Retrodigitalisierung

Retrodigitalisierung

Als Retrodigitalisierung oder retrospektive Digitalisierung bezeichnet man die Digitalisierung analoger Publikationen (u. a. Printmedien, Filme, Tonbänder).

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Retrodigitalisierung wird vor allem in Bibliotheken und Archiven eingesetzt, um digitale Daten für eine wissenschaftliche Nutzung bereitzustellen, einen weltweiten Zugang zu ermöglichen und gefährdete Werke für die Nachwelt zu erhalten (Bestandserhaltung).

Dabei werden schriftlichen Vorlagen meist bildlich (Imagedigitalisierung, z. B. durch Scanner oder Digitalfotografie) bzw. im Volltext (durch OCR oder Abschreiben) digitalisiert, wobei man bei letzteren zwischen Plaintext (also reinem Text) und ausgezeichnetem Text (also etwa Überschriftenstruktur und Hyperlinks) unterscheidet. Ein Angebot der Digitalisierung – ob nur Scan oder Volltext – im Internet nennt man Webreproduktion (kurz Webrepro). Die Digitalisierung von Katalogen zur Erschließung der darin verzeichneten Bestände wird Retrokonversion genannt.

Die Retrodigitalisierung ist manchmal mit der Archivierung auf Mikroformen verbunden, da diese eine wesentlich größere Haltbarkeit als digitale Speichermedien besitzen. Zur Langzeitarchivierung von digitalisierten Medien müssen geeignete Strategien überlegt werden, um die Daten und Inhalte auch in künftig genutzten Systemen (Hardware und Software) noch darstellen und verwerten zu können.

Ein bekanntes Beispiel ist die digitalisierte Version der Gutenberg-Bibel. Die DFG förderte und fördert eine Reihe von Projekten in Bibliotheken zur Digitalisierung unterschiedlicher Bestände (Monografien, Bilder, Zeitungen und Zeitschriften, Lexika etc.). Ein einheitlicher Einstieg und damit die breite Kenntnis von diesen digitalisierten Versionen wird über das Zentrale Verzeichnis Digitalisierter Drucke angestrebt.
Ein großes österreichisches Retrodigitalisierungs-Projekt ist Austrian Literature Online. Außerdem werden heute auch alle Rechtstexte retrodigitalisiert, und in Rechtsinformationssystemen angeboten.

Die USA-versus-Europa-Kontroverse

Innovationen im Bereich Retrodigitalisierung kommen vor allem aus Amerika. Neben Bibliotheken und Forschungseinrichtungen, die v.a. wissenschaftliche Literatur bearbeiten, setzen nun auch Anbieter wie Google und Amazon Retrodigitalisierung ein und bieten ihre Produkte zum Teil kostenpflichtig an.

Das Projekt von Google Book Search ist aus inhaltlichen und politischen Gründen sehr umstritten, vor allem der Politiker und Leiter der französischen Nationalbibliothek, Jean-Noel Jeanneney treibt die Kontroverse voran.

Die EU hat am 3. Mai 2005 einen Beschluss für ein eigenes Projekt gefasst, dessen Umsetzung noch viel Geld und Energie kosten wird (Wortlaut dieses Beschlusses: siehe Weblinks).

Der vorläufige Arbeitsname des Projekts lautet „The European Library“ TEL, im Deutschen ist „Europäische Digitale Bibliothek“ zur Zeit (2005) üblich. Jeanneney verwendet „Bibliothèque Numérique Européenne“, abgekürzt BNE.

In offizieller Reaktion auf den EU-Beschluss hat die deutsche Regierung der Deutschen Bibliothek, die zu ihrem Zuständigkeitsbereich gehört, die Verantwortung für den weiteren Gang der Dinge zugeteilt. Die Erklärung gipfelt im Kernsatz „Ein digitalisiertes Kulturerbe... wird dazu beitragen, die kulturelle Vielfalt, Forschung und Wissenschaft Europas auch bei Internetsuchen sichtbar zu machen.“ Eine Debatte zwischen den Kultur-/Wissenschaftsministern der sechs Länder, die in der Sache an die EU geschrieben haben (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Ungarn) wird angeregt.

