Rot-Grün-Blindheit

Rot-Grün-Blindheit
Klassifikation nach ICD-10
H53.5 Farbsinnstörungen - Rot-Grün-Schwäche
ICD-10 online (WHO-Version 2006)
Ishihara-Tafel: Rot-Grün-Sehschwache sehen hier ausschließlich eine 17, Normalsichtige können neben der 17 eine 47 erkennen
Auflösung für Betroffene: Rot-Grün-Sehschwache sehen die blau markierten Felder im Originalbild über dieser Auflösung in derselben Farbe wie den Hintergrund. Für Normalsichtige stechen die gelb und blau markierten Felder deutlich hervor

Die Begriffe Rot-Grün-Sehschwäche und Rot-Grün-Blindheit (Dyschromatopsie) sind die wissenschaftlichen Fachtermini für über 99 % der Farbfehlsichtigkeiten, die umgangssprachlich als Farbenblindheit bezeichnet werden. Nach ihrem Entdecker John Call Dalton nennt man sie auch Daltonismus. Die Betroffenen können hierbei die Farben Rot und Grün schlechter als Normalsichtige unterscheiden.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Hervorgerufen wird diese genetisch bedingte Behinderung durch Veränderungen der Aminosäuresequenz in den Sehpigment-Proteinen (Opsin) der entsprechenden Zapfen der Netzhaut, die aus der Veränderung der Gensequenz des entsprechenden Opsins resultiert.

Es existieren bei jedem Menschen jeweils ein Gen für das rotempfindliche Opsin und drei identische Gene für das grünempfindliche Opsin. Alle liegen nahe beieinander auf dem X-Chromosom. Durch Fehler beim Crossing-over kommt es zu falschen Genkombinationen. Vor allem zu Kombinationen, die sich phänotypisch durch verschobene Absorptions-Empfindlichkeitsmaxima in den entsprechenden Zapfen-Typen äußern, meist bei den Grün-Rezeptoren, da sich diese direkt an einer Crossing over-Stelle des X-Chromosoms befinden.

Fehlt das Gen für eines dieser Opsine komplett, spricht man von einer Rot- oder Grünblindheit (Protanopie oder Deuteranopie).

Rot-Grün-Sehschwäche oder -Blindheit ist immer angeboren und verstärkt oder vermindert sich nicht im Laufe der Zeit. Von ihr sind etwa 9 % aller Männer und etwa 0,8 % der Frauen betroffen, sie ist damit deutlich häufiger als eine Gelb-Blau-Sehschwäche oder die vollständige Farbenblindheit.

Protanopie ist der Fachausdruck für Rot-Blindheit (Rot-Zapfen fehlt), Protanomalie für Rotsehschwäche (Rot-Zapfen degeneriert), Deuteranopie für Grün-Blindheit (Grün-Zapfen fehlt), Deuteranomalie für Grünschwäche, die häufigste Art der umgangssprachlich genannten Farbenblindheit. Blauzapfenmonochromasie stellt einen Sonderfall der Rot-Grün-Blindheit dar, hier fehlen Rot- und Grünzapfen völlig, nur der Blauzapfen ist vorhanden.

Weitergabe der Rot/Grün-Sehschwäche oder -Blindheit

Wie bereits erwähnt wird die Sehschwäche durch die Erbinformationen weitergegeben. Dass sie bei Männern ungefähr zehnmal so häufig auftritt wie bei Frauen, ist dadurch zu erklären, dass die Fähigkeit zum Unterscheiden dieser Farben durch das 23. Chromosom, das X-Chromosom, weitergegeben wird und dass es sich bei dem Defekt um ein rezessives Merkmal handelt. Chromosomen liegen jeweils paarweise vor, und wenn ein Merkmal auf beiden Chromosomen unterschiedlich ausgeprägt ist, so überdeckt das dominante Merkmal das rezessive, das sich somit phänotypisch nicht bemerkbar macht (X-chromosomaler Erbgang).

Nun entscheidet das 23. Chromosom beim Menschen aber auch über das Geschlecht. Die Frau besitzt im Normalfall zwei X-Chromosomen, der Mann dagegen im Normalfall nur ein X-Chromosom, das zweite wird wegen seiner Form Y-Chromosom genannt. Hat also eine Frau ein X-Chromosom, das die Erbinformation, die das Unterscheiden der Farben ermöglicht, nicht enthält, so wird ihr durch das zweite X-Chromosom diese Fähigkeit trotzdem ermöglicht, da es den Defekt überdeckt. Damit eine Frau unter der Rot-Grün-Farbschwäche leidet, müssen beide X-Chromosomen den Defekt aufweisen. Beim Mann ist jedoch kein zweites X-Chromosom vorhanden, das den Defekt überdecken könnte.

Durch die Verbindung mit dem das Geschlecht bestimmenden X- bzw. Y-Chromosom ergibt sich eine fast einzigartige Möglichkeit, die Weitergabe des Defekts bzw. die Weitergabe von Merkmalen von Eltern an ihre Kinder im allgemeinen sichtbar zu machen. Vater und Mutter geben jeweils eines von beiden Chromosomenpaaren an ihr Kind weiter. Da das 23. Chromosom über das Geschlecht entscheidet, entscheidet quasi der Vater über das Geschlecht des Kindes. Gibt er sein Y-Chromosom weiter, wird das Kind männlich, da es ja von der Mutter ein X-Chromosom bekommt. Gibt der Vater das X-Chromosom weiter, erhält das Kind zwei X-Chromosomen und wird damit weiblich. Dadurch ergeben sich folgende Regeln, die immer eintreten (von Mutationen einmal abgesehen, die aber sehr unwahrscheinlich sind):

