Riemannsche Vermutung

Riemannsche Vermutung

Die Riemannsche Vermutung oder Riemannsche Hypothese (nach Bernhard Riemann) ist eine Annahme über die Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion. Sie besagt, dass alle nichttrivialen Nullstellen dieser komplexwertigen Funktion den Realteil ½ besitzen. Ob die Vermutung zutrifft oder nicht, ist eines der bedeutendsten ungelösten Probleme der Mathematik.

Inhaltsverzeichnis

Die Riemannsche Zetafunktion

Riemannsche Zetafunktion in der komplexen Ebene, horizontal Re(s) und vertikal Im(s). Eine Reihe weißer Flecken markiert die Nullstellen bei Re(s) = ½. Für eine vollständige Darstellung des Vorschaubildes hier klicken.
Hauptartikel: Riemannsche ζ-Funktion

Die Riemannsche Zetafunktion ist eine komplexwertige Funktion, die für Realteile \operatorname{Re}(s) > 1 durch die folgende unendliche Summe definiert ist:


  \zeta (s) = \sum_{n=1}^{\infty} \frac{1}{n^s} = 1 + \frac1{2^s} + \frac1{3^s} + \frac1{4^s} + \cdots

Dabei ist die Variable s eine komplexe Zahl.

Eine der wichtigsten Eigenschaften der Riemannschen Zetafunktion ist ihr Zusammenhang mit den Primzahlen. Sie stellt eine Beziehung zwischen komplexer Analysis und analytischer Zahlentheorie her und bildet den Ausgangspunkt der Riemannschen Vermutung. Der folgende Ausdruck, der auf Leonhard Euler (1748) zurückgeht, stellt den Zusammenhang formelhaft dar als


   \zeta (s) = \sum_{n=1}^{\infty}\frac{1}{n^s}= \prod_{p\ \text{prim}} \frac{1}{1-\frac1{p^s}}
   = \frac1{\left(1-\frac1{2^s}\right) \left(1-\frac1{3^s}\right)\left(1-\frac1{5^s}\right)
   \cdots}

wobei Πp ein unendliches Produkt über alle Primzahlen p darstellt. Der Ausdruck folgt unmittelbar aus dem Satz über die Eindeutigkeit der Primzahlzerlegung und der Summationsformel für die geometrische Reihe.

Die Funktion lässt sich über den ursprünglichen Konvergenzbereich der Eulerschen Summen- bzw. Produktformel hinaus auf die gesamte komplexe Ebene – mit Ausnahme von s = 1 – eindeutig analytisch fortsetzen. Man erhält eine meromorphe Funktion: Im Punkt s = 1 besitzt sie einen einfachen Pol.

\zeta (s)=\frac{1}{\Gamma (s)} \left(\frac{1}{s-1}-\frac{1}{2s}+\sum\limits_{n =2}^\infty 
\frac{B_n}{n !}\frac{1}{s+n-1}+\int\limits_1^\infty \frac{x^{s-1}}{e^x-1} \mathrm dx \right),

wobei Γ die Gamma-Funktion und Bn die Bernoulli-Zahlen sind.

Anmerkung: Bei der hier verwendeten Definition der Bernoulli-Zahlen gilt:

B_0=1,\; B_1=-1/2,\; B_2=1/6,\; B_3=0, \dots

Riemannsche Vermutung

Betrag der Zetafunktion auf der kritischen Geraden Re(s) = 1/2
Funktionswerte der Zetafunktion auf der kritischen Geraden Re(s) = 1/2

Im Folgenden wird die Riemannsche Zetafunktion in analytischer Fortsetzung betrachtet. In dieser Form hat die Zeta-Funktion sogenannte „triviale Nullstellen“, die sich aus der Menge der Polstellen der Gamma-Funktion vermindert um die Menge der Polstellen des Klammerausdrucks durch Aufhebung ergeben. Es handelt sich dabei um die Menge der negativen geraden Zahlen s = -2,\; -4, \; -6, \dots .

Eine zentrale Erkenntnis Riemanns in seiner berühmten Arbeit aus dem Jahre 1859[1] war die Feststellung, dass sich alle möglichen nichttrivialen Nullstellen in dem Streifen

\{s\in\mathbb C \mid 0 \leq \mathrm{Re}\,(s) \leq 1 \}

befinden müssen.

