Ratingagentur

Ratingagentur

Ratingagenturen (englisch Credit rating agency, CRA) sind private, gewinnorientierte Unternehmen, die gewerbsmäßig die Kreditwürdigkeit (Bonität) von Unternehmen aller Branchen sowie von Staaten und deren untergeordneten Gebietskörperschaften bewerten. Die Agenturen fassen das Ergebnis ihrer Untersuchung (Rating) in einer Buchstabenkombination (Ratingcode, kurz auch nur Rating) zusammen, die in der Regel von AAA bzw. Aaa (beste Qualität) bis D (zahlungsunfähig) reicht. Die Ratingcodes spiegeln dabei zunächst nur eine Rangfolge wider. Außerdem wird im Rating auch die Widerstandsfähigkeit gegen Konjunkturschwankungen berücksichtigt, so dass zumindest höhere Ratings auf ein dauerhaft stabiles Unternehmen hinweisen.[1]

Ratingagenturen bewerten auch die Ausfallwahrscheinlichkeit von Forderungen.

Inhaltsverzeichnis

Rating-Erfordernisse

Investoren und Gläubiger haben ein Interesse daran, dass die Bonität ihrer Schuldner von unabhängigen und fachkundigen Dritten untersucht wird. Ziel ist es herauszufinden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, das verliehene Geld am Fälligkeitstag vollständig zurückzubekommen. Das gleiche gilt für die Zinszahlungen.

Geschichte

Schon Henry Varnum Poor verfolgte diese Ziele in ersten Rating-Versuchen, veröffentlicht 1868 im Manual of the Railroads of the United States, das Anleger und potentielle Anleger über die Eisenbahngesellschaften informierte.[2] Ein systematisches Rating für die US-Eisenbahngesellschaften folgte ab 1909 durch John Moody, den Gründer der Agentur Moody’s.

Im Februar 1936 ordnete die US-Bankenaufsicht (Comptroller of the currency) an, dass die Banken nur noch Emissionen und Forderungen mit einem Mindest-Rating (investment grade) übernehmen durften, und löste damit einen Zwang zur Übernahme externer Ratings aus.

Im Juli 1975 setzte die US-Börsenaufsicht (United States Securities and Exchange Commission) fest, dass die Rating-Agenturen die einzigen sein sollten, die die gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen erfüllen dürfen, sich bewerten zu lassen, ehe sie für den amerikanischen Kapitalmarkt zugelassen werden. Dies musste von mindestens zwei zugelassenen Rating-Agenturen geschehen. Zugelassen wurden dafür ausdrücklich nur Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Ratings.[3]

1988 entstand unter Führung der Deutschen Bank und der Börsenzeitung die deutsche Rating-Initiative. Sie strebte eine europäische Ratingagentur an. Daher entstand 1991 die Projektgesellschaft für Europäisches Rating mbH mit dem Ziel, eine europäische Agentur zu gründen. Der alleinige Gesellschafter war die Herausgebergemeinschaft Wertpapier-Mitteilungen Keppler, Lehmann GmbH & Co. An diesem Gesellschafter waren mehrere Banken beteiligt. Die Initiative blieb jedoch ohne Erfolg.[4]

Auch andere nationale und internationale Finanz- und Bankaufsichtsbehörden erkannten die Bedeutung der Ratings und integrierten diese verstärkt in die Regulierungen zur Banken- und Finanzaufsicht. So greift in Deutschland die Solvabilitätsverordnung seit Januar 2007 im Rahmen des Kreditrisiko-Standardansatzes auf externe Ratings zurück. Nach § 41 dieser Verordnung müssen die Rating-Agenturen für Risikogewichtungszwecke der Kreditinstitute von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) anerkannt werden. Die aufsichtsrechtliche Anerkennung folgt den Kriterien der §§ 52 und 53 der Solvabilitätsverordnung.

