Römische Frage

Römische Frage
Plan der Vatikanstadt im Zentrum Roms

Die Römische Frage bezeichnet den fast 60 Jahre andauernden, zu seiner Zeit ungeklärten – vor allem diplomatischen – Konflikt um den Status Roms als italienische Hauptstadt einerseits, und andererseits den staatsrechtlichen Status des Vatikan bzw. des Machtzentrums der Katholischen Kirche in Rom zwischen 1870 und 1929, nachdem der verbliebene Kirchenstaat (Latium mit Rom) am 20. September 1870 von italienischen Truppen eingenommen und in den seit 1861 bestehenden Nationalstaat Italien integriert worden war (vgl. Risorgimento).

Am 11. Februar 1929 wurde dieser Konflikt mit den Lateranverträgen zwischen der faschistischen Regierung Italiens unter Benito Mussolini und dem Heiligen Stuhl unter Papst Pius XI. beigelegt. Rom wurde dabei von der katholischen Kirche als Hauptstadt Italiens anerkannt, von der italienischen Regierung wurde dem Vatikan als Vatikanstadt die politische Unabhängigkeit und volle staatliche Souveränität garantiert.

Inhaltsverzeichnis

Historischer Hintergrund

Vorgeschichte bis 1870

Die im 19. Jahrhundert liberale und nationalstaatliche italienische Einigungsbewegung des Risorgimento (= Wiedererstehung), die in den verschiedenen Fürstentümern und Monarchien der Apenninen-Halbinsel aufgetreten war, hatte bereits seit den 1830er Jahren die Forderung nach der weltlichen Herrschaft über Rom vertreten. Rom wurde von den italienischen Nationalisten als die natürliche Hauptstadt Italiens angesehen. Ein Teil des damals souveränen Kirchenstaates, die Romagna, die Marken und Umbrien war nach verschiedenen revolutionären Erhebungen und kriegerischen Konflikten bereits 1860 an das Königreich Sardinien gefallen, das seit den europäischen Revolutionen von 1848/49 (vgl. auch Februarrevolution 1848 und Märzrevolution) unter König Karl Albert und dessen Nachfolger Viktor Emanuel II. zum Vorreiterstaat der italienischen Einheitsbewegung geworden war. Nach diesen Erfolgen der piemontesischen Truppen und republikanischen Freischärlereinheiten (z. B. unter Giuseppe Garibaldi) wurde 1861 der neue italienische Nationalstaat als konstitutionelle Monarchie unter Viktor Emanuel II. und seinem ersten Ministerpräsidenten Camillo Benso von Cavour ausgerufen. Seine Hauptstadt wurde zunächst von Turin nach Florenz verlegt. Im Oktober 1867 versuchte Garibaldi mit einigen Freischaren, Rom einzunehmen. Seine Einheiten wurden jedoch am 3. November 1867 von päpstlichen und französischen Truppen, die die Schutzmacht des Kirchenstaates bildeten, besiegt.

Papst Pius IX.

Aber der Restkirchenstaat (Latium mit seiner Hauptstadt Rom) unter dem Pontifikat des von 1846 bis 1878 herrschenden und amtierenden Papstes Pius IX. blieb weiterhin ein Konfliktherd. Der Ausbruch des Krieges zwischen Frankreich und Preußen am 19. Juli 1870 kam Italien in der Frage des Kirchenstaates gelegen. Als Frankreich in Folge dieses Krieges seine Schutztruppen aus Rom abzog, eroberten italienische Truppen ab 11. September 1870 den Kirchenstaat, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Am 20. September 1870 wurde Rom eingenommen unter rein symbolischem Widerstand und anschließender Kapitulation der Päpstlichen Armee.

Entwicklung nach der Auflösung des Kirchenstaats

Eine Volksabstimmung ergab eine breite Zustimmung für die Vereinigung des Kirchenstaats mit Italien. Die Vereinigung wurde am 6. Oktober 1870 durch königliches Dekret proklamiert. Damit war die Einigung Italiens und mit ihr das Ziel des Risorgimento vollendet. 1871 wurde die italienische Hauptstadt von Florenz nach Rom verlegt. Auch die meisten ausländischen Staaten verlegten ihre Gesandtschaften nach Rom, womit sie stillschweigend das Ende der weltlichen Herrschaft des Papsttums anerkannten.

Der Papst hatte seinen Sitz weiterhin im Vatikan. In den sogenannten Garantiegesetzen vom Mai 1871 wurde seine Stellung in der italienischen Hauptstadt, wenn auch zunächst nur einseitig von der italienischen Regierung ausgehend, geregelt. Demnach verblieb der Vatikan, das Lateran und die päpstliche Sommerresidenz in Castel Gandolfo unter der Hoheit des Papstes, der in diesen Bereichen bis in die Gegenwart als staatlicher Souverän gilt. Pius IX. und seine unmittelbaren Nachfolger Leo XIII. und Pius X. erkannten jedoch sowohl die gesetzlichen Regelungen für den Vatikan als auch das neue Italien nicht an und lehnten jede offizielle diplomatische Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern ab, so dass der Streit um den Status der katholischen Kirche und die zunächst nicht formell geregelte eigenstaatliche Unabhängigkeit des Vatikans auch nach der Vollendung der italienischen Einheit ein noch lange schwelender Konflikt im neuen Italien blieb, die sogenannte Römische Frage. Pius IX. betrachtete sich selbst als „Gefangener im Vatikan“. Die Urheber und Teilnehmer an der Einnahme des Kirchenstaates belegte er mit dem Bann. In der päpstlichen Bulle non expedit vom 10. September 1874 verbot er italienischen Katholiken unter Androhung des Entzugs kirchlicher Privilegien sowohl die aktive als auch passive Teilnahme an demokratischen Wahlen in Italien.

Seine Forderung nach Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papsttums blieb jedoch erfolglos. Und dies trotz der weiterhin bestehenden und seit der Verkündung der päpstlichen „Unfehlbarkeit“ nach dem ersten vatikanischen Konzil am 18. Juli 1870 sogar verstärkten kirchlichen Vormachtstellung, die ihm weltweit auch politischen Einfluss sicherte. Breite katholische Schichten blieben durch die Einnahme Roms entfremdet. Erst mit den 1929 geschlossenen Lateranverträgen zwischen Papst Pius XI. bzw. dessen Bevollmächtigtem Pietro Gasparri, und der ab 1922 regierenden faschistischen Regierung Italiens unter Benito Mussolini, in denen der Heilige Stuhl Rom als Hauptstadt und Sitz der italienischen Regierung anerkannte, wurde die politische und staatliche Souveränität des Vatikans durch Italien garantiert und damit formell bestätigt.

Siehe auch

Literatur

  • Gustav Seibt: Rom oder Tod. Der Kampf um die italienische Hauptstadt; Siedler-Verlag, Berlin 2001, 352 Seiten

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