Sexuelle Befreiung

Sexuelle Befreiung

Der Begriff sexuelle Revolution bezeichnet einen historischen Wandel im öffentlichen Bewusstsein bezüglich der Sexualmoral.

Inhaltsverzeichnis

Ursprünge - Wilhelm Reich

Der Ausdruck Sexuelle Revolution, und deren Aussagen, geht auf Wilhelm Reichs 1945 veröffentlichtes Werk The Sexual Revolution (deutsch 1966, erstmals jedoch 1936 unter dem Titel Die Sexualität im Kulturkampf) mit gleichem Namen zurück. Dreißig Jahre nach Magnus Hirschfeld (Arzt), Otto Gross (Arzt) und Karl Kraus (Satiriker, Sittlichkeit und Kriminalität) kritisierte Wilhelm Reich darin die aus seiner Sicht bigotte und verlogene Sexualmoral seiner Zeit. Nach Reichs Auffassung bringe Doppelmoral und Unterdrückung der vitalen sexuellen Triebe Persönlichkeitsdeformationen mit sich und führe so zu Aggression und Frustration, welche verdrängt würden und sich oft in Lust an Herrschaft und Hierarchie ein Ventil schaffen müssten.
Nach Reichs Auffassung brächte eine Befreiung der Sexualität eine friedliche Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen mit sich: Menschen, die in befriedigenden Zusammenhängen lebten, ließen sich nicht oder schwer in Herrschaftsstrukturen einbinden oder für gewaltsame Aktionen mobilisieren.
Des Weiteren lähme die Unterdrückung der Sexualität die kreativen Potenziale der einzelnen Personen und stütze so das kapitalistische System, in dem die einzelnen strukturell ihrer Unterdrückung nichts oder wenig entgegensetzen könnten.

Neuorganisation der Familie (Marcuse/Fourier)

Zu den wesentlichen geistigen Einflüssen der Sexuellen Revolution gehörten auch die Ideen von Herbert Marcuse, der ebenfalls eine Neuorganisiation des gesellschaftlichen Miteinanders jenseits von patriarchaler und institutionalisierter Kleinfamilie forderte.
Gedanken zur Schaffung neuer Organisationsformen des Miteinander Lebens waren auch schon vorher, etwa beim Frühsozialisten Charles Fourier im beginnenden 19. Jahrhundert formuliert worden.

Sexuelle Freiheit (Freud / Gross)

Forderung nach sexuellen Freiheiten stießen in weiten Kreisen der 68er auf experimentierfreudiges und großes Interesse – einerseits wollte man sich von der „bigotten Prüderie“ der 1950er-Jahre befreien, andererseits war die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung und die Furcht vor Strukturen, wie Horkheimer und Adorno in ihrer Studie über den autoritären Charakter und Wilhelm Reich in seiner Massenpsychologie des Faschismus analysierte, gerade auch in Folge der Schrecken des Naziregimes sehr groß (Enthemmung). Durch die Unterdrückung von vitalen Trieben sahen viele 68er den Menschen in seiner Persönlichkeit deformiert, und darin die Ursache für die Bereitschaft, anderen Menschen so Entsetzliches anzutun wie im so genannten Dritten Reich geschehen. Hier kamen auch die Schriften Sigmund Freuds zum Tragen, der – wenn auch mit anderer Gewichtung - ebenfalls die folgenschwere Unterdrückung der Sexualität als überaus mächtigen Trieb thematisiert hatte, aber - anders als sein Schüler Otto Gross – nicht dessen Entfaltung, sondern ebenfalls einer Hemmung das Wort redete. Die neuen sexuellen Freiheiten - zusätzlich befördert durch die zeitgleiche Marktreife der Anti-Baby-Pille – wurden häufig vehement und mit sehr viel Rückhalt in kirchlich/konservativen Kreisen bekämpft, führten aber gesellschaftlich sehr viel weiter als andere politische Forderungen der 68er-Bewegung (Flower-Power-Bewegung). Aus der 68er-Bewegung rekrutierten sich auch die ersten Vertreter der zweiten deutschen Schwulenbewegung, innerhalb derer – in Westdeutschland anders als in anderen westlichen Ländern – gerade der Widerspruch politisch-allgemeiner versus persönlich-individueller Freiheiten zu großen Meinungsverschiedenheiten führten (so genannter Tuntenstreit, Eklat in der Bonner Beethovenhalle).

Kommerzialisierung, Sexwelle der 1960er Jahre

Anstelle der sexualwissenschaftlich und links-libertär propagierten Befreiung der sexuellen Bedürfnisse als Teil oder auch Mittel einer umfassenden und grundlegenden Veränderung von Mensch und Gesellschaft, folgte auf die Liberalisierung der die Sexualität betreffenden Gesetze (Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er) die sogenannte Sexwelle in den Medien. Diese wurde von den Befürwortern der Sexuellen Revolution kritisiert, insofern sie die unbefreite Sexualität lediglich vermarkte und das ursprüngliche Ziel – lt. UT von Reichs Buch Die Sexuelle Revolution die „charakterliche Selbststeuerung des Menschen“ – völlig aus den Augen verlor. Annette Miersch kam in ihrem Buch Schulmädchen-Report (Bertz, 2003) zu dem Ergebnis: „Eine sexuelle Revolution im gesellschaftstheoretischen Sinne ihrer geistigen ,Großväter‘ hat in der BRD nicht stattgefunden – weder damals noch irgendwann später. Stattdessen wurde unter gleichem Namen ein Medienhype entfesselt.“ (S. 205) Allerdings kam es seit den späten 1960er Jahren seitens einer Minderheit zur Etablierung alternative Lebensformen, bei denen auch neue Weisen des sexuellen Miteinanders erprobt wurden.

Kritik an der Sexuellen Revolution

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Viele Menschen, oft religiöse, kritisieren an der sexuellen Revolution, dass die Nachteile davon nicht überdacht würden, wie z. B. Sexsucht, Verbreitung von Aids und Geschlechtskrankheiten, unerwartete Schwangerschaften und daraus resultierende häufigere Abtreibungen. Außerdem verliere die Liebe zwischen zwei Menschen dadurch an Stellenwert. Diese Aussagen werden von anderen teilweise nachdrücklich bestritten.

Unabhängig davon verwies der sich allmählich entwickelnde Feminismus immer deutlicher auf die besondere Situation der Frau.

Literatur

  • Annette Miersch: Schulmädchen-Report: der deutsche Sexfilm der 70er Jahre. Berlin: Bertz + Fischer Verlag, 2003
  • Wilhelm Reich: Die sexuelle Revolution (1936; Neuaufl. 1966)
  • Wilhelm Reich: Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral (1932; erw. u. revid. Aufl. 1972)
  • Wilhelm Reich: Der sexuelle Kampf der Jugend (1932)
  • Wilhelm Reich: Die Funktion des Orgasmus (psychoanalyt. Fachbuch 1927; erw. u. revid. u.d.T. Genitalität 1982)
  • Wilhelm Reich: Die Funktion des Orgasmus (u. gl. Titel wiss. Autobiographie 1942 engl.; 1969)
  • Reimut Reiche: Sexualität und Klassenkampf (Zur Kritik repressiver Entsublimierung), Berlin 1968
  • Shulamith Firestone: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, 1970
  • Gay Talese: Du sollst begehren - Auf den Spuren der sexuellen Revolution, Rogner und Bernhard Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-8077-1034-1

Siehe auch

Weblinks


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