Rorschachtest

Rorschachtest

Der Rorschachtest oder Rorschach-Test (vulgo Tintenkleckstest, eigentlich: Rorschach-Formdeuteversuch) ist ein psychodiagnostisches Testverfahren, für das der Schweizer Hermann Rorschach (1884–1922) eine eigene Persönlichkeitstheorie entwickelte und das später mit den Theorien der Freud'schen Schule verbunden wurde. Es gehört zu den sogenannten projektiven Tests und wird von Psychoanalytikern und Psychiatern angewendet mit dem Ziel, die gesamte Persönlichkeit des Probanden zu erfassen. Ursprünglich bezog sich der Begriff „Psychodiagnostik“ nur auf diese Methode.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Deutung von Klecksographien (Faltbilder) war schon im 19. Jahrhundert (zum Beispiel bei Justinus Kerner) üblich.

Der Rorschachtest wurde 1921 veröffentlicht, nachdem zuvor andere Versuche, aus Faltbildern Schlüsse auf die Persönlichkeit zu ziehen, gescheitert waren. Rorschach kam nach Entwicklung seines Formdeuteverfahrens in Kontakt mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds, die die Rolle des Unbewussten erforscht. In den 1930er und 1940er Jahren fand der Test in Europa und in den Vereinigten Staaten weite Verbreitung. Von den 1970er Jahren an hat John E. Exner das Verfahren, von dem es vor allem in den USA mehrere große „Schulen“ gab, zu vereinheitlichen versucht (CS - „Comprehensive System“). In Europa gilt das Standardwerk von Ewald Bohm zum Rorschachtest als Referenz.

Methodik

Eines der von Rorschach hergestellten Faltbilder in der Originalfarbe

Der Test besteht aus zehn Tafeln mit speziell aufbereiteten Tintenklecksmustern. Es gibt weltweit fast ein Dutzend Parallelserien, von denen die meisten nicht frei im Handel erhältlich sind. Die sie anwendenden Psychologen legen Wert darauf, dass die Bilder nicht öffentlich gezeigt werden, damit eine Beeinflussung des Tests durch Vorwegnahmen (zudem oft Falschinformationen, die etwa im Internet oder in „Testknackerbüchern“ kursieren) vermieden wird. Die Tafeln werden in einer festgelegten Reihenfolge gezeigt, mit dem Hinweis, dass die Tafeln beliebig gedreht werden können, und die Testperson wird gefragt: „Was könnte das sein?“ Dabei weist der Psychologe darauf hin, dass es keine „richtigen“ oder „falschen“ Antworten gebe. Während die Testperson die Tafeln betrachtet, notiert er Äußerungen, die Handhabung (Drehungen) der Karte sowie Reaktionszeiten.

Auswertung

Die Auswertung bezieht sich auf fünf Hauptaspekte:

  • die Lokalisierung, also welche Teile der Tafeln die Person deutet,
  • die Determinanten, auf welche Aspekte (Form, Farbe, Schattierung, Bewegung, Zwischenfiguren) der Tafel sich die Antwort bezieht.
  • die Inhalte, also was auf den Tafeln wahrgenommen wird.
  • die Häufigkeit, mit der Antworten bei vielen Testpersonen vorkommen (Originalität, Banalität)
  • die besonderen Phänomene, also die über die reinen Deutungen hinaus beobachtbaren Phänomene wie Verzögerungen, Stupor, Antwort- und Reaktionszeiten etc.

Mit Hilfe der sich anschließenden Sicherungsphase werden die Antworten signiert, d. h. bei jeder einzelnen Antwort wird überprüft, ob der Anwender sie auch richtig erfasst hat, so wie der Proband sie auch gemeint hat. Jede Antwort wird dabei in Hinblick auf die ersten vier Hauptaspekte bezeichnet.

