Sejm

Sejm
Sejm
Staatswappen Parlamentsgebäude
Logo Budynek Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej (Warschau
Basisdaten
Sitz: Sejmgebäude,
Warschau
Legislaturperiode: 4 Jahre
Abgeordnete: 460
Aktuelle Legislaturperiode
Letzte Wahl: 9. Oktober 2011
Vorsitz: Sejmmarschall
Grzegorz Schetyna (PO)
Sitzverteilung: Platforma Obywatelska (Bürgerplattform; PO) 207 Sitze

Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit; PiS) 157 Sitze
Puch Palikota (Palikot-Bewegung; RP) 40 Sitze
Polskie Stronnictwo Ludowe (Polnische Bauernpartei; PSL) 28 Sitze
Sojusz Lewicy Demokratycznej (Bund der Demokratischen Linken; SLD) 27 Sitze
Komitet Wyborczy Mniejszość Niemiecka (Wahlkomitee Deutsche Minderheit) 1 Sitz

Website
www.sejm.gov.pl

Der Sejm [sεjm] bildet neben dem Senat eine der beiden Kammern des polnischen Parlaments. Er umfasst 460 Mitglieder, welche nach einem Verhältniswahlrecht gewählt werden. In seiner heutigen Form existiert der Sejm seit dem Ende der Volksrepublik und dem damit einhergehenden Beginn der Dritten Republik 1989. Die Geschichte dieses Parlaments reicht weit zurück bis in die Frühe Neuzeit, als der Sejm noch eine Vertretung der polnischen Adels (Szlachta) darstellte.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

1791, der „Große“ oder Vier-Jahres-Sejm von 1788–1792 nimmt die Verfassung vom 3. Mai im Warschauer Königsschloss an
Enttrohnung des Zaren Nikolaus I., letzter gekrönter König Polens, am 25. Januar 1831 durch den Sejm im Novemberaufstand

Der Name geht zurück auf den Reichstag im alten polnischen Königreich, wo sich alle Adeligen, unabhängig von der Größe ihres Landbesitzes, seit dem 15. Jahrhundert trafen, um den König zu wählen. Im Laufe der Zeit entwickelte er sich zu einem Machtzentrum neben dem König. Insbesondere nach der Union von Lublin spielte der Sejm in der sogenannten Adelsrepublik eine große Rolle. Er bestand, bis zu seiner Abschaffung im Zuge der Teilungen Polens am Ende des 18. Jahrhunderts, aus zwei Kammern. Es gab zum einen eine obere Kammer, den Senat, der sich vor allem aus Magnaten und hohen Geistlichen zusammensetzte, zum anderen eine untere Kammer, die sog. Abgeordnetenkammer (poln. Izba Poselska) auch Landbotenkammer genannt, die sich aus den gewählten Vertretern des Landadels (poln. Szlachta) zusammensetzte. Im 18. Jahrhundert kam es immer wieder zu einem Stummen Sejm, bei dem den Abgeordneten das Rede- und Widerspruchsrecht untersagt war.

Mit dem Stummen Sejm von 1717 beginnt die massive Einmischung Russlands in die polnischen Angelegenheiten, die sich im Polnischen Thronfolgekrieg fortsetzte.

1767/68 kam es zu zwei rivalisierenden Parteibildungen in Polen. Die eine (nachfolgend in der Konföderation von Bar organisiert) trat für weitreichende Reformen ein, die andere (Konföderation von Radom) war mit russischer Unterstützung dagegen. Unter dem Schutz russischer Einmischung (Zarin Katharina II.) tagte 1768 ein Stummer Sejm, der für freie Königswahl und Einstimmigkeit der Reichstagsentscheidungen (Liberum Veto) stand. Die folgenden Kämpfe der Konföderation von Bar gegen russische Truppen unter General Suworow führten zur Ersten Teilung Polens. Diese wurde in einem weiteren Stummen Sejm 1773 sanktioniert.

In Polen wurden nach der Ersten Teilung die Bemühungen um Reformen durch den König Stanisław August Poniatowski verstärkt. Nach der Französischen Revolution gab sich Polen am 3. Mai 1791 im Warschauer Königsschloss als erstes Land Europas eine Verfassung. Diese wurde von der von Russland korrumpierten Konföderation von Targowica (1792) abgelehnt. Der seiner Macht beraubte konservative Teil des polnischen Adels bat bei der Kaiserin um russische Intervention, um die alte Ordnung inklusive Liberum Veto wiederherzustellen. Die russischen Truppen marschierten im Mai 1792 mit der offiziellen Begründung in Polen ein, dort sei eine Jakobinerherrschaft im Entstehen. Dies führte zur Zweiten Teilung 1793. An dieser war Österreich nicht beteiligt. Am 23. September 1793 musste der von russischen Truppen umstellte Sejm von Grodno in einer „stummen Sitzung“ der abermaligen Teilung Polens zustimmen.

