Schabowski

Schabowski
Günter Schabowski (1982)

Günter Schabowski (* 4. Januar 1929 in Anklam, preußische Provinz Pommern) ist ein ehemaliger Journalist, SED-Funktionär und Mitglied des Politbüros des ZK der SED in der DDR.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schabowski spricht bei der Berliner Großdemonstration am 4. November 1989

DDR

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs wandte sich Schabowski der Idee des Kommunismus zu. 1946 trat er dem FDGB bei, 1950 der FDJ und seit 1952 war er Mitglied der SED. Seit 1947 arbeitete er als Redakteur der Gewerkschaftszeitung Tribüne, deren stellvertretender Chefredakteur er von 1953 bis 1967 war. In dieser Zeit schloss er auch ein Journalismus-Fernstudium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig ab. Als Zeichen seines politischen Aufstiegs folgte die Ausbildung an der Parteihochschule der KPdSU in Moskau in den Jahren 1967 und 1968. Im Anschluss an diese Zeit arbeitete Schabowski beim SED-Zentralorgan Neues Deutschland, dessen Chefredakteur er von 1978 bis 1985 war. Mit dieser für die Parteipropaganda wichtigen Position war auch ein weiterer politischer Aufstieg verbunden. 1981 wurde er Mitglied im Zentralkomitee der SED und 1984 Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED. Ein Jahr später wurde er nach dem Sturz von Konrad Naumann Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED von Ost-Berlin; damit auch Vorsitzender der Bezirkseinsatzleitung (BEL) Berlin. Er unterstand direkt dem Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates. Aufgrund dieser Position war er zeitweise als Nachfolger Erich Honeckers für die Position des Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretärs der SED im Gespräch.

Wende

Pressekonferenz am 9. November 1989

Mit den beginnenden Protesten in der DDR geriet auch Schabowski als führendes Mitglied des Politbüros immer stärker unter Druck. Als einziger hoher SED-Funktionär trat Schabowski am 4. November 1989 auf der größten Protestdemonstration in der Geschichte der DDR auf dem Berliner Alexanderplatz auf und wurde dort gemeinsam mit Markus Wolf als Vertreter der „alten Kräfte“ ausgepfiffen. Zwei Tage später wurde –erstmalig für die DDR– die Stelle eines Sekretärs des ZK der SED für Informationswesen geschaffen (in etwa vergleichbar mit einem Regierungssprecher) und mit Schabowski besetzt. Seinen Platz in der Geschichtsschreibung sicherte er sich durch seinen ersten, gleich folgenschweren öffentlichen Auftritt in dieser Funktion: Am Abend des 9. November 1989 verlas Schabowski auf einer internationalen Pressekonferenz, die live im DDR-Fernsehen übertragen wurde, als Antwort auf eine Frage des italienischen Journalisten und ANSA-Korrespondenten Riccardo Ehrman die Nachricht über eine neue Reiseregelung, die von je zwei hohen Offizieren des Innenministeriums und der Staatssicherheit formuliert worden war:

Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Paß- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne daß dabei noch die Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. […] Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen.

Auf die Frage eines Journalisten, ab wann die neue Regelung gelte, antwortete Schabowski wörtlich: „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“[1] (Gegenüber der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel berichtet Ehrman fast zwanzig Jahre später, dass er zuvor einen Hinweis von einem hohen SED-Funktionär erhalten habe, genau nach diesem neuen Reisegesetz zu fragen. Schabowski hält den Sachverhalt für denkbar, schließt aber aus, darin eingeweiht gewesen zu sein.[2])

Die Reiseregelung sollte eigentlich erst am folgenden Tag um 4 Uhr früh veröffentlicht werden.[3] Doch einmal live den Medien der ganzen Welt verkündet, führten diese Sätze bereits am selben Abend zur Maueröffnung, da sie tausende Berliner veranlassten, zu den Grenzübergangsstellen zu ziehen und massiv deren Öffnung zu verlangen. Am Ost-Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße kamen dieser Forderung die dort ihren Dienst verrichtenden Offiziere der Passkontrolleinheit (PKE, Staatssicherheit, Abteilung VI) und der Grenztruppen der DDR zuerst nach und lösten damit eine Kettenreaktion an allen Grenzübergängen in und um Berlin aus. Kurz nach Mitternacht kam es dann auch zu weiteren Öffnungen an der innerdeutschen Grenze zur Bundesrepublik.

Wiedervereinigtes Deutschland

Als am 3. Dezember 1989 das ZK und das Politbüro der SED geschlossen zurücktraten, leitete dies auch das Ende Schabowskis als Funktionär der DDR-Führung ein. Seinen Ausschluss aus der SED-PDS am 21. Januar 1990 empfand er als tiefe persönliche Enttäuschung. Beruflich musste er wieder ganz unten anfangen. Von 1992 bis 1999 arbeitete er als Redakteur bei den Heimat-Nachrichten in Rotenburg an der Fulda (Hessen), einer lokalen Wochenzeitung, die er gemeinsam mit dem westdeutschen Journalisten und Verleger Gerald H. Wenk gründete. Seit 1993 lief ein Verfahren gegen ihn wegen der Fälschung der Ergebnisse der DDR-Kommunalwahlen im Mai 1989, das aber 1997 eingestellt wurde.

