Schifflersgrund

Schifflersgrund
Innerdeutsche Grenze zwischen Thüringen (rechts) und Hessen (links), die hier vom Grenzmuseum Schifflersgrund erhalten wird. Zu sehen ist der seinerzeit mit SM-70-Minen gesicherte Grenzzaun (einreihiger Metallgitterzaun) mit davorliegendem Kontrollstreifen (Spurensicherungsstreifen) und Kolonnenweg mit Fahrspurplatten, die eigentliche Grenze befand sich oberhalb des mittlerweile bewaldeten Hangs.

Der Schifflersgrund ist eine Senke, die topographisch zwischen den Ortschaften Asbach-Sickenberg (Thüringen) und Bad Sooden-Allendorf (Hessen) liegt. Bis zum Jahr 1989 verlief hier nicht nur die Grenze zwischen Thüringen und Hessen, sondern auch die Staatsgrenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland und damit die Grenze zwischen dem Warschauer Pakt und der NATO.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Am 17. September 1945 trafen sich in der Ortschaft Wanfried, unweit der Demarkationslinie, ranghohe amerikanische und sowjetische Offiziere, um einen Zankapfel zwischen den Alliierten zu beseitigen – eine Entscheidung, die das Leben der Menschen in den betroffenen Regionen nachhaltig beeinflussen sollte. Unterhalb des Hansteins verlief die für die Westalliierten wichtige Eisenbahnverbindung von Bremerhaven-Hannover-Göttingen nach Bebra. Auf diesem Streckenabschnitt, im Volksmund Whisky-Wodka-Linie genannt, durchquerten die Züge auf einer Länge von knapp drei Kilometern die sowjetisch besetzte Zone. Durch sowjetische Kontrollschikanen kam es zu Behinderungen im Zugverkehr. Es entstand eine gewisse Abhängigkeit amerikanischer Streitkräfte von sowjetischem Wohlwollen. Auf Drängen der Amerikaner wurde beim Wanfrieder Abkommen ein Gebietsaustausch beschlossen. Fünf hessische und zwei thüringische Dörfer wechselten ihre „Besatzungszonenzugehörigkeit“. Die ehemals hessischen Gemeinden Asbach, Sickenberg, Vatterode, Hennigerode und Weidenbach gehörten fortan zur sowjetischen Besatzungszone und somit zum Gebiet der späteren DDR.

Zwangsaussiedlungen

Von ebenso einschneidender Bedeutung für die Bewohner des grenznahen Raumes waren die Jahre 1952 und 1961. Am 26. Mai 1952 erließ die Ostzonen-Regierung eine „Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands“. Unter dem propagandistischen Vorwand einer akuten Bedrohung der DDR durch die Bundesrepublik und ihre Verbündeten wurde einen Tag später, am 27. Mai, durch das Ministerium für Staatssicherheit eine „Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie“ erlassen. Über die gesamte Länge der späteren Grenze wurde ein Kontrollstreifen unmittelbar vor der Demarkationslinie geschaffen. Das sich anschließende circa 500 Meter breite Gebiet bezeichnete man als Schutzstreifen. Ihm schloss sich in einer Tiefe von circa fünf Kilometern die Sperrzone an. Diese Einteilung blieb bis zum Fall der Mauer im Jahr 1989 bestehen. Die benannten Orte Asbach-Sickenberg, Wahlhausen und Lindewerra waren Gemeinden im Schutzstreifen und damit für Fremde kaum zu erreichen. 1952 wurde zeitgleich in allen Orten des Schutzstreifens und der Sperrzone eine Zwangsaussiedlung durchgeführt. Tausende von Menschen mussten innerhalb kürzester Zeit das Notwendigste packen und ihre Heimat verlassen. Dieser Vorgang lief unter der Tarnbezeichnung Aktion Ungeziefer. Ähnliches wiederholte sich 1961 nach Beginn des Mauerbaus unter dem Decknamen Aktion Kornblume.

Original Frontlader H.-J. Großes im Grenzmuseum „Schifflersgrund“
Portal des Grenzmuseums "Schifflersgrund"

Flucht

Am 29. März 1982 starb der 34-jährige Meliorationsarbeiter Heinz-Josef Große bei einer versuchten „Republikflucht“ direkt im Schifflersgrund. Als Zivilist war er über Jahre hinweg unmittelbar an der Grenze tätig gewesen. An diesem Tag führte er Erdarbeiten aus. Als sich die bewachenden Grenzposten in einem Geländewagen entfernt hatten, fuhr Große an eine Stelle des Grenzzaunes, an der er den Ausleger seines Frontladers über den mit SM-70-Minen gesicherten Zaun legen konnte. Er kletterte auf den Ausleger, sprang über den Zaun und versuchte, über eine steile Böschung die Grenzlinie zu erreichen. Die beiden zurückgeeilten Grenzposten bemerkten das Fahrzeug und den Flüchtenden. Auf Warnschüsse folgte gezieltes Gewehrfeuer. Heinz-Josef Große wurde tödlich im Rücken getroffen. Die Beisetzung erfolgte in seiner Heimatgemeinde Thalwenden. In der zensierten Traueranzeige durften keine Formulierungen verwandt werden, die Rückschlüsse auf ein unnatürliches Ableben ermöglicht hätten.

Die Flucht des Heinz-Josef Große wurde im Zeitzeugenbericht "Die Macht der Liebe" des Dokumentarfilmers Martin Schülbe aufgearbeitet.

Grenzmuseum

Unweit dieser ereignisreichen Schauplätze entstand in den Jahren 1990/91 das Grenzmuseum „Schifflersgrund“. Es war das erste seiner Art in der wiedervereinigten Bundesrepublik. Der aus einem Privatengagement entstandene Verein „Arbeitskreis Grenzinformation e.V.“ hatte sich zum Ziel gesetzt, einige historisch bedeutsame Fragmente des ehemaligen „antifaschistischen Schutzwalls“ zu konservieren und der Nachwelt zugänglich zu machen. Daraus ist eine komplette Museumsanlage entstanden, die ausführlich über die vorangenannten Ereignisse informiert und darüber hinaus als Lern- und Weiterbildungsort genutzt wird. Im Jahr 2009 hatte das Museum etwa 45.000 Besucher. [1]

Seit August 2009 erinnert die Skulpturengruppe „Verbrannte Träume“ des Holzbildhauers Sebastian Seiffert an die 26 Todesopfer zwischen 1945 und 1989 an der hessisch-thüringischen Grenze.[2]

Weblinks

 Commons: Schifflersgrund – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. http://www.hna.de/breakingnews/00_20100118123800_Elf_Prozent_mehr_Besucher_im_Grenzmuseum.html Meldung bei hna.de am 18. Januar 2010
  2. http://www.bsa-kurier.de/doc/0909_BSA_06.pdf
51.2852777777789.9936111111111

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