Die berühmte – und bis heute weder widerlegte noch bewiesene – Vermutung von Bernhard Riemann besagt, dass alle nichttrivialen Nullstellen auf der mittleren Geraden

\{s\in\mathbb C \mid \mathrm{Re}\,(s) = 1/2 \}

liegen.

Riemann kam auf seine Vermutung bei der Untersuchung des Produkts der Zetafunktion mit der Gammafunktion

\xi(s) = \pi^{- \frac {s} {2}} \; \Gamma \left( \frac {s} {2} \right) \zeta (s) ,

die bei der Vertauschung von s mit (1 − s) invariant ist, das heißt, sie erfüllt die Funktionalgleichung:

\xi \left( s \right) = \xi \left( 1-s \right).

Riemann selbst verwendete s = 1 / 2 + it und erhielt damit für alle  t \in \mathbb{C} :

\xi \left( 1/2 + it \right) = \xi \left( 1/2 - it \right).

Die Gerade in der komplexen Zahlenebene mit dem Realteil 1/2 ist somit bei dieser Spiegelung ebenfalls invariant. Riemann selbst schreibt über die Nullstellen:[1]

„... und es ist sehr wahrscheinlich, dass alle Wurzeln reell sind. Hievon wäre allerdings ein strenger Beweis zu wünschen; ich habe indeß die Aufsuchung desselben nach einigen flüchtigen vergeblichen Versuchen vorläufig bei Seite gelassen, da er für den nächsten Zweck meiner Untersuchung entbehrlich schien.“

Mit „reellen Wurzeln“ meinte Riemann, dass für ein  s = 1/2 \pm it im kritischen Streifen die Gleichung

 \xi(s) = \xi(1/2 \pm it) = 0

lediglich durch ein reelles t, also  t \in \mathbb{R} , zu lösen sei.

Bedeutung

Aus der Riemannschen Vermutung folgt beispielsweise eine Restgliedabschätzung im Primzahlsatz (Helge von Koch 1901)[2]:

\pi(x) = \mathrm{Li}\,x+\mathcal{O}(\sqrt x\cdot\log x);

dabei ist

\mathrm{Li}\,x=\int_2^x\frac{\mathrm dt}{\log t}

der Integrallogarithmus. Viele weitere Resultate der analytischen Zahlentheorie, aber auch etwa für die in der Kryptographie wichtigen schnellen Primzahltests, können bisher nur unter Annahme der Riemannhypothese bewiesen werden. In den komplexen Nullstellen der Zetafunktion sind, wie Michael Berry schrieb, die Fluktuationen um die grobe asymptotisch logarithmische Verteilung der Primzahlen, die der Primzahlsatz beschreibt, kodiert. Kennt man die genaue Verteilung, kann man auch genauere Aussagen über die Wahrscheinlichkeit treffen, wie viele Primzahlen in einem Bereich anzutreffen sind.

Die eigentliche Ursache dafür, dass viele Mathematiker so intensiv nach einer Lösung gesucht haben, ist aber – abgesehen davon, dass dies die letzte noch unbewiesene Aussage in Riemanns berühmtem Aufsatz ist – dass sich in dieser außergewöhnlich perfekten Symmetrie einer ansonsten sehr chaotischen Funktion (z. B. Universalitätssatz von Voronin: die Zetafunktion kann jede beliebige analytische von Null verschiedene Funktion innerhalb eines Kreises vom Radius 1/4 beliebig approximieren) wahrscheinlich die Spitze des Eisbergs einer fundamentalen Theorie verbirgt, so wie sich hinter der Fermatvermutung die Parametrisierung von elliptischen Kurven durch Modulfunktionen verbarg, ein Teil des Langlands-Programms.