In der Zweiten Republik 1918 bis 1939 bestand ein bikamerales Parlament.

Siehe hierzu: Sejm (Zweite Republik) und für die Verfassungsgebende Versammlung: Sejm Ustawodawczy.

Heutiges Parlament

Plenarsaal

Laut der derzeit gültigen Verfassung der Republik Polen von 1997 übt der Sejm der Republik Polen (poln. Sejm Rzeczypospolitej Polskiej), gemeinsam mit dem Senat der Republik Polen die gesetzgebende Gewalt in Polen aus. Er bildet außerdem, wenn die Abgeordneten und die Senatoren gemeinsam beraten, die Nationalversammlung (poln. Zgromadzenie Narodowe). Ebenfalls laut der Verfassung, besteht der Sejm aus 460 Abgeordneten, die in Wahlen gewählt werden, die fünf Kriterien entsprechen müssen: allgemein, frei, gleich, geheim, proportional (d.h. nach Verhältniswahlrecht). Hierbei gilt eine Sperrklausel von 5 Prozent für Parteien und freie Listen bzw. 8 Prozent für Zusammenschlüsse von Parteien, von der lediglich Vertreter der nationalen Minderheiten ausgenommen sind. Der Präsident des Sejm ist ein aus der Mitte der Abgeordneten gewählter Sejmmarschall (poln. Marszałek Sejmu).

Im politischen Gefüge der Republik nimmt der Sejm eine zentrale Rolle ein. Es kommt ihm nicht nur die, gegenüber dem Senat, dominante Rolle in der Gesetzgebung zu, auch die Exekutive in Gestalt der Regierung (offiziell Ministerrat; poln. Rada Ministrów) ist maßgeblich von ihm abhängig. Zwar wird der Ministerpräsident (offiziell Vorsitzender des Ministerrates; poln. Prezes Rady Ministrów; kurz Premier) und auf dessen Vorschlag auch die Minister, ohne Wahl durch das Parlament vom Staatspräsidenten ernannt, jedoch muss sich jede neu berufene Regierung innerhalb von zwei Wochen einem Vertrauensvotum im Sejm stellen. Außerdem kann der Sejm jederzeit durch die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten die amtierende Regierung stürzen. Zudem ist der Ministerpräsident verpflichtet, auf der ersten Sitzung eines neugewählten Sejm den Rücktritt seiner Regierung einzureichen. Der Sejm ist ebenso, teilweise zusammen mit anderen Staatsorganen (Senat, Staatspräsident) für die Berufung in verschiedene weitere hohe Staatsämter zuständig (z.B. Verfassungsrichter, Nationalbankpräsident, etc.). Darüber hinaus folgt der Vorsitzende des Sejms, der Sejmmarschall, gemäß der Konstitution in der Rangfolge direkt hinter dem Präsidenten und steht somit noch vor dem Premierminister. Nach dem Flugzeugabsturz bei Smolensk im April 2010, bei dem der polnische Präsident Lech Kaczyński ums Leben kam, war es dann auch der amtierende Sejmmarschall Komorowski der das Präsidentenamt interimsmäßig übernahm.

Was die Gesetzgebung betrifft, so müssen alle Gesetze vom Sejm verabschiedet werden. Der Senat kann diese zwar ablehnen bzw. Änderungen vorschlagen und auch der Staatspräsident kann sein Veto einlegen, beides kann jedoch vom Sejm überstimmt werden. Zum Überstimmen des Vetos des Staatspräsidenten ist allerdings eine 3/5 Mehrheit der Stimmen nötig. Auch müssen alle völkerrechtlichen Verträge um gültig zu werden im gleichen Verfahren wie Gesetze vom Sejm ratifiziert werden.[1]

