Pulse (Musik)

Pulse (Musik)
Zusammenhang von Grundschlag, Takt, Metrum und Rhythmus

Das Metrum (von griechisch μέτρον (metron) = „Maß“) ist in der Musik der Fachbegriff für die Organisation von Schlägen in einem regelmäßigen Betonungsmuster. Dieses Betonungsmuster bildet die „Hintergrundstruktur“, auf die sich die übrigen rhythmischen Strukturen eines Stücks beziehen. Da die verschiedenen Taktarten in der Musik meistens mit einem bestimmten Betonungsmuster verbunden sind, werden die Begriffe Takt und Metrum oft synonym verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Die metrische Hierarchie

Die folgende Darstellung der metrischen Hierarchie folgt im Wesentlichen der Beschreibung in Jackendoff und Lerdahl (1983) und Temperley (2001).

Die Notwendigkeit eines hierarchischen Aufbaus einer metrischen Struktur ergibt sich aus zwei Beobachtungen:

  1. Das Metrum ist eine Form der Zeitorganisation. Menschen organisieren Zeit hierarchisch (z. B. besteht ein Jahr aus 52 Wochen, eine Woche aus 7 Tagen, ein Tag aus 24 Stunden usw.)
  2. Ein Metrum enthält mehrere Akzentstufen. Zum Beispiel sind im 4/4-Takt das 1. und 3. Viertel betont und werden als schwere Zeit bezeichnet (im Verhältnis zum 2. und 4. Viertel, die als leichte Zeit bezeichnet werden), aber das 1. Viertel wird wiederum stärker betont als das 3. Viertel.

Das metrische Betonungsmuster wird oft über eine hierarchische Gliederung von regelmäßigen Impulsen („Schlägen“) erklärt. Eine einzelne Ebene von solchen Schlägen ergibt noch kein metrisches Muster, da alle Impulse einer Ebene gleich stark betont werden:

Abb. 1: Eine regelmäßige Abfolge von Schlägen

Erst hierarchisch geschichtete Ebenen von Schlägen ergeben ein metrisches Betonungsmuster. Dabei liegen zwischen zwei Schlägen einer Ebene der Hierarchie meist ein Schlag (binäre Teilung) oder zwei Schläge (ternäre Teilung) der nächst tieferen Ebene (vgl. Abb. 2 und Abb. 3).

Abb. 2: Zwei Ebenen von Schlägen mit binärer Teilung
Abb. 3: Zwei Ebenen von Schlägen mit ternärer Teilung
Abb. 4: Rein binäre metrische Struktur mit mehreren Ebenen
Abb. 5: Rein ternäre metrische Struktur mit mehreren Ebenen

In der Regel werden für die metrische Struktur mindestens drei Ebenen berücksichtigt (vgl. Abb. 4 und Abb. 5). Nimmt man nun an, jeder Schlag (egal auf welcher Ebene) habe das Gewicht 1, dann kann man das Gewicht (die Betonungsstärke) zu einem Zeitpunkt t feststellen, indem man sämtliche übereinanderliegenden Schläge addiert (vgl. Abb. 4). Wenn man nun die abstrakte Nummerierung der einzelnen Ebenen eines solchen hierarchischen Musters durch Notenwerte ersetzt, wird die musikalische Bedeutung des Musters klarer. Ersetzt man in Abb. 4 die Ebene 0 durch die Achtelnote, so ergeben sich für die übrigen Ebenen die Notenwerte Viertel, Halbe und Ganze. Legt man die Viertel-Ebene als „Zählzeit“ fest, so erhält man exakt das Betonungsmuster des 4/4-Takts mit Betonungen auf dem 1. und 3. Viertel, wobei die Betonung auf dem 3. Viertel ein wenig schwächer ist, als auf dem 1. Viertel.

Theoretisch könnte eine metrische Struktur aufgebaut werden, die den kleinsten Notenwert im Stück (die schnellsten Schläge) als Grundlage für die tiefste Ebene nimmt. Genauso könnten in der anderen Richtung immer höhere Ebenen mit immer größeren Schlagintervallen berücksichtigt werden, bis zu der Ebene, deren Schlagintervall das ganze Stück umfasst. Sehr kurze Schlagintervalle (unter ca. 100 ms) nehmen wir aber nicht mehr als abzählbare Schläge war. Dasselbe gilt für extrem lange Schlagintervalle. Deshalb werden in der Regel höchstens sechs Ebenen für die metrische Struktur berücksichtigt

Als praktisches Beispiel soll der Anfang der Gavotte aus Johann Sebastian Bachs Französischer Suite Nr. 5 dienen (Abb. 6). Fünf Ebenen wurden für die Analyse berücksichtigt. Das Schlagintervall auf der Ebene 0 entspricht dabei einer Achtelnote. Die Ebene 4 ist ein Beispiel für eine metrische Ebene, die über einen Takt hinaus reicht (das Schlagintervall beträgt zwei Takte).

