SV-Motor

SV-Motor
Seitenventiler-Motor der Norton 16H
Seitenventiler-Motor der BMW R 42

Die SV-Ventilsteuerung (Side Valves) oder Seitenventil-Anordnung bezeichnet eine Bauweise beim Viertaktmotor, bei der die Ventile seitlich neben den Zylindern angeordnet sind. Gelegentlich wird der Terminus stehende Ventile verwendet, im angelsächsischen Sprachraum dominiert die Bezeichnung Flathead. Charakteristisches Merkmal eines SV-Motors ist, dass der Zylinderkopf keine Teile des Ventiltriebs enthält. Auf den ersten Blick werden SV-Motoren deshalb häufig mit Zweitaktmotoren verwechselt.

Inhaltsverzeichnis

Bilderläuterungen

Das obere Bild zeigt einen Norton-Motor des meistgebauten Typs 16H. Die englische Armee nutzte ihn mit einigen hunderttausend gebauten Maschinen im Zweiten Weltkrieg. Der Seitenventil-Antrieb ist hinter der silbernen Gehäusekappe mit dem Schriftzug "Norton" am Zylinder verborgen. Der kleine dunkle Hebel ist der Dekompressionshebel, richtiger, ein Ventilausheber: Er erlaubt das Offenhalten des Auslassventiles per Hand, um den Startvorgang zu erleichtern.

Das untere Bild zeigt den offenen Ventiltrieb des Motorrades BMW R 42 aus den 1920er Jahren. Die mittig über dem Motor liegende Nockenwelle betätigt über Stößeltassen die offenliegenden Ventile (überm Zylinder, links oberhalb des Auspuffrohres). Auch die Ventilfedern sind offenliegend. Die hier kleineren Zylinderhubräume (je 250 cm³) benötigen keine Dekompressionseinrichtung für den Motorstart.

Historisches

Die Notwendigkeit der Gaswechselsteuerung von Kreisprozess-Motoren ist so alt wie die Dampfmaschine. Das Schieber-System der Dampfmaschine eignet sich jedoch nicht zum Steuern brennbarer Gase. Daher musste Nikolaus August Otto für den Viertaktmotor etwas anderes bauen: einen Gaswechsel mit Ventilen, die den Arbeitsraum mit frischen Gasen gesteuert zu füllen erlauben und den Arbeitsraum von den verbrannten Gasen zu leeren gestatten. In den Babytagen der Fahrzeugtechnik war es üblich, nur das Auslassventil zu steuern, genauer: gegen den Schließdruck einer Feder zu öffnen, während man über ein federbelastetes "automatisches" Ventil den Zutritt von Frischgas ermöglichte: das "Schnüffelventil". Schnell zeigte sich jedoch, dass der Kraftbedarf, mittels des Ansaugens zusätzlich die Federkraft des Schnüffelventils zu überwinden, einer guten Leistungsausbeute erheblich im Wege stand. So ging man zum gesteuerten Einlassventil über, das aus den anfänglichen Steigstrom-Spritzdüsen-Vergasern nach Patent Maybach eine Gasführung "von unten nach oben" zum Zylinderkopf logisch mit einem Einlassventil verband, das den abdichtenden Teller "oben" hat und seine Betätigung unten durch den Nocken auf der Nockenwelle, die nah von der Kurbelwelle angetrieben wird. Dieses ist das SV-Arbeitsprinzip.

Aufgrund der Nachteile (s. u.) wurden recht schnell auch für den Sporteinsatz leistungsfähigere Verbrennungsraum-Gestaltungen angestrebt, die das Verlegen der Ventile "nach oben" in den Zylinderkopf erfordern, und eine komplexere Betätigung, sei es mittels Stoßstangen (OHV), oder sei es mit obenliegender Nockenwelle (OHC). Diese Bauarten sind jedoch deutlich bauaufwendiger, weshalb sie über ca. drei Jahrzehnte dem Sport und dem zahlungskräftigeren Publikum vorbehalten blieben.

Eine Zwischenlösung blieb der Versuch, die Ventile mit ihren Tellern im Verbrennungsraum gegeneinander anzuordnen, meist in einer Linie, bei der das Auslassventil unten wie in der SV-Anordnung liegt und das Einlassventil ihm gegenüber im Zylinderkopf, und dort mit einer einzelnen Stößelstange und Umlenkung über Kipphebel betätigt wird. Daher die englische Bezeichnung hierfür: "Inlet over Exhaust", Einlass(ventil) überm Auslass(ventil), IOE.

SV-Motoren kamen von 1900 bis Ende der 1950er Jahre zum Einsatz. Letzter deutscher Pkw mit einem solchen Motor war der bis 1962 produzierte Taunus 12M von Ford. Im Fahrzeugbau wurden seitengesteuerte Motoren bis auf wenige Ausnahmen von OHV- und OHC-Motoren abgelöst. Bekannte Beispiele für die SV-Bauart sind der Ford Modell B aus den 1930er Jahren (V8-Zylinder mit 90 PS) und die meisten Motorräder der 1930er und 1940er Jahre. Auch heute noch wird der SV-Ventiltrieb in einige Gespann-Motorradmodelle aus russischer (Dnepr, Ural) und chinesischer Fertigung (Donghai, Chang Jiang) verbaut: Diese Motorräder sind weiterentwickelte Kopien der 750er BMW-Motorräder der 1930er Jahre (BMW R 71).

Vor- und Nachteile

Vorteile

Da die Ventile eines SV-Motors direkt von der Nockenwelle betätigt werden und die Nockenwelle wiederum von Stirnzahnrädern oder einer kurzen Steuerkette angetrieben wird, werden nur wenige Einzelteile benötigt. SV-Motoren fallen durch den Zylinderkopf, der keine Teile des Ventiltriebs enthält, kompakt aus. Die Fertigung der Motoren ist durch die geringere Anzahl an Teilen günstig. Beide Kriterien machen diese Bauart heute noch bei Kleinmotoren für Stromerzeuger, Bewässerungspumpen, Rasenmäher und (seltener) Motorsägen beliebt.

Obwohl bereits lange vor dem zweiten Weltkrieg das Know-How für OHV- und OHC-Motoren vorhanden war, wurden primär SV-Motoren gebaut. Grund war der geringere zu erwartende Schaden durch ein infolge schlechter Materialqualität abgerissenes Ventil. Dieses konnte in der Regel nicht in den Zylinder fallen und dort den Kolbenboden beschädigen.

Zerklüfteter Brennraum beim SV-gesteuerten Motor

Nachteile

Durch die größere Dichtfläche zwischen Zylinder und Zylinderkopf ist die Gefahr von Dichtungsproblemen höher als bei Motoren mit hängenden Ventilen. Auch ist die längliche, zerklüftete Brennraumform recht weit vom kugelförmigen Ideal entfernt. Die Folge ist, dass das Gasgemisch länger braucht, um zu verbrennen. Das ergibt geringe Maximaldrehzahlen, verhältnismäßig niedrige Literleistungen und schlechte Abgaswerte. Zum Schmieren der Ventilschäfte muss, falls eine Schmierung anderweitig nicht möglich ist, dem Kraftstoff Obenöl zugemischt werden. Der Kolbenboden wird nicht direkt vom einströmenden Benzin-Luftgemisch gekühlt. Der Kolben ist deshalb höheren thermischen Belastungen ausgesetzt.

Siehe auch


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