Geschichte

Die Riemannsche Vermutung wurde schon 1859 von Bernhard Riemann in einer berühmten Arbeit, die die Grundlagen der analytischen Zahlentheorie legte, nur nebenbei erwähnt, da sie - wie er schrieb - für den unmittelbaren Fortgang der Untersuchung seines Aufsatzes nicht wesentlich wäre. Er sicherte seine Vermutung durch umfangreiche numerische Berechnungen der Nullstellen ab, wie Carl Ludwig Siegel in den 1930er Jahren bei der Untersuchung von Riemanns Nachlass herausfand.[3] 1903 veröffentlichte Jørgen Pedersen Gram[4] numerische Näherungswerte für die ersten 15 im kritischen Bereich liegenden Nullstellen. Sie unterstützen (beweisen aber nicht) die Riemannsche Vermutung, ebenso wie alle weiteren Nullstellen, die später gefunden wurden und deren Anzahl Anfang der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts die 100-Millionen-Grenze überschritt. Im Jahr 2001 wurde mit Hilfe von Großrechnern gezeigt, dass die ersten zehn Milliarden Nullstellen der komplexen Zeta-Funktion alle die Riemannsche Vermutung erfüllen, d. h., sie liegen alle auf der Geraden mit Realteil 1 / 2.

Einen weiteren Meilenstein bei der numerischen Suche stellte das im August 2001 gestartete Zeta-Grid-Projekt dar. Mit Hilfe der Methode des verteilten Rechnens, an der viele Tausend Internet-Nutzer teilnahmen, wurden nach drei Jahren etwa 1 Billion Nullstellen gefunden. Das Projekt wurde inzwischen eingestellt.

Die beiden französischen Mathematiker Gourdon und Demichel starteten mit dem Verfahren von Odlyzko und Schönhage im Jahr 2004 einen neuen Versuch und hatten im Oktober 2004 die ersten 10 Billionen Nullstellen überprüft, ohne ein Gegenbeispiel zu finden. Obwohl es sich bei allen Rechnungen um numerische Verfahren handelt, zeigen diese exakt und nicht nur annähernd, dass sich die untersuchten Nullstellen auf der kritischen Geraden befinden.[5]

Viele berühmte Mathematiker haben sich an der Riemannvermutung versucht. Jacques Hadamard behauptete 1896 ohne nähere Ausführungen in seiner Arbeit Sur la distribution des zéros de la fonction ζ(s) et ses conséquences arithmétiques[6], in der er den Primzahlsatz bewies, dass der damals kürzlich verstorbene Stieltjes die Riemannsche Vermutung bewiesen hätte, ohne den Beweis zu publizieren. Der berühmte britische Mathematiker Godfrey Harold Hardy pflegte vor der Überquerung des Ärmelkanals bei schlechtem Wetter ein Telegramm abzuschicken, in dem er behauptete, einen Beweis gefunden zu haben, dem Beispiel von Fermat folgend, der auf dem Rand eines Buches der Nachwelt überlieferte, er hätte für seine Vermutung einen Beweis, der leider zu lang sei um auf dem Rand Platz zu finden.[7] Sein Kollege John Edensor Littlewood bekam in Cambridge 1906 als Student sogar die Riemannhypothese als funktionentheoretisches Problem von seinem Professor Ernest William Barnes gestellt, ohne Verbindung zur Primzahlverteilung – diesen Zusammenhang musste Littlewood für sich entdecken und bewies in seiner Fellowship-Dissertation, dass der Primzahlsatz aus der Hypothese folgt, was aber in Kontinentaleuropa schon länger bekannt war. Wie er in seinem Buch A mathematician’s miscellany zugab, warf dies kein gutes Licht auf den damaligen Stand der Mathematik in England. Littlewood leistete aber bald darauf wichtige Beiträge zur analytischen Zahlentheorie im Zusammenhang mit der Riemannhypothese. Das Problem wurde im Jahr 1900 von David Hilbert in seiner Liste der 23 mathematischen Probleme als Jahrhundertproblem deklariert, wobei Hilbert selbst es als weniger schwierig als beispielsweise das Fermat-Problem einordnete: in einem Vortrag 1919 gab er der Hoffnung Ausdruck, dass ein Beweis noch zu seinen Lebzeiten gefunden würde, im Fall der Fermat-Vermutung vielleicht zu Lebzeiten der jüngsten Zuhörer, für am schwierigsten hielt er die Transzendenz-Beweise in seiner Problemliste – ein Problem, das in den 1930er Jahren durch Gelfond und Schneider gelöst wurde.[8] Mittlerweile sind viele der Probleme auf Hilberts Liste gelöst, nur die Riemannvermutung widerstand allen Versuchen. Da im 20. Jahrhundert kein Beweis für die Riemannsche Vermutung gefunden wurde, hat das Clay Mathematics Institute im Jahr 2000 dieses Vorhaben erneut zu einem der wichtigsten mathematischen Probleme erklärt und einen Preis von einer Million US-Dollar auf einen schlüssigen Beweis ausgesetzt, allerdings nicht für ein Gegenbeispiel.

