Seleukia-Ktesiphon

Seleukia-Ktesiphon
Archäologische Karte von Seleukia-Ktesiphon

Seleukia-Ktesiphon, Tell 'Umar (arabisch ‏المدائن‎, DMG al-Madāʾin ‚die Städte‘, persisch ‏تيسفونTisfun, auch als Beit-Ardaschir bekannt), war eine Doppelstadt im heutigen Irak, die aus den zusammenwachsenden Städten Seleukia am Tigris und Ktesiphon gebildet wurde. Die Doppelstadt war Hauptresidenz der Könige der Parther und der Sassaniden. Die Herkunft des Namens Ktesiphon (eigentlich ein griechischer Personenname) ist unklar. Die Stadt bestand etwa vom 4. Jh v. Chr bis in das 8. Jh. n. Chr.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Seleukia am Tigris (griechisch: Seleukeia), am rechten Ufer des Flusses Tigris gelegen, wurde von Seleukos I. nahe der alten Stadt Opis gegründet und – neben Antiochia am Orontes – zur Hauptresidenz des Seleukidenreiches erhoben. Im 2. Jahrhundert v. Chr. geriet sie unter parthische Herrschaft. Die Stadt wird unter anderem von Tacitus (Annalen, 6, 42) und Plinius dem Älteren beschrieben. Tacitus bemerkte vor allem, dass Seleukia eine mächtige, mit Mauern geschützte Stadt sei.

300 Bürger der Stadt bildeten einen Stadtrat griechischen Typs, dem eine Volksversammlung gegenüber stand; allerdings griff Artabanos II. in die Selbstverwaltung der Stadt ein, nachdem Seleukia seinen Rivalen Tiridates III. unterstützt hatte. Die Stadt war auch in parthischer Zeit zunächst weitgehend griechisch geblieben und blühte aufgrund der günstigen Lage weiter auf; die Bevölkerung soll in die Hunderttausende gegangen sein, wobei dort neben Griechen und Makedonen vor allem Juden und Syrer lebten, später auch zunehmend Parther. Es kam aber auch immer wieder zu Aufständen gegen die Parther, besonders nachdem die Partherkönige in der Nachbarschaft von Seleukia Vologesias gegründet hatten und förderten. Im Verlauf des späteren 1. Jahrhunderts n. Chr. verlor Seleukia dann offenbar zusehends seinen griechischen Charakter und wandelte sich zu einer weitgehend parthischen Stadt.

Ende 165 n. Chr. wurde Seleukia von römischen Truppen unter dem Kommando des Avidius Cassius gestürmt und geplündert, was das Ende für das einstige Zentrum des Hellenismus in Mesopotamien bedeutete. Bereits Septimius Severus fand auf seinem Partherfeldzug die Reste der Stadt praktisch unverteidigt vor; dennoch wurden in der Stadt noch zur Zeit Vologaeses’ VI. Münzen geprägt. Seleukia war unter anderem der Geburtsort des Diogenes von Babylon und des Seleukos von Seleukia.

Ktesiphon – der Name ist rein griechisch und evtl. eine Verballhornung eines lokalen Toponyms –, das an einer wichtigen Handelsroute lag, befindet sich ca. 35 km südöstlich von Bagdad am linken Ufer des Tigris direkt gegenüber von Seleukia (siehe oben). Die Parther erhoben Ktesiphon, welches bereits seit der Zeit der Seleukiden bekannt war, als Gegenstück zum griechischen Seleukia zur Winter- und Hauptresidenz und befestigten es schließlich, auch wenn Seleukia weiterhin eine wichtige Rolle spielte. Nach Ammianus Marcellinus (23, 6, 23) soll dies unter Vardanes (38 bis ca. 45) geschehen sein. Allerdings bezeichnet schon Tacitus (Annalen, 6, 44) die Stadt als Residenz von Tiridates III. (ein parthischer Usurpator, der im Jahr 36 zeitweise Mesopotamien besetzte).

Ruinen des sassanidischen Palastes

Die Stadt (man müsste genauer sagen: Städte, da es sich um ein Konglomerat von diversen Orten handelte) entwickelte sich unter den Sassaniden, die Seleukia-Ktesiphon ebenfalls als Hauptstadt nutzten (Istakhr und andere Orte wurden im Sommer genutzt, wenn das Klima in Seleukia-Ktesiphon zu unangenehm wurde, doch blieb Seleukia-Ktesiphon Hauptresidenz), aber zusätzlich vergrößerten, zu einer wahrhaftigen Großstadt, die schließlich vielleicht bis zu 500.000 Einwohner hatte. Sie wurde mehrmals von den Römern erobert (zuletzt 283) bzw. belagert (zuletzt 591), konnte von ihnen aber nie gehalten werden. Der letzte (ost-)römische Vorstoß auf Ktesiphon wurde von Kaiser Herakleios im Jahr 628 durchgeführt.

Nach der persischen Niederlage in der Schlacht von Kadesia (siehe Islamische Expansion) wurde die Stadt 637 n. Chr. von den Arabern erobert und teilweise zerstört, war jedoch in umayyadischer Zeit neben der islamischen Neugründung Kufa ein Zentrum der Schia. Der islamische Gouverneur Seleukia-Ktesiphons, Salmān al-Fārisī, ist eine bedeutende Figur der islamischen Gnosis. Seit der Gründung Bagdads 762 verfiel Seleukia-Ktesiphon endgültig.

