Raimund Pretzel

Raimund Pretzel

Sebastian Haffner (* 27. Dezember 1907 in Berlin; † 2. Januar 1999 ebenda; eigentlich Raimund Pretzel) war ein deutscher Publizist.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Geboren wurde Sebastian Haffner als Raimund Pretzel in Berlin-Moabit. Sein Vater, Carl Louis Albert Pretzel, war ein angesehener Berliner Reformpädagoge und Schuldirektor, der es später in der Weimarer Republik bis zum Beamten im preußischen Kultusministerium brachte. Zu Haffners Brüdern zählte unter anderem der Germanist Ulrich Pretzel.

In seiner Jugend besuchte Haffner das Königsstädtische Gymnasium am Berliner Alexanderplatz. Zu seinen Mitschülern dort zählten unter anderem Horst Wessel, der später als SA-Sturmführer und „Märtyrer“ der NS-Bewegung bekannt wurde, sowie der spätere Minister für Staatssicherheit der DDR, Erich Mielke, der die Schule allerdings frühzeitig verließ.[1]

Nach dem Abitur nahm Pretzel das Studium der Rechtswissenschaften auf. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ im Frühjahr 1933 entschied sich Haffner innerlich gegen die juristische Laufbahn, da der Rechtsstaat mit der Errichtung der NS-Diktatur seiner Meinung nach gestorben war. In seinen Jugenderinnerungen beschreibt Haffner seine Erlebnisse am Preußischen Kammergericht in Berlin in den ersten Monaten des Hitler-Regimes als die Schlüsselerfahrung, die ihn zu dieser Entscheidung bewog: In Berlin, wo er sich auf das Assessorexamen vorbereitete, wurde Pretzel/Haffner unter anderem Zeuge, wie jüdische Juristen von SA-Trupps des Kammergerichts verwiesen wurden und wie „in Ehren ergraute Richter“ sich aus Sorge um den Verlust ihrer Pensionsansprüche den unfundierten Urteilen von beinahe noch jugendlichen nationalsozialistischen Nachwuchsjuristen anschlossen. Seine Ausbildung schloss Haffner jedoch, seinen Eltern zu Liebe, noch pro forma ab. Um seine Doktorarbeit zu schreiben, ging Haffner 1934 für einige Monate nach Paris, wo er sich, seiner Aussage in einem späteren Interview zu Folge, bereits nach Möglichkeiten umsah, um in Frankreich zu leben.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland arbeitete Pretzel/Haffner nur noch gelegentlich als Jurist, meist als Vertreter anderer Anwälte. Seinen Lebensunterhalt begann er zu dieser Zeit verstärkt als Journalist zu verdienen. Um sich nicht in den Dienst des Propagandaapparates der Nationalsozialisten stellen zu müssen, verfasst Haffner zu dieser Zeit hauptsächlich Artikel für Modezeitschriften und für die unpolitischen Feuilleton-Sektionen verschiedener Zeitungen.

Exil und Zweiter Weltkrieg (1938 bis 1945)

Der Auffassung folgend, dass jeder in Deutschland lebende Mensch, selbst wenn er seinen Lebensunterhalt mit „ehrlicher [unpolitischer] Arbeit“ verdiene, in irgendeiner Weise „die Arbeit des Dritten Reiches erledige“, fasste Pretzel/Haffner schließlich den Entschluss zur Emigration. Um Deutschland leichter verlassen zu können, und um in Großbritannien - das aufgrund der anhaltenden Weltwirtschaftskrise eine verhältnismäßig restriktive Emigranten- und Flüchtlingspolitik vertrat - leichter einreisen zu können, ließ er sich im August 1938 mit einem Auftrag der Ullstein-Presse nach England schicken. Dort erklärte er mit Verweis auf seine Verlobung mit Erika Landry, die in Deutschland als Jüdin galt (nach Haffners Auffassung zu Unrecht, nur aufgrund eines bürokratischen Versehens), dass er nicht nach Deutschland zurückkehren könne, und erbat das Asylrecht. Er erhielt zunächst eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr. Eine, von Haffner zu dieser Zeit befürchtete, Ausweisung kam nicht zustande, da innerhalb dieses Jahres der Zweite Weltkrieg ausbrach.