Es gibt auch zur Riemannvermutung analoge Vermutungen für andere Zetafunktionen, die teilweise ebenfalls gut numerisch gestützt sind. Im Fall der Zetafunktion algebraischer Varietäten (der Fall der Funktionenkörper) über den komplexen Zahlen wurde die Vermutung in den 1930er Jahren von Helmut Hasse für elliptische Kurven und in den 1940er Jahren von André Weil für abelsche Varietäten und algebraische Kurven (auch über endlichen Körpern) bewiesen. Weil formulierte auch die Weil-Vermutungen, zu denen auch ein Analogon der Riemannhypothese gehört, für algebraische Varietäten (auch höherer Dimension als Kurven) über endlichen Körpern. Der Beweis wurde nach Entwicklung der modernen Methoden der algebraischen Geometrie in der Grothendieck-Schule in den 1970er Jahren von Pierre Deligne erbracht.

Neuere Beweisversuche

Im Juni 2004 hat Louis de Branges de Bourcia zum wiederholten Male einen angeblichen Beweis veröffentlicht, der derzeit kritisch geprüft wird. Bereits Jahre zuvor hat Eberhard Freitag jedoch ein Gegenbeispiel für eine im Beweis aufgestellte Behauptung gezeigt, so dass der Beweis mittlerweile als falsch angesehen wird.

Verallgemeinerte Riemannvermutung

Als verallgemeinerte oder allgemeine Riemannvermutung wird gewöhnlich die folgende Behauptung bezeichnet:[9]

Die analytische Fortsetzung der Dirichletreihe zu jedem beliebigen Dirichletcharakter χ (L-Reihe)
L(s,\chi)=\sum_{n=1}^{\infty} \frac{\chi(n)}{n^s},
hat im kritischen Streifen 0\leq\operatorname{Re}(s)\leq 1 ausschließlich Nullstellen auf der Geraden \operatorname{Re}(s)=1/2.

Aus der verallgemeinerten Riemannvermutung folgt die Riemannvermutung als Spezialfall. Andrew Granville konnte zeigen, dass die (starke) Goldbachsche Vermutung im Wesentlichen zur verallgemeinerten Riemannvermutung äquivalent ist.[9]

Verwandte Vermutungen und äquivalente Formulierungen

In der analytischen Zahlentheorie gibt es weitere Vermutungen, die mit der Riemannschen Vermutung in Beziehung stehen. Die Mertenssche Vermutung besagt, dass \textstyle \left| M(n)\right| = \left| \sum_{k=1}^n \mu(k)\right| < \sqrt{n} für alle n > 1. Dabei ist μ die Möbiusfunktion und M die sogenannte Mertensfunktion. Die Mertenssche Vermutung ist stärker als die Riemannsche Vermutung, wurde jedoch 1985 widerlegt[10].

In diesem Zusammenhang steht auch die wahrscheinlichkeitstheoretische Interpretation der Riemannvermutung von Arnaud Denjoy[11]. Sei μ(k) eine zufällige Folge von Werten (1, -1) (das heißt, diese haben gleiche Wahrscheinlichkeit), dann gilt für jedes \varepsilon > 0 für die Summe (unter Verwendung der Landau-Symbole) \left|M(x)\right| =\left| \sum_{k \le x} \mu(k) \right| \in \mathcal{O}(x^{1/2+\varepsilon}) , das heißt, der Betrag der Abweichung vom Mittelwert null wächst asymptotisch höchstens so stark wie x1 / 2 + ε. Setzt man für μ die Möbiusfunktion ein, so ist die Riemannhypothese äquivalent zu der Aussage, dass dieses asymptotische Wachstumsverhalten auch für deren Summe (die Mertensfunktion) gilt (Littlewood 1912)[12]. Die Riemannhypothese lässt sich dann als Aussage interpretieren, dass die Verteilung der Möbiusfunktion (das heißt, ob Zahlen ohne doppelte Primfaktoren eine gerade oder ungerade Anzahl von Primfaktoren haben) völlig zufällig ist.