Seleukia-Ktesiphon war unter den Sassaniden auch Zentrum der christlichen Kirche Persiens (Assyrische Kirche des Ostens). Spätestens 410 führte der Bischof als Großmetropolit der Kirche Persiens den Titel Katholikos. Ihm waren alle Metropoliten Mesopotamiens sowie alle Kirchen des Ostens (Persien, Indien, später auch Zentralasien und China) untergeordnet. Gegen Ende des 8. Jahrhunderts wurde auch der Sitz des Katholikos nach Bagdad verlegt.

Ausgrabungen

Angeblich aus Tell 'Umar stammt eine kassitische Tontafel mit einem Rezept für Bleiglasur, die sich heute im Britischen Museum befindet[1]. Der Text der Tontafel ist in das erste Regierungsjahr von Gulkišar datiert, Landsberger hält ihn jedoch für eine kassitische Fälschung[2],

Ruinen von Ktesiphon auf einer irakischen Briefmarke von 1923.

Der Ort der antiken Stadt ist nur ungenügend archäologisch erschlossen. Während des Ersten Weltkrieges wurden die Ruinen bei Kämpfen zwischen Truppen des Osmanischen Reiches und britischen Truppen weiter schwer beschädigt. Grabungen fanden in Seleukia 1927–1932 und 1936–1937 durch die University of Michigan statt, wobei vor allem eine große Insula untersucht worden ist. In diesem Häuserblock fanden sich teilweise sehr reich ausgestattete Wohneinheiten. Es konnten vier Schichten (von ca. 300 v. Chr. bis 200 n. Chr.) unterschieden werden. Die Ausgrabungsergebnisse sind in mehreren Bänden vorgelegt worden, Funde sind im Kelsey Museum der University of Michigan ausgestellt.[3] Von 1964 bis 1989 grub hier auch eine italienische Mission der Universität Turin. Sie fanden unter anderem ein Gebäude, das anscheinend in seleukidischer Zeit als Staatsarchiv benutzt worden ist. 30.000 Siegelabdrücke in Ton konnten dort ausgegraben werden, fast alle in einem rein griechischen Stil gehalten. Das Gebäude ging anscheinend bei der parthischen Eroberung um 150 v. Chr. in Flammen auf. Sondagen haben zudem gezeigt, dass die Stadt von zwei Kanälen, einem in ost-westlicher und einem in nord-südlicher Richtung, durchkreuzt wurde.

Selbst die Identifizierung der Ruinen von Ktesiphon ist umstritten. Genau neben Seleukia befindet sich eine große runde Stadtanlage, die meist als Ktesiphon bezeichnet wird. Deutsche Ausgrabungen an dem Ort haben bisher nur partherzeitliche Grabanlagen, jedoch keine parthischen Siedlungsschichten zu Tage gefördert. Italienische Ausgrabungen fanden ein Handwerkerviertel. Alle hier gefundenen Siedlungsreste datieren in die Zeit der Sassaniden, darunter befinden sich auch die Reste einer frühchristlichen Kirche. Diese Stadt (oder dieser Stadtteil) ist daher mit Veh-Ardashir, einer Gründung von Ardaschir I. identifiziert worden. Ein endgültiger Beweis für diese Identifizierung steht jedoch noch aus. Dies gilt auch für Chosroeantiochia bzw. Rumagan, einen Stadtbezirk, in dem um 540 römische Kriegsgefangene angesiedelt wurden und der bis heute nicht identifiziert werden konnte. Dass sich der Lauf des Tigris in der Vergangenheit wiederholt verändert hat, verkompliziert die Lage zusätzlich. Viele antike Bauten dürften zerstört oder unter meterdicken Sedimentschichten begraben worden sein.

Etwas nördlich der runden Stadtanlage von Veh-Ardashir fanden sich bei irakischen Grabungen frühislamische Häuser, die teilweise reich mit Stuckaturen dekoriert waren und ein gehobenes Wohnniveau noch für diese Zeit belegen.

Die einzige heute zu sehenden Ruine ist der sassanidische (wohl von Chosrau I. erbaute oder fertiggestellte) Palast Taq-e Kisra, der vor allem durch sein Gewölbe bemerkenswert ist. Der Palast liegt in einem Siedlungsgebiet außerhalb der großen runden Stadtanlage.

Siehe auch

Literatur

  • Stefan Hauser: Vēh Ardashīr and the Identification of the Ruins at Al-Madā'in, in: A. Hagedorn / A. Shalem (eds.): Facts and Artefacts. Art in the Islamic World, Leiden/Boston 2007, S. 461-486.
  • Jens Kröger: Ctesiphon. In: Encyclopædia Iranica. Bd. 6, S. 446–448.
  • Mariamaddalena Negro Ponzi: Al-Ma'in: Problemi di Topografia. In: Mesopotamia XL. 2005, S. 145–169.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. BM 120960
  2. Benno Landsberger, Assyrische Königsliste und "Dunkles Zeitalter". Journal of Cuneiform Studies 8/2, 1954, 69
  3. Past fieldwork: Seleucia on the Tigris im Kelsey Museum of Archaeology der University of Michigan
33.09361111111144.580833333333

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