Schwache Wechselwirkung

Schwache Wechselwirkung

Die schwache Wechselwirkung (auch schwache Kernkraft genannt) ist eine der vier Grundkräfte der Physik. Im Gegensatz zu den aus dem Alltag bekannten Wechselwirkungen der Gravitation und des Elektromagnetismus wirkt sie jedoch nur auf sehr kleinen Abständen. Dabei kann sie wie andere Kräfte für Energie- und Impuls-Austausch sorgen, wirkt aber vor allem bei Zerfällen oder Umwandlungen der beteiligten Teilchen, etwa dem Betazerfall bestimmter radioaktiver Atomkerne.

Entscheidende Bedeutung hat die schwache Wechselwirkung durch ihre Rolle bei der Fusion von Wasserstoff zu Helium in der Sonne, da nur durch sie die Umwandlung von Protonen in Neutronen möglich ist. So entsteht aus vier Protonen (den Wasserstoffkernen) über mehrere Zwischenschritte der stabile Heliumkern mit zwei Protonen und zwei Neutronen. Aus diesem Prozess bezieht die Sonne ihre Energie. Aufgrund der Schwäche der schwachen Wechselwirkung läuft dieser Prozess so langsam ab, dass die Sonne schon seit vielen Milliarden Jahren stabil leuchtet, und es voraussichtlich noch einmal so lange tun wird.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Die schwache Wechselwirkung wirkt zwischen allen (linkshändigen) Quarks und (linkshändigen) Leptonen, sowie den (rechtshändigen) Antiquarks und (rechtshändigen) Anti-Leptonen. Sie ist ca. 1011 mal schwächer als die elektromagnetische und ca. 1013 mal schwächer als die starke Wechselwirkung. Wie diese und die elektromagnetische Wechselwirkung wird sie durch den Austausch von Eichbosonen beschrieben. Diese Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung sind das neutrale Z-Boson sowie die beiden positiv bzw. negativ geladenen W-Bosonen. Da diese massiv sind, ist die schwache Kraft nur von geringer Reichweite (kleiner als ein Atomkernradius). Die schwache Wechselwirkung verletzt die Paritätserhaltung, wie im Wu-Experiment nachgewiesen wurde.

Eine Quantenfeldtheorie, die die schwache Wechselwirkung zusammen mit der elektromagnetischen Wechselwirkung beschreibt, ist das Glashow-Weinberg-Salam-Modell. Man spricht in dieser Formulierung auch von zwei Aspekten der elektroschwachen Wechselwirkung, die durch den Higgs-Mechanismus vereinheitlicht werden.

Reaktionen, Crossing-Symmetrie, Reaktionswahrscheinlichkeit

Zur Beschreibung eines schwachen Prozesses verwendet man üblicherweise die Schreibweise einer Reaktionsgleichung, wie

a + b \rightarrow c + d

Die Teilchen a und b werden also in einem Prozess zu den Teilchen c und d umgewandelt. Ist dieser Vorgang möglich, so sind auch alle anderen möglich, die nach der Vertauschungsregel des Kreuzens (engl. crossing) entstehen. Ein Teilchen kann also auf die andere Seite der Reaktionsgleichung geschrieben werden, indem dort sein entsprechendes Antiteilchen notiert wird:

b \rightarrow c + d + \bar a

Außerdem sind die Umkehrprozesse möglich.

c + d \rightarrow a + b
 c + d + \bar a \rightarrow b

Ob diese Prozesse tatsächlich in der Natur beobachtet werden (also ihre Wahrscheinlichkeit, die sich um viele Größenordnungen unterscheiden kann), hängt nicht nur von der Stärke der schwachen Wechselwirkung ab, sondern unter anderem auch von Energie, Ruhemasse und Impuls der beteiligten Teilchen.

Für jede Reaktion gelten die bekannten Sätze der Energieerhaltung, Impulserhaltung und Drehimpulserhaltung, die nach dem Theorem von Noether mit den Invarianzen gegenüber zeitlicher und räumlicher Translation sowie Drehungen im Raum verbunden sind.

Sind die Summen der Ruhemassen der beteiligten Teilchen auf der rechten Seite größer als auf der linken, so handelt es sich um eine endotherme Reaktion, die nur möglich ist, wenn die Teilchen auf der linken Seite ausreichend kinetische Energie tragen. Sollte auf der linken Seite nur ein Teilchen stehen, dann ist die Reaktion in diesem Fall verboten, denn es gibt immer ein Bezugssystem, in dem dieses Teilchen in Ruhe ist (d.h. dass Masse aus dem Nichts erzeugt werden müsste, was nicht möglich ist).

