Schaubühne am Halleschen Ufer

Schaubühne am Halleschen Ufer

Die Schaubühne am Halleschen Ufer war ein deutsches Theater in Berlin-Kreuzberg, das in den Siebziger Jahren mit den Regisseur Peter Stein zu einem der berühmtesten deutschen Theater wurde. Die Schaubühne wurde als Mitbestimmungstheater betrieben und gilt als wichtigste institutionelle und künstlerische Konsequenz der Politisierung der 1968er Jahre.

Mit Schauspielern wie Bruno Ganz, Edith Clever, Jutta Lampe, Otto Sander und Peter Fitz und Aufführungen von Henrik Ibsens Peer Gynt (1971), Kleists Prinz Friedrich von Homburg (1972) und Maxim Gorkis Sommergäste (1974) sowie mit den ersten Dramen des Dramaturgen Botho Strauß und den Bühnenbildern von Karl-Ernst Herrmann schrieb die Schaubühne Theatergeschichte.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Die Anfänge der Schaubühne am Lehniner Platz gehen auf die Gründung der Berliner Schaubühne im Jahr 1962 zurück. Damals gründete Jürgen Schitthelm, der als einziges Gründungsmitglied und Alleingesellschafter bis in die Gegenwart (2011) dabei ist, zusammen mit Leni Langenscheidt, Waltraut Mau, Dieter Sturm und Klaus Weiffenbach eine freie Theatergruppe in einem Mehrzwecksaal der Arbeiterwohlfahrt in Kreuzberg, die Schaubühne am Halleschen Ufer. 1981 übersiedelte das Ensemble der Schaubühne in das renovierte Theatergebäude am Lehniner Platz.

1970 schufen Regisseure, Schauspieler und Theaterautoren um den Regisseur Peter Stein, der nach der Inszenierung von Vietnam Diskurs von Peter Weiss an den Münchner Kammerspielen Hausverbot erhalten hatte, weil er im Anschluss an die Aufführung Geld für die vietnamesische Befreiungsfront sammeln wollte, in der Aufbruchstimmung der 1968er ein Theaterkollektiv in einem kleinen Theater in Berlin-Kreuzberg.

Die Schaubühne wurde auf der Basis einer festgeschriebenen Gleichberechtigung aller Mitarbeiter als Mitbestimmungstheater betrieben. Die zentralen Zielvorstellungen der Gruppe waren Selbstbestimmung und künstlerische Freiheit jenseits der hierarchischen Strukturen der traditionellen Stadttheater.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb nach der ersten Premiere im Winter 1970, einer Gemeinschaftsproduktion von Bertolt Brechts Die Mutter mit Therese Giehse durch Wolfgang Schwiedrzik, Frank-Patrick Steckel und Peter Stein : Zuviel Freiheit für das Theater?

Anfangskonflikte

Nach dieser ersten Inszenierung verlangte die Berliner CDU die Streichung der staatlichen Subventionen. Der CDU-Abgeordnete Rudolf Mendel führte als Begründung an, die Schaubühne sei eine „kommunistische Zelle“ und unter dem Vorwand der Kunst werde dort „primitiver Agitationsunterricht“ erteilt. Der Berliner CDU-Vorsitzende Lorenz fügte hinzu, die Mitglieder des Theaters bis hin zum Bühnenarbeiter müssten sich zweimal die Woche „einer Schulung im Marxismus-Leninismus“ unterziehen. Außerdem werde an der Schaubühne in Wort und Tat alles lächerlich gemacht, „was in Berlin in den letzten 20 Jahren entstanden ist“. Es läge „kein künstlerisches Experiment vor, sondern eine klar gegen die Existenz der Stadt gerichtete Tätigkeit“. Die Erregung um das „Kollektivtheater“ der Schaubühne hatte eine Verzögerung der Auszahlung von 1,4 Millionen Mark Fördergeldern des Senats zur Folge.

Die Idee, das bürgerliche Theater durch ein Kollektiv zu ersetzen, ging jedoch bald verloren. Die Zeiten des Diskutierens mit Beleuchtern, Technikern und Bühnenbildnern war vorüber, „das Prinzip der kommentierenden und eingreifenden Beobachtung der Proben durch die Schauspieler“ wurde aufgehoben. Claus Peymann begann gegen das Mitbestimmungsmodell zu opponieren. Er bestand darauf, 1971 Peter Handkes Der Ritt über den Bodensee aufzuführen und drohte, die Schaubühne zu verlassen. Als Argument führte er den Erfolgsdruck an, da die politische Kontroverse und die Aussetzung der Subventionen die Aufmerksamkeit auf die Schaubühne gelenkt habe. Als Gerüchte aufkamen, die neuen Regisseure hätten das „Mitspracherecht“ innerhalb des Mitbestimmungstheaters sabotiert, rief Peymann eine Pressekonferenz ein, um zu dementieren.