Gehalt, Diät und Kostenpauschalen

Die Abgeordneten des Sejm beziehen ein Gehalt von 9.892,30 PLN und eine nicht zu versteuernde Diät von 2.473,08 PLN im Monat.[2] Jedes Mitglied vom Finanz-, EU- und Rechtsausschuss bekommt 10 % Zulage. In den anderen Ausschüssen bekommen die Vorsitzenden 20 % und die Vizevorsitzenden 15 % Zulage. Dazu bekommt jeder Volksvertreter monatlich 10.000 PLN zur Unterhaltung seines Abgeordnetenbüros im Wahlkreis und eine jährliche Pauschale von 7.600 PLN für Übernachtungen außerhalb von Warschau. Ferner stehen den Abgeordneten jeweils eine Limousine mit Fahrer, kostenlose Taxifahrten in Warschau sowie kostenlose Fahrten mit allen öffentlichen Verkehrsmitteln zu (Polnische Staatsbahn PKP, staatliche Busbetriebe PKS und kommunale Verkehrsbetriebe). Das Grundgehalt des Sejmmarschalls beträgt 10.705 PLN plus 3.453 PLN Funktionszulage. Die Vize-Sejmmarschälle erhalten 9.842 PLN Grundgehalt plus 2.762 PLN Funktionszulage. Für Dienstfahrten mit dem privaten Pkw können die Abgeordneten 0,52 bis 0,84 PLN pro Kilometer abrechnen (maximal 3.500 km im Monat).[3]

Wahlergebnisse zum Sejm seit 1991

1. Legislaturperiode (1991–1993)

Für die Wahl zum polnischen Parlament 1991 wurden die 460 Sitze des Sejm in zwei getrennten Mandatskontingenten gewählt. 85 % der Sitze (391) wurden auf subnationaler Ebene (Woiwodschaften), 15 % der Sitze (69) auf nationaler Ebene (Landesliste) bestimmt. Die Abgeordneten wurden in 37 Mehrpersonenwahlkreisen mit 7 bis 17 Mandaten gewählt. Eine Sperrklausel existierte nur auf nationaler Ebene für die Landeslisten – sie lag bei 5 %. Für die Wahlkreislisten gab es dagegen keine Hürde, so dass bereits wenige Prozente ausreichten, um ein Mandat zu gewinnen. Grund für diese fehlende Sperrklausel war der Wunsch, nach den Jahren der Volksrepublik, möglichst allen gesellschaftlichen Gruppierungen die Chance einer parlamentarischen Vertretung zu ermöglichen. So nimmt es nicht Wunder, dass insgesamt 111 Wahlkreislisten und 47 Landeslisten zur Wahl antraten. Bei den Gründungswahlen zogen daher insgesamt 29 Parteien in den Sejm ein, 11 davon mit nur einem Sitz. Ein Konzentrationseffekt blieb aus, das parlamentarische Parteiensystem der ersten Legislaturperiode war somit stark fragmentiert. Die Regierungsbildung gestaltete sich dementsprechend schwierig. Eine Mehrheit von mindestens 231 Sitzen wäre erst durch den Zusammenschluss von wenigstens fünf Parteien möglich gewesen.

Aufgrund dessen schlug Staatspräsident Lech Wałęsa die Bildung eines Expertenkabinetts unter seiner Führung vor. Da fast alle im Sejm vertretenen Parteien ein solches Präsidialkabinett ablehnten, beauftragte Wałęsa den Vorsitzenden der Demokratischen Union (UD), Bronisław Geremek, mit der Regierungsbildung. Da dieser Versuch scheiterte, wurde der Vorsitzende der Zentrumsallianz (PC), Jan Olszewski, mit der Bildung der Regierung beauftragt. Er schmiedete eine konservativ-liberal-katholische Fünf-Parteien-Minderheitsregierung. Trotz fehlender Koalitionsmehrheit wird Olszewski mit über 60 Prozent der Stimmen im Sejm zum Premierminister gewählt. Nur ein halbes Jahr später wird er durch Misstrauensvotum gestürzt. Auf Wunsch des Staatspräsidenten wählt der Sejm den PSL-Vorsitzenden Waldemar Pawlak mit großer Mehrheit (70,8 %) zum Premier. Da es ihm aber nicht gelang eine Regierung aufzustellen, trat er nur einen Monat später zurück. Nachdem Wałęsa nun mit außerordentlichen Maßnahmen wie der Auflösung des Parlaments oder doch der Bildung einer Präsidialregierung drohte, konnte die UD-Politikerin Hanna Suchocka eine Sieben-Parteien-Koalition aus liberalen, konservativen, christdemokratischen, katholischen und bäuerlichen Kräften zusammenstellen und wurde im Juli 1992 vom Sejm zur Premierministerin gewählt. Im Mai 1993 wird Suchocka jedoch durch Misstrauensvotum gestürzt, nachdem die Gewerkschaft Solidarność den entsprechenden Antrag gestellt hat, um die Premierministerin in den laufenden Tarifverhandlungen unter Druck zu setzen. Wałęsa löste das Parlament auf und setzte Neuwahlen an. Einen Tag vor der Auflösung wird jedoch noch ein neues Wahlgesetz verabschiedet, welches die starke Dekonzentration zukünftig verhindern soll.

