Avesta

Avesta

Das Avesta (Pahlavi: ʾp(y)stʾk / abestāg; vermutlich aus altiranisch *upa-stāvaka-, „preisen“) stellt das heilige Buch der auf den iranischen Religionsstifter Zarathustra zurückgehenden Religion Zoroastrismus dar. Es besteht aus einer Sammlung verschiedener Texte unterschiedlicher sprachlicher und stilistischer Art sowie zeitlicher Abstammung und enthält unter anderem die dem Propheten selbst zugeschriebenen Gathas.

Das Werk wird ausschließlich in einer alten iranischen, konkret in einer am ehesten nordostiranischen Sprache formuliert, dem Avestischen. Jüngere Teile zeigen stilistische Unsicherheiten und Unregelmäßigkeiten, welche teils vermuten lassen, dass die Autoren bereits keine Muttersprachler im Bezug auf die avestische Sprache mehr waren bzw. diese sich bereits in einem erheblichen Veränderungsprozess befand. Hierauf beruht die Folgerung, dass die jüngeren Verfasser bereits in einer toten heiligen Sprache formulierten. Da das Avestische schon im Sassanidenreich und somit vor der islamischen Eroberung Persiens unverständlich gewesen sein muss, bildete sich die Zend-Literatur zur Übersetzung und Kommentierung der avestischen Texte über die mittelpersische Sprache. Diese Literatur ist heute zu einem großen Teil nicht mehr erhalten. Während die mittelpersische Schrift zur lautlichen Wiedergabe sehr uneindeutig war, wurde wahrscheinlich in dieser Epoche, d. h., zwischen dem dritten und dem siebten Jahrhundert n. Chr., zur eindeutigen Wiedergabe der bereits toten Sprache des Avestas die avestische Schrift entwickelt, welche bis heute verwendet wird.

Es ist in der Forschung umstritten, wann die ersten Abschnitte des Avesta entstanden sind. Die verschiedenen Angaben erstrecken sich meist auf die Epoche zwischen dem 8. Jahrhundert v. Chr. und – gemäß dem „Jahr der Religion“ in Pahlavi-Schriften – 1737 v. Chr..

Dem Buch Ardaviraf-Namak, einem mittelpersischen Werk aus dem 3.-4. Jahrhundert nach Christus, ist ein Bericht über eine in achämenidischen Archiven aufbewahrte und durch „Alexander den Römer“ verbrannte Niederschrift des Avestas zu entnehmen. Gemäß Denkard, einem späteren mittelpersischen Werk aus dem 8.-9. Jahrhundert, veranlasste der iranische Großkönig Valkhas, welcher am ehesten mit dem parthischen Herrscher Vologaeses I. identifiziert wird, die erneute Sammlung und Zusammenstellung der Texte des Avestas. Im 3. christlichen Jahrhundert erfolgte im Auftrag Ardaschirs I. unter der Leitung des Hohepriesters Tansar eine erneute Zusammenstellung und Redaktion, welcher unter Schapur I. und dem Mobedan-Mobed Kartir eine weitere folgte. Ein Teil des heutigen Textes, hierbei insbesondere das Khordeh Avesta, wird dem Mobedan-Mobed Azarpad Mehrespandan zugeschrieben. Mündlich tradiert wurde das sakrale Werk schon in vorhistorischer Zeit.

Die älteste entdeckte Niederschrift stammt mit dem „Ashem-Vohu-Manuskript“, erworben 1907 durch Sir Aurel Stein in Dunhuang und derzeit befindlich in der British Library, aus dem 9. Jahrhundert n. Chr. und enthält einen mitteliranischen, sogdischen Text [1]. Abgesehen von diesem stammt das älteste, derzeit vorliegende Manuskript vom Ende des 13. Jahrhunderts n. Chr. und wird mit 1288 datiert.