1939 begann Haffner mit der Niederschrift seiner Jugenderinnerungen Geschichte eines Deutschen, in denen er seine Erlebnisse in den Jahren 1914 bis 1933 schildert. Die Niederschrift des Buches, das Haffner ursprünglich als Aufklärungsschrift über das nationalsozialistische Deutschland veröffentlichen wollte, brach er schließlich ab, ohne das Manuskript zu beenden, als er zu der Meinung gelangte, dass das Konzept als publizistische Waffe gegen den Nationalsozialismus unzulänglich sei. Er begann stattdessen mit der Niederschrift des handbuchartig angelegten Werkes Germany. Jekyll and Hyde, in dem er ein Soziogramm des NS-Staates entwickelt. In ihm erläutert Haffner den britischen Lesern das Beziehungsgefüge innerhalb der deutschen Gesellschaft der NS-Zeit, die er in „Nationalsozialisten“ (20% der Bevölkerung), „loyale Bevölkerung“ (40% der Bevölkerung), „illoyale Bevölkerung“ (35% der Bevölkerung) und „Opposition“ (5% der Bevölkerung) einteilt. Er fährt fort die verschiedenen Gruppen zu charakterisieren und zu erläutern, wie die Briten diese bekämpfen beziehungsweise durch Propaganda unterstützen/für sich gewinnen respektive mürbe machen könnten. Ergänzend dazu liefert Haffner Porträts Hitlers, dessen Selbstmord im Angesicht der Niederlage er bereits zu diesem frühen Zeitpunkt (1940) voraussagt, und der Naziführer sowie „der kleinen Nazis“.

Anfang 1940 veröffentlichte Pretzel Germany. Jekyll and Hyde unter dem Pseudonym Sebastian Haffner, das er anschließend für den Rest seines Lebens beibehalten sollte. Im Vorwort der Schrift begründet er dies mit dem Hinweis, dass sein Buch der „Aufmerksamkeit der Gestapo gewiss nicht entgehen“ werde. Den Namen Sebastian Haffner wählte Pretzel dabei in Anlehnung an Johann Sebastian Bach und die Haffner-Sinfonie von Wolfgang Amadeus Mozart). In Großbritannien stieß das Buch auf ein äußerst positives Echo. Zu seinen Lesern zählte unter anderem der britische Kriegspremierminister Winston Churchill, der von Haffners Buch dermaßen beeindruckt war, dass er es zur Pflichtlektüre für die Minister seines Kriegskabinetts machte.[2]

Haffner, der einmal für kurze Zeit unmittelbar nach Kriegsausbruch, und dann erneut 1940 von den britischen Behörden als „Feindlicher Ausländer“ interniert worden war, wurde nun endgültig auf freien Fuß gesetzt. Er begann nun als Journalist für die von der britischen Regierung ins Leben gerufene Exilzeitung Die Zeitung zu schreiben. 1942 wechselte er zum Observer. Dort avancierte er binnen kurzer Zeit zu einem der engsten Mitarbeiter des Chefredakteurs und späteren Herausgebers des Observers, David Astor.

Nachkriegszeit und Leben in der BRD (1945 bis 1999)

Berliner Gedenktafel am Haus Ehrenbergstraße 33, in Berlin-Dahlem

Nach dem Krieg ließ sich Haffner, der weiterhin für den Observer arbeitete, in Großbritannien einbürgern. 1954 wurde er als Korrespondent der Zeitung nach Berlin geschickt. 1961 verließ Haffner den Observer aufgrund von Differenzen in der Berlin-Frage. Stattdessen schrieb Haffner in den folgenden Jahren für deutsche Zeitungen wie Christ und Welt und Die Welt. Von 1962 bis 1975 steuerte Haffner eine wöchentliche Kolumne beim Stern bei, während er für die Zeitschrift konkret Buchbesprechungen verfasste.

Politisch schillerte Haffner zwischen rechts und links, ohne sich fest für eine politische Haltung einnehmen zu lassen. Während er in den 1950er Jahren antikommunistisch argumentierte, näherte er sich gegen Ende der 1960er Jahre dem linken Spektrum, von dem er sich später wieder entfernte. So bezog er zeitweilig Position für die demonstrierenden Studenten der 68er-Bewegung und für die journalistische Freiheit während der Spiegel-Affäre. Öffentliche Präsenz zeigte Haffner auch als Gastgeber seiner eigenen Fernsehkolumne beim SFB sowie als ständiger Gast bei Fernsehformaten wie Werner Höfers Internationalem Frühschoppen.

In den 1960er bis 1980er Jahren tat Haffner sich neben seiner journalistischen Tätigkeit auch durch eine lange Reihe von Sachbuchveröffentlichungen hervor. Thematisch widmen die meisten dieser Schriften sich historischen Themen, zumal der jüngeren Geschichte Deutschlands. Unter diesen Werken herauszuheben sind insbesondere die Anmerkungen zu Hitler, die 1978 eine lebhafte Rezeption auslösten und Haffner zahlreiche Auszeichnungen einbrachten. Immer wieder gelobt wurde Haffner für seine Fähigkeit, komplizierte geschichtliche Zusammenhänge einem breiten Publikum verständlich zu machen und gleichzeitig in scharfsinniger Analyse und mit unorthodoxer Fragestellung bekannten historischen Sachverhalten neue Perspektiven zu geben.

