Aus einem Totenhaus

Aus einem Totenhaus
Werkdaten
Titel: Aus einem Totenhaus
Originaltitel: Z mrtvého domu
Form: durchkomponierte Oper
Originalsprache: tschechisch
Musik: Leoš Janáček
Libretto: Leoš Janáček
Literarische Vorlage: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus von F. M. Dostojewski
Uraufführung: 12. April 1930
Ort der Uraufführung: Nationaltheater Brünn
Spieldauer: ca. 100 Minuten
Ort und Zeit der Handlung: Sibirien, in einem Gefangenenlager, Mitte des 19. Jh.
Personen
  • Aljeja, ein junger Tatar (Mezzosopran, auch Tenor)
  • Luka Kuzmič (mit richtigem Namen Filka Morozov, Tenor)
  • Alexandr Petrovič Goryančikov, politischer Gefangener (Bariton)
  • Šiškov (Bariton)
  • Skuratov (Tenor)
  • Šapkin (Tenor)
  • Čerevin (Tenor)
  • Čekunov (Bass)
  • Platzmajor (Bass oder Bassbariton)
  • Wächter (Tenor)
  • Der große Sträfling mit dem Adler (Tenor)
  • Der kleine Sträfling (Bariton)
  • Der alte Sträfling (Tenor)
  • Der betrunkene Sträfling (Tenor)
  • Der junge Sträfling (Tenor)
  • Ein Sträfling in der Rolle des Kedril (Tenor)
  • Ein Sträfling in der Rolle des Don Juan und des Brahminen (Bass)
  • Eine Landstreicherin (Mezzosopran)
  • Der Koch (ein Sträfling, Bariton)
  • Der Schmied (ein Sträfling, Bariton)
  • Der Pope (Bariton)
  • Eine Stimme aus der Steppe (Tenor)
  • Gefangene, Dorfbewohner, Wachen

Aus einem Totenhaus (Z Mrtvého Domu) ist eine Oper in drei Akten von Leoš Janáček. Das Libretto stammt vom Komponisten, es handelt sich dabei um eine Bearbeitung der „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ von F. M. Dostojewski. Eine Übertragung ins Deutsche besorgte Max Brod.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Angaben der Titel beziehen sich auf typische Unterteilungen, nach denen sich die meisten Aufnahmen richten. Deutliche musikalische Brüche findet man in der Oper nur zwischen den einzelnen Akten.

Erster Akt

Winter, Tagesanbruch im Straflager. Die Häftlinge gehen ihrer morgendlichen Beschäftigung nach, als ein neuer Gefangener, der aus politischen Gründen verhaftete Adelige Alexandr Petrovič Goryančikov gebracht wird ("Privednou dnes pána" - Heute bringen sie einen Adligen). Der Kommandant verhört ihn und lässt den „Politischen“ auspeitschen ("Jak te nazývaji?" - Wie heißt du denn?). Einige Häftlinge beschäftigen sich mit einem verletzten Adler. Sie machen sich über seine Verletzung lustig, bewundern jedoch gleichzeitig den "König der Wälder" ("Zviře, neda se - Orel car lesů" - Die Bestie wehrt sich - Der Adler ist der König der Wälder). Die Sträflinge machen sich an die Arbeit ("Neuvidi oko jiz" - Meine Augen werden nicht mehr sehen), zwischen zweien, Luka Kuzmič und Skuratov, kommt es zum Streit ("Ja mlada, na hodech byla" - Ich, ein junges Mädchen, war auf dem Fest). Luka erzählt Aljeja von der Tat, für die er im Lager landete ("Aljeja, podávej nitku" - Aljeja, gib mir einen Faden): Als er das erste Mal im Gefängnis saß, begegnete er dort einem grausamen und überheblichen Kommandanten, der von sich sagte, für die Sträflinge sei er Zar und Gott. Luka erstach ihn und wurde daraufhin öffentlich ausgepeitscht. Schließlich wird der gefolterte und ausgeplünderte Petrovič zurück zu den anderen Insassen gebracht.

