Roter-Punkt-Aktion

Roter-Punkt-Aktion
Logo der Aktion

Roter-Punkt-Aktion oder Aktion Roter Punkt, auch Rote-Punkt-Aktion, nannten sich eine Reihe von Protestaktionen in vielen Städten der Bundesrepublik, vorwiegend in den Jahren 1968–1971, bei denen gegen Fahrgelderhöhungen im öffentlichen Nahverkehr demonstriert wurde. Die wohl bekannteste und folgenreichste Aktion Roter Punkt fand im Juni 1969 in Hannover statt.

Inhaltsverzeichnis

Aktionsorte

Rote-Punkt-Aktionen fanden insbesondere in den Städten Bremen, Buxtehude, Darmstadt, Dortmund, Duisburg, Essen, Esslingen am Neckar, Gelsenkirchen, Hannover, Heidelberg, Herford, Leverkusen, Mannheim, Oldenburg, Schweinfurt, Stuttgart und Wuppertal statt.

Zielsetzung und praktischer Ablauf

Ausgangspunkt war in der Regel eine Fahrpreiserhöhung, oft um 10 Pfennig pro Fahrschein, bei Bussen und Straßenbahnen, gegen die sich die Aktion Roter Punkt wehrte. In erster Linie riefen Studenten, Schüler, Gewerkschaften und in Verbänden und zumeist linken Parteien organisierte Jugendliche zu Protesten und Demonstrationen auf. Zusammen mit Mitbürgern blockierten sie Busse und Straßenbahnen und sorgten gleichzeitig mit Hilfe der Aktion Roter Punkt für einen alternativen, weitgehend selbstorganisierten öffentlichen Nahverkehr, um so die Rücknahme der Fahrpreiserhöhung zu erreichen.

Das Logo der Aktion war der Rote Punkt, der als Aufkleber auf Windschutzscheiben von Privatautos, die den alternativen Verkehr ermöglichten, aber auch auf Plakaten und Transparenten, zu sehen war. Eingeleitet und organisiert wurden die Protestaktionen in der Regel von Aktionskomitees Roter Punkt. Zum Beispiel gehörten dem Aktionskomitee in Dortmund (1971) u.a. Schüler, Lehrlinge, Jugendsprecher, Mitglieder der dortigen SPD und DFU, der DGB-Jugend, der Freien Sozialistischen Jugend und Jungsozialisten an.

Im Verlauf der Roter-Punkt-Aktionen kam es mitunter, als konkrete Utopie, zur Forderung nach einem Nulltarif bei öffentlichen Verkehrsmitteln.

Zielsetzung und praktischer Ablauf von Rote-Punkt-Aktionen seien anhand von Auszügen aus Flugblättern [1] in Dortmund und Bochum skizziert:

  • Wir geben den Roten Punkt an Autofahrer, die mit uns Solidarität üben.
  • Wir üben praktische Demokratie, indem die Meinung der Betroffenen, der Straßenbahnbenutzer, laut wird.
  • Wir fahren ohne Bezahlung mit Bus und Straßenbahn. In Gruppen. Und sagen den Fahrgästen, warum dieser Protest notwendig ist.
  • Wir diskutieren mit den verantwortlichen Politikern.
  • Bitte bringen Sie den Roten Punkt gut sichtbar in ihrem Auto an, als Zeichen dafür, daß Sie bereit sind, Fahrgäste mitzunehmen!

Mit Hilfe der Aktion Roter Punkt wurde versucht, bis zur Rücknahme der Fahrpreiserhöhung, den Bus- und Straßenbahnverkehr durch Bildung von Fahrgemeinschaften und Anbieten von Mitfahrgelegenheiten zu ersetzen [2]:

Wie sieht ein Autobahnhof aus?

  • 30-50 m vor dem Autobahnhof ein Schild: "Autofahrer, die mitnehmen wollen, bitte rechts ran!" (2-3 Helfer).
  • Auf den Verkehrsinseln die Fahrtziele der Autofahrer sammeln und an die Megaphon-Sprecher weitergeben (5 Helfer).
  • Fahrtziele der Passanten sammeln (5 Mann).
  • Auf jeden Fall Stockungen vermeiden! Eine Fahrspur freilassen.

Aktion Roter Punkt in Hannover 1969

Die "Aktion Roter Punkt" im Juni 1969 in Hannover machte bundesweit Schlagzeilen. Initiiert war sie von Studenten- und Schülerorganisationen (wie dem AStA der Technischen Universität) sowie linken Gruppen aus der APO. Später beteiligten sich große Bevölkerungsteile an der Aktion, zeitweise soll jedes 2. Auto einen roten Punkt geführt haben. Die Aktion richtete sich gegen die Fahrpreiserhöhungen der örtlichen Verkehrsbetriebe. Sie wurden am 1. Juni 1969 von 50 auf 66,67 Pfennige (+ 33 %) für die am meisten genutzte Sammelfahrkarte erhöht.

