Schmerzensgeld

Schmerzensgeld

Das Schmerzensgeld (nach österreichischer Terminologie auch: Schmerzengeld, in der Schweiz: Genugtuung) ist ein Anspruch auf Schadensersatz als Ausgleich für immaterielle Schäden, d. h. Schäden nicht vermögensrechtlicher Art, nach deutschem Recht zusätzlich mit einer Sühnefunktion. Neben Körperschäden sollen alle Unannehmlichkeiten, seelischen Belastungen und sonstigen Unwohlgefühle wiedergutgemacht werden, die mit einer erlittenen Verletzung am Körper einher gehen.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland

Im deutschen Recht wurde der Schadensersatzanspruch wegen immaterieller Schäden im Rahmen der tief greifenden und grundlegenden Reform des „Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften“ in der veränderten Form des neu gefassten § 253 Abs. 2 in das 2. Buch (Recht der Schuldverhältnisse) des BGB „versetzt“ und damit der zuvor Generationen von Juristen vertraute Schmerzensgeldparagraph 847 BGB aufgehoben.

Anspruchsvoraussetzungen

Ein Anspruch auf Schmerzensgeld ist danach grundsätzlich gegeben bei Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung im Sinne von § 823 BGB, sowie in den weiteren gesetzlich ausdrücklich bestimmten Fällen (vor allem § 253 BGB, daneben beispielsweise vertane Urlaubszeit, § 651f BGB, oder wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, § 15 und § 21 AGG).

Gefährdungshaftung

Eine der besonderen Leistungen der Rechtsreform ist die Möglichkeit, seither auch dann Schmerzensgeld beanspruchen zu können, wenn den Verursacher der Verletzung kein Verschulden trifft, sondern dieser lediglich aus der Gefährdungshaftung heraus (z.B. gemäß §§ 7 ff Straßenverkehrsgesetz und §§ 33 ff Luftverkehrsgesetz) zur Leistung des Schadensersatzes verpflichtet ist.

Sinn des Schmerzensgeldes

Es hat Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion (BGHZ GrZs 18, 149). Wird keine außergerichtliche Einigung über die Höhe des Schmerzensgeldes erzielt, bestimmt das Gericht gem. § 287 ZPO nach Ermessen je nach Art und Dauer der Verletzungen unter Berücksichtigung aller für die Höhe maßgeblichen Umstände. Der Antrag soll jedoch einen Streitwert angeben. Bleibt das Urteil mehr als 20 % unter diesem Vorschlag, so begründet dies eine Beschwer für ein späteres Berufungsverfahren.

Höhe des Schmerzensgeldes

Als ungefähre, jedoch nicht verbindliche Richtschnur für die Schmerzensgeldhöhe werden regelmäßig vorhandene Gerichtsentscheidungen mit ähnlichen Sachverhalten und Verletzungsbildern herangezogen. Derartige Urteile findet man in sogenannten Schmerzensgeldtabellen. Die derzeit bekanntesten Sammlungen sind: Schmerzensgeldtabelle von Hacks/Ring/Böhm (Deutscher Anwaltverlag) und Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeldtabelle (Verlag C.H.Beck). Die Vergleichbarkeit einzelner Sachverhalte ist jedoch schwierig, denn jeder Einzelfall weist eine Vielzahl individueller Besonderheiten auf. Zudem hat sich der Bundesgerichtshof mehrfach dagegen ausgesprochen, die Mithaftung des Verletzten mathematisch in die Schmerzensgeldfindung einzubeziehen; man kann somit nicht das Schmerzensgeld von beispielsweise 1.000 € halbieren, weil der Verletzte zu 50% den Unfall, der zu seiner Verletzung geführt hatte, selbst mitverursacht hatte. Ältere Schmerzensgeldbeträge werden in einigen Fällen noch mit einem Faktor entsprechend dem Verbraucherpreisindex multipliziert und gerundet, um ihn an das heutige Preisniveau anzupassen. So wurden beispielsweise bei einem einfachen Halswirbel-Schleudertrauma (sog. HWS-Syndrom) im Jahr 2002 gewöhnlich noch 1000 DM zugesprochen, inzwischen sind es üblicherweise 600 €. All diese Aspekte sind zu beachten und führen dazu, dass die Findung des „richtigen“ Schmerzensgeldes – zumindest in komplexen Fällen – auch für erfahrene Juristen nicht einfach ist.