In den 1990er Jahren versuchte die deutsche Kreditwirtschaft gemeinsam mit Bertelsmann, eine eigene Ratingagentur zu bilden. 1996 arbeiteten das hessische Wirtschaftsministerium und die Deutsche Börse zusammen, doch kam es nicht zu einer Institutionalisierung. Zeitweise sollte eine Art Bonitätswächter an der Europäischen Zentralbank installiert werden, was diese jedoch ablehnte.

Als erste deutsche Ratingagentur wurde die Creditreform Rating im August 2009 von der BaFin als Ratingagentur für bankaufsichtliche Risikogewichtung nach Solvabilitätsverordnung und Basel II anerkannt. Die Anerkennung gilt für das Marktsegment Andere Forderungen (darunter Bonitätsbeurteilung von Unternehmen und Unternehmensanleihen). Als erste und derzeit einzige europäische Ratingagentur wurde die Euler Hermes Rating GmbH im November 2010 von der BaFin und dem Committee of European Securities Regulators anerkannt und registriert. Diese Registrierung ermöglicht es institutionellen Investoren – gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über Ratingagenturen –, zukünftig auch in Papiere zu investieren, die von EU-registrierten Ratingagenturen bewertet wurden. So überarbeitet die BaFin derzeit die Anlageverordnung für Versicherungsunternehmen, um der neuen EU-Verordnung gerecht zu werden.[bafin 1]

Durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht werden für die bankaufsichtliche Risikogewichtung (zur Eigenkapitalunterlegung) folgende Rating-Agenturen anerkannt,[1] obwohl diesen derzeit noch keine Genehmigung für die Ausübung von Ratingtätigkeiten gemäß neuer EU-Verordnung erteilt wurde:[bafin 2]

  • Creditreform Rating AG, eine deutsche Rating-Agentur, Sitz in Neuss (Verband der Vereine Creditreform e. V.)
  • Dominion Bond Rating Service (DBRS), eine Rating-Agentur mit Sitz in Toronto
  • Fitch Ratings, Teil der Fitch Group, mehrheitlich im Besitz der Fimalac S. A., mit Sitz in New York
  • Japan Credit Rating Agency Ltd., mit Sitz in Tokyo
  • The McGraw-Hill Companies unter der Marke Standard & Poor’s Ratings Services, mit Sitz in New York
  • Moody’s Investors Service, mit Sitz in New York

Die Europäische Zentralbank zieht neben den drei großen Agenturen auch den Dominion Bond Rating Service hinzu. Diese vier Rating-Agenturen sind die von der BaFin geführten Häuser für eine „Verwendungsfähigkeit unbeauftragter Bonitätsbeurteilungen“.[5] Ohne Genehmigung der EU kann in Europa keine Rating-Agentur gegründet werden, sie kann vorhandenen Agenturen bei Verstößen gegen EU-Recht die Lizenz entziehen. Die Aufsicht über die Häuser liegt bei der europäischen Wertpapieraufsicht European Securities and Markets Authority (ESMA) und den Behörden der Mitgliedsstaaten.

Regional wird wiederum anders verfahren. So ist in China die Dagong Global Credit anerkannt, die etwa die USA keineswegs mit der Höchststufe AAA einstuften, sondern angesichts der Staatsverschuldung nur mit A+.

Im Mai 2010 akzeptierte die EZB griechische Staatsanleihen unabhängig von ihrer Bonitätsnote als Sicherheit. Dabei nahm sie allerdings Abschläge auf den Nominalwert vor. Dies gilt inzwischen auch für portugiesische Anleihen. Sollten die Agenturen Griechenland hingegen für zahlungsunfähig erklären, würde auch die EZB keine Anleihen mehr kaufen.