Wie schon erwähnt, folgen aus der Riemann-Hypothese Schranken für das Wachstum des Fehlerterms des Primzahlsatzes. Sie ist sogar äquivalent zu:[13]

\left| \frac {\pi (x) - \mathrm{Li} (x)}{\mathrm{Li} (x)}\right|  \in \mathcal{O}( x^{-1/2+\varepsilon}) für alle \varepsilon > 0.

Die Lindelöfsche Vermutung über die Ordnung der Zetafunktion entlang der kritischen Geraden ist schwächer als die Riemannsche Vermutung, aber immer noch unbewiesen.

Jeffrey Lagarias stellte 1992 eine zur Riemannvermutung äquivalente Vermutung der elementaren Zahlentheorie auf.[14]

Beweisideen aus der Physik

Neue Ideen für den Beweis der Vermutung kamen aus der Physik. Schon David Hilbert und George Polya war aufgefallen, dass die Riemannhypothese folgen würde, falls die Nullstellen Eigenwerte eines Operators (1/2 + i T) wären, wobei T ein hermitescher (das heißt selbstadjungierter) Operator ist, der also nur reelle Eigenwerte hat, ähnlich wie die Hamiltonoperatoren in der Quantenmechanik. In den 1970er Jahren fand dann Hugh Montgomery bei einer Unterhaltung mit Freeman Dyson, dass die Verteilung der (normalisierten) Abstände aufeinanderfolgender Nullstellen eine ähnliche Verteilung wie die Eigenwerte unitärer Zufallsmatrizen zeigte, was Andrew Odlyzko durch numerische Rechnungen bestätigte. In den 1990er-Jahren begannen dann auch Physiker wie Michael Berry nach einem solchen zugrundeliegenden System zu suchen, etwa in der Theorie des Quantenchaos. Weitere Unterstützung finden diese Überlegungen in einer Analogie der „expliziten Formeln“ in der Theorie der riemannschen Zetafunktion mit der Selberg-Spurformel, die die Eigenwerte des Laplace-Beltrami-Operators auf einer Riemannfläche mit den Längen der geschlossenen Geodäten in Beziehung setzt, und der Gutzwiller-Spurformel in der Quantenchaos-Theorie. Diese verbindet die Eigenwerte (Energien) der quantenmechanischen Version eines chaotischen klassischen Systems mit den Längen der periodischen Bahnen im klassischen Fall. Bei all diesen Spurformeln (trace formulas) handelt es sich um Identitäten zwischen den Summen der jeweiligen Nullstellen, Bahnkurven-Periodenlängen, Eigenwerte usw.

Ein vom Fields-Medaillen-Preisträger Alain Connes 1996 angegebener Operator passt „fast“. Connes konnte aber bisher nicht die Existenz weiterer Nullstellen außerhalb der kritischen Geraden ausschließen.[15]

Eine weitere Idee aus der Physik, die in Zusammenhang mit der Riemannvermutung diskutiert wurde, sind die „Yang-Lee-Nullstellen“ der ins Komplexe analytisch fortgesetzten Zustandssumme in Modellen der statistischen Mechanik. Chen Ning Yang und Tsung-Dao Lee bewiesen unter Verwendung eines Resultats von George Polya aus der Theorie der Zetafunktion, auf das sie Mark Kac aufmerksam machte, dass in bestimmten Modellen die Nullstellen auf einem Kreis lagen, bei anderen Modellen liegen sie auf einer Geraden. Die Lage der Nullstellen bestimmt das Verhalten in Phasenübergängen ähnlich, wie die Nullstellen auf der kritischen Geraden die Feinverteilung der Primzahlen steuern.

All diesen Ideen liegt eine Analogie zugrunde, die sich vereinfacht etwa so beschreiben lässt: Die Primzahlen sind „Elementarteilchen“, die über die Multiplikation in Wechselwirkung treten und so die zusammengesetzten Zahlen aufbauen. Gleichzeitig werden die „Teilchen“ durch die Addition angeordnet. In der Zetafunktion werden nun in Form einer Summen- bzw. Produktformel beide Aspekte (additiv/natürliche Zahlen und multiplikativ/Primzahlen) miteinander verbunden.