  • Haben weder Vater noch Mutter die Rot-Grün-Sehschwäche, kann sich der Gendefekt schlimmstenfalls in einem der beiden mütterlichen X-Chromosomen „verstecken“. Folglich wird in dieser Konstellation keine der Töchter von der Sehschwäche betroffen sein, Söhne jedoch, wenn sie dasjenige der beiden mütterlichen X-Chromosomen mit „verstecktem“ Defekt „abbekommen“.
  • Hat der Vater die Rot-Grün-Sehschwäche, die Mutter hingegen zwei X-Chromosomen ohne den Defekt, wird kein Kind an der Sehschwäche leiden. Alle Töchter haben jedoch ein „verstecktes“ X-Chromosom mit Defekt, was ein 50-prozentiges Risiko für männliche Enkel zur Folge hat.
  • Leidet die Mutter an der Sehschwäche, sind beide X-Chromosomen mit dem Defekt versehen. Folglich haben alle Söhne den Defekt und alle Töchter sind zumindest Träger des Merkmals. Ob die Sehschwäche bei ihnen auch auftritt, hängt davon ab, ob der Vater ebenfalls daran leidet.

Rot-Grün-Sehschwäche im Alltag

Die Sehschwäche wird von den Betroffenen im Allgemeinen als nicht besonders hinderlich angesehen. Zahllose Experimente zum Beispiel mit musterinduzierten Flimmerfarben sprechen ferner dafür, dass Farbfehlsichtige – von der geringeren Farbunterscheidungsfähigkeit in den Bereichen ihrer Störung abgesehen – wohl den gleichen ästhetischen Eindruck von Farben (Farbkreis, Farbästhetik) entwickeln wie normalsichtige Personen (vergl. hierzu auch Tetrachromaten). Allerdings dürfen einige Berufe wie Lokomotivführer, Bus- und Taxifahrer, Pilot oder Polizist nur nach dem erfolgreichen Bestehen umfangreicher und besonderer augenärztlicher Untersuchungen ausgeübt werden. Die Angewohnheit der Spielehersteller, häufig die Farben rot und grün für Spielsteine zu verwenden, macht die Unterscheidung für Betroffene schwerer.

Bei Publikationen, insbesondere im gegenüber den Printmedien farbreicher gestalteten Web (siehe auch barrierefreies Internet), wird diese Hürde oft nicht bedacht. Ein in einem Text mit schwarzen Buchstaben hervorgehobenes rotes (oft dunkelrotes) Wort wird von den Betroffenen nicht als Hervorhebung erkannt. Eine Hervorhebung in blau dagegen ist meistens gut zu erkennen. Thematische Karten, die mit unterschiedlichen Farbnuancen arbeiten, sind für Menschen mit Rot-Grün-Sehschwäche oft nur schwer lesbar.

Da im Alltag auch viele Mischfarben existieren, treten oft auch bei der Unterscheidung von Farben, die auf den ersten Blick kein rot oder grün enthalten, Probleme auf. So zum Beispiel bei Blautönen, denen grün oder rot beigemischt ist.

Es kann auch zu Problemen beim Autofahren in der Nacht kommen. Dies liegt daran, dass sich in der Nacht die roten Ampeln für Personen mit einer starken Rotschwäche nur auf kurze Distanzen problemlos identifizieren lassen. Personen mit Grünschwäche können zum Teil Straßenlampen farblich nicht von grünen Ampeln unterscheiden.

Studien haben belegt, dass Farbfehlsichtige eine größere Anzahl von Khakitönen unterscheiden können als Normalsichtige. Dieses Phänomen wird beim Militär genutzt, da Farbfehlsichtige sich nicht so leicht von Tarnfarben täuschen lassen und daher einen etwa getarnten Soldaten im Wald leichter erspähen als Normalsichtige. Dies liegt zum einen am oben genannten Phänomen, zum anderen daran, dass Farbfehlsichtige im Laufe ihres Lebens gelernt haben, sich eher auf Formen und Konturen zu konzentrieren als auf Farben.

Es wird auch vermutet, dass neben der Fehlfunktion der Zapfen es auch eine geringere Anzahl von Zapfen insgesamt auf der Netzhaut gibt. Dadurch würden Farbfehlsichtige mehr Stäbchen (für Hell-Dunkel-Sehen zuständig) besitzen, was erklären würde, warum Farbfehlsichtige sich oft in der Dunkelheit besser orientieren können als Normalsichtige, da sie eine höhere Sensibilität für Helligkeit besitzen.

Untersuchungsmethoden

Die Ausprägung einer Rot-Grün-Sehschwäche kann mit Farbtafeln (beispielsweise den hier gezeigten Ishihara-Farbtafeln), etwas genauer durch den so genannten Farnsworth-Test oder mit einem Anomaloskop festgestellt werden. Als weitere Testmethode ist der sogenannte Lantern-Test anerkannt, für den es wiederum drei unterschiedliche Testgeräte gibt (Holmes-Wright Lantern, Beyne Lantern und Spectrolux Lantern).

Simulation der Rot-Grün-Sehschwäche für Trichromaten

Die Rot-Grün-Sehschwäche lässt sich für Farbsichtige simulieren, indem der rote und grüne Farbkanal eines digitalen Bildes zu einem gelben Kanal zusammengefasst werden, bei dem rot und grün die gleiche Helligkeit aufweisen. In der folgenden Übersicht sind einige Beispiele hierfür und zur Simulation der Achromasie, bei der gar keine Farben erkannt werden können, die entsprechenden Graustufenbilder hinzugefügt.

Motiv Trichromatisches Bild Dichromatisches Bild
ohne Rot-Grün-Unterscheidung
Achromatisches Bild
in Graustufen
Pseudoisochromatische Farbtafel
Obststand
Mosaikfenster
Regenbogen

Siehe auch

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