In den USA werden zehn Unternehmen als national anerkannte Statistische Ratingorganisationen geführt, deren Ratings für Kapitalmarktzwecke herangezogen werden dürfen (Stand 2011). Dies sind Standard & Poor’s, Moody’s, Fitch Ratings, Kroll Bond Rating Agency, A. M. Best Company, die kanadische Dominion Bond Rating Service (DBRS), Japan Credit Rating Agency, die japanische Rating and Investment Information (R&I), Egan-Jones Rating Company und Morningstar.[6]

Ratingprozess

Der Ratingprozess beginnt mit dem Auftrag eines Emittenten oder Kreditnehmers an eine Agentur, dem sogenannten Mandatsvertrag (siehe Mandat (Recht)). Grundsätzlich kann aber auch ein Investor oder Kreditgeber den Auftrag an die Ratingagentur erteilen.[1] Vertragsinhalt ist der Auftrag an die Agentur, die Bonität des Schuldners gegen Herausgabe veröffentlichter Informationen, aber auch nicht öffentlich zugänglicher Unternehmensinterna zu überprüfen.[7] Unternehmensinterna sind etwa genaue Angaben bzw. Informationen über die zehn größten Kunden, Lieferanten usw., über Finanzpläne und über die wichtigsten Wettbewerber, genaue Kosten- und Ertragsstrukturen sowie Planungen. Agenturintern schließt sich die Analyse der quantitativen und qualitativen Faktoren an; diese Analyse kann durch Interviews mit den Finanzvorständen der Schuldner ergänzt werden.

Sodann geben zwei Analysten (Junior- und Senior-Analyst) eine Ratingempfehlung ab; über diese entscheidet das Rating-Komitee abschließend. Dessen Entscheidung wird zunächst dem Auftraggeber vorgelegt und nach dessen Genehmigung veröffentlicht.

Auch über jedes Rating-Update, das mindestens einmal jährlich stattfindet, entscheidet das Rating-Komitee autonom, dann aber ohne Abstimmung mit dem Schuldner. Geheime Informationen werden in der Ratingnote, nicht jedoch bei den verbalen Begründungen berücksichtigt. Es ist Unternehmensgeheimnis einer Agentur, welche Faktoren sie berücksichtigt und wie diese gewichtet werden. Auch zugrunde liegende mathematische Formeln sind öffentlich nicht zugänglich.

Durch Updates soll sichergestellt werden, dass das Rating der aktuellen Kreditwürdigkeit entspricht. Die nicht mandatierten Agenturen werten lediglich die öffentlich zugänglichen Unternehmensinformationen aus und analysieren diese ebenfalls zum Zweck der Erstellung eines sogenannten Sekundär-Ratings (unsolicited ratings). Der unterschiedliche Informationsgrad kann daher einen geringeren Zuverlässigkeitsgrad aufweisen als die mandatierten Ratings.

Die Agenturen haben für verschiedene Schuldnertypen unterschiedliche Ratingverfahren entwickelt, um den individuellen betriebswirtschaftlichen Eigenheiten jedes Schuldners gerecht zu werden. Trotz der Informationsvorsprünge der mandatierten Agentur gegenüber den Sekundär-Agenturen hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Agenturen im Regelfall lediglich einen oder höchstens zwei notches bzw. Ratingstufen beim gleichen Schuldner differieren. Auch die unterschiedlichen Rating-Methoden der Agenturen scheinen sich im Zeitablauf nicht substanziell auf das Rating-Resultat auszuwirken.

Ratingstufen

Die Agenturen verwenden unterschiedliche Bezeichnungen für ihre Bewertungen. Die bedeutendsten Agenturen verwenden diese Ratings:

