Rapunzel

Rapunzel
Rapunzel-Zitate in Lindau (Bodensee)
 
  2002 am Mangenturm
 
  2009 am Diebsthurm

Rapunzel ist ein Märchen (AaTh 310). Es steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm an Stelle 12 (KHM 12).

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Rapunzels Mutter gelingt es in ihrer Schwangerschaft nicht, ihren Appetit auf Rapunzeln zu beherrschen, und der Vater ist nicht stark genug, sich ihr zu widersetzen. Als er den Salat für seine Frau zum wiederholten Male aus dem Garten von Frau Gothel, einer Zauberin, stehlen will, wird er von dieser ertappt und muss ihr zur Strafe sein Kind versprechen. Unmittelbar nach der Geburt holt sie sich das Baby, gibt ihm den Namen Rapunzel, und als das Mädchen zwölf Jahre ist, sperrt sie es in einen abgelegenen türlosen Turm. Die einzige Möglichkeit, zu ihm hineinzugelangen, besteht darin, dass Rapunzel auf Zuruf ihr langes Haar vom Dachfenster herunterlässt, sodass die Zauberin daran hinaufklettern und sie mit Nahrung versorgen kann.

Ein Königssohn, der durch Rapunzels Gesang angezogen wird, belauscht sie, imitiert die Rufformel („Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!“), zieht sich zu dem schönen Mädchen hinauf und gewinnt dessen Liebe. Als Rapunzel sich daraufhin Frau Gothel gegenüber verplappert, schneidet die Hexe ihr das Haar ab und verbannt sie in eine Wüstenei. Dann versteckt sich die Zauberin im Turm, wartet auf den Königssohn, lässt ihn an Rapunzels Zopf zu sich heraufklettern und erschreckt und verhöhnt den Prinzen dermaßen, dass er in seiner Verzweiflung vom Turm springt, sich in einem Dornengestrüpp beide Augen verletzt und erblindet. Wehklagend irrt er nun durch die Welt, bis er durch Zufall zu Rapunzels Gefängnis gelangt und das Mädchen an ihrem Gesang wiedererkennt. Als ihre Tränen seine Augen benetzen, wird er von seiner Erblindung geheilt und führt Rapunzel glücklich heim in sein Königreich.

Werkgeschichte

Rapunzel- Briefmarkensatz aus der DDR

„Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!“ – dies ist wohl einer der bekanntesten Sätze aus der Märchensammlung der Brüder Grimm. Tatsächlich ist das Märchen französischen Ursprungs. 1698 schrieb die Hofdame Mademoiselle de la Force die Erzählung Persinette (erschienen in ihrem Buch Cabinet des Fees). Der Rumpf dieser Geschichte stammt ebenso aus dem Volksgut, wie eine weitere Quelle – Petrosinella aus dem Pentamerone von Giambattista Basile (gestorben 1632). 1790 übernimmt Friedrich Schulz dieses Märchen in einen seiner Kleinen Romane. Von ihm übernahmen es die Brüder Grimm unter starker Kürzung 1812 in ihre Kinder- und Hausmärchen als Nr. 12. Dort erfuhr die als anstößig empfundene Version in späteren Ausgaben mehrere Änderungen: Anstatt durch ihre Schwangerschaft („meine Kleiderchen passen mir nicht mehr“) verrät sich Rapunzel jetzt unverfänglich „Sie wird mir viel schwerer heraufzuziehen als den jungen Königssohn“. Auch die Heiratserklärung wurde später, wohl als Legitimation, eingefügt.[1] Die Anmerkungen der Brüder Grimm zählen noch weitere Quellen auf. Sie stellen fest, dass in Märchen häufig der Vater oder die Mutter um ein augenblickliches Gelüßten zu befriedigen, ihr zukünftiges Kind verspricht. Während das ungeborene Wesen natürlich einerseits noch abstrakt und relativ leicht anderen als Lohn angeboten kann, da noch keine tiefe persönliche Bindung besteht, befriedigen diese scheinbar egoistischen Gelüste der Mutter gleichsam auch das Wohl des Kindes: Rapunzeln / Rucola (Grimmsche Version) und auch Petersilie (französische Version) sind überdurchschnittlich reich an Eisen und anderen Spurenelementen, die während der Schwangerschaft sehr wichtig sind. Weitere Beispiele für derartige Gelüste aus Grimms Märchen sind Die Nixe im Teich, Das singende springende Löweneckerchen, Der König vom goldenen Berg, Hans mein Igel, Der Bärenhäuter.

