Schrödingers Katze

Schrödingers Katze
Erwin Schrödinger

Bei Schrödingers Katze handelt es sich um ein Gedankenexperiment aus der Physik, das 1935 von Erwin Schrödinger vorgeschlagen wurde.[1] Es sollte die Unvollständigkeit der Quantenmechanik demonstrieren, indem quantenmechanische Gesetzmäßigkeiten von atomaren Objekten auf makroskopischer Ebene veranschaulicht werden. Ein reales Experiment, das auf demselben Phänomen beruht, ist die quantenhafte Schwebung. Wigners Freund stellt eine Erweiterung des Gedankenexperiments dar, der so genannte Quantenselbstmord zieht andere Schlüsse aus einem vergleichbaren Experiment.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die Quantenmechanik beschreibt den Zustand eines physikalischen Systems mittels einer Wellenfunktion. Bei einer quantenmechanischen Messung nimmt die Wellenfunktion einen der möglichen Eigenzustände des Messoperators an. Die Messung kann also den Zustand ändern, was sich durch statistische Auswirkungen in darauffolgenden Messungen bemerkbar macht. Eine mögliche Interpretation dieses Vorgangs, auf die Schrödinger Bezug nahm und die noch heute von den meisten Physikern vertreten wird, ist Teil der 1927 entstandenen Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik. Demzufolge entscheidet sich das System im Augenblick der Messung für einen neuen Eigenzustand und wechselt instantan in diesen Zustand. Der Eigenzustand legt außerdem den genauen Messwert fest, der das Messergebnis des Experiments sein wird. Vor der Messung kann man den Zustand als Überlagerung (Superposition) aller möglicher Eigenzustände auffassen.

Angeregt durch die kurz zuvor erschienene Arbeit von Albert Einstein, Boris Podolski und Nathan Rosen (EPR) zu den Grundlagen der Quantenmechanik (Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon), prägte Schrödinger in seiner Abhandlung in den „Naturwissenschaften“ (1935) den Begriff der Verschränkung. Das Beispiel der Katze sollte zeigen, wie eine mikroskopische quantenmechanische Superposition prinzipiell auf ein makroskopisches Objekt übertragen werden kann, indem die Zustände der beiden Objekte miteinander verschränkt werden. Obgleich Schrödinger an diesem absurd wirkenden Beispiel, ebenso wie auch Einstein, Podolski und Rosen, die Unvollständigkeit der Quantenmechanik demonstrieren wollte, verhalfen beide Arbeiten der Quantentheorie letztenendes zur mehr Popularität. Die Hoffnung der Autoren auf eine vollständige Theorie, wie sie in der EPR-Arbeit gefordert wurde, wurde schließlich 1964 durch John Bell zunichte gemacht. Dieser konnte mit der nach ihm benannten Ungleichung zeigen, dass eine solche vollständige Theorie im Sinne des Realismus nur dann mit den experimentellen Konsequenzen der Quantenmechanik vereinbar sein kann, wenn sie nichtlokal ist. Diese Nichtlokalität, die von EPR indirekt abgelehnt wurde und die Einstein als "spukhafte Fernwirkung" bezeichnete, bedeutet, dass zur Beschreibung eines Systems im Allgemeinen nicht nur die nähere Umgebung berücksichtigt werden muss, sondern auch sehr weit entfernte Teile, die zum Zeitpunkt des Experiments das System nicht einmal mit Lichtgeschwindigkeit kausal beeinflussen könnten. Obwohl die Bellsche Ungleichung und deren experimentelle Überprüfung weder die Quantenmechanik noch die damals diskutierte De-Broglie-Bohm-Theorie widerlegen konnten, sahen viele darin eine Bestätigung der Quantenmechanik. Die Unvollständigkeit und die von Schrödinger geschilderte Konsequenz mit dem Beispiel der Katze wurde letztlich besser akzeptiert, als die von nun an definitive Nichtlokalität der Bohmschen Mechanik.

Das Gedankenexperiment

Versuchsanordnung. Die Übertragung der Quantenmechanischen Wellenfunktion führt bis zum Öffnen des Kastens zu einer gleichermaßen toten wie lebendigen Katze.

Das Gedankenexperiment besagt, dass sich in einem geschlossenen Raum ein instabiler Atomkern befindet, der innerhalb einer bestimmten Zeitspanne mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zerfällt. Der Zerfall des Atomkerns werde von einem Geigerzähler detektiert. Im Falle einer Detektierung werde Giftgas freigesetzt, was eine im Raum befindliche Katze tötet.