Moody’s S&P Fitch DBRS Englische
Bezeichnung
Deutsche
Beschreibung
Long
Term
Short
Term
Long
Term
Short
Term
Long
Term
Short
Term
Aaa P-1 AAA A-1+ AAA A1+ AAA Prime (Triple A) Schuldner höchster Bonität, das Ausfallrisiko ist sehr gering
Aa1 AA+ AA+ AAhigh High grade Sichere Anlage, wenn auch leichtes Ausfallrisiko
Aa2 AA AA AA
Aa3 AA- AA- AAlow
A1 A+ A-1 A+ A1 Ahigh Upper Medium grade Die Anlage ist sicher, falls keine unvorhergesehenen Ereignisse die Gesamtwirtschaft oder die Branche beeinträchtigen
A2 A A A
A3 P-2 A- A-2 A- A2 Alow
Baa1 BBB+ BBB+ BBBhigh Lower Medium grade Durchschnittlich gute Anlage. Bei Verschlechterung der Gesamtwirtschaft ist aber mit Problemen zu rechnen
Baa2 P-3 BBB A-3 BBB A3 BBB
Baa3 BBB- BBB- BBBlow
Ba1 Not Prime BB+ B BB+ B BBhigh Non Investmentgrade
speculative
Spekulative Anlage. Bei Verschlechterung der Lage ist mit Ausfällen zu rechnen
Ba2 BB BB BB
Ba3 BB- BB- BBlow
B1 B+ B+ Bhigh Highly Speculative Spekulative Anlage. Bei Verschlechterung der Lage sind Ausfälle wahrscheinlich
B2 B B B
B3 B- B- Blow
Caa1 CCC+ C CCC C CCC Substantial risks Nur bei günstiger Entwicklung sind keine Ausfälle zu erwarten
Caa2 CCC CC Extremely speculative
Caa3 CCC- C In default with little
prospect for recovery
Moody’s: in Zahlungsverzug
Standard & Poor’s: hohe Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls oder Insolvenzverfahren beantragt, aber noch nicht in Zahlungsverzug
Ca CC
C
C D / DDD / D In default Zahlungsausfall
/ DD
/ D

Probleme des Ratingverfahrens

Es hat sich gezeigt, dass die Agenturen bei ihren Rating-Einstufungen in Einzelfällen sehr stark von der Realität mancher Schuldner entfernt waren. Hierbei ging es um völlige Schieflagen der Agenturen im Zusammenhang mit den spektakulären Fällen Enron (1997), WorldCom (2001), Parmalat (2003) sowie um die Fehleinschätzungen bei den Staatskrisen in Asien (1997) und Argentinien (2001) oder etwa der größten kommunalen Insolvenz des Orange County in Kalifornien im Dezember 1994. Dabei zeigte sich auch, dass diese Mängel nicht überwiegend agenturspezifisch sind, sondern dass weitere Kreditinstitute oder andere Investoren hiervon teilweise betroffen waren.

Transparenz der Informationsbeschaffung

Rating-Agenturen müssen sich Zugang zum Schuldner und dessen jüngste ratingrelevanten und mit der Unternehmenswirklichkeit übereinstimmenden Informationen verschaffen. Hierbei sind die Agenturen, insbesondere in kritischen Fällen, mit denselben Informationsbeschaffungsproblemen konfrontiert wie Kreditinstitute und sonstige Gläubiger. Das liegt an der hier analog anwendbaren Akerlof’schen adverse selection theory, wonach Schuldner dazu neigen, jene Informationen zurückzuhalten, zu verharmlosen, zu spät oder gar nicht zu veröffentlichen, die für sie einen wirtschaftlichen Nachteil (höherer Kreditzins oder gar Kreditkündigung) zur Folge haben könnten. Im Falle Enron beharrten die Agenturen etwa darauf, dass ihre Ratings akkurat die Bonität reflektierten, die sich auf der Grundlage der vorhandenen Informationen ergab[8] „Vorhandene Informationen“ waren die den Agenturen zugänglichen Informationen, nicht aber die zurückgehaltenen Informationen.

Umgekehrt ist ebenfalls in den Blickpunkt geraten, dass Rating-Agenturen, um die Transparenz zu erhöhen, ihre Bewertungsmodelle öffentlich zugänglich machten; auch wurden Ratingexperten von interessierten Investmentbanken abgeworben. Letztere waren dadurch in der Lage, das zu überprüfende Produkt im Sinne der Prüfungskriterien weitaus besser aussehen zu lassen als es tatsächlich war (siehe auch „Bilanzkosmetik“).[9]

Teufelskreis „trigger event“

Ursache für eine Unternehmenskrise sind in vielen Fällen unternehmensinterne Faktoren. Jedoch kann es durch die Bewertung der Unternehmensbonität durch Ratingagenturen schnell zu weitergehenden Problemen kommen, die sich in Form eines Teufelskreises gegenseitig bedingen.