Das bislang höchste Schmerzensgeld in Deutschland wurde vom Landgericht Kiel im Jahr 2003 festgesetzt:[1] Ein 3 ½-jähriges Kind erhielt 500.000 € sowie eine monatliche Rente von 500 € zugesprochen, nachdem es durch einen Verkehrsunfall eine Querschnittlähmung vom 1. Halswirbel abwärts erlitt und dadurch auch das Sprachvermögen verlor.[2]

Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Schmerzensgeldhöhe bei schweren Personenschäden führt dazu, dass innerhalb der Versicherungsbranche empfohlen wird, eher einen Vergleich als ein Urteil anzustreben.[3]

Vererblichkeit

Der Anspruch ist auch hier vererblich (BGH NJW 1995, 783).

Anrechnung von Schmerzensgeld auf das Arbeitslosengeld II

Vermögen aus einer Schmerzensgeldzahlung müssen sich Arbeitslose nicht auf das Arbeitslosengeld II anrechnen lassen. Diese Verwertung wäre eine „besondere Härte“ und ist daher ausgeschlossen.[4] Das schriftlich veröffentlichte Urteil des Bundessozialgerichts in Kassel stammt vom 15. April 2008 (Az: 14/7b AS 6/07 R).

Schockschaden

Ein Schmerzensgeld für den Verlust naher Angehöriger (wenn etwa Eltern ihr Kind verlieren) kannte das deutsche Recht bisher nicht. Eine Ausnahme ist der so genannte „Schockschaden“, der vorliegt, wenn Angehörige bedingt durch die erlittene seelische Erschütterung selbst krank werden. Dabei muss der Verlust der nahe stehenden Person die körperliche oder seelische Verfassung nachweislich und spürbar beeinträchtigen. Angehörige eines Getöteten können einen Schmerzensgeldanspruch aus eigenem Recht (iure propio) also nur herleiten, wenn ihr Leid Schmerzen, lang anhaltenden Kummer oder Sorgen, Wesensänderungen oder eine deutliche Schmälerung der Lebensfreude nach sich zieht und diese Folgen dem Schädigungsereignis kausal zurechenbar sind[5]. Die deutschen Gerichte urteilen noch sehr zurückhaltend über ein solches Schmerzensgeld bei Schockschaden, während die Entschädigung für den Verlust von nahen Angehörigen in anderen Rechtsordnungen (neben den USA etwa auch Schweden oder Italien) seit langem üblich und gängige Praxis ist. Zudem sind Schmerzensgeldbeträge in Deutschland nicht sonderlich hoch. Deswegen wird von Deutschland aus zunehmend versucht, in den USA zu klagen, wenn es dorthin irgendeinen Bezug geben kann, wenn etwa die Versicherung des Schädigers auch einen Sitz in den USA hat.

Medienrechtliches Schmerzensgeld

Neben dem Anspruch aus § 253 II BGB besteht weiterhin noch der medienrechtliche Schmerzensgeld- oder Entschädigungsanspruch, der vom BGH 1958 im Herrenreiter-Fall entwickelt wurde und inzwischen gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Ursprünglich auf § 847 BGB a. F. gestützt, leitet der BGH diesen Anspruch seit der Soraya-Entscheidung aus § 823 I BGB I. V. m. Art. 1 I, 2 I GG, her.

Voraussetzung ist eine schwerwiegende Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (beispielsweise eine Verletzung der Intimsphäre), die nicht anderweitig ausgeglichen werden kann, der Anspruch ist also nur subsidiär anwendbar. In den letzten Jahren wurden den Betroffenen, oftmals sind dies Prominente, zunehmend höhere Summen an Schmerzensgeld gewährt, der Tochter von Caroline von Hannover wurden so im Jahre 2003 76.000 Euro Schmerzensgeld für die Veröffentlichung eines Paparazzo-Fotos zuerkannt.

Diese Tendenz wurde als „Rechtsprechung für Schöne und Reiche“ kritisiert, gerade im Vergleich zu Schmerzensgeldern, die „einfachen Bürgern“ in anderen Zusammenhängen gewährt werden, z. B. bei einer Körperverletzung. Andererseits würde die beabsichtigte Präventionsfunktion gegenüber Presseorganen kaum eintreten, wenn die Summen so gering wären, dass die Rechtsverletzung gewissermaßen einkalkuliert würde. Angesichts der möglichen Gewinne, die gerade die Boulevardpresse aus der Veröffentlichung intimer Details aus dem Leben Prominenter zu ziehen weiß, wäre das Persönlichkeitsrecht dieser Personen ansonsten weitgehend schutzlos.

