Raddampfer

Raddampfer
Seitenraddampfer: Blümlisalp auf dem Thunersee, Schweiz

Ein Raddampfer ist ein Schiff, das von zwei seitlichen Schaufelrädern (Seitenraddampfer) oder einem sich am Heck befindenden Rad (Heckraddampfer) angetrieben wird. Das Schaufelrad wird dabei durch die Kraft einer Dampfmaschine angetrieben, die ihrerseits von einem Dampfkessel gespeist wird.

Raddampfer wurden hauptsächlich im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gebaut, als die Dampfschifffahrt Stand der Technik im Schiffbau war. Die langsam laufenden Dampfmaschinen waren sehr gut zum Antrieb der bis zu mehreren Metern im Durchmesser großen Schaufelräder geeignet.

Inhaltsverzeichnis

Schaufelrad

Heckraddampfer: Die Delta Queen, Mud Island, Memphis, Tennessee, Mai 2003

Ein Schaufelrad für den Schiffsantrieb hat eine Achswelle, an der mit zusätzlichen Haltevorrichtungen radial mehrere oder viele Platten bzw. „Schaufeln“ befestigt sind (klassische Form). Seitlich oder am Heck angebracht, wird durch die fortlaufende Drehung der eintauchenden Schaufelblätter ein Vortrieb erzeugt.

Bei Schaufelrädern mit starr befestigten, radial ausgerichteten Schaufelplatten schlägt die eintauchende Schaufel je nach Lage der Achse über der Wasseroberfläche mehr oder weniger schräg auf dem Wasser auf, die austauchende Schaufel hat in umgekehrter Richtung die gleiche Position. Dies führt dazu, dass ein erheblicher Teil der Antriebsenergie neben dem Vortrieb nur dazu verwendet wird, Wasser sowohl nach unten als auch nach oben zu drücken.

William Stroudley (1833–1889) untersuchte daher 1880 in Brighton die Strömungsverhältnisse an Radschaufeln und entwickelte eine Schaufelanordnung mit Gelenken und einen Exzenterring, als „feathering wheel“ bezeichnet. Abhängig von Eintauchtiefe, Wasser- bzw. Schiffsgeschwindigkeit, konnten die Schaufeleinstellungen während der Fahrt nachjustiert werden. Die exzentergesteuerten Radschaufeln tauchen annähernd senkrecht ins Wasser ein und werden in dieser Stellung durchs Wasser geführt. Diese Steuerung verbesserte den Wirkungsgrad der Schaufelräder wesentlich.

Bei den meisten Seitenraddampfern sind beide Schaufelräder auf einer durchgehenden Welle befestigt und werden von einer gemeinsamen Maschinenanlage synchron angetrieben. Ist jedoch eine erhöhte Manövrierfähigkeit bis hin zum Drehen auf der Stelle gefordert, typischerweise bei Seitenrad-Hafenschleppern, oder stünde eine quer durchgehende Radwelle in Konflikt, beispielsweise mit dem (aus Stabilitätsgründen tief angeordneten) längs durchgehenden Fahrzeugdeck einer Seitenrad-Auto- oder insbesondere Eisenbahnfähre, wird jedes Schaufelrad oftmals von einer eigenen, unabhängig ansteuerbaren Maschine angetrieben.

Römisches Schaufelradschiff (Miniatur aus dem 15. Jh.)
Die Clermont von Fulton gilt als das erste brauchbare Dampfschiff, zum Vortrieb wurden Schaufelräder verwendet

Geschichte

Der Einsatz von Schaufelrädern in der Schifffahrt ist zum ersten Mal beim römischen Ingenieur Vitruvius belegt, der in seinem Werk „De architectura“ (X 9.5-7) ein Schaufelrad beschreibt, das als Schiffshodometer fungiert. Die anonyme römische Kriegsschrift „De Rebus Bellicis“ aus dem späten 4. Jahrhundert enthält den Vorschlag eines Kriegsschiffes mit mehreren Schaufelrädern, angetrieben von Ochsen (Kapitel XVII). Nachweislich umgesetzt wurde diese Idee erstmals in China, als der Admiral Wang Zhen´e im Jahr 418 seine Flotte zur Bekämpfung der Piraten auf dem Yangtsekiang mit Schaufelrädern ausstattete (siehe Chinesische Schaufelradboote).

Als erster funktionstüchtiger Raddampfer gilt die 1801 gebaute Charlotte Dundas. Ihr Schaufelrad befand sich am Heck noch innerhalb des Rumpfes. 1807 baute der Amerikaner Robert Fulton den ersten wirtschaftlich erfolgreichen Raddampfer. Seine hölzerne Clermont (North River Steam Boat), mit einer Dampfmaschine von James Watt, war der erste Dampfer, der rentabel betrieben werden konnte.

Obwohl bei ruhiger See (z.B. Fluss mit laminarer Strömung) der Wirkungsgrad eines Schaufelrades besser ist als der eines Propellers, wurde es vom Schrauben- oder Propellerantrieb aufgrund der besseren Manövrierfähigkeit und des geringeren Konstruktionsaufwandes verdrängt.