Emissionsbedingungen und Kreditverträge beinhalten regelmäßig verschiedene Arten von Anpassungs- und Kündigungsklauseln, die mit den Ratings einer Agentur verknüpft sind. Jede Ratingverschlechterung (downgrading) kann bei vertraglich vereinbarten Klauseln oder Nebenabreden (financial covenants) einen Kündigungsgrund des Gläubigers und damit ein trigger event auslösen. Zudem führen auch die sogenannten Cross-Default-Klauseln zu Kündigungen von Kreditverträgen, die selbst keinen ratingbedingten trigger enthalten. Eine Ratingagentur kann durch Herabsetzen des Ratings eine Unternehmenskrise schnell verschlimmern (oder sogar erst schaffen), sollte es zu ratingbedingten, automatisierten Kreditkündigungen kommen.

Ferner kann jede Ratingverschlechterung über automatisierte Zinserhöhungen (margin-grids) zu einer Erhöhung der Kreditzinsen beitragen. Dies löst ebenso einen Teufelskreis aus, weil über die erhöhten Kreditkosten (ceteris paribus) die Gewinne des Schuldners sinken oder dessen Verluste steigen – womit die Bonität des Unternehmens weiter sinkt. Institutionellen Anlegern ist eine Anlage in Unternehmen unterhalb einer bestimmten Ratingstufe untersagt, so dass auch Fonds und Versicherungen bei ihren Kauf- und Verkaufsentscheidungen derartigen Ratingvoraussetzungen unterliegen.

Letztlich werden Gläubiger oder potenzielle Geschäftspartner des herabgestuften Unternehmens vorsichtiger, investieren weniger oder steigen gar aus dem Unternehmen aus und machen mit diesem Verhalten weitere Herabstufungen im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wahrscheinlich. Dieser circulus vitiosus war bei der Enron-Insolvenz – neben anderen Ursachen – entscheidend. Diese trigger hatten dort die Fälligstellung von Krediten in Höhe von 690 Millionen Dollar ausgelöst.[10]

Interessenkonflikte

Den Agenturen wird zuweilen vorgeworfen, dass sie zu enge Beziehungen zum (Finanz-) Vorstand von Schuldnern (Emittenten) pflegen, was zu übertriebenem gegenseitigen Einfluss führen kann oder sie gar der Gefahr der Irreführung aussetzt. In regelmäßigen Treffen mit Schuldnern werden diese durch die Agenturen dahingehend beeinflusst, welche Maßnahmen zu ergreifen oder zu unterlassen seien, um ein bestimmtes Rating zu erhalten oder aufrechtzuerhalten. Da Schuldner und nicht Investoren die größte Einnahmequelle der Agenturen darstellen, liegt hier die Gefahr eines Interessenkonfliktes nahe: Drohende Herabstufungen könnten zu Streitigkeiten oder gar einem Verlust der Gebühren zahlenden Schuldner durch Wechsel der Agentur führen. Die Gefahr eines Interessenkonflikts wird als geringer eingestuft, wenn eine Agentur viele Auftraggeber hat. Auf dem Markt der strukturierten Finanzprodukte kontrollieren jedoch etwa seit 2002 die sechs größten Auftraggeber die Hälfte und die zwölf größten vier Fünftel des Ratingmarktes.[11]

Siehe hierzu: Prinzipal-Agent-Theorie[12]

Betrugsfälle

Mit vorsätzlich falschen Informationen, schlimmstenfalls in den Jahresabschlüssen, soll der interessierten Öffentlichkeit eine bessere wirtschaftliche Situation vorgetäuscht werden. Dabei müssen die Betrugsanstrengungen allerdings so plausibel angelegt sein, dass Analysten lange Zeit keinen Verdacht schöpfen und die vorliegenden Informationen für zutreffend und plausibel halten. Enron und Parmalat waren derartige Fälle von Bilanzbetrug. Die betrügerischen, von renommierten Wirtschaftsprüfern testierten Manipulationen fielen zunächst weder den Wirtschaftsprüfern noch den Analysten der Agenturen und auch nicht den analysierenden Banken auf.