Zweiter Akt

Ein halbes Jahr später, am Fluss Irtyš in der Nähe des Lagers. Die Häftlinge sind bei der täglichen Zwangsarbeit. Aljeja und Petrovič haben sich angefreundet, der Adelige will dem jungen Gefangenen Lesen und Schreiben beibringen ("Mily, mily Aljejo" - Lieber, lieber Aljeja). Glockenläuten beendet den Arbeitstag, die Häftlinge dürfen anlässlich eines kirchlichen Feiertags ein kleines Fest begehen ("Alexandr Petrovič, bude prázdnik" - Alexander Petrowitsch, es ist Feiertag). Der einfältige Skuratov erzählt seine Geschichte: Seine große Liebe Luisa wurde gezwungen, einen reichen Verwandten zu heiraten; aus Verzweiflung hat Skuratov den Bräutigam erschossen ("Jaj, ja pusti ztečni člověk" - Ach, ich armer, unnützer Mensch und "Prešel den, druhy, třeti" - Es verging ein Tag, der Zweite, der Dritte). Die Häftlinge improvisieren zwei Theaterstücke; das Stück von Kedril und Don Juan ("Černa kobyla, nevýbiliš do bilá" - Ein schwarzes Pferd kann man nicht bleichen und "Dnes bude muj posledni den" - Heute ist mein letzter Tag), sowie eine Pantomime über eine schöne aber untreue Müllerin ("Pantomima o pěkne mlynarče" - Die Pantomime der schönen Müllerin). Das Fest endet im Streit, als einer der Sträflinge Goryančikov provoziert, da der ehemalige Adelige selbst im Gefängnis noch die Möglichkeit hat, Tee zu trinken ("Pěkne hrali, co?" - Schöne Stücke, nicht?). Aljeja wird verletzt.

Dritter Akt (Frühjahr)

Erstes Bild: Im Lagerlazarett

Petrovič liest dem fiebernden Aljeja aus der Bibel vor ("Isak, prorok boži" - Isa (Jesus), der Prophet Gottes). Der im Sterben liegende Luka verhöhnt Čekunov wegen seines dienerischen Verhaltens gegenüber Goryančikov. Skuratov ist wahnsinnig geworden. Šapkin erzählt, wie er, als Landstreicher und Einbrecher verhaftet, von einem Wachtmeister, der ihn als Dieb entlarven wollte, am Ohr gezogen wurde ("O bratři ta bolec to nic" - O Brüder dieser Schmerz ist nichts). Der alte Sträfling betet und weint um seine Kinder ("Ma děťatka mila" - Meine lieben Kinderchen). Schließlich erzählt Šiškov, unterbrochen von den drängenden Fragen Čerevins, seine, die längste aller Geschichten: Ein reicher Kaufmann hatte eine Tochter, Akulka, und ein Freund Šiškovs, namens Filka Morozov, behauptete mit ihr geschlafen zu haben ("Ty, pravil Filka" - Du, sagte Filka und "A Filka křiči" - Und Filka ruft). Sie wurde schließlich mit Šiškov verheiratet, der in der Hochzeitsnacht entdeckte, dass sie noch unschuldig war ("A ja byl, bratřičku" - Und ich war, Brüderchen), doch Filka gelang es, ihn zu überzeugen, dass er zu betrunken gewesen sei, irgendetwas zu bemerken ("Na druhy den" - Am nächsten Tag). Als Filka sich, aufgrund seiner Abreise, bei Akulina für das ihr zugefügte Elend entschuldigt, sagt sie zu Šiškov, dass sie Filka liebe, woraufhin dieser sie ermordet. Luka stirbt an der Schwindsucht und Šiškov erkennt in ihm den einstigen Rivalen Filka Morozov. Ein Wachmann holt Petrovič.

Zweites Bild: Hof des Lagers

Der angetrunkene Kommandant bittet Petrovič um Entschuldigung für die Auspeitschung und verkündet dann seine Begnadigung ("Petroviči, ja jsem te urazil" - Petrowitsch, ich bitte dich um Verzeihung). Abschied von Aljeja. Die Gefangenen lassen den Adler frei, dessen Flügel geheilt ist. Als sie ihm noch nachblicken ("Svoboda, svobodička" - etwa Freiheit, Freiheitchen), werden sie von den Wachen wieder zur Arbeit getrieben.