Abb. 6: Metrische Struktur der Takte 1 und 2 der Gavotte aus J. S. Bach, Franz. Suite Nr. 5 (BWV 816)

Metrische Struktur und musikalische Oberfläche

Die metrische Struktur ist nicht direkt in der musikalischen Oberfläche enthalten, sondern wird aus den Akzenten dieser Oberfläche abgeleitet. Diese Akzente können auf unterschiedlichen Merkmalen der Musik beruhen, z. B. Lautstärke, rhythmische Gruppierungen oder Harmoniewechsel. Aus all diesen Hinweisen abstrahiert der Hörer die metrische Struktur. Ist ein Metrum einmal etabliert, ändert es sich nicht, solange keine ausreichenden Gründe für einen Wechsel sprechen. Der Hörer ist dabei sogar in der Lage, metrische Akzente zu interpolieren, so dass nicht notwendigerweise jeder metrische Akzent auch in der erklingenden Musik realisiert sein muss. Sollte die musikalische Oberfläche keine oder nicht genügend regelmäßige Akzente aufweisen, kann sich kein stabiles Metrum entwickeln.

Metrum und Grundschlag

In der metrischen Hierarchie besteht jede Ebene aus Schlägen. Wir nehmen allerdings nicht alle diese Ebenen gleich stark wahr. Vielmehr erscheinen uns die Schläge einer bestimmten Ebene hervorgehoben als regelmäßiger Puls, der sich durch das ganze Stück zieht. Diesen Puls nennt man Grundschlag oder Grundpuls. Das ist die metrische Ebene, die der Dirigent seinem Orchester vordirigiert, oder diejenige, welche wir mitklopfen. Die Ebene, die Träger des Grundschlags ist, kann variieren. Normalerweise befindet sich der Grundschlag auf einer der mittleren Ebenen der metrischen Hierarchie. Der Abstand der Schläge auf dieser Ebene darf weder zu schnell, noch zu langsam sein. Meistens beträgt das Tempo auf dieser Ebene mehr als 50, aber weniger als 150 Schläge pro Minute (Beats per minute). Das Tempo des Grundschlags ist aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung ein wichtiger Indikator für das wahrgenommene Tempo eines Musikstücks. Der Grundschlag ist für das Metrum die wichtigste Ebene. Von ihm ausgehend berücksichtigt man für die Darstellung der metrischen Struktur jeweils zwei bis drei höhere bzw. tiefere Ebenen. Die Wahrnehmung der metrischen Struktur ist auf dieser Ebene am intensivsten. Je weiter man sich von der Ebene des Grundschlags entfernt, desto schwächer wird die Wahrnehmung der Betonungsunterschiede, sowohl auf den tieferen als auch auf den höheren Ebenen.

Anhand der Gruppierung der Grundschläge wird ein Metrum als binär (zweiteilig) oder ternär (dreiteilig) bezeichnet. Diese Bezeichnung gibt an, wieviele Schläge der Ebene des Grundschlags auf einen Schlag der nächst höheren Ebene kommen. In der europäischen Kunstmusik sind diese Metren am häufigsten, aber komplexere Metren (z. B. fünfteilig) kommen ebenfalls vor.

Metren, die sich nicht als Vielfaches eines zwei- oder dreiteiligen Metrums erklären lassen, werden additiv aus einer Kombination von zwei- und dreiteiligen Schlägen beschrieben. So wird z. B. der 5/4-Takt als eine Kombination von 2/4 + 3/4 (oder 3/4 + 2/4) erklärt. Da diese Metren auf mindestens einer Ebene der metrischen Hierarchie eine non-isochrone Verteilung der Schläge erfordern, werfen sie die Frage auf, wie angemessen die verbreitete Forderung nach ausschließlich isochroner Verteilung der Schläge einer metrischen Ebene ist (vgl. Schwächen der Theorie).

Erklingen mehrere Metren gleichzeitig spricht man von der Polymetrik.