Zentraler zoroastrischer Feuertempel der Stadt Yazd. Iran, 2004.
Das Feuer des Tempels zu Yazd. Iran, 2004.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Obwohl eine der ältesten und wichtigsten Religionsurkunden der Menschheit, wurde das Avesta der europäischen Wissenschaft erst durch die Bemühungen Abraham Anquetil-Duperrons zugänglich gemacht, der 1755 nach Ostindien reiste, um von den Parsenpriestern ein Exemplar des Avesta zu erlangen. Nach einem siebenjährigen Aufenthalt in Indien brachte er nicht nur das Avesta, sondern auch eine vollständige persische Übersetzung, die ihm ein Parsenpriester in die Feder diktiert hatte, mit. Er gab hiervon 1771 eine französische Übersetzung heraus, die jedoch – insbesondere bei englischen Gelehrten – starken Zweifeln an der Echtheit und dem Alter des Originals begegnete.

Erst durch die Schrift des dänischen Sprachforschers Rasmus Christian Rask Über das Alter und die Echtheit der Zendsprache (1826) wurden diese Zweifel vermittels einer näheren Untersuchung der Sprache des Originals selbst beseitigt. Seitdem hat die Erforschung des Avesta hinsichtlich Sprache und Inhalt rasche Fortschritte gemacht.

Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass das Avesta das letzte Überbleibsel des sehr umfangreichen Kanons heiliger Schriften ist, die im Osten des Iran, wahrscheinlich in Baktrien, schon vor der Gründung des persischen Weltreichs entstanden waren. Sehr früh wurden diese Schriften auch bei den Persern angenommen und durch diese den Griechen bekannt gemacht. Deren Angaben über den Inhalt decken sich mit denen des Originals.

Nach Angaben verschiedener iranischer Quellen sowie einer Sage der Parsen wurde das Avesta von „Alexander dem Makedonier“ in Ekbatana oder in der Persis verbrannt. Einige andere Autoren betrachten es als wahrscheinlicher, dass es während der Fremdherrschaft der Griechen und der Epoche der Parther in Vergessenheit geriet. Zum Zeitpunkt der Wiederherstellung der alten zoroastrischen Religion unter der Dynastie der Sassaniden (seit 226 u.Z.) fanden sich nur Teile der die gesamte religiöse und weltliche Lehre Zoroasters und seiner Jünger enthaltenden Bücher (nask) des alten Werkes. Diese waren in die damals übliche, der Pahlavischrift ähnliche Schriftart, die so genannte Zendschrift, umgeschrieben und mit einer Übersetzung in das Pahlavi oder Mittelpersisch versehen worden. Das damals gesammelte Avesta enthielt zudem zahlreiche zurvanistische Mythen. Diese wurden in der Zeit zwischen Yazdegerd II. und Chosrau I. ausgeschlossen, sind aber zum Teil in anderen Pahlavischriften (Bundahischn, Denkard) enthalten.

Wahrscheinlich rühren von dieser Umschrift die meisten der Fehler und Textverderbnisse her, welche eine Deutung des Avesta erschweren. Als Folge der Eroberung des Irans durch die Araber und die damit einhergehende Bekämpfung der alten Religion des Landes, floh eine größere Anzahl der Parsen nach Indien und nahm die verbliebenen Bruchstücke des Avesta mit.

Titelblatt einer Ausgabe des Zend-Avestas

Begriff

Der Terminus Avesta („Avista“, Pahlavi: Abestâg) begegnet uns nicht vor der Zeit der Sassaniden. Es bestehen verschiedene Angaben zur Bedeutung des Wortes. Hierbei wird seitens verschiedener Autoren die Bedeutung „Grundtext“ angenommen. Dem Begriff zugrundegelegt werden u. a. die Begriffe Abastâ, auf den altpersischen Keilinschriften zu finden, und Upastâk, zu finden im Buch Denkard. Teils wird die Bedeutung „Wissen“ oder „Kunde“ postuliert und auf den Stamm „vid“ („Wissen“) im Avestischen und im Sanskrit hingewiesen.

Der Begriff Zend (oder Zand) dagegen bezieht sich auf mittelpersische Kommentare und Übersetzungen, welche die Priester wegen der verlorengegangenen Kenntnisse der alten Sprache des Avesta (Avestisch) erstellt hatten.