Gemäß der Quantenmechanik befindet sich der Atomkern nach Ablauf der Zeitspanne im Zustand der Überlagerung (noch nicht zerfallen und zerfallen). Demnach sollte sich, wenn die Quantenphysik auch auf makroskopische Systeme anwendbar wäre, auch die Katze im Zustand der Überlagerung, also lebendig und tot, befinden. Diese Schlussfolgerung erscheint zunächst paradox und wird in der „Kopenhagener Deutung“ wie folgt interpretiert: Beim Öffnen des Raumes und Beobachtung (Messung) springt der Atomkern, der sich zuvor im Zustand der Überlagerung befand, in einen der möglichen Zustände. Grund dafür ist, dass die Wellenfunktion, die den Überlagerungszustand des Teilchens bestimmt hat, im Moment der Beobachtung kollabiert. Erst bei der Messung durch einen äußeren Beobachter entscheidet sich also, ob die Katze tot oder lebendig ist. Vor der Messung kann über den Zustand der Katze nicht mehr als eine Wahrscheinlichkeitsaussage getroffen werden. Vertreter der Ensembletheorie würden sich auf eine Gesamtheit von Systemen beziehen (also mehrere Kästen mit Katzen): Nach einem bestimmten Zeitintervall sind dann die Hälfte aller Katzen tot und die andere Hälfte lebendig. Hier greift das empirische Gesetz der großen Zahlen, d. h. je öfter man dieses Experiment durchführt, desto sicherer ist es, dass die relative Häufigkeit sich der theoretischen Wahrscheinlichkeit annähert.

Veranschaulichung

Catexperiment.svg

Die Aufspaltung des wahrnehmbaren Zustandes in die beiden unterschiedlichen Szenarien wird zunächst durch ein einzelnes radioaktives Teilchen ausgelöst. Dieses spaltet sich gemäß der Kopenhagner Deutung beim unbeobachteten Zerfall in eine Überlagerung aus zerfallenem und noch nicht zerfallenem Zustand auf. Durch Wechselwirkung mit dem Auslösemechanismus überträgt sich dieser Doppelzustand nach und nach auf die Atome des Giftes und schließlich auf die der gesamten Katze. Ein beispielsweise am Ohr der Katze befindliches Atom ändert durch die Beeinflussung die Form seiner Wellenfunktion zu einem Doppelpeak in der Wahrscheinlichkeitsdichte mit jeweils halber Amplitude (siehe Abbildung). Aufspaltungen wie diese können im Doppelspaltexperiment an einzelnen Teilchen experimentell beobachtet werden. Hier bilden alle Atome der Katze eine verschränkte Überlagerung einer lebenden und tot da liegenden Katze mit je halber Wahrscheinlichkeitsamplitude (hier durch zwei halbtransparente Katzen veranschaulicht). Beim Nachschauen, ob die Katze noch lebt, kommt es schließlich durch die Wechselwirkung mit der Außenwelt zu einer Ortsmessung, die die Wellenfunktion der Atome zwingt, wiederum scharfe Ortseigenfunktionen anzunehmen (Kollaps der Wellenfunktion).

Anmerkung: In Schrödingers Versuchsaufbau würden genaugenommen nicht nur zwei überlagerte Zustände entstehen, sondern aufgrund der kontinuierlichen Zerfallswahrscheinlichkeit viele, früher oder später gestorbene Katzen, die jedoch durch spezielle technische Vorkehrungen auf zwei Zustände reduziert werden könnten.

Andere Erklärungen

Dekohärenz

Der Dekohärenztheorie zufolge muss der Kollaps der Wellenfunktion durch den Beobachter nicht mehr postuliert werden. Vielmehr verschwinden die Interferenzen durch Wechselwirkung des Systems mit der Umgebung, dadurch findet ein „effektiver“ Kollaps statt. Tatsächlich kann dieser Effekt unter vereinfachten Bedingungen bereits gezeigt werden.

Die Dekohärenz hat wesentlich mit dem quantenmechanischen Effekt der Verschränkung zu tun. In Schrödingers Gedankenexperiment wird zum Beispiel durch Wechselwirkung die Wellenfunktion des Atoms mit der Wellenfunktion der Katze verschränkt, die gemeinsame Wellenfunktion von Atom und Katze wird weiter mit der Wellenfunktion der Umgebung verschränkt und so fort. Dadurch wird das zu betrachtende System immer größer (auch der zugrunde liegende Konfigurationsraum wird immer größer) und Interferenz immer schwieriger. Zudem haben makroskopisch unterscheidbare Zustände (z. B. „Katze tot“ oder „Katze lebendig“) gut lokalisierte und getrennte Wellenfunktionen. Kohärente Überlagerungen von „makroskopischen“ Objekten wie Katzen können deshalb praktisch nicht aufrechterhalten werden.

