Sapir-Whorf-These

Sapir-Whorf-These

Die Sapir-Whorf-Hypothese besagt, dass die Sprache das Denken formt.

Sie ist eine unter mehreren Hypothesen, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Sprache und Denken befassen. Dabei geht es um die Frage, wie sich eine bestimmte Sprache mit ihren grammatischen und lexikalischen Strukturen auf die Welterfahrung der betreffenden Sprachgemeinschaft auswirkt.

Im 19. Jahrhundert entwickelte Wilhelm von Humboldt in einem Vorwort (mit dem Titel Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts) zu einer typologischen Untersuchung über die Kawi-Sprachen den Begriff Innere Sprachform, der oft in Richtung Linguistische Relativität interpretiert wird. In seiner Nachfolge vertrat Leo Weisgerber sein Konzept des sprachlichen Weltbildes.

Whorfs Gedanken sind denen Humboldts sehr ähnlich, es ist allerdings nicht klar, ob er von der Existenz der Arbeit Humboldts wusste. [1]

Inhaltsverzeichnis

Die Sapir-Whorf-Hypothese

In der Linguistik besagt die Sapir-Whorf-Hypothese, dass die Art und Weise, wie ein Mensch denkt, stark durch Grammatik und Wortschatz (die semantische Struktur [2]) seiner Muttersprache beeinflusst oder bestimmt wird. Daraus folgt, dass es bestimmte Gedanken einer einzelnen Person in einer Sprache gibt, die von jemandem, der eine andere Sprache spricht, nicht verstanden werden können. Die kontrovers diskutierte Annahme wurde von Benjamin Whorf aufgestellt, der sich auf den Sprachwissenschaftler Edward Sapir beruft und die Hypothese gemeinsam mit ihm vertrat. Whorf selbst war Chemieingenieur und hatte seine linguistischen Kenntnisse autodidaktisch erworben.

Die Hypothese wurde in den 1950er Jahren bekannt, als Whorfs Schriften zu dem Thema postum veröffentlicht wurden.

Die Sapir-Whorf-Hypothese setzt sich aus zwei Thesen zusammen: dem Prinzip der sprachlichen Relativität (Pelz) und der Abhängigkeit der Begriffsbildung von der Sprache[3]. Geht man von einem linguistischen Determinismus aus, folgt daraus eine prinzipielle Unübersetzbarkeit fremdsprachlicher Texte.

Prinzip der sprachlichen Relativität

Definition

Das Prinzip der sprachlichen Relativität besagt, „dass die Sprachen die außersprachliche Wirklichkeit nicht alle in der gleichen Weise aufteilen“, gleichsam Netze sind, die mit unterschiedlichen Maschen über die Wirklichkeit geworfen werden.[4]

Das so definierte Prinzip der sprachlichen Relativität (in der Diktion von Pelz) ist zu unterscheiden vom linguistischen Relativismus, der die Abhängigkeit des Denkens von der Sprache betrifft (siehe unten).

Befund und Beispiele

Hinsichtlich des Prinzips der sprachlichen Relativität muss man zwischen dem Streit um einzelne angebliche Forschungsergebnisse, insbesondere die von Whorf, und dem letztlich unproblematischen Befund unterscheiden.

So sollen Whorfs Forschungsergebnisse bei den Hopi-Indianern durch empirische Nachuntersuchungen „z. T. in Frage gestellt“ worden sein.[5]

Als Standard-Beispiele werden genannt:

  • Unterschiede in den Termini für Farben. Dieses Forschungsgebiet geht auf eine Studie von Brent Berlin und Paul Kay zurück (siehe Literatur):
    Deutsch: grün, blau, grau, braun
    Walisisch: gwyrdd (für grün), glas (grün, auch blau/grau), llwyd (Anteile von „grau“ und „braun“).
  • Kulturell relevante Konzepte spiegeln sich im Lexikon einer Sprache. Von Whorf selbst wurde dies durch die vermeintliche Existenz einer angeblich enorm großen Anzahl von Eskimo-Wörtern für Schnee illustriert, was aber als widerlegt gilt und sich zu einem internen Linguistenwitz entwickelt hat. Ein anderes angeführtes Beispiel sind Lexeme für den Reis im Japanischen[4].