Ratingagenturen als Zertifizierer

Kreditgeber wie Banken oder kommerzielle Investoren müssen bei fehlerhaften eigenen Ratings als aktive Gläubiger mit Kreditausfällen rechnen. Damit haben ihre Ratings einen existenzsichernden, eigenverantwortlichen Status. Rating-Agenturen hingegen erstellen Schuldnerratings, ohne dem Schuldner selbst Kredite zu gewähren. Ihr Status ist damit der eines Zertifizierers ohne eigenes Risiko. Das sichert ihnen einerseits einen Teil ihrer Objektivität, vermindert aber andererseits die Eigenverantwortung beim Rating.

Ratingfehler der Agenturen wirken sich somit für sie nicht existenzbedrohend aus. Die Agenturen bezeichnen deshalb ihre Ratings schlicht als „Meinungen“, die keinerlei Kauf-, Halte- oder Verkaufempfehlungen darstellen. Dies ist inzwischen – durch die Insolvenz des Orange-County ausgelöst – in den USA auch verfassungsgerichtlich geklärt.[13] Danach hatte ein Bezirksgericht entschieden, dass Rating-Agenturen keine Finanzberatung erteilen, sondern ihre Ratings der verfassungsrechtlich geschützten freien Meinungsäußerung unterliegen. In Deutschland befasste sich das Kammergericht Berlin mit der Frage, ob Ratingagenturen sich für die von ihnen publizierten Mitteilungen rechtlich verantworten müssen[14] Es vertrat die Ansicht, dass die Mitteilungen insoweit von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, als sie auf der Basis einer neutralen, sachkundigen und im Bemühen um objektive Richtigkeit erstellten Analyse beruhen. Bei Banken indes stellen Ratings eine u. U. existenzielle Entscheidungsgrundlage für die Gewährung, Bestandshaltung und vorzeitige Rückforderung von Krediten dar.

Kritik

Solange die Agenturen den sieben bedeutendsten Wirtschaftsnationen ein AAA-Rating einräumten, kam es von staatlicher Seite nur selten zu öffentlicher Kritik. Erst die Enron-Krise änderte dies. 2003 gab es Kritik an den Ratingagenturen von Seiten des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Europäischen Parlaments. Kernpunkte des von ihm vorgelegten Berichts vom 6. Oktober 2003, der infolge der Enron-Krise 2002 in Auftrag gegeben worden war, waren Interessenkonflikte und Intransparenz der Entscheidungsgrundlagen, hinzu kamen Vorwürfe, die Agenturen agierten zu pro-zyklisch, d. h. sie verstärkten ausschließlich laufende Entwicklungen.[15] Im Rahmen der Finanzkrise ab 2007 hat die Kritik an den Ratingagenturen stark zugenommen und in den USA und Europa eine politische Debatte auf höchster Ebene ausgelöst. Den Agenturen wird vorgeworfen, mit der Vergabe teilweise unrealistisch guter Ratings oft gar mit der Bestnote AAA bewertete verbriefte Wertpapiere den Marktteilnehmern ein zu niedriges Risiko signalisiert und dadurch den Finanzmärkten einen falschen Anreiz gegeben zu haben. Die Glaubwürdigkeit der Ratingagenturen bzw. die Aussagekraft der von ihnen vergebenen Ratings werden auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Wertpapierbetrugs gegen Goldman Sachs in Frage gestellt, da die fraglichen Wertpapiere mit dem besten Rating versehen waren. Auch die Rolle, die die Ratings in der griechischen Finanzkrise und der Euro-Krise spielen, sorgt dafür, dass die Ratingagenturen mit politischen Interessen kollidieren. An der Börse spiegelt sich der Glaubwürdigkeitsverlust in den Anleihenkursen bzw. den Risikoaufschlägen wider, die oft von den diesbezüglichen Ratings stark abweichen.[16]