Zu einer ersten Demonstration kam es am 7. Juni mit rund 300 Beteiligten vor dem Neuen Rathaus, bei der der Straßenbahnverkehr lediglich behindert wurde. Zwei Tage später am 9. Juni wurde eine weitere Demonstration gegen die Fahrpreiserhöhungen vor dem Opernhaus durchgeführt, an der bereits etwa 1.000 Menschen teilnahmen. Gleichzeitig wurden Straßenbahngleise an den wichtigsten Punkten der Innenstadt blockiert und der Straßenbahnverkehr musste zeitweise eingestellt werden. Die Demonstranten malten erste rote Punkte per Hand auf Zettel, der AStA der TU druckte in hoher Auflage ein Flugblatt mit dem 'Roten Punkt' und weitete so eine bereits existierende 'studentische Mitfahrgelegenheit' in eine allgemeine Selbsthilfeaktion der Hannoveraner aus, um die Mobilität der Bürger trotz der Blockade zu wahren. Am 10. Juni kam es zu einer weiteren Demonstration mit 2.000 Teilnehmern und Gleisblockaden. Diese konnten auch durch den Einsatz von fünf Hundertschaften der Polizei nicht beseitigt werden. Nach diesen anfänglichen Protesten und Versuchen der Polizei, Straßenbahn- und Busblockaden zu verhindern, gab es schon nach wenigen Tagen eine breite Solidarisierung der Einwohner von Hannover, der sich unter anderem Betriebsräte, Gewerkschaften, Parteien anschlossen. Selbst die Stadtverwaltung verteilte 50.000 rote Punkte und die lokalen Tageszeitungen druckten sie zum Ausschneiden ab. Am 11. Juni demonstrierten und blockierten bereits 5.000 Menschen. Die Proteste verliefen friedlich, aber durch einzelne Demonstranten kam es zu Beschädigungen an Straßenbahnen, Entwerteautomaten und am Sitz des Verkehrsunternehmens. Auch Gleise und Weichen wurden mit Beton zugegossen.

Aufgrund der Demonstrationen und Blockaden fuhren an mehreren Tagen, vom 12. Juni bis 19. Juni 1969, keine Straßenbahnen und Busse in der Großstadt. Trotz der Blockade des öffentliche Nahverkehrs gab es kein Verkehrschaos: Die von vielen freiwilligen Mithelfern getragene Aktion Roter Punkt regelte komplett und reibungslos den innerstädtischen Verkehr, indem sie Bus- und Straßenbahnhaltestellen als Aufnahmepunkte für "Roter-Punkt-Mitfahrer" nutzte. Zahlreiche Flugblätter und Radioberichte im NDR informierten die Hannoveraner über die Absichten der Demonstranten und deren Reaktionen auf erste Angebote der Stadt.

Am 18. Juni wurde die Aktion Roter Punkt seitens der Demonstranten für beendet erklärt, nachdem die Ziele erreicht waren. Durch einen Ratsbeschluss der Stadt wurde ein drastisch reduzierter Einheitsfahrpreis von 50 Pfennig pro Fahrt eingeführt. Hinzu kam ein Beschluss zur Kommunalisierung der bis dato privaten ÜSTRA. Solche Umstrukturierungsüberlegungen hatte es in der Stadtverwaltung bereits vor den Aktionen gegeben, die Ideen waren aber nicht umgesetzt worden. Am 20. Juni konnte die ÜSTRA den Bus- und Straßenbahnbetrieb ungehindert wiederaufnehmen, 2.000 bereitstehende Polizisten der Bereitschaftspolizei brauchten nicht einzugreifen.

Nach der Protestaktion wurde am 6. März 1970 der Großraum-Verkehr Hannover gegründet, ein Verkehrsverbund mit einem zunächst einheitlichen, später gestuften Tarifsystem in der heutigen Region Hannover. Im selben Jahr wurde durch den Großraumverbund (Vorläufer der heutigen Region Hannover) die Aktienmehrheit an der ÜSTRA AG von der Preussen Elektra übernommen. Als Holding der kommunalen Unternehmen Stadtwerke und ÜSTRA wurde die Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft Hannover mbH (VVG) gegründet. 2009 präsentierte die ÜSTRA in ihrem Kundencenter eine Ausstellung, die die Geschehnisse vor 40 Jahren zum Inhalt hatte.

Roter Punkt und Ton Steine Scherben

1971 brachte die Rockband Ton Steine Scherben eine Foliensingle heraus, auf der einen Seite der Song "Mensch Meier" über die hohen Fahrpreise der BVG. Auf der B-Seite der Track "Nulltarif". Dies war ein Zusammenschnitt von Interviews mit den Fahrgästen zu den Fahrpreiserhöhungen der BVG.

Auf der Rückseite dieser Single stand:

  • Herr Blödke zahlt die neuen BVG-Preise. Mensch Meier fährt mit seinen Kollegen umsonst. Man fährt besser mit der BVG schwarz. Null Tarif! Die BVG-Preise wurden erhöht. Warum? Weil der Senat unser Geld nicht für uns ausgibt, sondern für Sachen, die uns nicht nutzen. Der Senat lügt uns vor, daß die BVG ein Defizit hätte, aber gerade soviel kostet die "Freiwillige Polizeireserve". Für die Starfighter der Bundeswehr könnten wir in ganz Berlin 10 (zehn) Jahre umsonst fahren. Wir sollen zahlen, zahlen, zahlen, bis wir schwarz werden. Da fahren wir lieber gleich schwarz. Deshalb: Gar nicht zahlen - SCHWARZFAHREN!!!!!

Siehe auch

Literatur

  • Anna Christina Berlit: Notstandskampagne und Rote-Punkt-Aktion. Die Studentenbewegung in Hannover 1967-1969. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld (Hannoversche Schriften zur Regional- und Lokalgeschichte; Band 20), 2007 (S. 125-143: Ein Hauch von Anarchie: Die Rote Punkt-Aktion im Sommer 1969), ISBN 978-3-89534-720-7
  • GIM Esslingen/RKJ Esslingen: Roter Punkt in Esslingen. Dokumente über die Aktion Juni/Juli 1971. o.O. 1971 (als pdf-Datei hier)
  • Agnes Hüfner et al.: Aktion Roter Punkt. Hannoveraner Chronik: Interviews, Analysen, Dokumente. Damnitz-Verlag (Kürbiskern-Reihe), München 1969

Einzelnachweise

  1. Flugblatt des Dortmunder Aktionskomitee Roter Punkt, 1971
  2. Aktionskomitee Roter Punkt, Bochum

Weblinks


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