Regression zur Mitte

Regression zur Mitte

Die Regression zur Mitte ist ein Begriff der Statistik; er beschreibt das Phänomen, dass bei zwei in irgendeiner Weise verbundenen Messungen, z. B. Körpergröße eines Vaters und seines Sohnes, extreme Abweichungen bei einer der beiden Messungen im Durchschnitt mit weniger extremen Abweichungen bei der anderen Messung einhergehen - im Beispiel also haben sehr große Väter im Durchschnitt Söhne die weniger groß sind (die aber im Durchschnitt trotzdem noch größer sind als der Durchschnitt der Bevölkerung), oder umgekehrt: sehr große Söhne haben im Durchschnitt Väter die weniger groß sind.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Begriff geht auf die Forschungen des britischen Wissenschaftlers Francis Galton zurück, der dieses Phänomen erstmals bei einer Präsentation der Royal Institution demonstrierte. Er nannte den Effekt reversion (1877) und später regression toward mediocrity (1885). Galton verwendete für sein Experiment auf Anraten seines Cousins Charles Darwin sowie des Botanikers Joseph Dalton Hooker Duft-Platterbsen (sweet peas), da diese nicht zur Selbstbefruchtung neigen und ihr Gewicht und ihre Größe nicht von der sie umgebenden Feuchtigkeit abhängen. Er bestätigte, nachdem er tausende von Erbsen gewogen und vermessen hatte, dass Gewicht und Größe normalverteilt waren. Er unterteilte die Erbsen in sieben verschiedene Größenklassen und verschickte jeweils einen kompletten Satz an Freunde mit der Bitte, sie einzupflanzen (ein von ihm selbst durchgeführtes Experiment scheiterte).

Er beobachtete, dass die Nachkommen innerhalb jeder Größenklasse ebenso normalverteilt waren wie die jedes kompletten Satzes als auch der Elterngeneration. Weiterhin beobachtete er, dass die Extreme in der Nachkommensgeneration näher zusammen lagen als bei der vorangegangenen Generation.

Durchmesser der Eltern- und Nachkommengeneration (in 1/100 Zoll) [1]
Eltern 15 16 17 18 19 20 21
Nachkommen (Durchmesser im Mittel) 15,4 15,7 16,0 16,3 16,6 17,0 17,3


Ebenso fand er heraus, dass er, wenn er die Mittelwerte beider Generationen aufzeichnete, diese durch eine Gerade verbinden konnte -- die erste Regressionsgerade. Galton bezeichnete diesen Zusammenhang als Regression oder Rückkehr zur Mitte: "Die Rückkehr ist die Tendenz des idealen, mittleren Nachwuchstyps vom Elterntyp abzuweichen und dabei zu dem zurückzukehren, das man grob und vielleicht billigerweise als durchschnittlichen Vorfahrentyp beschreiben könnte." (Reversion is the tendency of the ideal mean filial type to depart from the parental type, reverting to what may be roughly and perhaps fairly described as the average ancestral type).[2]

Die Regression zur Mitte ist dafür verantwortlich, dass beispielsweise die Größenverteilung der Menschen keine Ausreißer nach oben oder unten aufweist, wie Galton in einer 1886 veröffentlichten Studie zur Messung der Körperlänge von über 900 erwachsenen Kindern und deren Eltern zeigte.[3] Auch wenn außerordentlich kleine oder große Eltern Kinder in die Welt setzen, werden diese nicht stetig kleiner oder größer. Vielmehr wies er nach, dass sehr große Eltern im allgemeinen Kinder mit einer im Vergleich zu ihnen geringeren Körperlänge haben (die aber immer noch grösser als der Durchschnitt ist), während die Kinder von sehr kleinen Eltern in der Regel zwar größer als die Eltern, aber immer noch kleiner als der Durchschnitt sind.

Später erforschte Galton Genies und insbesondere ihre Nachkommen. Er fand heraus, dass obwohl die Kinder begabt waren, sich ihr Talent näher am Durchschnitt der Bevölkerung befand als das ihrer Eltern. Schließlich führte diese Arbeit Galton zur Entwicklung des Konzepts der Korrelation.

Volks- und Finanzwirtschaft

In der Volkswirtschaftslehre, insbesondere in der Finanzwirtschaft, wird dieses Phänomen im Zusammenhang mit Ertragsraten, Renditen und Zinsen beobachtet und häufig als Mean-Reversion-Effekt bezeichnet.

Medizin

In der Medizin spielt das Phänomen eine wichtige Rolle in Zusammenhang mit klinischen Prüfungen.

Wählt man beispielsweise im Rahmen einer Reihenuntersuchung (Screening) unter Routinepatienten die Gruppe der Patienten mit den höchsten Meßwerten aus, z. B. Blutdruck, und untersucht diese Gruppe zu einem späteren Zeitpunkt erneut, so werden die Patienten meistens einen Wert aufweisen, der näher am Normalwert liegt - unabhängig davon, ob in der Zwischenzeit eine Behandlung erfolgt ist. Dies ist eine der in Frage kommenden Ursachen für den so genannten Placebo-Effekt.[4]

Literatur

  • Bernstein, P.L., 2004. Wider die Götter. Die Geschichte der modernen Risikogesellschaft, Murmann Verlag, ISBN 3-93801-713-9
  • Zwingmann, Christian / Wirtz, Markus, 2005. Regression zur Mitte. Rehabilitation, 44, 244-251.
  • Nachtigall, Christoph / Suhl, Ute, 2002. Der Regressionseffekt - Mythos und Wirklichkeit. methevalreport 4 (2).[1]

Weblinks

Quellen

  1. Stigler, S.M., 1986. The History of Statistics: The Measurement of Uncertainty before 1900, Cambridge, Massachusetts, The Belknap Press of Harvard University Press. ISBN 0-67440-341-X (Nachdruck 1990)
  2. Forrest, D.W., 1974. Francis Galton : The Life and Work of a Victorian Genius., New York, Taplinger, ISBN 0-80082-682-5
  3. Galton, F.: Regression towards mediocrity in hereditary stature. In: Journal of the Anthropological Institute. 15, 1886, S. 246-263.
  4. Kleist, P.: Vier Effekte, Phänomene und Paradoxe in der Medizin. In: Schweiz Med Forum. 6, 2006, S. 1023-1027.

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