Entstehung der Oper

Der Komponist begann Anfang 1927 mit der Arbeit an der Oper. Im Mai 1928 waren Libretto und Partitur beendet, Janáček starb jedoch, bevor er – dies wäre seine übliche Arbeitsweise gewesen – den III. Akt noch einmal durchsehen und gegebenenfalls korrigieren konnte. Aus diesem Grund beauftragte das Brünner Theater zwei Schüler Janáčeks, Břetislav Bakala und Osvald Chlubna, mit der Vollendung der Komposition. Sie ergänzten die – ihrer Meinung nach – unvollständige Instrumentation und fügten der Oper einen „optimistischen“ Schluss an. Dieser endet mit der Freilassung des Adlers ohne dass die Sträflinge wieder zur Arbeit geschickt werden. In dieser Fassung wurde die Oper bis in die 60er Jahre hinein meist gespielt. Danach verwendete man, dem allgemeinen Trend zu mehr Werktreue und zu Aufführungen in der Originalsprache folgend, wieder Janáčeks ursprüngliche Partitur, die dank der ausführlichen Dokumentation der einst vorgenommenen Änderungen problemlos wiederhergestellt werden konnte.

Charakteristik

"Aus einem Totenhaus" hat überwiegend den Charakter eines Oratoriums. Es gibt keine durchgehende Handlung. "Opernhafte" Szenen fehlen größtenteils, eigentlicher Kern des Stücks sind die Monologe der Gefangenen, in denen sie ihre Taten schildern. Sie sind um das Fest im II. Akt mit der "Oper in der Oper", d.h. der kleinen Theateraufführung der Häftlinge gruppiert. Als Klammer der Szenenfolge fungieren die Einlieferung und Entlassung Petrovičs. Die durchkomponierte Musik ist expressionistisch, es dominiert Sprechgesang, lediglich bei den oft von Sehnsucht getragenen Erzählungen der Gefangenen erlaubt sich der Komponist einige ariose Elemente und Anklänge an die Volksmusik seiner Heimat. Janáček übernahm Auszüge aus Dostojewskis Text mit wenigen Ausnahmen wörtlich, veränderte aber die Abfolge der Szenen (bspw. die Episode des verletzten Adlers) um die Handlung dramatisch zu verdichten.

Aufnahmen

  • Gala: Siemen Jongsma, Chris Scheffer, Jan van Mantgem; Chor und Orchester der Niederländischen Oper unter Alexander Krannhals; Aufnahme in deutscher Sprache
  • Gala: Bernard Demigny, Gerard Friedmann, Jean Giraudeau, Roger Barrier, Xavier Depraz, Michel Hamel, Lucien Lovano; Nationalorchester und französischer Radiochor unter Jascha Horenstein; Aufnahme in französischer Sprache
  • Supraphon: Václav Bednár, Helena Tattermuschková, Beno Blachut, Jaroslav Horácek, Antonin Votava, Ivo Zidek; Chor und Orchester des Prager Nationaltheaters unter Bohumil Gregor
  • Supraphon: Vladimir Sauer, Vaclav Halir, Bohumil Kurfürst; Brünner Philharmonie Orchester und Janacek Opernchor unter Bretislav Bakala & Jaroslav Vogel
  • Supraphon: Richard Novak, Vilem Pribyl, Jaroslav Horaček, Beno Blachut, Ivo Žídek, Vacláv Bednař; Chor und Orchester der Tschechischen Philharmonie unter Bohumil Gregor
  • Decca: Wiener Philharmoniker und Wiener Staatsopernchor unter Sir Charles Mackerras mit Jaroslava Janská, Ivo Žídek, Jiří Zahradníček, Václav Zítek, Dalibor Jedlicka, Antonin Svorc
  • Oriel Music Society: David Kempster, Gail Pearson, Robert Brubaker; Chor und Orchester der Englischen Nationaloper unter Paul Daniel; Aufnahme in englischer Sprache
  • Deutsche Grammophon (DVD): Olaf Bär, Eric Stocklossa, Štefan Margita, John Mark Ainsley, Jiři Sulzenko, Heinz Zednik; Arnold Schoenberg Chor; Mahler Kammer Orchester; Pierre Boulez (Dirigent); Patrice Chéreau (Regie)

Weblinks


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