Rokoko (Literatur)

Rokoko (Literatur)
Die Schaukel“ gemalt 1767 von Jean-Honoré Fragonard. Ein Sinnbild des Rokokos.

Das Rokoko [franz.: Rocaille, ‚Muschelwerk‘], auch Spätbarock genannt, ist eine Weiterentwicklung der europäischen kunstgeschichtlichen Epoche des Barock in den Jahren von etwa 1720 bis 1775. Charakteristisch in diesem Bau- und Dekorationsstil sind überbordende Verzierungen wie an Bauten, Innenräumen, Möbeln, Geräten etc. und vor allem der Verzicht auf jegliche Symmetrie, die im Barock noch als wichtiges Element verwendet wurde. An die Stelle fester Formen treten leichter, zierlicher gewundene Linien und häufig rankenförmige Umrandungen. Diese bewusste Abkehr von Symmetrie wurde später im Jugendstil wieder aufgegriffen.

Umstritten ist, ob das Rokoko als eigene Kunstform gelten darf, da es aus dem Barock hervorgegangen ist. Viele Kunsthistoriker verwenden daher den Begriff des Spätbarocks anstelle des Rokokos. Dieser Begriff wird allerdings synonym auch für den Übergang des Barock zum Klassizismus gebraucht und bezeichnet hier die Abkehr vom Üppig-Schwülstigen hin zu klaren Linien.

Inhaltsverzeichnis

Höfisches Leben

François Boucher: Porträt der Madame de Pompadour, um 1750

Das Rokoko brachte eine Verfeinerung des gesamten höfischen Lebens mit sich. Im Barock hatte Ludwig XIV. von Frankreich sein Leben zum öffentlichen Ereignis gemacht, um den Adel am Hofe zu halten und durch Gunstbeweise bzw. Entzug der Gunst zu lenken. Im Rokoko fand eine Gegenbewegung mit einem Rückzug ins Private statt. An die Stelle monumentaler Machtentfaltung und kraftvoller Dynamik des Barock traten nun kultivierte Lebensführung und ein leichtfüßiges, feinsinniges Lebensgefühl, gepaart mit vornehm-zarter Sinnlichkeit und galanten Umgangsformen. In der Plastik und vor allem in der Malerei tauchen häufig private oder gar erotische Themen auf.

siehe auch: Kleidermode des Rokoko

Bildende Kunst

Architektur

Die Architektur verliert ihren pompösen Charakter, die Schlösser erscheinen kleiner, Hauptgebäude trennen sich teilweise von Dienstgebäuden (z. B. Schloss Benrath). Neben den offiziellen pompösen Repräsentationsräumen finden sich jetzt auch kleinere Privaträume, oder gar Privathäuser/-schlösschen (siehe Versailles: Petit Trianon, sowie das Hameau der Königin). Das Lebensgefühl fordert eine heitere, leichte Architektur, mit eleganten und verspielten Details.

Die Asamkirche in München steht an der Schwelle zum Rokoko, doch tritt hier die typische Leitform im Ornament, die Rocaille, noch nicht auf. Man findet sie zuerst in den späten 1730er Jahren, doch herrschen auch in dieser Zeit noch florale Ornamentmotive vor, z. B. in der Amalienburg in München-Nymphenburg. Das Rokoko und die Rocaille werden aus Frankreich vor allem durch Ornamentstichvorlagen nach Deutschland importiert, das Zentrum solcher Stiche ist Augsburg. Man nannte das Rokoko auch den „Augsburger Geschmack”. Von daher geht sie in das Formenrepertoire vieler süddeutscher Stukkateure über, bis die Ausstattungskunst des Rokoko im Werk Dominikus Zimmermanns ihren Höhepunkt erreicht: Im Chor der Wieskirche erscheinen „gebaute Rocaillen”. Ebenfalls hervorzuheben ist sein Wirken bei der Errichtung und Stuckierung der Wallfahrtskirche Steinhausen (1727–1733) zwischen Bad Schussenried und Biberach.

Hameau der Königin, Versailles

Ein herausragendes Werk des Rokoko in Deutschland stellt das Schloss Solitude in Stuttgart dar. Das Schloss wurde über eine völlig geradlinige Straßenverbindung mit der damaligen Hauptresidenz Württembergs, dem Residenzschloss Ludwigsburg verbunden. Weitere Glanzlichter des Rokokos sind in der Würzburger Residenz zu finden. Hier wurde in einem der Hauptwerke Balthasar Neumanns die Stuckaturen von Antonio Bossi ausgeführt. Besonders ist hier der „Weisse Saal” und der „Kaisersaal” mit einer prächtigen Ausarbeitung zu erwähnen. Durch ihn wurde das „Würzburger Rokoko” erschaffen.

Einen eleganten Sonderweg ging das Friderizianische Rokoko in Preußen, der nicht so verspielt und überbordend ist, sondern die gerade Linie betont, allerdings dennoch nicht streng und hart wirkt sondern zart und sensibel, luftig und elegant. Beispielhaft sind dafür die Innenausstattungen von Schloss Sanssouci (Konzertzimmer).