Beispiele:

Bei der Lokalisierung
G (Ganzantwort), D (Detailantwort), Dd (besonders kleines oder ungewöhnlich abgegrenztes Detail), DZw ( Zwischenfigur), usw.
Bei den Determinanten
F+ („gute“, erkennbare, nachvollziehbare Form – „eine Vase mit zwei Henkeln“), F- („schlechte“, d. h. unbestimmte, diffuse, nicht nachvollziehbare Deutung – „irgendein Tier“), B+ (Bewegungsdeutung – „zwei kämpfende Samurai“), FFb+ (Deutung, bei der die Form dominiert, die Farbe aber auch eine Bedeutung hat – „ein roter Schmetterling“), FbF (Deutung, bei der die Farbe wichtiger ist, als die Form – „Blumenstrauß“), Fb (reine Farbdeutung – „Blut“, „Wasser“), usw.
Bei den Inhalten
Tiere, Tierdetails (z. B. Köpfe, Pfoten), Menschen, Menschdetails, Szenen, Gegenstände, Landkarten, Gebäude, Pflanzen, usw.
Bei den Häufigkeiten
Vulgärantworten (naheliegende Deutungen, die oft gegeben werden), Originalantworten (seltene Antworten, die nur etwa einer von hundert deutet).

Bereits die Signierung setzt viel Fachwissen und eine präzise, objektive Arbeitsweise voraus.

Durch die anschließende Verrechnung treten noch weitere Aspekte zutage, etwa Sukzession, Erfassungstypus, Erlebnistypus, Farbtypus, und das relative Vorkommen bestimmter Inhalte (zum Beispiel Tierdeutungen) oder Erfassungsmodi (zum Beispiel Ganzantworten).

Kontroverse

Der Rorschachtest ist aus verschiedenen Gründen umstritten; die Tintenklecksbilder sind a priori bedeutungslos, daher gehen Kritiker davon aus, dass die Interpretation der Formdeuteversuche auch durch den Psychologen und seine subjektiven Eindrücke und Vorurteile beeinflusst werden kann. Die Reliabilität und Validität sind weitestgehend ungeklärt. Nach Meinung der Kritiker kann der Formdeuteversuch im besten Fall Hinweise auf Aspekte der Persönlichkeit geben, im schlechtesten Fall schlicht zu falschen Ergebnissen führen.

Anwender behaupten, die Auswertung durch Fachleute sei sicher und zuverlässig. Der Rorschachtest könne viele Bereiche der Persönlichkeit darstellen, die andere psychologische Tests nicht erfassen könnten. Er sei außerdem weitgehend fälschungssicher. Dies liege vor allem daran, dass die ermittelten Daten sich gegenseitig ergänzen und stützen müssen, um ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen.

Diese Einschätzung wird durch wissenschaftliche Untersuchungen nur unzureichend gestützt. Das Problem der mangelnden Reliabilität und Validität ist, wie auch bei anderen projektiven Verfahren, noch nicht gelöst, da die Vielzahl der Kombinationen und die dadurch individuell stets variierenden Deutungen der Testfaktoren nicht quantifizierbar sind. Versuche, den Test zu standardisieren, etwa von Bruno Klopfer bereits angeregt (1946), oder wie es etwa der Amerikaner John E. Exner versucht hat, machen aus dem Test ein neues Verfahren, das mit dem ursprünglichen Rorschachtest nur noch den Namen und das Testmaterial gemein hat.

Kulturelle Unterschiede

Beim Vergleich der normativen Daten des nordamerikanischen Exner-System mit europäischen oder südamerikanischen Testpersonen ergeben sich teils Unterschiede bei wichtigen Variablen, während z. B. die durchschnittliche Anzahl der Antworten gleich ist. So sind bei Europäern die Texturantworten typischerweise Null und es gibt weniger „gute Form“-Antworten bis hin zu dem Punkt, dass man Schizophrenie vermuten könnte, wenn man sie nach den nordamerikanischen Normen korreliert. Die Form ist häufig auch die einzige Determinante, die von Europäern geäußert wird.[1]

Die Unterschiede bei der Qualität der Formen ist ausschließlich kulturell bedingt. So erkennen Franzosen auf Tafel 8 ein Chamäleon, was normalerweise als ungewöhnliche Antwort gewertet wird, in Skandinavien werden für Tafel 2 Weihnachts-Nisser genannt und Japaner erkennen auf Tafel 4 ein Musikinstrument.[2]

Verbreitung

Der Rorschachtest gilt als einer der bekanntesten psychologischen Tests.