Das Motiv der Jungfrau im Turm entspricht dem griechischen Mythos von Danaë[2] und der christlichen Legende der Heiligen Barbara.

Interpretation

Fasst man Hedwig von Beits tiefenpsychologische Deutung zusammen, so wiederholen sich Bilder der Abgeschlossenheit vom ersehnten Unbewussten, das sein gestohlenes Kind zurücknimmt. Solche Frauen entwickeln eine verträumte, realitätsferne Haltung. Der hohe Turm, aber auch das lange Kopfhaar drücken diese geistbetonten Wesensanteile aus, die dann auch der Animus nutzt, um die Große Mutter zu ersetzen. Ihre Durchtrennung verursacht den Absturz in eine demütigere Haltung, wo Rapunzel den ebenfalls gestürzten, im Unbewussten blinden Prinzen mit ihren Tränen (Symbol des Lebenswassers) heilen kann. [3]

Laut Eugen Drewermann antizipiert der gierige Appetit auf Rapunzeln das Bedürfnis nach einem Lebenssinn spendenden Kind. Mutter und Zauberin sind dieselbe Frau in ängstlicher Spaltung. Die kindlich-orale Abspaltung der Sexualität führt zur Reduktion auf eine scheinbar erfüllende Mutter-Tochter-Symbiose. Rapunzels Turm ähnelt dem Hinterhaus ihrer Mutter, allerdings subjektiv überhöht, so wie mit der Schönheit und Selbständigkeit der Tochter auch der Stolz der Mutter wächst. Nur ein hellhöriger Mann, der ihre Sprache genau erlernt, vermag die Mauern der Kontaktangst zu überwinden. Dabei entsteht aber eine Spaltung zwischen Rapunzels Liebe und der weiterhin tiefen Loyalität zur Mutter, die der Prinz aufgrund der Identifikation nicht angreifen kann. Der Königssohn kann gegen die Ausbrüche von Rapunzels Über-Ich nichts unternehmen, doch umgekehrt kann auch Frau Gothel nicht verhindern, dass Rapunzel nach der Verstoßung wirklich selbständig wird. Die anerzogene Bedürfnislosigkeit erweist sich jetzt als hilfreich, bis die Kraft der Erinnerung an die Liebe den Zwang zur Autarkie überwindet. [4]

Verfilmungen

Akustische Anspielungen

  • 1988 veröffentlichte die Rockband Erste Allgemeine Verunsicherung als Pausenfüller zwischen den eigentlichen Liedern der CD „Kann denn Schwachsinn Sünde sein...?“ vier jeweils ca. 27 bis 38 Sekunden lange Episoden, die immer mit den Worten begannen: „Rapunzel, so lass dein Haar hernieder!“ Jedes Mal ist das Haar zu kurz, und der Königssohn reitet mit steigendem Ärger wieder fort.
  • Auch die Beastie Boys verwenden diesen Mythos, auf ihrem 1989 erschienen Album Paul's Boutique, befindet sich der Satz: „Rapunzel, Rapunzel let down your hair, so I can climb up to get into your underwear!“ (Rapunzel, Rapunzel, lass Dein Haar herunter, damit ich raufklettern und Dir an die Wäsche kann).

