Reichsregierung Dönitz

Reichsregierung Dönitz

Die Regierung Dönitz, auch als Flensburger Regierung, bezeichnet die international nicht anerkannte und nicht rechtmäßig zustande gekommene geschäftsführende Reichsregierung unter Karl Dönitz in den letzten Tagen des nationalsozialistischen Deutschland, nachdem sich der bisherige Reichskanzler Adolf Hitler am 30. April 1945 das Leben genommen hatte. Sie existierte vom 2. Mai bis zur bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Wesentliche Leistungen der Regierung gab es wenige, sie verfügte die Auflösung der NSDAP und enthob den Reichsführer-SS sämtlicher Ämter. Ihre Mitglieder wurden durch alliierte Soldaten am 23. Mai 1945 verhaftet.

Sie folgte auf das am 2. Mai zurückgetretene letzte Kabinett Hitler und hatte ihren Sitz in Plön und Eutin, seit dem 3. Mai in Flensburg. Der von Dönitz mit der Regierungsbildung beauftragte Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk bildete das Kabinett Schwerin von Krosigk (Flensburger Kabinett). Nach dem 12. Mai hielten sich die Mitglieder der Regierung im Sonderbereich Mürwik der Britischen Besatzungszone auf.

Hitlers „Politisches Testament“ beinhaltete den Auftrag an seinen Nachfolger, "den Krieg mit allen Mitteln weiter fortzusetzen". Dagegen definierte sich die Geschäftsführende Reichsregierung als „unpolitisch“. Für die Alliierten war die Unterzeichnung der Militärischen Kapitulation am 7. Mai 1945 eine wesentliche Funktion der geschäftsführenden Reichsregierung, wobei die Kapitulationsurkunden dann durch den Generaloberst Jodl und Generalfeldmarschall Keitel jeweils handelnd in Vollmacht für und im Namen des Oberkommandos der Wehrmacht unterzeichnet wurden.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Bereits Anfang April 1945 ließ Heinrich Himmler den künftigen Standort der Reichsregierung auswählen, und seine Entscheidung fiel auf die Holsteinische Schweiz als relativ ländlichem Raum.

Am 20. April 1945, Hitlers 56. Geburtstag, verfügte jener, dass seine Reichsregierung von Berlin nach Schleswig-Holstein umziehen solle, das zu dem Zeitpunkt noch von der Wehrmacht gehalten wurde. Lediglich Joseph Goebbels und Martin Bormann blieben als Regierungsmitglieder beim Führer in der Reichshauptstadt.

Am 21. April traf die Reichsregierung in Eutin ein. Der Autor Martin Buhmann bezeichnet dies als Ironie der Geschichte:

„Wo die Nazis zuerst die staatliche Macht in Deutschland übernommen hatten, ging sie auch zu Ende.“

In der Tat hatte die NSDAP 1932 die Macht im Freistaat Oldenburg erobert, und Eutin war die Hauptstadt des alten Fürstentums Lübeck, des oldenburgischen Landesteils in Ostholstein. Großadmiral Karl Dönitz war im April 1945 zum Kommandanten der „Nordfestung“ ernannt worden. Unter seiner Leitung bezog die Reichsregierung Quartier in dem Barackenlager „Forelle“ am Suhrer See bei Plön.

Mit dabei waren Reichsernährungsminister Herbert Backe, Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti, Reichsverkehrsminister Julius Heinrich Dorpmüller, Reichsfinanz- und Reichsaußenminister Lutz Schwerin von Krosigk, Reichsminister Otto Meißner, Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Alfred Rosenberg, Reichserziehungsminister Bernhard Rust, Reichsarbeitsminister Franz Seldte, Reichsrüstungsminister Albert Speer und Reichsjustizminister Otto Georg Thierack; daneben militärische Befehlshaber wie die Generalfeldmarschälle Fedor von Bock, Walther von Brauchitsch und Erich von Manstein.

Die erste Kabinettssitzung im Eutinischen fand am 23. April im dortigen Landratsamt statt. Seitdem tagte die Reichsregierung täglich unter dem Vorsitz von Lutz von Krosigk, dem dienstältesten Reichsminister. Währenddessen verhandelte Heinrich Himmler am gleichen Tag in Lübeck mit dem schwedischen Diplomaten Graf Folke Bernadotte über einen Waffenstillstand mit der Anti-Hitler-Koalition, was jener jedoch ablehnte.

Die Nachricht von Hitlers Suizid traf bei der Reichsregierung am 30. April 1945 um 18:35 Uhr ein. Himmler reiste sofort nach Plön, um sich bei Dönitz als dessen künftiger Stellvertreter anzudienen – was Dönitz aber wegen Himmlers Charakter ablehnte. Auf der Kabinettssitzung am 2. Mai trat Hitlers letzte Regierung in Eutin offiziell zurück. Den Ministern war danach freigestellt unterzutauchen, da ihr Eid an den Führer nunmehr erloschen war.