Partei Prozent [4] Sitze
Demokratische Union (UD) 12,3 62
Bund der Demokratischen Linken (SLD) 12,0 60
Konföderation des unabhängigen Polen (KPN) 7,5 46
Polnische Bauernpartei (PSL) 8,7 48
Katholische Wahlaktion (WAK) 8,7 49
Zentrumsallianz (PC) 8,7 44
Liberal-Demokratischer Kongress (KLD) 7,5 37
Bauernallianz (PL) 5,5 28
„Solidarność“ 5,1 27
Polnische Partei der Bier-Freunde (PPPP) 3,3 16
Deutsche Minderheit (MN) 1,17 7

Wahlbeteiligung: 43,20 %

2. Legislaturperiode (1993–1997)

Angesichts des letzten Wahlergebnisses wurde das Wahlgesetz für die Parlamentswahlen 1993 geändert. Die Wahlkreise wurden verkleinert, so dass nunmehr 52 Wahlkreise entsprechend den 49 Woiwodschaftsgrenzen existierten; die Woiwodschaften Warschau und Kattowitz wurden in zwei bzw. drei Wahlkreise geteilt. Die Wahlkreisgröße verringerte sich auf 3 bis 17 Mandate. Die Entstehung von Wahlkreisen mittlerer Größe begünstigte stimmenstärkere Parteien. Neben der Neueinteilung der Wahlkreise wurden Sperrklauseln auf der Wahlkreisebene eingeführt. Um bei der Mandatsverteilung berücksichtigt zu werden, mussten Parteien fortan 5 % der Stimmen auf sich vereinigen, für Wahlkoalitionen galt eine 8 %-Hürde. Auf nationaler Ebene wurde die Sperrklausel auf 7 % erhöht. Die Neuregelungen verfehlten ihre Wirkung nicht: Insgesamt traten nur noch 35 Wahlkreislisten und 15 Landeslisten zur Wahl an. Nur noch sieben Parteien zogen in den Sejm ein. Die vier stärksten Fraktionen vereinigten mehr als 90 % der Stimmen auf sich. Das Parteiensystem war weit weniger fragmentiert und deutlich stabiler als in der vorangegangenen Wahlperiode. Fast alle Parteien des Post-Solidarność-Lagers scheiterten allerdings an den Hürden, da sie die Auswirkungen des neuen Wahlsystems unterschätzten und daher stark zersplittert kandidierten. Aufgrund dessen blieben mehr als ein Drittel der Stimmen in der zweiten Legislaturperiode unrepräsentiert. Die Disproportionseffekte waren daher für ein Verhältniswahlsystem überaus stark. Die Mandatsanteile der im Sejm vertretenen Parteien lagen in Relation stark über den Wahlergebnissen, so dass es dem post-sozialistischen Wahlbündnis Bund der Demokratischen Linken (SLD) und der aus der sozialistischen Vereinigten Bauernpartei (ZSL) hervorgegangen Polnischen Bauernpartei (PSL) möglich war, eine Koalition zu bilden. Obwohl die Koalitionsfraktionen nur ein Drittel der Stimmen gewannen, stellten sie knapp zwei Drittel der Abgeordneten. Die Bildung dieser post-kommunistischen Regierung führte jedoch unter einem Staatspräsidenten aus dem Post-Solidarność-Lager zu einer Cohabitation, die zahlreiche Spannungen und Machtkonflikte verursachte. Insbesondere Lech Wałęsa provozierte häufig, indem er die Verfassung stark ausreizte und mitunter auch überreizte. Erst durch die Wahl des SLD-Kandidaten Aleksander Kwaśniewski zum Staatspräsidenten 1995 gestaltete sich die Zusammenarbeit kooperativer.

Erster Premierminister der Legislaturperiode wurde entgegen üblicher Koalitionsvereinbarungen der Vorsitzende des Juniorpartners PSL, Waldemar Pawlak. Dieser wurde jedoch im März 1995 durch Misstrauensvotum gestürzt. Trotzdem blieb die Koalition bestehen. Pawlaks Nachfolger wurde der bisherige Sejm-Marschall Józef Oleksy (SLD). Nachdem dieser in den Verdacht der Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst geriet und im Januar 1996 zurücktrat, wurde Włodzimierz Cimoszewicz (SLD) sein Nachfolger.