Bilder

Die visuell interessante Verbindung von goldenem Haar und hohem Turm inspirierte zu zahlreichen Rapunzelillustrationen: Besonders wichtig sind die von Arthur Rackham[5], Lizzie Hosaeus mit zwei Fassungen, Paul Hey, das Märchenbildprogramm von Ernst Liebermann[6] und das Gemälde von Emma Florence Harrison [7] und Heinrich Lefler[8]. 1969 beschäftigt sich David Hockney in vier Zeichnungen mit dem Rapunzelthema: 1. Der Rapunzelsalatgarten, 2. Rapunzel als Baby, 3. Rapunzel mit Haarschleppe und 4. Haar und Turm vor Prinz[9]

Literatur

  • Grimm, Brüder. Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. S. 34, 447. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. (Reclam-Verlag; ISBN 3-15-003193-1)

Weblinks

 Commons: Rapunzel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Rölleke, Heinz. In: Grimm, Brüder. Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. S. 863-864. Düsseldorf und Zürich, 19. Auflage 1999. (Artemis & Winkler Verlag; Patmos Verlag; ISBN 3-538-06943-3)
  2. Röhrich, Lutz: Märchen – Mythos – Sage. In: Siegmund, Wolfdietrich (Hrsg.): Antiker Mythos in unseren Märchen. Kassel 1984. S. 26. (Veröffentlichungen der Europäischen Märchengesellschaft Bd. 6; ISBN 3-87680-335-7)
  3. Hedwig von Beit: Symbolik des Märchens. Bern 1952, S. 715-722.
  4. Drewermann, Eugen: Rapunzel, Rapunzel, laß dein Haar herunter. Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet. 8. Auflage 2004, München. S. 165-219. (dtv-Verlag; ISBN 3-423-35056-3)
  5. A. Rackham: Rapunzel
  6. childillustration.blogspot.com: Ernst Liebermann: Rapunzel
  7. childillustration.blogspot.com: Rapunzelbild von E.F. Harrison
  8. childillustration.blogspot.com: H. Lefler: Rapunzel
  9. Rapunzelillustrationen von David Hockney

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР
Synonyme:

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Rapunzel — Saltar a navegación, búsqueda Rapunzel …   Wikipedia Español

  • Rapunzel — Sf (Salatpflanze) per. Wortschatz reg. (16. Jh.) Entlehnung. Entlehnt aus it. raponzolo, einer Ableitung aus it. rapo Rübe .    Ebenso nndl. rapunzel, nfrz. raiponce, ndn. rapunsel. italienisch it …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Rapunzel — Rapunzel: Der seit dem Anfang des 16. Jh.s bezeugte Name der zu den Baldriangewächsen gehörigen Pflanze ist entlehnt aus gleichbed. mlat. rapuncium (aus *radice puntium, zu lat. radix »Wurzel« und lat. phu, Akkusativ phun, »Baldrianart«). Neben… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Rapunzel — Rapunzel, 1) die Pflanzengattung Phyteuma; 2) so v.w. Rapunzen; 3) mehre Arten von Campanula …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Rapunzel — Rapunzel, Pflanzengattungen: soviel wie Oenothera biennis, Valerianella olitoria (Rapünzchen) und Phyteuma, auch die eßbare Wurzel von Campanula Rapunculus …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Rapunzel — es un cuento de hadas de la colección de los Hermanos Grimm …   Enciclopedia Universal

  • Rapunzel — This article is about the traditional fairy tale. For the Disney character, see Rapunzel (Disney). For other uses, see Rapunzel (disambiguation). Illustration by Johnny Gruelle Rapunzel (English: / …   Wikipedia

  • Rapunzel — Raiponce Cette page d’homonymie répertorie les différents sujets et articles partageant un même nom. Raiponce ou Rapunzel peuvent se rapporter à : Raiponce, la plante, Raiponce, le conte des frères Grimm, Raiponce, futur film d animation… …   Wikipédia en Français

  • Rapunzel — Feldsalat; Rapunze (umgangssprachlich) * * * Ra|pụn|zel 〈f. 21; nur im Pl. üblich〉 = Feldsalat; oV Rapunze * * * Ra|pụn|ze, Ra|pụn|zel, die; , n <meist Pl.> [mlat. rapuncium, rapuntium, zu lat. radix = Wurzel u. phu (griech. phoũ) =… …   Universal-Lexikon

  • Rapunzel — salotinė sultenė statusas T sritis vardynas apibrėžtis Valerijoninių šeimos daržovinis augalas (Valerianella locusta), paplitęs Europoje, šiaurės Afrikoje, pietvakarių Azijoje. atitikmenys: lot. Valerianella locusta angl. cornsalad; European… …   Lithuanian dictionary (lietuvių žodynas)

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”