TEL

Eine institutionelle Problematik liegt darin, dass die Verantwortung für die europäischen Bibliotheken eigentlich nicht bei der EU liegt, sondern beim Europarat, in dem zum Teil andere Länder Mitglied sind, und der eine eigene Bürokratie hat, die nach anderen Grundsätzen, mit anderen Etats usw. arbeitet. Der Verbund umfasst 45 Bibliotheken in 43 Mitgliedsländern. 2006 ist die Leiterin der Deutschen Bibliothek, Elisabeth Niggemann, die Vorsitzende der Konferenz Europäischer Bibliothek (siehe Links).

Das Projekt TEL wird hier als in der „Startphase“ befindlich bezeichnet, mit zur Zeit 9 Nationalbibliotheken (Ende 2005), die in 2–3 Jahren alle zu TEL-Mitgliedern werden sollen.

Siehe auch

Literatur

  • Ingeborg Verheul: Networking for Digital Preservation: Current Practice in 15 National Libraries. Saur, München 2006, ISBN 3-598-21847-8 (PDF).
  • Jörn Heckmann: Retrodigitalisierung in: Spindler (Hrsg.), Rechtliche Rahmenbedingungen von Open Access-Publikationen, S. 123 ff. Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2006, ISBN 3-938616-45-8 (PDF).
  • Bestandsaufnahme zur Digitalisierung von Kulturgut und Handlungsfelder. Erstellt im Auftrag des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. 2007 (PDF).

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Göttinger Digitalisierungszentrum — Ein Scanner des GDZ im Einsatz Das Göttinger Digitalisierungszentrum (GDZ) ist eine Einrichtung der Niedersächsischen Staats und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB Göttingen) zur Retrodigitalisierung und Langzeitarchivierung historischer… …   Deutsch Wikipedia

  • OCROpus — Entwickler: Thomas Breuel, DFKI Aktuelle Version: 0.3.1 (16. Oktober 2008) Betriebssystem: Linux Kateg …   Deutsch Wikipedia

  • Ocropus — Entwickler: Thomas Breuel, DFKI Aktuelle Version: 0.3.1 (16. Oktober 2008) Betriebssystem: Linux Kateg …   Deutsch Wikipedia

  • ALEX — Historische Rechts und Gesetzestexte Online ALEX http://alex.onb.ac.at/ Kommerziell nein Beschreibung Retrodigitalisierung und Onl …   Deutsch Wikipedia

  • Anno (Austrian Newspapers Online) — AustriaN Newspapers Online ANNO http://anno.onb.ac.at/ Motto Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften Online Kommerziell …   Deutsch Wikipedia

  • BMLO — Das Bayerische Musiker Lexikon Online (BMLO) ist ein virtuelles Personenlexikon zur bayerischen Musikgeschichte, behandelt aber auch einen über die Musik und über die Grenzen Bayerns hinausreichenden Personenkreis. Es vereinigt Prosopographien zu …   Deutsch Wikipedia

  • Buchwiege — eines Buchscanners Eine Buchwiege ist eine Halterung zur schonenden Betrachtung oder Bearbeitung von Büchern und ähnlichen gebundenen Werken. Sie besteht im Allgemeinen aus einer starren oder einstellbaren, V förmigen Halterung in die das Buch… …   Deutsch Wikipedia

  • Bücherei — Leseraum des British Museum Carl Spitzweg: Der Bücherwurm Eine Bibliothek (griechisch βιβλιοθήκη „Büchersammlung“) oder Bücherei …   Deutsch Wikipedia

  • Corvina (Bibliothek) — Die Bibliotheca Corviniana (kurz Corvina) ist die weltberühmte Büchersammlung des ungarischen Königs Matthias I. Corvinus (1443 1490). Sie bildete eine der größten und wertvollsten Bibliotheken im Zeitalter der Renaissance und wurde in das… …   Deutsch Wikipedia

  • Digitales Vergessen — Unter Langzeitarchivierung versteht man die Erfassung, die langfristige Aufbewahrung und die Erhaltung der dauerhaften Verfügbarkeit von Informationen. Vor allem bei der Langzeitarchivierung digital vorliegender Informationen (digital… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”