Sabina Spielrein

Sabina Spielrein

Sabina Naftulowna Spielrein (russisch Сабина Нафтуловна Шпильрейн; * 26. Oktoberjul./ 7. November 1885greg. in Rostow am Don; † 12. August 1942 ebenda) war eine russisch-jüdische Psychoanalytikerin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Sabina Spielrein wurde 1885 als Tochter des vermögenden jüdischen Kaufmanns Naftula (später Nikolai) Spielrein und seiner Ehefrau Eva geboren. Die Mutter hatte Zahnmedizin studiert, widmete sich aber vorwiegend ihren fünf Kindern. Spielrein besuchte das Mädchengymnasium in Rostow und schloss es 1904 mit der Reifeprüfung ab.

1904 wurde sie wegen „Hysterie“ in die psychiatrische Klinik Burghölzli in Zürich eingewiesen und u.a. von Carl Gustav Jung, dort Oberarzt, behandelt. Im Frühling 1905 begann sie ihr Medizinstudium an der Universität Zürich. 1905–1909 war Spielrein Analysandin und – im Anfangsstadium der Psychoanalyse – für kurze Zeit Geliebte von C.G. Jung. Aufgrund dieser 'therapeutischen Grenzverletzung' begann C.G. Jung 1906 mit Sigmund Freud einen Briefwechsel, woraufhin – was die Geburtsstunde der Lehranalyse darstellt – dieser an dem Diktum der Psychoanalyse arbeitete, dass jeder Analytiker zunächst selbst als Analysand eine Analyse durchlaufen muss, bevor er Patienten betreut. Die Analyse Spielreins bei Jung endete 1909 abrupt.

1911 promovierte Spielrein als erste Frau mit einem dezidiert psychoanalytischen Thema in Zürich zum Dr.med. mit der Arbeit Über den psychologischen Inhalt eines Falles von Schizophrenie. Spielrein hielt sich in München und neun Monate in Wien auf und lernte dort Sigmund Freud persönlich kennen. Sie nahm an den legendären Mittwoch-Gesellschaften teil und wurde als wohl erste Frau in die "Wiener Psychoanalytische Vereinigung" aufgenommen.

1912 heiratete sie den russischen jüdischen Arzt Pawel Naumowitsch Scheftel in Rostow am Don. Im Dezember 1913 kam die gemeinsame Tochter Irma Renata in Berlin zur Welt. Spielrein publizierte mehrere Aufsätze zu Kinderpsychologie und anderen Themen. Bei Beginn des I. Weltkrieges gelang Pawel Scheftel und Sabina Spielrein die Flucht aus Deutschland in die Schweiz. Pawel Scheftel verließ Frau und Kind, um in sein Kiewer Regiment einzutreten. Sabina Spielrein blieb mit ihrer kleinen Tochter im Westen. Sie lebte 1915 bis 1921 in Lausanne und publizierte weiter in den psychoanalytischen Zeitschriften.

1921 war sie acht Monate in Genf die Psychoanalytikerin von Jean Piaget. 1923 kehrte sie mit ihrer Tochter in das inzwischen sowjetisch gewordene Russland zurück. Sie wurde Mitglied der Russischen Psychoanalytischen Vereinigung und Mitarbeiterin am Staatlichen Psychoanalytischen Institut in Moskau. Spielrein kehrte 1924 in ihre Geburtsstadt Rostow am Don zurück und lebte wieder mit ihrem Mann Pawel Scheftel zusammen. 1926 bekam das Paar eine zweite Tochter, Eva.

1935–1937 "verschwanden" Sabinas Brüder Isaak, Jan und Emil Spielrein, vermutlich im Gulag, (auf dem XX. Parteikongress der KPdSU 1956 unter Chruschtschow wurden sie rehabilitiert.) 1936 wurde in der Sowjetunion die Psychoanalyse verboten. Spielrein arbeitete jetzt als Pädologin, später hatte sie ein Teilzeitpensum als Ärztin. Sie schrieb jedoch weiterhin und veröffentlichte Aufsätze in westlichen psychoanalytischen Zeitschriften.

Nachdem am 24. Juli 1942 im Rahmen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion die Stadt Rostow das 2. Mal eingenommen war, mussten sich die in Rostow lebenden Juden am 11./12. August 1942 in einem Schulgebäude versammeln und wurden dann zur Smijowskaja Balka (Schlangenschlucht) getrieben, wo sie erschossen wurden. Darunter waren auch die 57-jährige Sabina Spielrein und ihre beiden Töchter Renata, 29, und Eva, 16.

Eine späte Würdigung erhielt ihr Leben durch den Dokumentarfilm Ich hieß Sabina Spielrein, der ihr auch tragisches Schicksal einem breiteren Publikum bekannt machte.

Im September 2011 wurde der unter der Regie des Kanadiers David Cronenberg in Deutschland, Österreich und der Schweiz gedrehte US-amerikanische Kinofilm Eine dunkle Begierde (A Dangerous Method) herausgebracht, der in künstlerischer Freiheit, aber teilweise den Fakten folgend, die Verbindungen im Dreieck Sabina Spielrein – C. G. Jung – Sigmund Freud in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg thematisiert. Sabina Spielrein wird von der englischen Schauspielerin Keira Knightley gespielt.