Günter Schabowski (2007)

In einem der umfangreichsten Prozesse der Nachkriegsgeschichte, dem so genannten Politbüroprozess, wurde Schabowski zusammen mit anderen wegen vielfachen Totschlags vor dem Landgericht Berlin angeklagt und für den Tod von DDR-Flüchtlingen verantwortlich gemacht. Durch einen Zufall war der Vorsitzende Richter derselbe, der schon über Erich Honecker zu urteilen hatte. In einem spektakulären Auftakt wurde der Richter von Schabowski durch einen von seinen Verteidigern vorgebrachten Antrag erfolgreich als befangen abgelehnt und der erste Prozess platzte. Nach einer langen Verhandlung unter dem Vorsitz eines anderen Richters verurteilte das Berliner Landgericht im August 1997 Schabowski zusammen mit Egon Krenz und Günther Kleiber wegen Totschlags zu einer Strafe in Höhe von drei Jahren und machte ihn damit für den Schießbefehl an der Mauer mitverantwortlich. Zwar ging er gegen die rechtliche Würdigung des Urteils beim Bundesgerichtshof in Revision, doch erkannte er seine moralische Schuld an den Todesschüssen an. Am 8. November 1999 wurde das Urteil schließlich rechtskräftig. Schabowski akzeptierte das Urteil sofort - im Gegensatz zu Egon Krenz, der vergeblich versuchte, durch den Europäischen Gerichtshof eine Aufhebung des gegen ihn ergangenen Urteils in Höhe von sechs Jahren und sechs Monaten zu erreichen. Im Dezember trat er die Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Hakenfelde in Berlin-Spandau an, wurde jedoch schon im September 2000 vom damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin Eberhard Diepgen begnadigt und nach einem knappen Jahr Haft im offenen Vollzug am 2. Dezember entlassen. Seine Verteidiger waren der Strafverteidiger und Wirtschaftsanwalt Ferdinand von Schirach und Dirk Lammer.

Schabowski ist einer der wenigen ehemaligen SED-Führer, die sich öffentlich und im Politbüroprozess zu ihrer Mitverantwortung an den negativen Aspekten der DDR bekannten und an deren Aufarbeitung mitwirkten. Mit seiner früheren Tätigkeit als ranghoher Politiker der DDR verbindet ihn heute nichts mehr. Schabowski betrachtet auch die SED-Nachfolgerin PDS kritisch. 2001 fungierte er gemeinsam mit der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley als Berater des damaligen CDU-Kandidaten für das Amt des Berliner Regierenden Bürgermeisters, Frank Steffel.

Schabowski ist verheiratet und hat mit seiner Frau Irina zwei Söhne. Er lebt in Berlin.

Auszeichnungen

Zitate

  • „Am meisten bedrückt mich, dass ich ein verantwortlicher Vertreter eines Systems war, unter dem Menschen gelitten haben, dass Repressionen gegen einzelne Menschen gerichtet waren, die wegen ihrer oppositionellen Haltung verfolgt wurden. Ihre Einstellung war die richtige. Meine Einstellung war die falsche. Wir waren nicht demokratiefähig, sondern haben versucht, mangels besserer Argumente uns der anderen Meinung mittels direkter Gewalt zu entledigen.“
  • „Da stand ich dort am 9. November in der Nähe des Grenzübergangs, und ein Mitarbeiter des MfS informierte mich darüber, dass es bei der Öffnung der Grenze keine besonderen Vorkommnisse gegeben hatte. Erst Wochen später wurde ich mir über die Absurdität bewusst, dass ein Mann von der StaSi kein besonderes Vorkommnis am Öffnen der Mauer finden kann.“
  • Ostalgie ist nicht mein Ding. Manchem erscheint die DDR in rückblickender Verklärung als ein Hort sozialer Sicherheit. Tatsächlich ist die DDR nicht zuletzt daran zugrunde gegangen, dass sie infolge wirtschaftlicher Ineffizienz ihre sozialen Verheißungen nicht finanzieren konnte.“ [4]

Schriften

  • Der Absturz. Berlin: Rowohlt, 1991.
  • Das Politbüro. Ende eines Mythos. Eine Befragung. Hrsg. von Frank Sieren und Ludwig Koehne. Rowohlt: Reinbek, 1991.
  • Der geröntgte Marx, in: Aufklärung und Kritik, Sonderheft 10/2005: Was bleibt vom Marxismus? S. 71-76. (Online-Fassung)

Literatur

  • Der Geläuterte In: Rheinischer Merkur, Nr.26/2008, Seite 35.

Einzelnachweise

  1. Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls, Ch. Links, 10. Auflage, Berlin 2006, S. 145
  2. http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/1989-Mauerfall;art122,2775102
  3. Hans-Hermann Hertle: Chronik des Mauerfalls, Ch. Links, 10. Auflage, Berlin 2006, S. 123
  4. In Mitteldeutsche Zeitung, 6. November 2005.

Weblinks


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