Ein Teil des Theater-Kollektivs an der Schaubühne führte parallel zu Peymanns Handke-Inszenierung Hans Magnus Enzensbergers Verhör von Habanna auf, eine Arbeit, die auf genauen Recherchen zur Geschichte der kubanischen Revolution, zur Arbeit der CIA, zur Schweinebuchtinvasion und zur Strategie des „US-Imperialismus“ beruhte. Mit dieser Arbeit gedachte man Peymann und Handke entgegen zu treten. Der Spiegel lobte diese „konsequente Kollektivproduktion“, doch war auch Peymanns bürgerlicher Inszenierung großer Erfolg beschieden. Peymann wurde kurze Zeit später vom Ensemble „verabschiedet“.

Im Frühjahr 1971 kam es mit Peer Gynt von Henrik Ibsen, in der Regie von Stein zu einer europaweit beachteten Sensation. Das Ensemble wurde hierfür mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet (1971).

Die Schaubühne war geboren, der Name wurde bald zum Synonym für Theaterkunst in Deutschland.

Aufführungen

Peter Stein und der Dramaturg und Autor Botho Strauß machten die Schaubühne bald weit über die Grenzen Berlins und Deutschlands berühmt. Es entstanden dort bahnbrechende Arbeiten durch Peter Stein, Klaus Michael Grüber und Bob Wilson mit einem glanzvollen Ensemble, dem u.a. Bruno Ganz, Edith Clever, Jutta Lampe, Angela Winkler, Monica Bleibtreu, Otto Sander, Peter Fitz, Dieter Laser, Michael König, Heinrich Giskes, Hans Diehl, Wolf Redl, Sabine Andreas, Tina Engel, Elke Petri, Ilse Ritter, Elfriede Irrall, Katharina Tüschen, Werner Rehm, Rüdiger Hacker und Ulrich Wildgruber angehörten. Steins engste Mitarbeiter waren der Bühnenbildner Karl Ernst Herrmann, die Kostümbildnerin Moidele Bickel, der Dramaturg Dieter Sturm und der Komponist Peter Fischer.

Peter Stein

Stein gelang es, in enger Zusammenarbeit mit dem Ensemble einen ebenso psychologischen wie emotionalen Zugang zu den verschiedenen Texten und Epochen zu finden.

Klaus Michael Grüber

Den Gegenpol zu Steins Arbeiten bildeten die Inszenierungen von Klaus Michael Grüber, der zum zweiten großen Fixstern der Schaubühne neben dem rational-klar arbeitenden Peter Stein avancierte.

Bob Wilson

Weiterer Regisseur an der Schaubühne war Robert Wilson, der 1979 mit Death Destruction & Detroit erstmals in Deutschland in Erscheinung trat.

Andere Regisseure

Endzeit und Übergang

Kritische Stimmen bezeichneten die Schaubühne bald als „konterrevolutionär“ und warfen ihr wegen des überregionalen Erfolgs vor, sie bediene nur die Unterhaltungssucht der Massen. Die Schaubühne hatte sich vom Studenten- und Kollektivtheater in ein renommiertes Haus verwandelt. Die FAZ schrieb bereits im Frühjahr 1972; „Geblieben ist das große Show-Theater, das Pflichtübungen in Sachen Revolution leistet, ansonsten aber sich immer weniger vom Theater der Stars unterscheidet, das eben nur Gesellschaftsspiel ist!“ Es ginge nur mehr um Sensationen, Superlative, Subventionen - lauteten andere kritische Stimmen.

Die letzte Aufführung der Schaubühne am Halleschen Ufer war eine achtstündige Orestie des Aischylos in der Regie von Peter Stein.

Das Ensemble übersiedelte 1981 an den Kurfürstendamm in die Schaubühne am Lehniner Platz.

Literatur

  • Peter Iden: Die Schaubühne am Halleschen Ufer 1970–1979, München/Wien: Carl Hanser Verlag , 1979
  • Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.): Politisches Theater nach 1968 : Regie, Dramatik und Organisation, Frankfurt/Main 2006 ISBN 978-3-593-38008-7

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