Partei Prozent +/- Sitze +/-
Bund der Demokratischen Linken (SLD) 20,41 +7,37 171 +111
Polnische Bauernpartei (PSL) 15,4 +4,53 132 +82
Demokratische Union (UD) 10,59 -2,89 74 +12
Arbeitsunion (UP) 7,28 41
Konföderation des unabhängigen Polen (KPN) 5,77 -5,32 22 -29
Parteiloser Block zur Unterstützung der Reformen (BBWR) 5,41 16
Samoobrona 2,78
Deutsche Minderheit (MN) 0,80 -0,37 4 -3

Wahlbeteiligung: 52,08 %

3. Legislaturperiode (1997–2001)

Jerzy Buzek, Premierminister 17. Oktober 1997 bis 19. Oktober 2001

Bei den Wahlen zum Sejm 1997 wurde das Wahlgesetz erstmals ohne Modifikationen übernommen. Angesichts des enttäuschenden Ergebnisses für das Post-Solidarność-Lager bei den Parlamentswahlen 1993 und den Präsidentschaftswahlen 1995, bei denen der SLD-Kandidat Aleksander Kwaśniewski gegen Lech Wałęsa gewann, schlossen sich etwa 40 Gruppierungen zur Wahlaktion Solidarność (AWS) zusammen. Dieser Konzentrationseffekt führte zu einer weiteren Reduktion der Kandidatenlisten (24 Wahlkreisliste; 10 Landeslisten). Durch den Zusammenschluss zum gemeinsamen Wahlbündnis gelang es der Rechten nun sogar die meisten Sitze zu erringen und damit, zusammen mit der Freiheitsunion (UW) eine gemeinsame Regierung zu bilden. Premierminister wurde Jerzy Buzek, nachdem der von den Koalitionspartnern und vom Staatspräsidenten befürwortete AWS-Vorsitzende Marian Krzaklewski ablehnte und lediglich Fraktionsvorsitzender werden wollte. Durch die Bildung der neuen Rechtsregierung kam es zu einer erneuten Cohabitation, welche sich aber weniger konfliktreich und destruktiv gestaltete. Noch während der Wahlperiode zerfiel das AWS-Bündnis zusehends. Die UW verließ zudem aufgrund mangelnder Fraktionsdisziplin der AWS die Koalition. Dennoch blieb Buzek als erster Premierminister bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt – nicht zuletzt aufgrund der Verabschiedung der neuen Verfassung 1997, welche statt des einfachen Misstrauensvotums nunmehr nur noch ein konstruktives Misstrauensvotum erlaubt.

Im Vergleich zur vorhergehenden Wahl sank der Disproportionseffekt von über einem Drittel auf unter ein Achtel. Die Filterwirkung der Sperrklausel fiel deutlich geringer aus, verhinderte aber weiterhin eine Dekonzentration des Parteiensystems. Insgesamt zogen sechs Parteien in den Sejm ein, von denen die vier stärksten allein über 98 % der Mandate auf sich vereinigten.

Partei Prozent +/- Sitze +/-
Wahlaktion Solidarność (AWS) 33,83 201
Bund der Demokratischen Linken (SLD) 27,13 +6,72 164 -7
Freiheitsunion (UW) 13,37 60
Polnische Bauernpartei (PSL) 7,31 -8,09 27 -105
Bewegung für den Wiederaufbau Polen (ROP) 5,56 6
Arbeitsunion (UP) 4,74 -2,54 -41
Samoobrona 0,08 -2,70 ±0
Deutsche Minderheit (MN) 0,62 -0,18 2 -2

Wahlbeteiligung: 47,93 %

4. Legislaturperiode (2001–2005)

Leszek Miller, Premierminister 19. Oktober 2001 bis zum 2. Mai 2004
Marek Belka, Premierminister 2. Mai 2004 bis 10. Oktober 2005

Nach der Wahlniederlage der SLD und der Arbeitsunion (UP) 1997, schlossen sich die beiden Parteien zu einem Wahlbündnis zusammen. Angesichts des sich in Umfragen abzeichnenden Wahlsiegs der Wahlkoalition beschloss die AWS-Regierung kurz vor Ende der Legislaturperiode das Wahlgesetz zu ändern, so dass kleinere Parteien bevorzugt werden. Die unterschiedlichen Wahlkontingente wurden abgeschafft. Eine Wahlgesetzänderung wurde auch aufgrund der Verwaltungsreform 1999 notwendig, in der die 49 Woiwodschaften auf 16 reduziert wurden. Fortan werden alle Abgeordneten des Sejm in 41 Mehrpersonenwahlkreisen mit 7 bis 19 Mandaten gewählt. Die Sperrklauseln blieben erhalten. Auf diese Weise erlangten SLD und UP lediglich 216 Sitze und verpassten die Mehrheit von 231 Sitzen. Geht man von Berechnungen nach dem alten Wahlsystem aus, hätte die Wahlkoalition die Mehrheit der Mandate errungen und wäre auf keinen Koalitionspartner angewiesen gewesen.