Fälle der so genannten lexikalischen Inkongruität (Nichtdeckungsgleichheit im Wortschatz)[4] werden auch unabhängig von der Sapir-Whorf-Hypothese angeführt:

Bekannt ist das „Holz-Wald-Baum-Beispiel“[6] von Louis Hjelmslev, der darauf hingewiesen hat, dass der Inhaltsbereich „Baum – Holz – Wald“ im Dänischen, Französischen und im Deutschen unterschiedlich gegliedert ist: „træ – træ – skov“ im Dänischen und „arbre – bois – bois“ im Französischen[7].

Dieser zwischensprachliche und innersprachliche – und ein entsprechender synchronischer und diachronischer – Befund führt in der lexikalischen Semantik zur Untersuchung von Wortfeldern.

Die Kontroverse der Deutung der sprachlichen Relativität

Kontrovers ist die Deutung dieser Struktur- und Sprachabhängigkeit der Wortbedeutungen:

Wenn man schon die Grundunterscheidung zwischen Wort und Begriff entweder nicht beachtet oder auf Grund einer nominalistischen Position nicht mitmacht, scheint das linguistische Relativitätsprinzip notwendig auch zu einem begrifflichen Relativismus zu führen. So heißt es in der Vorgängerversion: „Zentral in der Sapir-Whorf-Hypothese ist die Idee der linguistischen Relativität, die aussagt, dass die Bedeutungsunterschiede zwischen verwandten Begriffen in einer Sprache oft beliebig sind und nur für diese Sprache gelten.“

In realistischer Perspektive besagt das Prinzip der sprachlichen Relativität nur, dass die Bedeutung der Sprachzeichen auf Grund ihrer Beliebigkeit und Konventionalität zwar von der Struktur des jeweiligen Wortfeldes abhängt, sich dadurch aber nichts an der einen objektiven Wirklichkeit und an ihrer Erkennbarkeit ändert.

In Schwierigkeiten scheint allerdings eine rationalistische, kognitivistische Erkenntnistheorie zu geraten. Jedenfalls für Hjelmslev stand für sein Beispiel (oben) fest, dass das „Konzept“ Wald „eine sprachliche und keine generelle, sprachunabhängige kognitive Form des Denkens“ ist.[7]

Lehnt man eine realistische Erkenntnisposition ab, so spielt dies einem Empirismus entgegen bzw. umgekehrt: Um eine empiristische Prämisse zu stützen, geht man von einer grundsätzlichen Unübersetzbarkeit aus (siehe unten).

Die Abhängigkeit der Erkenntnis von der Sprache – linguistischer Determinismus oder Relativismus?

Vom Phänomen der sprachlichen Relativität zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit die menschliche Erkenntnis durch die Sprache bedingt ist.

Die Sapir-Whorf-Hypothese geht darüber hinaus davon aus, dass die semantische Struktur einer Sprache die Möglichkeiten der Begriffsbildung von der Welt entweder determiniert oder limitiert.[8] Sie ist die „Annahme, dass die erlernte (Mutter-) Sprache die Erfahrung, das Denken und Handeln der Menschen determiniere, jede Sprache eine spezifische Weltsicht vermittle“[9]; die These, dass die Sprache unser Weltbild prägt [10].