Kritisch gesehen wird, dass die Ratingagenturen von Auftraggebern bezahlt werden, deren Finanzprodukte sie gleichzeitig bewerten sollen, was Interessenkonflikte bewirken kann. Den Ratingagenturen wird vorgeworfen, sie unterlägen diesem Interessenkonflikt, indem sie zu gute Ratings in Aussicht stellten oder vergäben, um sich Aufträge oder Folgeaufträge zu sichern.[17] Der Interessenskonflikt zwischen Agenturen und den Emittenten als ihren Auftraggebern träte nicht auf, wenn statt der Emittenten die Kapitalanleger die Ratings in Auftrag gäben. Wenn Anleger jedoch bezahlte Ratings veröffentlichen müssen, um ihrerseits ihren Kunden Anlageentscheidungen zu begründen, können andere Kapitalanleger kostenlos diese Auskünfte erhalten (Trittbrettfahrerproblem). Deshalb beziehen inzwischen die Ratingagenturen fast ausschließlich über Aufträge von Emittenten ihre Einkünfte.[1]

Auch Länderratings, etwa für Island, stießen auf Kritik. Island stand infolge des Kollapses seines Bankensektors 2008 kurz vor dem Bankrott. Doch noch wenige Monate zuvor war es von Moody’s mit der Höchstnote AAA bewertet worden. Dabei hatte es bereits 2006 Gerüchte um mögliche Probleme der Banken des Landes gegeben, was Ratinganalysten als übertrieben bezeichneten.

Zudem wurde kritisiert, dass die kleine Zahl an global relevanten Ratingagenturen diesen eine oligopolistische Macht verschaffe.

Politische Konsequenzen

Als eine Reaktion auf die angenommene Mitverantwortlichkeit der Ratingagenturen für die Finanzkrise ist am 16. September 2009 die EU-Rating-VO (Verordnung Nr. 1060/2009) in Kraft getreten, die verschiedene Maßnahmen betreffend Interessenkonflikte, Ratingqualität, Transparenz und interne Führungsstruktur von Ratingunternehmen vorsieht. Insbesondere schlägt der Regierungsentwurf des Ausführungsgesetzes zu dieser Verordnung vor, dass Rating-Agenturen künftig der Kontrolle durch die BaFin als Aufsichtsbehörde unterliegen, welche im Falle eines Verstoßes gegen die Verordnung Bußgelder festsetzen kann.

Anfang 2010 äußerten verschiedene Politiker die Forderung nach einer europäischen Ratingagentur, um ein Gegengewicht gegen die amerikanischen zu schaffen.[18] Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger sprach sich im Mai 2010 angesichts der griechischen Finanzkrise und der Gefahr eines Übergreifens auf weitere Länder für die Gründung einer „europäischen, nicht gewinnorientierten Ratingagentur“ aus. Die drei großen Agenturen Standard Poor’s, Moody’s und Fitch hätten „bisher in jeder Krise massiv versagt“, seien dafür bislang aber noch nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Es gebe weder einen echten Wettbewerb unter den Ratingagenturen noch hafteten sie für ihre Beurteilungen.[19]

Nach der Herabstufung portugiesischer und italienischer Anleihen forderte die EU-Justizkommissarin Viviane Reding im Juli 2011, entweder die drei wichtigsten Agenturen zu zerschlagen oder die Gründung zusätzlicher Agenturen zu fördern.[20] Aktuell bewirbt die Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants mit Unterstützung deutscher Behörden ein Konzept für eine europäische Agentur, welche als private Stiftung vor allem von Investoren und Börsen getragen werden soll und damit problematischen Abhängigkeiten der amerikanischen Agenturen nicht unterworfen wäre.[21]

Am 15. November 2011 hat die EU-Kommission neue Vorschläge für strengere Vorschriften für Ratingagenturen vorgestellt. Danach sollen sich Finanzinstitute bei ihrer Anlagetätigkeit nicht mehr ausschließlich auf Ratings stützen, Länderratings sollen transparenter und häufiger erstellt werden und Ratingagenturen sollen unabhängiger werden, höherem Wettbewerb ausgesetzt werden sowie stärker für die von ihnen erstellten Ratings haften.[22]

Der Politik wird vorgeworfen, sie habe den Fehler begangen, zahlreiche Regularien an die Ratings zu knüpfen.