Die AWS stürzte auf nur noch 5,6 % und verpasste den Einzug ins Parlament. Stattdessen zogen die aus der AWS entstandenen Parteien Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter den Kaczyński-Zwillingen mit 9,5 % und die Bürgerplattform (PO) unter Donald Tusk mit 12,7 % sowie die radikalen Parteien Samoobrona (10,2 %) und Liga Polnischer Familien (LPR) (7,9 %) ein. Die AWS wurde mit dem Wahlergebnis für gravierende Fehler während der Regierung, misslungene Reformprojekte und der Unfähigkeit zur Organisation eines stabilen Rechtsbündnisses abgestraft. Auch die UW als Koalitionspartner der AWS erhielt einen Denkzettel und zog nicht erneut ins Parlament ein.

Die UP zog, wie auch im Vorfeld der Wahl vereinbart, mit ihren 16 Abgeordneten als selbstständige Fraktion in den Sejm ein und besiegelte dann eine förmliche Koalition mit der SLD. Dritter Koalitionspartner wurde die PSL, die aber 2003 die Koalition aufgrund ihrer schwankenden Haltung zum EU-Beitritt verlassen musste. Premierminister wurde Leszek Miller, der jedoch aufgrund seiner Vergangenheit als Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros der PZPR nicht unumstritten war. Die Regierungszeit war durch zahlreiche Korruptionsaffären geprägt. Miller trat kurz nach dem EU-Beitritt Polens im Mai 2004 zurück. Sein Nachfolger wurde der Wirtschaftswissenschaftler Marek Belka, der die Minderheitsregierung bis zum Ende des Legislaturperiode führte.

Partei Prozent +/- Sitze +/-
Bund der Demokratischen Linken (SLD) / Arbeitsunion (UP) 41,04 +9,17 216 +52
Bürgerplattform (PO) 12,68 65
Samoobrona 10,20 +10,12 53
Recht und Gerechtigkeit (PiS) 9,50 44
Polnische Bauernpartei (PSL) 8,98 +1,67 42 +15
Liga Polnischer Familien (LPR) 7,87 38
Wahlaktion Solidarność (AWSP) 5,60 -28,23 -201
Freiheitsunion (UW) 3,10 -10,27 -60
Deutsche Minderheit (MN) 0,36 -0,26 2 ±0

Wahlbeteiligung: 46,29 %

5. Legislaturperiode (2005–2007)

Kazimierz Marcinkiewicz, Premierminister 31. Oktober 2005 bis 14. Juli 2006
Jarosław Kaczyński, Premierminister 14. Juli 2006 bis 16. November 2007

Bei den Parlamentswahlen 2005 wurde die SLD für die zahlreichen Korruptionsaffären deutlich abgestraft. Die Partei fiel auf nur noch 11,3 % zurück. Profitieren konnten davon die AWS-Nachfolge-Parteien PO und vor allem PiS, die mit ihren Law and Order-Parolen stärkste Partei wurde. Obwohl im Vorfeld der Wahlen bereits Koalitionsgespräche mit der PO angestrebt wurden, orientierte sich die PiS nach der Wahl eher an die überraschend stark ins Parlament eingezogenen rechtsnationalen Parteien Samoobrona und Liga Polnischer Familien (LPR). Die Sondierungsgespräche mit der PO wurden daher nicht ernsthaft geführt, weshalb die PiS vorerst eine Minderheitsregierung unter der Führung von Kazimierz Marcinkiewicz bildete. Jarosław Kaczyński verzichtete als Parteivorsitzender auf den Posten des Premierministers, um die Chancen seines Zwillingsbruders Lech bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen nicht zu gefährden. Die Zwillingsbrüder versprachen nicht gemeinsam die höchsten Staatsämter zu bekleiden, da dies in der Bevölkerung auf große Skepsis stieß. Im Mai 2006 bildete die PiS schließlich eine rechtnationale Koalition mit den beiden Parteien Samoobrona und LPR. Nur zwei Monate später trat Marcinkiewicz als Premier zurück und machte somit den Platz frei für Jarosław Kaczyński, der das Amt trotz des Sieges seines Zwillingsbruder Lech, der seit Dezember 2005 Staatspräsident war, und entgegen vorheriger Versprechen übernahm. Im August 2007 brach die rechtsnationale Koalition auseinander, was nur zwei Monate später zu Neuwahlen führte.