Werk

Sabina Spielrein befasste sich in ihren psychoanalytischen Publikationen unter anderem mit schizophrenen Psychosen, Träumen und der Destruktion als Ursache des Werdens. In letzterem Werk entwickelte Spielrein das Thema des Todeswunsches in der Libido, das Freud zur Idee vom Todestrieb inspirierte.

Zudem hinterließ sie Tagebücher sowie Briefwechsel mit Sigmund Freud und mit Carl Gustav Jung, welche mittlerweile veröffentlicht sind und als wichtige Dokumente aus der Frühphase der Psychoanalyse gelten.

Literatur

Primärliteratur

  • Sabina Spielrein: Sämtliche Schriften. Mit einem Vorwort von Ludger Lütkehaus. Psychosozial-Verlag, Gießen 2002, ISBN 3-89806-146-9. [1]
  • Sabina Spielrein: Tagebuch einer heimlichen Symmetrie – Sabina Spielrein zwischen Jung und Freud. Herausgegeben von Aldo Carotenuto mit einem Vorwort von Johannes Cremerius. Kore, Freiburg im Breisgau 1986, ISBN 3-926023-01-5. (Original Italienisch: Diario di una segreta simmetria — Sabina Spielrein tra Jung e Freud. Astrolabio – Ubaldini, Rom 1980.) (Aktualisierte Neuauflage: Tagebuch und Briefe – Die Freu zwischen Jung und Freud. Psychosozial-Verlag, Gießen 2003, ISBN 3-89806-184-1. [2])

Sekundärliteratur

  • Alexander Etkind: Eros des Unmöglichen. Die Geschichte der Psychoanalyse in Russland. Kiepenheuer, Leipzig 1996, ISBN 3-378-01006-1.
  • Renate Höfer: Die Psychoanalytikerin Sabina Spielrein. 1. Teil. Christel Göttert, Rüsselsheim 2000, ISBN 3-922499-41-4. [3]
  • John Kerr: Eine höchst gefährliche Methode. Freud, Jung und Sabina Spielrein. Kindler, München 1994. (Aus dem Amerikanischen von Christa Broermann und Ursel Schäfer.)
  • Wolfgang Martynkewicz: Sabina Spielrein und Carl Gustav Jung. Eine Fallgeschichte. Rowohlt, Berlin 1999, ISBN 3-87134-287-4. [4]
  • Sabine Richebächer: Bist mit dem Teufel du und du und willst Dich vor der Flamme scheuen? Sabina Spielrein und C.G. Jung: ein verdrängtes Skandalon der frühen Psychoanalyse. In: Thomas Sprecher: Das Unbewusste in Zürich. Literatur und Tiefenpsychologie um 1900. NZZ Verlag, Zürich 2000, ISBN 3-85823-834-1. S. 147–187.
  • Sabine Richebächer: Sabina Spielrein – Eine fast grausame Liebe zur Wissenschaft. Biographie. Dörlemann Verlag, Zürich 2005, ISBN 978-3-908777-14-4. [5]
  • Sabine Richebächer: "Ich sehne mich danach, mit Ihnen allen zusammenzukommen...." – Ein Brief von Sabina Spielrein-Scheftel (Rostow am Don) an Max Eitingon vom 24. August 1927. In: Luzifer-Amor – Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse. 21. Jg., Heft 42, edition discord, Tübingen 2008, ISSN 0933-3347

Filme

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rainer Zuch: Die Wiederkehr der Verdrängten. Rezension zu Sabina Spielrein: Sämtliche Schriften. Bei literaturkritik.de, November 2004, abgerufen am 3. September 2011.
  2. Verlagsinformation zur Neuauflage von Sabina Spielrein: Tagebuch und Briefe. Die Frau zwischen Jung und Freud. Abgerufen am 3. September 2011.
  3. Pressestimmen zu Renate Höfer: Die Psychoanalytikerin Sabina Spielrein. Beim Verlag, abgerufen am 3. September 2011.
  4. Rolf Löchel: C. G. Jungs Frauenstaat. Rezension zu Wolfgang Martynkewicz: Sabina Spielrein und Carl Gustav Jung. Eine Fallgeschichte. Bei literaturkritik.de, Oktober 2001, Abgerufen am 3. September 2011.
  5. Verlagsinformation, mit Leseprobe und Pressestimmen. Zur Biographie Sabina Spielrein – "Eine fast grausame Liebe zur Wissenschaft" von Sabine Richebächer. Abgerufen am 3. September 2011.
  6. Offizielle Film-Website Abgerufen am 3. September 2011.
  7. Rezensionen: 1 (der Freitag Nr. 48, 21. November 2003) / 2 (Brigitte Häring, myBasel.ch) / 3 (Anne Kraume in taz, 17. November 2003) / 4 (Sabine Hensel bei Cinema Schweizer Filmjahrbuch). Abgerufen am 3. September 2011.
  8. Offizielle Film-Website. (Im Internet Archive.)
  9. Filmbericht aus Venedig. In: Tages-Anzeiger vom 3. September 2011, abgerufen am 2011.

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