Sind die Ruhemassen der eingehenden Teilchen größer als die Ruhemassen der erzeugten Teilchen, so ist die Reaktion exotherm, und die Differenz der Ruhemassen findet sich als kinetische Energie der erzeugten Teilchen wieder.

Prozesse

Man unterscheidet schwache Prozesse sowohl danach, ob Leptonen und/oder Quarks an ihnen beteiligt sind, als auch danach, ob der Prozess durch ein elektrisch geladenes W-Boson (W + ,W ) oder das neutrale Z0 Boson vermittelt wurde. Die Bezeichnungen schwacher Prozesse lauten wie folgt:

Beteiligt Vermittelt durch
W + ,W Z0
nur Quarks hadronisch geladen“ „hadronisch neutral“
Quarks und Leptonen „semileptonisch geladen“ „semileptonisch neutral“
nur Leptonen „leptonisch geladen“ „leptonisch neutral“

Leptonischer Prozess

Ein elementarer geladener leptonischer Prozess ist ein Zerfallsprozess eines Leptons L in ein Lepton L' unter Beteiligung ihrer entsprechenden Neutrinos bzw. Antineutrinos (\nu_L, \bar\nu_L): L \rightarrow \nu_L + L^\prime + \bar\nu_{L^\prime}

Als Beispiel möge der Zerfall von Tauonen dienen:

\tau^- \rightarrow \nu_\tau + e^- + \bar\nu_e

sowie

\tau^- \rightarrow \nu_\tau + \mu^- + \bar\nu_\mu

wie auch die damit verbundenen Streuprozesse

\tau^- + \bar\nu_\tau \rightarrow e^- + \bar\nu_e

sowie

\tau^- + \nu_\mu \rightarrow \nu_\tau + \mu^-

Semileptonischer Prozess

Betazerfall des Neutrons

Bei einem elementaren geladenen semileptonischen Prozess sind neben Leptonen auch Quarks bzw. Antiquarks (q_1,\bar q_2) beteiligt: q_1 + \bar q_2 \rightarrow L + \bar\nu_L

Ein Beispiel für einen semileptonischen Prozess ist der bereits genannte β-Zerfall des Neutrons, bei welchem sich ein Down-Quark des Neutrons in ein Up-Quark umwandelt, wodurch das Neutron zu einem Proton wird:

Quarkdarstellung: d^{-\frac 1 3} \rightarrow u^{+\frac 2 3} + e^- + \bar \nu_e

Hadronendarstellung: n \rightarrow p + e^- + \bar \nu_e, wobei die beteiligten Teilchen folgendermaßen aufgebaut sind: n = udd, p = uud

Der hier gezeigte Prozess wird durch ein W Boson vermittelt, weil das negativ geladene Down-Quark in ein positiv geladenes Up-Quark umgewandelt wird – die negative Ladung muss daher durch ein W Boson „weggetragen“ werden. d − 1 / 3 und u + 2 / 3 müssen also Quarks sein, deren Ladungsdifferenz gerade e ist. Da sich ein Neutron aus zwei Down- und einem Up-Quark aufbaut, jedoch nur eines umgewandelt wird, sind zwei von ihnen unbeteiligt. Solche unbeteiligten Quarks nennt man daher „Zuschauerquarks“ (engl. spectator quarks).

Hadronischer Prozess

Kaon-Zerfall

Bei einem elementaren geladenen hadronischen (bzw. nichtleptonischen) Prozess sind nur Quarks bzw. Antiquarks beteiligt: q_1 + \bar q_2 \rightarrow q_3 + \bar q_4

Der Kaon-Zerfall ist ein gutes Beispiel für einen hadronischen Prozess

Quarkdarstellung: \bar s^{+\frac 1 3} \rightarrow u^{+\frac 2 3} + \bar u^{-\frac 2 3}+ \bar d^{+\frac 1 3}

Hadronendarstellung: K^+ \rightarrow \pi^+ + \pi^0, wobei die beteiligten Teilchen folgendermaßen aufgebaut sind: K^+ = u\bar s, \pi^+ = u\bar d, \pi^0 = u\bar u

Bei diesem Prozess ist das Up-Quark des Kaons wieder ein unbeteiligter Zuschauer. Die positive Ladung des Strange-Antiquarks wird durch ein W + Boson weggetragen. Durch diesen Austausch ändert das Quark seinen Flavor zu einem Anti-Up-Quark.

Forschungsgeschichte

Das Z-Boson und damit der schwache Prozess wurde 1973 mit dem Gargamelle-Experiment am CERN erstmals nachgewiesen. Wesentliche Beiträge zur Erforschung wurden von Henry Primakoff im Zuge seiner Arbeiten zum später nach ihm benannten Primakoff-Effekt geleistet.


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