Partei Prozent +/- Sitze +/-
Recht und Gerechtigkeit (PiS) 26,99 +26,99 155 +155
Bürgerplattform (PO) 24,14 +24,14 133 +133
Samoobrona 11,41 +1,21 56 +3
Bund der Demokratischen Linken (SLD) 11,31 -29,73 55 -161
Liga Polnischer Familien (LPR) 7,97 +0,10 34 +4
Polnische Bauernpartei (PSL) 6,96 -2,02 25 -17
Sozialdemokratische Partei Polens (SdPL) 3,9 +3,90
Demokratische Partei (PD) 2,50 -0,6
Deutsche Minderheit (MN) 0,29 -0,07 2 ±0

Wahlbeteiligung: 40,57 %

6. Legislaturperiode (seit 2007)

Donald Tusk, Premierminister seit 16. November 2007
Sitzverteilung im Sejm nach der Wahl 2007
Sitzverteilung im Sejm, September 2011

Bei den Neuwahlen zum Sejm wurde die rechtsnationale Regierung abgewählt. Zwar konnte die PiS ihren Stimmenanteil erhöhen, jedoch nur, weil es ihr gelang, die drastischen Stimmenverluste ihrer Koalitionspartner Samoobrona und LPR teilweise zu absorbieren. Damit wurde die Regierung für ihre starke Polarisierung der Gesellschaft und für die Feindseligkeiten gegenüber allen, die nicht die gleiche politische Meinung vertreten, abgestraft. Stärkste Partei wurde die Bürgerplattform, die nun zusammen mit der PSL eine Koalitionsregierung unter Premier Donald Tusk stellt.

Die SLD trat zusammen mit der Sozialdemokratie Polens (SDPL), der Arbeitsunion (UP) und der aus der Freiheitsunion (UW) hervorgegangenen Demokratischen Partei (PD) als Wahlbündnis Linke und Demokraten (LiD) an. Die 2006 geschmiedete Wahlkoalition löste sich jedoch bereits 2008 wieder auf, nachdem die erhofften Erfolge bei den Parlamentswahlen ausblieben. Im Vergleich zu den summierten Wahlergebnissen der Einzelparteien 2005 verlor das Bündnis sogar noch 4,4 % der Stimmen. Die Bündnismitglieder stellen nun eigene Fraktionen.

Bedingt durch die Gründung der Partei Polen ist das Wichtigste und damit verbundenen Parteiübertritten sowie der Auflösung des Bündnisses LiD gab es einige Veränderungen in der Sitzverteilung.

Sejmmarschall war Bronisław Komorowski (PO). Seit dessen Wahl zum Staatspräsidenten am 8. Juli 2010 ist Grzegorz Schetyna (ebenfalls PO) Sejmmarschall.

Offizielles Wahlergebnis der Wahlen 2007[5]

Partei Stimmen Prozent/Veränderung Sitze/Veränderung  % der Sitze
Bürgerplattform 6 701 010 41,51 % +17,37 % 209 +76 45,43 %
Recht und Gerechtigkeit 5 183 477 32,11 % +5,12 % 166 +11 36,09 %
Linke und Demokraten 2 122 981 13,15 % +1,84 %[6] / -4,40[7] 53 -2[8] 11,52 %
Polnische Bauernpartei 1 437 638 8,91 % +1,95 % 31 +6 6,74 %
Samoobrona 247 335 1,53 % -9,86 % -56
Liga Polnischer Familien 209 171 1,30 % -6,67 % -34
Polnische Partei der Arbeit 160 476 0,99 % +0,22 %
Frauenpartei 45 121 0,28 %
Deutsche Minderheit 32 462 0,20 % -0,07 % 1 -1 0,2 %
gesamt 16 333 874 100,0 % 460 100,0 %
Wahlbeteiligung 53,79 %

7. Legislaturperiode (ab 2011)

Sitzverteilung im Sejm nach der Wahl 2011

Am 4. August 2011 gab der Staatspräsident Polens Bronislaw Komorowski bekannt, dass am 9. Oktober 2011 ein neues Parlament gewählt wird.

