an die Gemeinde in Sardes

Bekannteste Aussage: „Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.“ (Offb. 3, 1b+2 in der Lutherübersetzung)

Brief an die Gemeinde in Philadelphia

Bekannteste Aussage: „Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen“ (Offb 3, 8)

Brief an die Gemeinde in Laodicea

Bekannteste Aussage: „Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde“ (Offb. 3,15+16 in der Lutherübersetzung)

und „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ (Offb. 3,20)

Der literarische Charakter

Innerhalb der Offenbarung des Johannes nehmen die Sendschreiben (Offb 2 und 3) literarisch eine Sonderstellung ein. Sie sind keine Visionen, sondern (fiktive) Briefe an historisch konkrete Gemeinden. Die Gemeinden erhalten Lob (vor allem die Gemeinde von Philadelphia) und Tadel (vor allem die Gemeinde von Laodizea). Ihre Situation ist durch Repressionen durch den Staat, abweichende Lehre und drohender Spaltung gekennzeichnet. Die Siebenzahl der Gemeinden verweist darauf, dass für den Verfasser der Offenbarung die konkreten Gemeinden auch repräsentativ für alle christlichen Gemeinden stehen. Sprache und Sprachrhythmus[1], legen für manche Forscher den Schluss nahe, dass die Sendschreiben - wie Anfang und Schluss des ganzen Buches - auf einen abschließenden Redaktor der Offenbarung zurückgehen.

Auslegungsgeschichte

Epochen der Kirchengeschichte

Seit dem Hochmittelalter werden die Sendschreiben vor allem von kirchenkritischen Theologen auf sieben Zeitalter der Welt- und Kirchengeschichte gedeutet. Vorher waren die Drei- und die Vierteilung der Weltgeschichte verbreitet. Allen diesen Auslegungen gemeinsam ist eine starke Naherwartung des Gerichtes und des Neuen Jerusalems. Daher entspricht die Gegenwart der meisten Ausleger in der Regel der sechsten oder siebenten Gemeinde der Sendschreiben.
In der Wirkungsgeschichte Joachim von Fiores (um 1130/1135-1202) benutzt Fra Dolcino († 1307), der Anführer der radikalen und aus römischer Sicht häretischen Apostelbrüder, die sieben Sendschreiben bzw. die sieben Engel der Gemeinden um eine Gliederung für seine Geschichtstheologie zu erhalten. Die Engel stellen jeweils einen Initiator einer Heilszeit dar. Sich selber sah Dolcino als Engel von Thyatira; der siebente Engel (Philadelphia) wird nach Dolcino der zu erwartende Engelspapst der Zukunft sein.[2]
Bei reformierten Theologen des 16. Jahrhunderts etabliert sich die Einteilung der Kirchengeschichte in sieben Zeitalter. Der u.a. in Bremen und Leiden tätige Theologe Johannes Coccejus (1603-1659) gliedert unter Einfluss von Johann Lampadius (1569–1621)[3] nach den Sendschreiben die Kirchengeschichte in sieben Perioden (aetates ecclesiae). Beginnend bei der Kirche der ersten Apostel, gefolgt von der Kirche der Märtyrer sind die nächsten vier Perioden stark vom Gegenüber zum Papsttum und zur römischen Kirche geprägt. Das letzte, für Coccejus gegenwärtig anbrechende Zeitalter, stellt sich als Blütezeit der Kirche einschließlich der Zuwendung von Juden und Moslems zum Christentum dar. Nach diesem Zeitalter, so Coccejus, wird Christus zum Gericht wiederkommen.[4] Im 17. Jahrhundert deuten Campegius Vitringa der Ältere[5], der Calvinist Thomas Brightman (1557–1607), im 18. Jahrhundert Elias Eller[6] und am Anfang des 20. Jahrhunderts der Dispensationalist Cyrus I. Scofield (1843-1921) die Sendschreiben auf Epochen der Kirchengeschichte. Gegen diese Auslegung wendete sich besonders Johann Albrecht Bengel, der die Sendschreiben konsequent historisch auf die sieben Gemeinden bezieht.[7]

Gemeinde Dolcino (um 1300) Lampadius (um 1600) Coccejus (um 1665) Scofield (20. Jh.) Brightman (17. Jh.)
Ephesus Benedikt von 70 bis Konstantin apostolische Zeit (bis 70) apostolische Zeit vorkonstatinische Zeit
Smyrna Dominikus bis zur Zerstörung des Ostreiches Christenverfolgung Christenverfolgung 313-81 Konstantin bis Gratian, Kampf mit Arianismus
Pergamon Segarelli bis zu Karl dem Großen Konstantin bis Ludwig IV, 14. Jh. Konstantinische Staatskirche 382-1300 Aufsteigendes Papsttum
Thyatira Dolcino selbst bis zu Gregor VII. Antichristliches Papsttum Zeit des Papsttums 1300–1520 Kampf mit dem Katholizismus
Sardes bis zu Adolf von Nassau Reformation Spätmittelalter Reformation Luthers
Philadelphia Engelspapst bis zur Reformation Dreißigjähriger Krieg Reformation Genfer Reformation
Laodizea seit 1519 Blütezeit der Kirche Endzeit Church of England des 17. Jh.

Historisch-kritische Auslegungen

In seiner wirkungsreichen Schrift von 1904 über die Sendschreiben zeigt William M. Ramsay viele historische Bezüge der Sendschreiben zu den lokalen Begebenheiten der Adressatengemeinden auf. Dieser Zugang prägte die Forschung zur Johannesoffenbarung und wurde positiv weitergeführt. Ramsay vernachlässigte nach Ansicht heutiger Forscher offensichtliche alttestamentlichen Bezüge (z.B. in den Christusattributen zu Beginn der jeweiligen Sendschreiben).

Anmerkungen

  1. Letzterer hat Johann Gottfried Herder veranlasst, die Briefe in Form von Jamben wiederzugeben. Vgl. Herder, Johannes Offenbarung. Ein heiligs Gesicht.
  2. Maier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche 184f.
  3. Maier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche 317.
  4. Maier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche 327.
  5. Maier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche 333.
  6. Maier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche 374f.
  7. Erklärte Offenbarung Johannis oder vielmehr Jesu Christi, S. 78f.; vgl. Maier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche 402f.

Literatur

1. Wissenschaftliche Literatur

  • Francis Vyvyan Jago Arundell: A visit to the seven churches of Asia : with an excursion into Pisidia; containing remarks on the geography and antiquities of those countries. London 1828.
  • Ferdinand Hahn: Die Sendschreiben der Johannesapokalypse. In: Tradition und Glaube, FS Kuhn, 1971, S. 357 ff.
  • Colin J. Hemer: The letters to the seven churches of Asia in their local setting. Sheffield 1986, 2001. ISBN 0-905774-95-7
  • Gerhard Maier: Die Johannesoffenbarung und die Kirche (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 25), Tübingen 1981.
  • Otto F. A. Meinardus: St. John of Patmos and the seven churches of the Apocalypse. Athen 1974 = ders., Johannes von Patmos und die sieben Gemeinden der Offenbarung. Würzburg 1994. ISBN 3-927894-17-6
  • William Mitchell Ramsay: The letters of the seven churches of Asia and their place in the plan of the Apocalypse. London 1904. [1]
  • Charles H.H. Scobie: Local References in the Letters to the Seven Churches, New Testament Studies 39. Jg., 1993, S. 606-624

2. Allgemeinverständliche Literatur

Weblinks


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