Zu betonen ist, dass der spezifische Inhalt der Sapir-Whorf-Hypothese nicht der Einfluss der Sprache auf das Denken ist, sondern die Behauptung eines kausal zwingenden Einflusses der Sprache, dem man sich gar nicht entziehen kann, auch wenn man um ihn weiß.[11] Die Sapir-Whorf-Hypothese wird auch linguistischer Relativismus (im engeren Sinn, engl. linguistic relativism) genannt, in einer extremen Form auch linguistischer Determinismus (engl. linguistic determinism).[8]

Einen sprachlichen Determinismus vertrat im Grunde schon zuvor Wilhelm von Humboldt, der im 18. Jahrhundert die Hypothese von der sprachlich vermittelten „Weltansicht“ vertrat[12]. Ein empirischer Beweis konnte bis heute nicht erbracht werden, obwohl dies oft versucht wurde.[11]

Als Beispiel, wie die Sprache die Wahrnehmung beeinflusst, wird eine Begebenheit von Whorf angeführt[13]:

Benjamin Lee Whorf arbeitete als Inspektor bei einer Versicherungsgesellschaft. Dort untersuchte er Schadensfälle. Ein Kessel, der vorher Flüssigbrennstoff enthielt, war mit einer Aufschrift gekennzeichnet: „leer“. Es kam zu einer Explosion, weil die Arbeiter nicht an die Möglichkeit glaubten, dass ein leerer Behälter gefährlich sein könne. Das Wort „leer“ hatte ihnen die Möglichkeit genommen, an eine Gefahr zu denken. Eine relevante Information wäre gewesen: „Vorsicht! Kessel kann explosive Gase enthalten.“

Auswirkungen auf die Möglichkeit von Übersetzungen fremdsprachlicher Texte

Die Sapir-Whorf-Hypothese führt zu der These von der grundsätzlichen Unübersetzbarkeit fremdsprachlicher Texte. Dies ist dann ein Problem der Übersetzungstheorie (Übersetzung).

Einzelnachweise

  1. (Bußmann 2002: „sprachlicher Determinismus“, „Sapir-Whorf-Hypothese“; Gipper 1972; Crystal 1993: 14f.).
  2. P.H. Matthews: Concise Dictionary of Linguistics, Oxford University Press, 1997, Eintrag “Sapir-Whorf hypothesis”
  3. Pelz: Linguistik. (1996). S. 37
  4. a b c Pelz: Linguistik. 1996. S. 35
  5. Pelz: Linguistik. 1996. S. 34
  6. Trabant: Semiotik. 1996. S. 51
  7. a b Trabant: Semiotik. 1996. S. 49
  8. a b Matthews: The Concise Dictionary of Linguistics. 2005. Eintrag “Sapir-Whorf hypothesis”
  9. Ulrich: Linguistische Grundbegriffe. 5. Auflage, 2002. Eintrag „Sapir-Whorf-Hypothese“
  10. Homberger: Sachwörterbuch zur Sprachwissenschaft. 2000. Eintrag „Linguistisches Relativitätsprinzip“
  11. a b Stolze: Übersetzungstheorien. 4. Auflage, 2005. S. 30
  12. Pelz: Linguistik. 1996. S. 36
  13. ausführlich in „Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie“, S.74. B. L. Whorf

Literatur

  • Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. Kröner, Stuttgart, 3. aktualisierte und erweiterte Auflage 2002. ISBN 3-520-45203-0
  • Brent Berlin & Paul Kay: Basic Color Terms: Their Universality and Evolution. Berkeley: University of California Press, 1969.
  • David Crystal: Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. Übersetzung und Bearbeitung der deutschen Ausgabe von Stefan Röhrich, Ariane Böckler und Manfred Janssen. Campus, Frankfurt/ New York 1993. ISBN 3-593-34824-1
  • Helmut Gipper: Bausteine zur Sprachinhaltsforschung. Neuere Sprachbetrachtung im Austausch mit Geistes- und Naturwissenschaft. Schwann, Düsseldorf 1963. (Zu Whorf: Kap. 5)
  • Helmut Gipper: Gibt es ein sprachliches Relativitätsprinzip? Untersuchungen zur Sapir-Whorf-Hypothese. S. Fischer, Frankfurt 1972. ISBN 3-10-826301-3
  • Homberger: Sachwörterbuch zur Sprachwissenschaft. 2000
  • Ulrich: Linguistische Grundbegriffe. 5. Auflage, 2002
  • Benjamin Lee Whorf: Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie. Rowohlt, Reinbek 1963.

Weblinks


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