Eine Verbindung der Riemannvermutung zu eindimensionalen Quasikristallen schlug Freeman Dyson 2009 vor.[16]

Einzelnachweise

  1. a b Bernhard Riemann: Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Größe. Monatsberichte der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1859. S.671–680.
  2. Helge von Koch Sur la distribution des nombres premiers, Acta Mathematica, Band 24, 1901, S. 159–182
  3. Siegel Über Riemanns Nachlaß zur analytischen Zahlentheorie, Quellen Studien zur Geschichte der Math. Astron. und Phys. Abt. B: Studien, Band 2, 1932, S. 45–80, sowie Siegel Gesammelte Abhandlungen, Band 1, Springer Verlag, 1966
  4. Gram Sur les zéros de la fonction ζ(s) de Riemann, Acta Math., Band 27, 1903, S. 289–304
  5. Calculations relating to the zeros, Kapitel 15 in Titchmarsh: The Theory of the Riemann Zeta function
  6. Bulletin de la Société Mathématique de France 24 (1896), 199–220 (online)
  7. New York Times zur Riemannvermutung, die Anekdote ist auch in der Hilbert-Biografie von Constance Reid zu finden
  8. Du Sautoy Die Musik der Primzahlen, S.147
  9. a b Granville: Refinements of Goldbach’s Conjecture..., siehe Literaturverzeichnis
  10. A. M. Odlyzko and H. J. J. te Riele: Disproof of the Mertens conjecture, J. reine angew. Math., Band 357, 1985, S. 138–160, Online-Version
  11. Denjoy: L’Hypothése de Riemann sur la distribution des zéros de ζ(s), reliée à la théorie des probabilités, Comptes Rendus Acad. Sc., Band 192, 1931, S.656–658. Edwards Riemanns Zeta Function, 1974, S.268. Edwards kommentiert diese Interpretation so: though it is quite absurd when considered carefully, gives a fleeting glimmer of plausibility to the Riemann hypothesis.
  12. Littlewood: Quelques conséquences de l’hypothèse que la fonction ζ(s) n’a pas de zéros dans le demi-plan Re (s) > \frac {1}{2}, Comptes Rendus, Band 154, 1912, S. 263–266. Edwards, loc. cit. S.261. Littlewood bewies genauer, dass die Riemannhypothese äquivalent zu folgender Aussage ist: Für jedes \varepsilon > 0 konvergiert M(x) x^{-\frac{1}{2} - \varepsilon} gegen null für x gegen \infty.
  13. Edwards Riemann’s Zeta function, Kapitel 5
  14. Lagarias An elementary problem equivalent to the Riemann hypothesis, American Mathematical Monthly, Band 109, 2002, S. 534–543
  15. Connes Trace formula in non commutative geometry and the zeros of the Riemann zeta function 1998
  16. Dyson „Birds and Frogs“, Notices AMS 2009, PDF-Datei

Literatur

  • Marcus du Sautoy: Die Musik der Primzahlen. Auf den Spuren des größten Rätsels der Mathematik. dtv/C.H. Beck, München 2003 und 2004, ISBN 3-423-34299-4 (populäre Darstellung der Geschichte der Vermutung).
  • John Derbyshire: Prime obsession – Bernhard Riemann and the greatest unsolved problem in Mathematics. Washington 2003, ISBN 0-309-08549-7.
  • Andrew Granville: Refinements of Goldbach’s Conjecture, and the generalized Riemann hypothesis. In: Functiones et Approximatio, Commentarii Mathematici. 37, Nr. 1, Faculty of Mathematics and Computer Science of Adam Mickiewicz University, Poznań 2007, S. 159–173 (http://www.dms.umontreal.ca/~andrew/PDF/GoldbachFinal.pdf).
  • Harold Edwards: Riemann’s Zeta Function. New York 1974, Dover 1991, ISBN 0-486-41740-9.
  • Edward Charles Titchmarsh: The Theory of the Riemann Zeta-Function. Bearbeitet von Heath-Brown. Oxford 1987, ISBN 0-19-853369-1.
  • P. Borwein, S. Choi, B. Rooney, A. Weirathmueller: The Riemann hypothesis. A resource for the afficionado and virtuoso alike. (CMS Books in Mathematics 27) Canad. Math. Soc., Springer-Verlag 2008, ISBN 978-0-387-72125-5.
  • Julian Havil: Gamma – Eulers Konstante, Primzahlstrände und die Riemannsche Vermutung, Springer Verlag 2007

Weblinks


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