In Österreich gibt es einige hervorragende Beispiele für den Rokoko, etwa die Inneneinrichtung von Schloss Schönbrunn, Stift Engelszell in Engelhartszell in Oberösterreich sowie Schloss Leopoldskron in Salzburg, das dem internationalen Salzburg Seminar gehört. Hier geht der Barock um 1765 fast ohne Zwischenstufen in den Klassizismus über.

Zu einer eigenständigen Entwicklung kam es in Bayreuth in den Jahren 1740-1760 unter Markgräfin Wilhelmine: Es entstand das sog. Bayreuther Rokoko, das sich vor allem der Innenarchitektur widmet. Typische Elemente sind Spiegelscherbenkabinette - statt symmetrisch geformten Spiegel des Barock werden unregelmäßig geformte Spiegelstücke verwendet, die Spalierzimmer - der Stuck an den Wänden enthält erhaben gebildete Spaliergerüste mit sehr naturalistisch dargestellten Pflanzen, und die Musikzimmer - sie enthalten mit dem Stuck verbundene Porträts der am Hof wirkenden Schauspieler und Musiker. Verwirklicht wurden sie im Neuen Schloss Bayreuth und im Alten Schloss der Eremitage. Dies Stuckarbeiten wurden meist von Jean Baptiste Pedrozzi, dem Hofstukkateur der Markgräfin durchgeführt.[1]

Bedeutende Bauwerke des Rokoko im Heiligen Römischen Reich
Bedeutende Baumeister des Rokoko

Bildhauerei

Putte im Kloster Obermarchtal
Bedeutende Bildhauer des Rokoko

Malerei

Jean-Baptiste Siméon Chardin: Der Zeichner, um 1738
Jean-François de Troy: Die Liebeserklârung, 1731
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Bedeutende Maler des Rokoko

Angewandte Kunst

Mobiliar und Interieur

Während im Früh- und Hochbarock bei den Möbeln trotz ihrer mannigfachen Gliederung und dominanten Ornamentik vorwiegend kantig-strenge Grundformen vorherrschten, hob das Rokoko das statische Rahmenwerk und die lineare Strenge auf und führte fast jedes Element in geschweifte und gebogene Formen über, zeigte sich überaus „verspielt“, entsagte sich der Symmetrie und erschien als Epoche der ausgeschmückten, schwellenden und schmiegsamen Eleganz. Zentrales Motiv des Rokoko ist auch hier die Rocaille, eine asymmetrische Muschel.

Um es den Frauen mit den großen Reifröcken zu ermöglichen sich hinzusetzen, mussten zwangsläufig die Armlehnen zurücktreten. Die Sitzmöbel hatten fast immer geschweifte Füße. Die Möbelfüße zeigen häufig Schnitzereien oder Metallapplikationen in Form von Pflanzen, Tierfüßen oder Muschelmotiven.

Eine Weiterentwicklung stellt der Konsoltisch dar, der nur noch zwei Füße benötigt, da er an der Wand befestigt ist. Eine Neuentwicklung stellt die Chaiselongue (franz. Langer Stuhl) dar, die einen Sessel mit seiner Fußbank zu einem Möbelstück verbindet.

Darstellende Kunst

Antoine Watteau: Die Serenate, um 1715

Musik

siehe hierzu: Spätbarocke Musik, Vorklassik, Wiener Klassik

Literatur

In der Literatur bezeichnet Rokoko eine Epoche der Frühaufklärung, die noch stark von Schäferdichtung und Barock beeinflusst ist und entsprechend spielerische und auch erotische Elemente aufnimmt, andererseits jedoch durch ihre subjektive Gefühlsströmung der Empfindsamkeit nahe steht und bei aller Sinnenfreudigkeit eine individuell und rational begründete Erlebniswelt ausdrückt. Siehe auch Anakreontik.

Bedeutende Autoren

Bibliografie

  • Hans Rose: Spätbarock. Studien zur Geschichte des Profanbaus in den Jahren 1660-1760. München 1922
  • Alfred Anger: Literarisches Rokoko. Metzler, Stuttgart 1990, ISBN 3-476-10025-1.
  • Matthias Luserke-Jaqui u. a.: Literatur und Kultur des Rokoko. Vandenhoeck & Ruprecht, Stuttgart 2001, ISBN 3-525-20700-X.
  • Friedrich Sengle: Aufklärung und Rokoko in der deutschen Literatur. Winter, Heidelberg 2005, ISBN 3-8253-5010-X.
  • Hans-Joachim Giersberg, Hillert Ibbeken: Schloss Sanssouci: Die Sommerresidenz Friedrichs des Großen. Mit Beiträgen von Thomas Blisniewski, Tilo Eggeling, Jürgen Hamel u. a. Nicolai. Berlin 2005, ISBN 3-89479-140-3.

Einzelnachweise

  1. nach Erich Bachmann, Neues Schloss Bayreuth, Amtlicher Führer. 4. Auflage, München 1980


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