Teile des Avesta

Die einzelnen Teile des Avesta sind:

Der Yasna

Der Yasna („Anbetung“), in 72 Kapitel zerfallend, welche „Hâ“ (Abschnitt) heißen, und wichtigster Teil des Heiligen Buches Avesta, welches in unserer Zeit aus 5 Büchern besteht. Teil der Yasna sind auch die „Gathas“ (Gesänge), welche die Worte des Propheten sind (Yasna 28-34. 43-51 und 53). Die frühesten Kapitel des Yasna und die späteren sind erst nach Zarathustra von Geistlichen erstellt worden, welche den Gläubigen zunächst auf das Gebet einstimmen und schließlich zu den wahren Gesängen des Propheten führen. Die Gathas oder Gesänge, welche von Zoroaster selbst kommen, stellen das Fundament für die spätere Dogmatik und Moral in den restlichen, später erstellten Teilen des Avesta.

Yasna 28.1, Teil des Ahunavaiti Gatha in avestischer Schrift

Der Vendidâd

Der Vendidâd oder Vidêvdâd (Avestisch: vî-daêvô-dâta, „gegen die Dēvs gegeben“ bzw. „Gesetz gegen die Dēvs“, Dēv: „Dämon“) enthält in seinen 22 „Fargards“ Fragmente sehr verschiedenartigen Inhalts, die nur bezüglich der überall durchgehenden Einkleidung in Dialoge zwischen Ormuzd – z. T. auch Ormudz geschrieben – oder Ahura Mazda und seinem Propheten Zoroaster miteinander übereinstimmen. Der erste Fargard enthält die zoroastrische Schöpfungssage, der zweite die Sage von Yima und dem goldenen Zeitalter, die folgenden größtenteils Vorschriften über Bußen und Sühnen, durch welche man die Folgen der verschiedenen Sünden oder Verunreinigungen, die man auf sich geladen hat, abwehren könne.

Der Begriff Dēv (Pahlavi-Sprache, Avestisch: Daêva, Neupersisch: Div) bezeichnete ursprünglich alte iranische Gottheiten, welche auch in der indischen Götterwelt eine, wenn auch in der Bewertung sehr unterschiedliche Entsprechung fanden. Bereits in den ältesten Abschnitten der Gathas finden „Dêvs“ als „falsche Götter“ Erwähnung. Im Verlauf der weiteren iranischen Geschichte ist eine weitere Sinnverschiebung hin zu mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten Personifizierungen des Bösen festzustellen, welche meist als „Dämonen“ wiedergegeben werden.

Der Visparad

Der Visparad (von vîspe ratavo, „Alle Oberen“) enthält in je nach Zählung 22 bis 27 Kardas (Abschnitten) Gebete ähnlicher Natur wie jene im jüngeren Teil des Yasna, aber viel geringeren Umfangs. Die drei genannten Bücher zusammen bilden, in einer eigentümlichen Anordnung zusammengestellt, die zu gottesdienstlichen Zwecken viel gebrauchte Sammlung Vendidâd Sâde.

Die Yashts

Die Yashts (Verehrung durch Anpreisung), das vierte Buch des Avesta, sind Anbetungen, je an Göttliche Schöpfungen, wie Erzengeln, Elemente und das Gute, welche auch Namensgeber der Zarathustrischen Tage sind. Der zarathustrische Kalender hat 30 Tage, und jeder dieser Tage hat den Namen eines Göttlichen Geschöpfs (z. B. Mah: der Mond, Mehr: das Licht, die Fravashi: teils verglichen mit den Erzengeln), deren Eigenschaften ausführlich aufgezählt und beschrieben werden. Sie sind daher eine wichtige Quelle für die zoroastrische und iranische Mythologie.

Das Khordeh Avesta

Unter Khordeh Avesta („Kleines Avesta“) werden die fünf Niyâyishs, die Afringâns, die Gâhs sowie einige andere, meist kleinere Stücke und Fragmente zusammengefasst.

Siehe auch

Literatur

  • Encyclopaedia of Ancient Iran. Hashem-e Razi, Teheran, Sokhan, 2002.
  • Günter Lanczkowski: Iranische Religionen. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 16, S. 247–258.
  • Ardaviraf-Namak, Übersetzung Martin Haug. Aus: The Sacred Books and Early Literature of the East. Band VII, 1917.
  • Dinkard, Übersetzung E. W. West. Aus The Sacred Books of the East. Pahlavi Texts.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sacred Texts: Ashem Vohu. Abgerufen am 6. Mai 2011.

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