Letzter Reichspräsident

Da Adolf Hitler in seinem Testament Großadmiral Karl Dönitz zu seinem Nachfolger als Reichspräsident (dieser Titel ist im Hinblick auf eine fehlende Wahl umstritten) bestimmt hatte, trat dieser mit einer Rundfunkansprache am 1. Mai dieses Amt an, nachdem er von seinem „Erbe“ erfahren hatte. Abgesehen vom Politischen Testament Adolf Hitlers, war Dönitz von keiner Stelle für dieses Amt legitimiert. Seinen ihm von Hitler zugewiesenen Auftrag, den Untergang „heroisch“ zu inszenieren, führte Dönitz nicht aus. Die wesentliche Bedeutung von ihm und seiner „Regierung“ lag in der Beauftragung zur Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation. Danach wurde Dönitz und die „Geschäftsführende Reichsregierung“ isoliert, ihre Bewegungsfreiheit war auf den Sonderbereich Mürwik beschränkt, und schließlich am 23. Mai verhaftet.

Die Britische Armee hatte am 28. April die Elbe bei Lauenburg überschritten und bewegte sich im Wettlauf mit der Roten Armee auf Lübeck zu. Die von Dönitz ernannte Reichsregierung musste direkt nach der Kabinettssitzung am 2. Mai in Eutin weiter nach Flensburg ziehen. Lübeck wurde am selben Abend weitgehend kampflos von den Briten eingenommen. Heinrich Himmler und Albert Speer flohen zunächst nach Bad Bramstedt.

Am 3. Mai bezog die „Geschäftsführende Reichsregierung“ ihren Sitz in der Marineschule Mürwik in Flensburg, während der Generalstab der Wehrmacht unter Generalfeldmarschall Ernst Busch seinen Stützpunkt von Hamburg-Bergedorf nach Kollerup in Angeln verlegte, nachdem Dönitz am Tag zuvor angewiesen hatte, Hamburg den Briten kampflos zu übergeben. Auch Himmler floh mit 150 Gefolgsleuten nach Hüholz bei Flensburg. Er appellierte an die „Geschäftsführende Reichsregierung", doch besser nach Prag umzuziehen, das ebenfalls noch in deutscher Hand war.

Ab 2. Mai verhandelte Admiral Hans-Georg von Friedeburg in Dönitz’ Auftrag in Lüneburg mit dem britischen Feldmarschall Bernard Montgomery. Am 4. Mai war die Kapitulation Nordwestdeutschlands und Dänemarks, die am folgenden Tag um 8:00 Uhr in Kraft trat, das Ergebnis.

Am 5. Mai tagte unter diesen Umständen die „Reichsregierung“ in Flensburg. Lutz von Schwerin-Krosigk, der am 2. Mai von Dönitz den Auftrag zur „Regierungsbildung“ erhalten hatte, wurde Leitender Reichsminister, Finanzminister und Außenminister, Albert Speer Wirtschaftsminister, Wilhelm Stuckart Innen- und Kulturminister, Herbert Backe Ernährungs- und Landwirtschaftsminister, Franz Seldte Arbeitsminister und Julius Heinrich Dorpmüller Verkehrs- und Postminister. Hinzu kamen hunderte Mitarbeiter in den Ministerien. Himmler traf sich am gleichen Tage mit Gesinnungsgenossen aus SS und Polizei im Polizeipräsidium Flensburg, um die Auflösung der Gestapo zu verkünden. Sie verteilten hier und in Mürwik in großen Mengen gefälschte Personalpapiere, "die aus Massenmördern einfache Soldaten machten".[1]

Am 6. Mai enthob Dönitz den NSDAP-Gauleiter Hinrich Lohse seines Amtes als schleswig-holsteinischer Oberpräsident. Um 17:00 Uhr wurden auch Heinrich Himmler und Alfred Rosenberg endgültig aller ihrer Ämter enthoben, nachdem sie sich in Flensburg wiederholt an der Arbeit der „Geschäftsführenden Reichsregierung“ beteiligen wollten. Währenddessen besetzte die US Army den Flensburger Flugplatz Schäferhaus.

Der Reichssender Flensburg verkündete mit einer Ansprache durch Lutz von Schwerin-Krosigk am 7. Mai um 12:45 Uhr zum ersten Mal von deutscher Seite her das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa, nachdem Generaloberst Alfred Jodl in Reims im operativen Hauptquartier der SHAEF die bedingungslose militärische Kapitulation „aller unter deutscher Befehlsgewalt stehenden Streitkräfte“ unterzeichnet hatte.

Diese bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte trat am 8. Mai 1945 in Kraft, was auch im Reichssender Flensburg durch Karl Dönitz’ Ansprache bekräftigt wurde. Die Wehrmacht zog an diesem Tag endgültig aus Dänemark in Richtung Schleswig-Holstein ab.

Nachdem in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel kurz nach Mitternacht die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und aller Teilstreitkräfte in Berlin-Karlshorst ratifiziert hatte, verlas Klaus Kahlenberg um 20:03 Uhr den letzten Wehrmachtbericht: Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen.

Siehe auch

Quellen

  1. Stern, 03.05.2005: Rattenlinie Nord

Weblinks


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