- Retorsion
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Retorsion (aus dem lat. PPP retortum des Verbs retorquere ‚zurückdrehen‘, also wörtlich „zurückgedreht“)[1] bezeichnet in der Philosophie eine Argumentationsfigur, die verschiedene Aussagen einer Argumentation gegen ihre expliziten Schlussfolgerungen wendet. Der Begriff entlehnt sich dem völkerrechtlichen Prinzip der Retorsion, nachdem bestimmte Maßnahmen gegen einen Staat von diesem durch vergleichbare Maßnahmen beantwortet werden können bzw. einer veralteten Rechtsfigur, nach der Beleidigungen unmittelbar erwidert werden durften.[2]
Inhaltsverzeichnis
Erläuterung
In einem Retorsionsargument werden Sprechakte, Behauptungen oder Argumentationen eines Sprechers verwendet, um Festlegungen, die der Sprecher explizit treffen wollte, zu widerlegen. Das Retorsionsargument dient nicht dazu, bestimmte Aussagen direkt zu begründen, sondern dazu, bestimmte Aussagen zu widerlegen oder doch ihre Gründe zu entkräften. Im einfachsten Fall wird daher die angeführte Begründung einer Behauptung zum Beweis der negierten Behauptung verwendet.[3]
Performative Retorsion
In einem bestimmten Fall geschieht diese Umkehr der Stoßrichtung durch Ausnutzung eines Widerspruchs zwischen Aussageinhalt und Implikaten des Aussagevollzugs. Dabei handelt es sich um eine besondere Form des Widerspruchs, einen sog. performativen Widerspruch. Das Retorsionsargument geht in diesem Fall von einer „doppelten Mitteilungsfunktion der Sprache“[4] aus: Jede Aussage teilt nicht nur eine Sachaussage (einen sog. propositionalen Gehalt) mit, sondern auch Implikate, die das Äußern der Aussage als Sprechakt mit sich bringt. Werden diese Implikate expliziert (zu Sprache gebracht), kann möglicherweise zwischen propositionalem und performativem Gehalt ein Widerspruch festgestellt werden.
Ein klassische Beispiel für die performative Retorsion betrifft die global-skeptische These "Es gibt keine wahren Aussagen". Diese Aussage kann retorsiv widerlegt werden, indem darauf verwiesen wird, dass mit der Äußerung dieser Aussage selbst ein Anspruch auf Wahrheit verbunden ist.
Das Retorsionsargument beweist in vorstehendem Beispiel nicht, dass es Wahrheit gibt, aber dass nicht sinnvollerweise geleugnet werden kann, dass es Wahrheit gibt. Dieser Sonderfall des Retorsionsarguments wird deshalb auch unter die transzendentalen Argumente gezählt: Es beruht im erwähnten Fall auf im Vollzug implizierten allgemeinen ‚Bedingungen der Möglichkeit‘ von wahrheitsfähigen Aussagen. In modifizierter Form finden Retorsionsargumente etwa in der Transzendentalpragmatik von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas Anwendung.
Eine derartige Argumentation findet sich der Struktur nach, aber auch unter explizitem Bezug auf Wahrheit, bereits bei Aristoteles und danach vielfach in der erkenntnistheoretischen Tradition. Explizit diskutiert und dann auch als solches bezeichnet wird das Retorsionsargument v.a. im Neuthomismus, z. B. bei Joseph Maréchal, Hansjürgen Verweyen oder Béla Weissmahr.[5]
Literatur
- Karl-Otto Apel: Das Problem der philosophischen Letztbegründung im Lichte einer transzendentalen Sprachpragmatik, in: B. Kanitscheider (Hg.): Sprache und Erkenntnis, Innsbruck 1976, S. 55ff.
- Gaston Isaye: La justification critique par retorsion, in: Revue philosophique de Louvain 52 (1954), S. 204-233.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Erich Pertsch: Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Lateinisch-Deutsch. Langenscheidt, Berlin 1978, ISBN 3-468-07201-5.
- ↑ Eintrag im Deutschen Rechtswörterbuch.
- ↑ Vgl. dazu auch die Definition in Arthur Schopenhauer: Eristische Dialektik (Nachlaß-Manuskript), dort als Kunstgriff Nr. 26: Link
- ↑ Béla Weissmahr: Die Wirklichkeit des Geistes, Kohlhammer, Stuttgart 2006, S. 57
- ↑ Vgl. Hansjürgen Verweyen: Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes. Zur transzendentalen Fragen nach der Möglichkeit von Offenbarung, Patmos, Düsseldorf 1969, bes. S. 109ff zu Maréchal; Isaye 1954.
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