Nach seinem Tod 1999 wurde er auf dem Parkfriedhof Berlin-Lichterfelde Ost beigesetzt.

Ehrungen und Auszeichnungen

Bereits zu Lebzeiten wurde Haffner für seine publizistische Tätigkeit vielfach ausgezeichnet. 1978 erhielt er für sein Hitler-Buch den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf. Später folgten der Johann-Heinrich-Merck-Preis (1980) und der Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (1983). Postum erhielt er 2003 den Wingate Literary Prize.

Anlässlich seines einhundersten Geburtstages ehrte das Bezirksamt Berlin-Pankow Haffner am 27. Dezember 2007 in einer Festveranstaltung und benannte den Kultur- und Bildungsstandort in der Prenzlauer Allee 227/228 nach ihm, wo Haffner selbst als Kind von 1911 bis 1924 gelebt hatte.[3]

Schriften

  • Germany. Jekyll & Hyde, London 1940. (deutsche Ausgabe Germany. Jekyll & Hyde. Deutschland von Innen betrachtet Berlin 1996)
  • Die sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, Hamburg 1964.
  • Winston Churchill, Reinbek bei Hamburg 1967. (2. Aufl. 2003)
  • Der Teufelspakt: 50 Jahre deutsch-russische Beziehungen.,Reinbek bei Hamburg 1968.
  • Die verratene Revolution - Deutschland 1918/19, Hamburg 1969.
  • Anmerkungen zu Hitler, Frankfurt am Main 1978.
  • Der Vertrag von Versailles, München 1978. (Als Hrsg.)
  • Preußen ohne Legende, Hamburg 1979. (Bildteil: Ulrich Weyland, Hrsg.: Henri Nannen)
  • Überlegungen eines Wechselwählers, München 1980.
  • Preußische Profile, Königstein im Taunus 1980. (zusammen mit Wolfgang Venohr)
  • Sebastian Haffner zur Zeitgeschichte, München 1982.
  • Im Schatten der Geschichte. Historisch-politische Variationen, Stuttgart 1985.
  • Von Bismarck zu Hitler: Ein Rückblick, München 1987.
  • Zwischen den Kriegen. Essays zur Zeitgeschichte, Berlin 1997.
  • Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914-1933, Stuttgart & München 2000. (postum veröffentlicht)
  • Der Neue Krieg, Berlin 2000. (postum)
  • Die Deutsche Frage. 1950–1961. Von der Wiederbewaffnung bis zum Mauerbau, Frankfurt am Main 2002. (postum)
  • Schreiben für die Freiheit. 1942-1949. Als Journalist im Sturm der Ereignisse, Frankfurt am Main 2003. (postum)
  • Das Leben der Fußgänger. Feuilletons 1933-1938, München 2006. (postum)

Literatur

  • Ralf Beck: Der traurige Patriot. Sebastian Haffner und die deutsche Frage, Berlin 2005.
  • Rüdiger vom Bruch: Ungeschickte Größe? Sebastian Haffners Historisierung des Deutschen Reiches, in: Merkur. Stuttgart 42 (1988) S. 602-609.
  • Joachim Fest: Der fremde Freund. Die Widersprüche des Sebastian Haffner, in: Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde, Reinbek bei Hamburg 2004.
  • Daniel Kiecol: Haffner für Eilige, Berlin 2002.
  • Jutta Krug/ Uwe Soukup: Als Engländer maskiert. Ein Gespräch mit Jutta Krug über das Exil., Stuttgart 2002.
  • Hans Mommsen: Jekyll & Hyde. Zu Sebastian Haffners früher Hitler-Deutung, in: Gerhard Albert Ritter/Peter Wende (Hrsg.): Rivalität und Partnerschaft. Studien zu den deutsch-britischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Anthony J. Nicholls, Paderborn et al., 1999, S. 285-296.
  • Ulrich Schlie: "Geschichte Deutschlands als Teil privater Lebensgeschichte". Ein Rückblick auf die Haffner-Welle, in: Historische Zeitschrift, München 2004, S. 399-415.
  • Uwe Soukup: Ich bin nun mal Deutscher. Sebastian Haffner. Eine Biographie, Berlin 2001.

Filme

  • Rajan Autze, Sebastian Haffner - Emigration aus Liebe zu Deutschland, 2002.

Einzelnachweise

  1. „Anmerkungen zu Haffner“, in: Die Welt vom 28. Dezember 2007, siehe [1].
  2. The Observer vom 20. März 2005, S. 16 der Sektion „Features and Reviews“.
  3. Ehrung für Sebastian Haffner.

Weblinks


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