Rosenhan-Experiment

Rosenhan-Experiment

Das Rosenhan-Experiment war eine Untersuchung zur Zuverlässigkeit von psychiatrischen Diagnosen, die zwischen 1968 und 1972[1] von David Rosenhan durchgeführt und 1973 unter dem Titel On Being Sane in Insane Places[2] im Science-Magazin veröffentlicht wurde (Titel der deutschen Übersetzung: Gesund in kranker Umgebung).

Der Psychologe Robert Rosenthal führte 1965 vergleichbare Experimente an US-Grundschulen durch (Rosenthal-Effekt).

Inhaltsverzeichnis

Versuchsdesign und Ergebnisse

Die Studie bestand aus zwei Teilen. Im ersten hatten sich geistig gesunde Menschen heimlich unter Vorspiegelung von Halluzinationen in psychiatrische Anstalten einweisen lassen, um die Reaktionen der Krankenhäuser zu überprüfen. Der zweite Teil verlief genau umgekehrt. Rosenhan gab bekannt, er werde „Pseudopatienten“ in einige psychiatrische Anstalten einschleusen, ohne dies jedoch zu tun. Trotzdem haben die dort Beschäftigten geglaubt, Pseudopatienten erkannt zu haben.

Das Experiment mit Pseudopatienten

Hierbei meldeten sich acht unterschiedliche Personen (ein Psychologiestudent, drei Psychologen, ein Psychiater, ein Kinderarzt, ein Maler und eine Hausfrau; drei von ihnen waren Frauen, fünf Männer) bei insgesamt zwölf psychiatrischen Anstalten an und behaupteten bei der Aufnahmeuntersuchung, sie hätten Stimmen gehört, die, soweit man sie verstehen konnte, die Worte „empty“, „hollow“ und „thud“ sagten („empty“ bedeutet „leer“, „hollow“ bedeutet „hohl“ und „thud“ hat viele Bedeutungen: Bums, Plumps, dumpfer Aufschlag, aufprallen, aufschlagen, dröhnen, dumpf aufschlagen. „heart thudding“ bedeutet „mit pochendem Herzen“). Nachdem sie in die jeweilige Klinik aufgenommen worden waren, verhielten sie sich wieder völlig normal. Bei der Anmeldung gaben sie einen falschen Namen und falsche Details über ihre Erwerbstätigkeit an, blieben aber sonst bei der Wahrheit.

Jede der Testpersonen wurde aufgenommen, bei elf Anmeldungen wurde eine Schizophrenie diagnostiziert, bei einer eine manisch-depressive Psychose. Während des Tests wurde keine Testperson vom Personal als gesund erkannt. Da die Testpersonen während des Klinikaufenthalts aber keine Symptome mehr zeigten, wurden sie schließlich nach durchschnittlich 19 Tagen (in einem Fall sogar 52 Tagen) entlassen, allerdings nicht als geheilt, sondern als symptomfrei. Den Testpersonen wurden insgesamt 2100 Tabletten sehr verschiedener Medikamente gegeben, die diese jedoch heimlich nicht einnahmen. Sie protokollierten alle Ereignisse genaustens – erst heimlich und später öffentlich, weil es niemand beachtete. (In den Protokollen der Anstalten wurde diese Tätigkeit normalerweise als pathologisches Schreibverhalten aufgeführt.)

Die anderen Patienten durchschauten dagegen die Täuschung relativ schnell und hielten die Testpersonen für Journalisten oder Professoren. Richtige Gespräche mit dem Personal der Krankenhäuser fanden nicht statt, und die meisten Fragen der Pseudopatienten wurden ignoriert. Ein Beispiel dafür:

Pseudopatient: „Entschuldigen Sie, Dr. X. Können Sie mir sagen, wann ich das Ausgangsrecht erhalte?“ („Pardon me, Dr. X. Could you tell me when I am eligible for grounds privileges?“) Arzt im Vorübergehen, ohne die Frage zu beachten: „Guten Morgen, Dave. Wie geht es Ihnen heute?“ („Good morning, Dave. How are you today?“)

Das Experiment ohne Pseudopatienten

Einem Institut, das nach Bekanntgabe der Ergebnisse des ersten Experiments behauptete, bei ihnen würde so etwas nicht passieren, wurde mitgeteilt, dass Rosenhan innerhalb von drei Monaten einige Pseudopatienten zu ihnen schicken würde und sie daher alle Patienten nach ihrer Wahrscheinlichkeit, Pseudopatienten zu sein, bewerten sollten. Während dieser 3 Monate wurden 193 Patienten aufgenommen, 41 davon wurden für Testpersonen gehalten. Weitere 42 wurden als verdächtig eingestuft, ohne dass Rosenhan tatsächlich Pseudopatienten entsandt hatte.

Rezeption

Das Rosenhan-Experiment und die Schlussfolgerungen Rosenhans sind von verschiedenen Seiten insbesondere aufgrund methodischer Schwächen vielfach kritisiert worden. Da eine psychiatrische Diagnose in der Regel hauptsächlich auf Berichten der betroffenen Patienten oder von Personen aus deren Umwelt beruht, die sich auf das Verhalten und die Wahrnehmung der Patienten beziehen, deutet nach Ansicht der Kritiker eine auf unwahren Behauptungen basierende falsche Diagnose nicht auf Probleme bei der Präzision der Diagnose hin.

Auf dieses Problem der Studie wies unter anderem Robert L. Spitzer, Professor für Psychiatrie an der Columbia University, in einer 1975 veröffentlichten Kritik hin.[3] Auch in anderen medizinischen Fachdisziplinen würde demnach die bewusste Vorspielung von falschen Symptomen zu fehlerhaften Diagnosen führen. Trotz dieser Kritik am Rosenhan-Experiment bemühte sich Spitzer in der Folgezeit um eine Verbesserung diagnostischer Standards in der Psychiatrie, so unter anderem durch eine Überarbeitung des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen).

Literatur

Referenzen

  1. Klaus Koch. Der verirrte Blick in die Seele. bei sueddeutsche.de; abgerufen am 28. Dezember 2010
  2. Rosenhan DL: On being sane in insane places. In: Science (New York, N.Y.). 179, Nr. 70, Januar 1973, S. 250–8. doi:10.1126/science.179.4070.250. PMID 4683124.
  3. Spitzer RL: On pseudoscience in science, logic in remission, and psychiatric diagnosis: a critique of Rosenhan's "On being sane in insane places". In: J Abnorm Psychol. 84, Nr. 5, Oktober 1975, S. 442–52. PMID 1194504.

Weblinks


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