Verweise

Siehe auch

Literatur

  • Dieter Bingen: Polen: Wie ein labiles Parteiensystem zu einer Stabilisierung der Demokratie beiträgt. in: Ellen Bos / Dieter Segert (Hrsg.): Osteuropäische Demokratien als Trendsetter? Parteien und Parteiensysteme nach dem Ende des Übergangjahrzehnts, Opladen 2008, S. 77-90.
  • Florian Grotz: Politische Institutionen und post-sozialistische Parteiensysteme in Ostmitteleuropa. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei im Vergleich. Opladen 2000.
  • Michael Holländer: Konfliktlinien und Konfiguration der Parteiensysteme in Ostmitteleuropa 1988–2002. Norderstedt 2003.
  • Csilla Machos: Desintegration und Umstrukturierung: Parteiensysteme in Ostmitteleuropa seit den Parlamentswahlen 1997/98, in: Südost-Europa, 50 (2001) 7-9, S. 403-440.
  • Karsten Schmitz: Wahlsysteme und Parteiensysteme in Osteuropa: Analyse des Einflusses der Wahlsysteme auf die Parteiensysteme Osteuropas im Transformationsprozess. Saarbrücken 2008.
  • Tom Thieme: Wandel der Parteiensysteme in den Ländern Ostmitteleuropas: Stabilität und Effektivität durch Konzentrationseffekte? Zeitschrift für Parlamentsfragen, 39 (2008), 4, 795-809.
  • Konstanty Adam Wojtaszczyk: Das Parteiensystem in Polen. in: Das politische System Polens, 2001, S. 105–112.
  • Klaus Ziemer: Die politische Ordnung, in: Dieter Bingen/Krzysztof Ruchniewicz: Länderbericht Polen. Bonn 2009, S. 147–191.
  • Klaus Ziemer, Claudia-Yvette Matthes: Das politische System Polens. in: Wolfgang Ismayr (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas im Vergleich, Opladen 2004.
  • Klaus Ziemer: Parlament – Parteien – Wahlen. in: Jochen Franzke (Hrsg.): Das moderne Polen. Staat und Gesellschaft im Wandel, Berlin 2003, S. 24-45.

Weblinks

Fußnoten

  1. Die Verfassung von Polen von 1997. (Grundlage für den gesamten Abschnitt)
  2. Stand Mai 2008, Quelle: Listy do Sejmu – ILE WYNOSZĄ UPOSAŻENIE I DIETA POSELSKA? Website des polnischen Sejm, abgerufen am 25. Mai 2008]
  3. Fakt, 4. Februar 2006, S. 7
  4. Ziemer Klaus: Die politische Ordnung, in: Dieter Bingen / Krzysztof Ruchniewicz: Länderbericht Polen, Bonn 2009 S. 164
  5. Quelle: http://wybory2007.pkw.gov.pl/SJM/PL/WYN/W/index.htm
  6. Im Vergleich zum Ergebnis von SLD bei den Wahlen 2005
  7. Im Vergleich zur Summe der Stimmen von SLD, SDPL und PD bei den Wahlen 2005
  8. Im Vergleich zum Ergebnis von SLD bei den Wahlen 2005, SDPL und PD stellten keine Abgeordneten

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  • Sejm — 〈[sɛjm] od. [zaım] m. 1〉 1. 〈im Königreich Polen〉 Reichstag 2. 〈heute〉 polnische Volksvertretung * * * Sejm [sɛɪm ], der; s [poln. sejm]: polnische Volksvertretung. * * * I Sẹjm   …   Universal-Lexikon

  • Sejm — (pronunciación: [sejm], seim) es el nombre del parlamento polaco desde los fines del siglo XV, y consistía en la cámara baja (Izba Poselska) y la cámara alta o senado (Senat). Hasta 1795 la tercera parte de la estructura del Sejm era el rey. La… …   Enciclopedia Universal

  • sejm — {{/stl 13}}{{stl 8}}rz. mnż I, D. u, Mc. sejmmie {{/stl 8}}{{stl 20}} {{/stl 20}}{{stl 12}}1. {{/stl 12}}{{stl 7}} najważniejszy organ ustawodawczy w Polsce, działający od XV w.; w II Rzeczypospolitej i od 1989 r. niższa izba parlamentu; także:… …   Langenscheidt Polski wyjaśnień

  • Sejm — [sɛjm, auch zaim] der; s <aus poln. sejm> die poln. Volksvertretung …   Das große Fremdwörterbuch

  • sejm — congress of the Polish republic, 1690s, from Pol. sejm assembly, from *syn imu, lit. a taking together …   Etymology dictionary

  • sejm — sȅjm m <N mn ovi> DEFINICIJA 1. (Sejm) pol. donji dom poljskog parlamenta 2. sastanak, zbor, skupština ETIMOLOGIJA polj., usp. sajam …   Hrvatski jezični portal

  • Sejm — Sejm, s. Seim …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Sejm — (spr. ßeim), der poln. Reichstag, s. Polen, S. 89 …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

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