Siehe auch

Literatur

Quellen

  • Bundesanstalt für Finanzaufsicht
  1. [1].
  2. [2]
  • Andere
  1. a b c d BMWi: Schlaglichter der Wirtschaftspolitik. Monatsbericht Dezember 2010. "Machtvolle Berater", S. 10 f.
  2. Standard & Poor's Corporate History, 1997.“
  3. gemäß SEC rule 15c3-1 so genannte Nationally Recognized Statistical Ratings Organizations (NRSRO).
  4. Christopher Borchers: Aufsichtsfunktionen in privater Hand – Rolle und Bedeutung von Rating Agenturen, Potsdam 2002, S. 9.
  5. Bonitätsnoten. Warum Ratingagenturen so mächtig sind, in: Financial Times Mobil, 9. Juli 2011.
  6. Bonitätsnoten. Warum Ratingagenturen so mächtig sind, in: Financial Times Mobil, 9. Juli 2011.
  7. Doron Kliger/Oded Sarig: The information value of Bond ratings, in: Journal of Finance, Bd. 55,6 (2000), S. 2882.
  8. Edward Wyatt: Credit Agencies Waited Months to Voice Doubt About Enron, New York Times, 8. Februar 2002.
  9. Gretchen Morgenson, Louise Story: As Rating Agencies Shared Data, Wall St. Seized Advantage. The New York Times, 23. April 2010. / Louise Story: Prosecutors Ask if 8 Banks Duped Rating Agencies. The New York Times, 12. Mai 2010.
  10. Riva D. Atlas: Enron’s Collapse: Credit Ratings; Enron Spurs Debt Agencies To Consider Some Changes, New York Times, 22. Januar 2002.
  11. Vgl. BMWi-Monatsbericht 2010/12, S. 12, International Monetary Fund: Global Financial Stability Report, October 2010.
  12. Stellvertretend für alle: Jens Rosenbaum, Universität Trier, „Der Einsatz von Rating-Agenturen zur Kapitalmarktregulierung in den USA: Ursachen und Konsequenzen“, Februar 2004, S. 6 f. Diese Theorie hängt eng mit der Lehre von der Informationsasymmetrie zusammen.
  13. County of Orange vs. The McGraw-Hill Companies, d/b/a Standard & Poor's Ratings Services, United States District Court, Central District of California, Case No. SACV 96-0765.
  14. KG, Urteil vom 12. Mai 2006–9 U 127/05-.
  15. Jens Rosenbaum: Der politische Einfluss von Rating-Agenturen, Diss., Wiesbaden 2009, S. 56 f.
  16. Even if Bailout Ends Contagion, Euroland Is Changed Forever. Wallstreet Journal, 3. Mai 2010.
  17. „Officials said they want rules to eliminate conflicts of interest at credit rating agencies that gave top investment grades to the exotic and ultimately shaky financial instruments that have been a source of market turmoil. The core problem, they said, is that the agencies are paid by companies to help them structure financial instruments, which the agencies then grade.“ Stephen Labaton: Obama Plans Fast Action to Tighten Financial Rules. New York Times 24. Januar 2009.
  18. Kritik an Rating-Agenturen wächst -Ruf nach unabhängiger Behörde, Reuters, 29. April 2010.
  19. Wirtschaftsweiser fordert weitreichende EU-Reform. ddp-Meldung, 7. Mai 2010.
  20. Die Zeit, 11. Juli 2011: EU-Justizkommissarin will Rating-Agenturen zerschlagen.
  21. Roland Berger will Rating-Allianz gegen US-Superfirmen schmieden auf Süddeutsche.de. Abgerufen am 3. August 2011.
  22. EU-Kommission will qualitativ bessere Ratings. Europäische Kommission, abgerufen am 17. November 2011.

Weblinks


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