Richard H. Tilly

Richard H. Tilly

Richard Hugh Tilly (* 17. Oktober 1932 in Chicago) ist ein US-amerikanischer Wirtschafts- und Sozialhistoriker und Universitätslehrer.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Richard H. Tilly wurde als Sohn einer deutschstämmigen Familie geboren, kam aber erst als Erwachsener in engeren Kontakt zu Deutschland. Er studierte an der University of Wisconsin-Madison Geschichte und schloss 1955 mit dem Bachelor of Arts ab. Von 1955 bis 1957 leistete er seinen Militärdienst, teilweise in Deutschland. Von 1958 bis 1961 besuchte er die Graduate School der University of Wisconsin-Madison. Mit Hilfe eines Stipendiums kam er von 1961 bis 1963 nach Köln und arbeitete dort an seiner Dissertation über die deutsche Frühindustrialisierung im preußischen Rheinland. Bereits seit 1963 war Tilly Assistenzprofessor an der University of Michigan, 1964 wurde er promoviert (Ph.D. in Economics); die Dissertation wurde mit dem Edwin Gay Prize ausgezeichnet. Seit 1966 lehrte Tilly an der Yale University.[1]

Im Sommer 1966 war Tilly zu Vorträgen in verschiedenen deutschen Universitäten eingeladen, dabei begegnete er in Münster auch dem einflussreichen empirischen Wirtschaftsforscher Walther G. Hoffmann. Auf Hoffmanns Initiative hin wurde Tilly im Herbst 1966 an die Universität Münster auf den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte berufen sowie zum Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Münster ernannt. Richard H. Tilly nahm auch zeitweise Gastprofessuren in den USA wahr. Seit 1997 ist er emeritiert.[2]

Richard H. Tilly ist der Bruder des Historikers Charles Tilly (1929-2008) und der Schwager der Historikerin Louise Tilly.

Leistungen

Richard H. Tilly hat die deutsche Wirtschaftsgeschichtsschreibung maßgeblich modernisiert durch die Anwendung von ökonomischen Theorien und ökonometrischen Methoden auf die Wirtschafts- und Sozialgeschichte (New Economic History, Cliometrie).

Hauptarbeitsgebiete Tillys sind[3] in der Wirtschaftsgeschichte:

und in der Sozialgeschichte:

  • die Erforschung sozialer Proteste.

Von herausragender Bedeutung für die wirtschaftshistorische Forschung waren vor allem Tillys Beiträge zur Geschichte des deutschen Bankwesens und der deutschen Großunternehmen. Ebenso gelten Tillys sozialgeschichtliche Arbeiten als wegweisend für die quantifizierende Erforschung sozialer Proteste, zum Beispiel von Streiks und Hungerunruhen.[4]

Richard H. Tilly ist Mitglied des Arbeitskreises für Bankengeschichte sowie der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte. Er gehörte 1974 zu den Mitbegründern der Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft und war Herausgeber von Themenheften zur Industrialisierungsgeschichte. Seit den 1990er Jahren gibt er die Münsteraner Beiträge zur Kliometrie heraus.

Die von Tilly geförderte New Economic History hat sich für die wirtschaftshistorische Forschung in Deutschland als bedeutende Innovation erwiesen. Seine nachhaltige Wirkung als akademischer Lehrer lässt sich daran ablesen, dass sieben seiner Schüler Anfang des 21. Jahrhunderts wirtschaftshistorische oder wirtschaftswissenschaftliche Professuren bekleideten[5], unter anderen Hans-Heinrich Bass (*1954), Rolf H. Dumke, Rainer Fremdling (*1944), Carl-Ludwig Holtfrerich (*1942), Herrmann von Laer (*1945) und Toni Pierenkemper (*1944).

Ehrungen

Richard H. Tilly wurde am 10. Dezember 2009 im German Historical Institute in Washington D.C. mit dem Helmut Schmidt-Preis für deutsch-amerikanische Wirtschaftsgeschichte ausgezeichnet.[6]

Schriften (Auswahl)

Monographien

  • Willy H. Schlieker. Aufstieg und Fall eines Unternehmers (1914-1980), Berlin: Akademie Verlag, 2008 (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 14), ISBN 978-3-05-004477-4.
  • Globalisierung aus historischer Sicht und das Lernen aus der Geschichte, Köln, 1999. (Kölner Vorträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Heft 41) [6].
  • Geld und Kredit in der Wirtschaftsgeschichte. Stuttgart: Steiner, 2003, ISBN 3-515-06785-X.
  • Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwicklung Deutschlands 1834 bis 1914. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1990 (Deutsche Geschichte der neuesten Zeit), ISBN 3-423-04506-X.
  • Kapital, Staat und sozialer Protest in der deutschen Industrialisierung. Gesammelte Aufsätze Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1980, ISBN 3-525-35997-7.
  • Charles Tilly / Louise Tilly / Richard H. Tilly: The Rebellious Century: 1830-1930, Harvard: Harvard University Press, 1975, ISBN 0674749553, 9780674749559
  • Financial Institutions and industrialization in the Rhineland 1815-1870. Madison: University of Wisconsin Press, 1966

Herausgeber

  • Richard Tilly / Paul J. J. Welfens (Hrsg.): Economic Globalization, International Organizations and Crisis Management: Contemporary and Historical Perspectives on Growth, Impact and Evolution of Major Organizations in an Interdependent World [7], ISBN 3-540-65863-7
  • Bankenkrisen in Mitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert, Steiner, Stuttgart 2000
  • Geschichte der Wirtschaftspolitik. Vom Merkantilismus zur sozialen Marktwirtschaft, Oldenbourg, München/Wien 1993, ISBN 3-486-22640-1
  • Beiträge zur quantitativen vergleichenden Unternehmensgeschichte, Klett-Cotta, Stuttgart 1985, ISBN 3-608-91325-4
  • Rainer Fremdling / Richard H. Tilly (Hrsg.): Industrialisierung und Raum : Studien zur regionalen Differenzierung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Klett-Cotta, Stuttgart 1979, ISBN 3-12-911070-4

Weblinks

Belege

  1. Toni Pierenkemper: Richard H. Tilly (1997)[1]
  2. Toni Pierenkemper: Richard H. Tilly (1997)[2]
  3. Kurzbiographie Richard H. Tilly
  4. Michael Hecht: Hungerunruhen, Lexikon zu Restauration und Vormärz. Deutsche Geschichte 1815 bis 1848 [3]
  5. Verleihung des Helmut-Schmidt-Preises 2009 an Richard Hugh Tilly [4]
  6. Verleihung des Helmut-Schmidt-Preises 2009 an Richard Hugh Tilly [5]

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