Weil er in populären Medien häufig erwähnt oder auch beschrieben wird, ist die Ansicht weit verbreitet, dass man mit ihm schnell, gar nach Auswertung nur einer Antwort, eine komplexe Persönlichkeit oder schwere Störung korrekt erfassen könne. Das ist natürlich unmöglich. Wenn nicht ein wörtliches Protokoll aller zehn Tafeln mit Nachbefragung und Reaktionszeiten vorliegt, ist der Test nicht auswertbar. Zudem müssen die ermittelten Persönlichkeitsmerkmale an verschiedenen Stellen des Testes nachweisbar sein.

Insgesamt ist es ohnehin nicht zulässig, nur aufgrund des Rorschachtests Aussagen zu treffen oder gar ein ganzes Gutachten anzufertigen. Seriöse Anwender benutzen ihn im Rahmen einer ganzen Testbatterie. Dadurch erfährt der Test in aller Regel externe Überprüfung.

Die Tafeln mit einigen möglichen Antworten

Die Amerikaner Loucks und Burstein[3] geben einige der folgenden Antworten an, wobei es sich dabei um ein eigenes Manual handelt, das mit dem Original-Test nicht unbedingt etwas zu tun hat.

Bei verkleinerter Darstellung wie hier werden zudem Ganzantworten provoziert (die damit diagnostisch wertlos sind), was nicht im Sinne des Erfinders ist, weil bei den Deutungen ebenso Teile oder auch besonders kleine Details wichtig sein können, die so gar nicht zu erkennen sind. Im echten Test kommen deshalb auch nur die Originaltafeln (in der normierten Größe) zur Anwendung. Professionelle Anwender im deutschsprachigen Raum beziehen sich auf die ursprünglichen Quellen[4] oder deren Präzisierungen.[5]

Siehe auch

Literatur

  • Hermann Rorschach: Psychodiagnostik. Methodik und Ergebnisse eines wahrnehmungsdiagnostischen Experiments (Deutenlassen von Zufallsformen). E. Bircher, Bern 1921.
  • Ewald Bohm: Lehrbuch der Rorschach-Psychodiagnostik. Für Psychologen, Ärzte und Pädagogen. Hans Huber, Bern 1951.
  • Ewald Bohm: Psychodiagnostisches Vademecum. Hans Huber, Bern 1960.
  • Bruno Klopfer: Das Rorschach-Verfahren. Hans Huber, Bern 1967.
  • Manfred Reitz: Die Psychologie der Kleckse. In: Die pharmazeutische Industrie. 70, Nr. 11, 2008, ISSN 0031-711x, S. 1298–1300.
  • Alvin G. Burstein, Sandra Loucks: Rorschach's Test. Scoring and Interpretation. Hemisphere Publishing, New York NY u. a. 1989, ISBN 0-89116-780-3.

Einzelnachweise

  1. Richard H. Dana: Handbook of cross-cultural and multicultural personality assessment. Lawrence Erlbaum Associates, 2000, ISBN 9780805827897, S. 332–334.
  2. Irving B. Weiner: Principles of Rorschach interpretation. L. Erlbaum Associates, Mahwah, N. J. 2003, ISBN 9780805842326, S. 53.
  3. siehe Burstein, Loucks: Rorschach’s test: scoring and interpretation, S. 72: [1]
  4. Rorschach, Hermann: Psychodiagnostik, Bern 1921
  5. Bohm, Ewald: Psychodagnostisches Vademecum, Bern 1960.

Weblinks

 Commons: Rorschach inkblot test – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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