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Geschichte des Raddampfers Montreux, der auf dem Genfersee unterwegs ist: Dieses Schiff wurde im Jahr 2000 nach 40 Jahren von Diesel- auf Dampfbetrieb zurückgebaut; sein Antrieb gilt als die erste elektronisch gesteuerte Dampfmaschine. Die Betriebskosten sollen sich in der Größenordnung eines modernen Dieselantriebs bewegen, dabei aber eine wesentlich geringere Umweltbelastung verursachen.

Verbreitung

USA

Schaufelrad (engl. „paddle wheel“) bei einem Heckraddampfer

Durch den Film kam der „typisch amerikanische Raddampfer“ auf dem Mississippi River zu Ruhm, der allerdings auch auf vielen anderen Flüssen verbreitet war. Sein flacher Rumpf und das große Schaufelrad am Heck ermöglichten das Befahren von flachen Gewässern mit vielen Sandbänken. In historischer Zeit waren aber auch sehr viele Seitenraddampfer auf dem Mississippi unterwegs, die sich in ihrem grundsätzlichen Aufbau nicht von den Heckraddampfern unterschieden. So war beispielsweise der größte Frachtdampfer des amerikanischen Westens ein Seitenraddampfer[1], die Hill City, der nach Umbauten und der Umbenennung zur Corwin H. Spencer als Ausflugsdampfer bei der Weltausstellung 1904 in St. Louis verkehrte[1].

Einige Raddampfer, wie die Mississippi Queen wurden in den 1970er Jahren unter der Verwendung und des Einbaus historischer Dampfmaschinen vollständig neu gebaut.

Europa

Oscar Huber (1922; Radschleppdampfer, letzter Schleppeinsatz auf dem Rhein 1966)

In Europa setzten sich vor allem Raddampfer mit zwei seitlichen, etwa mittschiffs angebrachten Schaufelrädern durch.

Auch heute gibt es noch Raddampfer auf einigen großen Flüssen und Seen in Europa. In Dresden z.B. betreibt die Sächsische Dampfschifffahrt – mit neun historischen Raddampfern nach eigenen Angaben die größte und älteste Raddampferflotte der Welt – unter anderem die Diesbar. Sie wird von der ältesten noch im Einsatz befindlichen Dampfmaschine der Welt aus dem Jahr 1841 angetrieben, steht unter Denkmalschutz und wird mit Kohle befeuert. Ebenfalls auf der Elbe bei Lauenburg fährt der kohlenbefeuerte Dampfer Kaiser Wilhelm, in Fahrt gehalten von einem Verein. Auf dem Rhein fuhr der letzte Seitenraddampfer, die Goethe der Köln-Düsseldorfer, auf der Strecke von Koblenz nach Rüdesheim am Rhein. Sie wurde inzwischen zu einem dieselgetriebenen Radmotorschiff umgebaut. Die Wappen von Minden ist der einzige auf der Weser betriebene Schaufelraddampfer. Auf dem Ammersee in Bayern verkehrt mit der Diessen ein weiterer ehemaliger Raddampfer, der auf einen Antrieb mit Dieselmotor umgebaut wurde, im touristischen Linienverkehr, desgleichen die Ludwig Fessler (Baujahr 1926) auf dem Chiemsee. Die gleichfalls auf dem Ammersee verkehrende [2].

In der Schweiz verkehren auf dem Vierwaldstättersee bei der Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees heute noch fünf zwischen 1901 und 1928 erbaute Raddampfer. Die Compagnie générale de navigation sur le lac Léman (CGN) auf dem Genfersee ist Besitzerin von acht historischen Radschiffen mit Baujahren zwischen 1904 und 1927. Fünf davon verkehren als Raddampfer (die Montreux erhielt nach einem früheren Umbau auf Dieselantrieb 2001 wieder eine Dampfmaschine), während drei nach Umbauten gegenwärtig dieselgetriebene Radschiffe sind ([3][4]. Ein neuntes Schiff, die [5]. Die Zürichsee-Schiffahrtsgesellschaft betreibt auf dem Zürichsee die Stadt Rapperswil und die Stadt Zürich aus den Baulosen 1909 und 1914. Die BLS AG ist auf dem Brienzersee Besitzerin der Lötschberg (Baujahr 1914) und auf dem Thunersee Betreiberin der Blümlisalp aus der ehemaligen Werft der Escher Wyss AG in Zürich.

Die heute fast ausnahmslos für touristische Zwecke eingesetzten Raddampfer erleben eine regelrechte Renaissance. Seit den 1970er Jahren wurden weltweit unzählige Raddampfer vor der Verschrottung gerettet und aufwändig restauriert, insbesondere zu erwähnen sind die Dampfer Unterwalden und Blümlisalp in der Schweiz sowie die Waimarie in Neuseeland.

Zwischen Helensburgh und Kiscreggan bzw. Gourock in Schottland verkehrt die Bearbeiten] Galerie

Einzelnachweise

  1. a b New York Times, Sonntag, 29. März 1903, Seite 1
  2. Franz Neumeier: schaufelraddampfer.de: Ammersee. Abgerufen am 21. Dezember 2009.
  3. Dampf am Genfersee. Abgerufen am 21. Dezember 2009.
  4. CGN: Flotte. Abgerufen am 21. Dezember 2009.
  5. Association des amis des bateaux à vapeur du Léman: M/S Genève (désarmé). Abgerufen am 21. Dezember 2009.

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Raddampfer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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Synonyme:

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