Kritiker dieser Erklärung wenden ein, dass Dekohärenz das Messproblem zwar „phänomenologisch“ löst, aber nicht „ontologisch“. Das heißt, Dekohärenz zeigt zwar, dass Überlagerungen von toter und lebendiger Katze für alle praktischen Belange keine Rolle spielen. Sie sagt aber nicht, dass solche Überlagerungen prinzipiell unmöglich sind. Über die Vorgänge in einem hypothetischen informationsdichten Kasten, wie ihn Schrödinger annahm, liefert die Theorie keine neue Aussage.

Viele-Welten-Interpretation

Die Viele-Welten-Interpretation geht auf den Physiker Hugh Everett zurück. Sie ist keine neue oder zusätzliche Theorie, sondern eine alternative Interpretation der Quantenmechanik. Die Viele-Welten-Interpretation spricht allen möglichen Zuständen (also hier „Katze tot“ und „Katze lebendig“) gleichermaßen physikalische Realität zu. Es gibt dann tatsächlich ein Universum, in dem das Atom zerfallen ist, und eines, in dem das Atom noch nicht zerfallen ist. Im ersten Universum öffnen wir den Kasten und finden die Katze tot, im zweiten Universum ist die Katze lebendig. Unsere Erinnerungen und das, was wir als Realität wahrnehmen, entsprechen dann nur einer von unzähligen möglichen (und gleichermaßen realisierten) Geschichten des Universums.

De-Broglie-Bohm-Theorie (Bohmsche Mechanik)

Die De-Broglie-Bohm-Theorie oder auch Bohmsche Mechanik ist eine alternative Formulierung der Quantenmechanik. Sie fügt der Quantenmechanik eine zusätzliche Bewegungsgleichung hinzu, die den Ort sämtlicher Teilchen – und damit die genaue Konfiguration des Systems zu jeder Zeit – festlegt. Die Theorie wird dadurch deterministisch. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Zustände ist allerdings die gleiche wie in der Standard-Quantenmechanik. Die De-Broglie-Bohm-Theorie legt also zu jeder Zeit genau fest, ob die Katze nun tot oder lebendig ist. Da man den Anfangszustand des Systems jedoch nicht genau messen kann, ohne das System zu stören, kann man in aller Regel nur die üblichen Wahrscheinlichkeitsvorhersagen liefern. Kritisiert werden Befürworter der De-Broglie-Bohm Theorie häufig darin, dass ihre Behauptungen gegenüber der Quantenmechanik prinzipiell nicht überprüfbar sind. Außerdem ist die Theorie, wie die Bellsche Ungleichung zeigt, nicht-lokal. Das bedeutet, dass es verborgene Wechselwirkungen gibt, die sich schneller als das Licht ausbreiten, allerdings nicht zur Informationsübertragung genutzt werden können. Das ist vergleichbar mit einem sehr weit entfernten Planeten, der vor einem Stern vorbeizieht und einen sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegenden Schatten auf der Erde hinterlässt. Auch damit ist keine Information übertragbar, obwohl sich die Information über die Abschattung mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit über Erdoberfläche fortbewegen kann. Die Nichtlokalität stellt also kein Problem in Hinblick auf die Relativitätstheorie dar. Vielmehr stören sich einige daran, dass die De-Broglie-Bohm-Theorie ein Bezugsystem auszeichnet, was die Philosophie der Relativitätstheorie stört, ohne ihr jedoch zu widersprechen.

Originalworte

„Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muß): in einem Geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, daß im Laufe einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, daß die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall würde sie vergiftet haben. Die Psi-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, daß in ihr die lebende und die tote Katze (s. v. v.) zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind. Das Typische an solchen Fällen ist, daß eine ursprünglich auf den Atombereich beschränkte Unbestimmtheit sich in grobsinnliche Unbestimmtheit umsetzt, die sich dann durch direkte Beobachtung entscheiden läßt. Das hindert uns, in so naiver Weise ein „verwaschenes Modell“ als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen…“

Erwin Schrödinger[2]

Weblinks

 Commons: Schrödingers Katze – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik. In: Naturwissenschaften (Organ der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte – Berlin, Springer) – Bd. 23, 1935 doi:10.1007/BF01491891 (Teil 1)], doi:10.1007/BF01491914 (Teil 2)], doi:10.1007/BF01491987 (Teil 3)
  2. Erwin Schrödinger: Naturwissenschaften, 48, 807; 49, 823; 50, 844, November 1935. darin s. v. v. steht für lateinisch sit venia verbo, etwa: „entschuldigen Sie den Ausdruck“
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