Zuletzt geht die Tendenz in der Rechtsprechung jedoch durchaus dahin, auch Privatpersonen im Rahmen von Schmerzensgeldprozessen bei Verletzung der Intimsphäre respektable Summen zuzusprechen. So hat etwa das Landgericht Kiel in einer vielbeachteten Entscheidung einer Frau, deren Nacktfotos im Netz veröffentlicht worden waren, Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro zugesprochen.[6]

Österreich

Im österreichischen Recht ist das Schmerzengeld in § 1325 ABGB geregelt. Es gebührt vor allem für körperliche Schmerzen, aber auch für psychische Beeinträchtigungen von Krankheitswert, die auf das Verhalten des Schädigers zurückzuführen sind, oder für eine nachhaltige Einbuße an Lebensfreude und Lebensqualität. Es ist weder Strafe noch Buße (keine punitive damages).

Das Schmerzengeld muss den Umständen „angemessen“ sein. In der Praxis der Rechtsprechung haben sich als Bemessungskriterium bestimmte Beträge für einen Tag schwerer, mittelstarker und leichter Schmerzen herausgebildet.

In jüngster Zeit gewährt die Rechtsprechung[7] auch den Angehörigen von Personen, die bei einer Katastrophe ums Leben gekommen sind (zum Beispiel beim Seilbahnunglück Kaprun), Schmerzengeld für den mit dem Verlust des geliebten Menschen verbundenen Gram und die Trauer, wenn der Schädiger vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Ebenso wird seit einigen Jahren judiziert, dass der Schmerzengeldanspruch, den jemand vor seinem Tod erworben hat, vererbt werden kann, auch wenn er noch nicht geltend gemacht worden ist.

Schweiz

Die Genugtuung ist in den Artikeln 47 und 49 des Obligationenrechts geregelt. Gemäß Art. 47 OR kann der Richter bei der Tötung eines Menschen oder Körperverletzung den Betroffenen unter Umständen Genugtuung in Form einer Geldsumme zusprechen. Anspruch auf eine Geldsumme oder „eine andere Art der Genugtuung“ hat unter Umständen auch, wer widerrechtlich in seiner Persönlichkeit verletzt wird (Art. 49 OR).

Literatur

  • Göthel, Stephan R.: Zu den Funktionen des Schmerzensgeldes im 19. Jahrhundert; zugleich ein Beitrag gegen eine Straffunktion des Schmerzensgeldes. In: Archiv für die civilistische Praxis (AcP), Bd. 205 (2005), S. 36–66.
  • Hacks, Susanne / Ring, Ameli / Böhm, Peter: (ADAC): Schmerzensgeld-Beträge 2008, Deutscher Anwaltsverlag, 26. Auflage Oktober 2007, 632 Seiten, ISBN 978-3-82400-875-9
  • Jaeger, Lothar / Luckey, Jan: Schmerzensgeld (Tabelle, Systematische Erläuterungen, Muster, Urteilstexte auf CD), ZAP Verlag/LexisNexis, 4. Auflage November 2007, 1.254 Seiten, ISBN 978-3-89655-270-9
  • Slizyk, Andreas: Beck’sche Schmerzensgeldtabelle 7. Auflage 2011, 759 Seiten
  • Walter, Ute: Geschichte des Anspruchs auf Schmerzensgeld bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches. Paderborn u.a.: Schöningh 2004.

Quellen

  1. Urteil vom 11. Juli 2003, Az. 6 O 13/03 (VersR 2006, 279)
  2. Trend zu hohem Schmerzensgeld verfestigt sich, Haufe.de, 15. August 2006
  3. Jörg-Christian Deisler: Aktuelle Entwicklungen beim Ersatz des immateriellen Schadens – Quo Vadis Schmerzensgeld? Versichererungswirtschaft, Heft 12/2006, S. 989 (990).
  4. [1]
  5. s. etwa BGH, 11. Mai 1971, VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163
  6. LG Kiel, Urteil vom 27. April 2006
  7. s. etwa OGH, Rechtssatznummer RS0115189

Siehe auch

Weblinks

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  • Schmerzensgeld — Schmẹr·zens·geld das; nur Sg; Geld, das jemand (nach einem Gerichtsverfahren oder von einer Versicherung) für Schmerzen bekommt, die ein anderer verursacht hat …   Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache

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