Metrum und Taktart

Normalerweise verbinden wir heute mit einer bestimmten Taktart auch ein bestimmtes Betonungsmuster (daher der Begriff Akzentstufentakt). Somit bilden die Taktarten quasi „Prototypen“ metrischer Muster, nach denen sich die (west-)europäische Kunstmusik orientiert. Aus diesem Grund werden Metrum und Takt oft synonym verwendet. Mit der Taktart wird meist auch die Ebene des Grundschlags und teilweise auch die Unterteilungen der Ebenen über und unter dem Grundschlag fixiert (vgl. Artikel Takt).

Das Metrum ist zwar in der Regel eng mit einer Taktart verbunden, aber es ist möglich, dass ein metrisches Muster über Taktgrenzen hinweg wirksam ist. Die Taktart legt dabei nicht fest, ob solche mehrtaktigen metrischen Ebenen vorhanden sind, beziehungsweise wie deren Betonungsmuster aufgebaut ist. Es ist allerdings meistens nicht sinnvoll, metrische Strukturen über mehrere Takte (als Grenze kann man etwa vier Takte annehmen) zu konstruieren, da in diesem Bereich bereits die Einflüsse der Phrasenstruktur eines Stückes, die meistens nicht regelmäßig organisiert ist, wirksam werden.

Metrum und Rhythmus

Meist wird der Rhythmus auf die tatsächlich erklingende zeitliche Organisation eines Stückes in verschieden lange Töne bezogen, während das Metrum eine aus dieser musikalischen Oberfläche abgeleitete, regelmäßigere und konstantere (aber ebenfalls zeitlich bestimmte) Struktur ist. Rhythmus und Metrum sind aber nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Dies kommt daher, weil die metrische Struktur eines Stücks bestimmte rhythmische Gruppierungen und deren Betonungen impliziert. Stimmen diese nicht mit der tatsächlich erklingenden rhythmischen Struktur überein, kommt es zu Spannungen zwischen Metrum und Rhythmus, z. B. bei Synkopen oder Hemiolen.

Schwächen der Theorie

Die offensichtlichste Schwäche dieser Darstellung des Metrums ist die Forderung nach regelmäßigen Schlägen. In der westeuropäischen Kunstmusik gibt es viele Möglichkeiten, das Tempo der Musik zu verändern, d. h. die Schlagintervalle des Grundschlags und der Schläge auf allen anderen metrischen Ebenen sind in der Realität alles andere als konstant. Zum Beispiel wird beim rubato das Tempo zwar nur relativ wenig, dafür aber andauernd verändert, beim accelerando wird das Tempo über einen bestimmten Zeitraum ständig erhöht und beim ritardando erniedrigt. Auch komplexere Metren, wie z. B. im 5/4-Takt, sind so nicht erfasst, denn normalerweise werden diese Metren additiv als eine Kombination von zweiteiligen und dreiteiligen Schlägen erklärt. Praktische Beispiele für Metren mit unregelmäßiger Aufteilung der (Grund-)Schläge finden sich zum Beispiel häufig in Stücken von Dave Brubeck (z. B. im „Blue Rondo à la Turk“). Eine Theorie des Metrums, die auf konstanten Schlagintervallen auf allen metrischen Ebenen während der gesamten Dauer eines Stücks beharrt, ist daher eine Idealisierung der musikalischen Wirklichkeit.

Ebenso unklar bleibt die Begrenzung der für die metrische Struktur berücksichtigten Ebenen. Zwar scheint es intuitiv klar, dass die metrische Wahrnehmung in der Regel nicht bis zum kürzesten Schlagintervall eines Stücks reicht, und auch nicht das Stück als Ganzes umfasst. Psychologische Erkenntnisse geben zwar eine ungefähre Unter- und Obergrenze für Schlagintervalle, die in der metrischen Hierarchie berücksichtigt werden, aber wie genau bestimmt werden kann, welche der theoretisch möglichen Ebenen tatsächlich relevant sind, ist nicht geklärt.

Schließlich ist auch die Bestimmung der Ebene des Grundschlags problematisch. Es ist keineswegs klar, dass alle Menschen dieselbe Ebene der metrischen Hierarchie als Grundschlag empfinden: Wenn zwei Personen den Grundschlag zum gleichen Musikstück klopfen, und der eine klopft doppelt so schnell wie der andere, haben beide recht.

Neueste Entwicklungen

In den letzten Jahren sind verschiedene neue Modelle zur Erklärung der metrischen Struktur vorgestellt worden, die vor allem das Problem der Temposchwankungen innerhalb eines Stücks und die Bestimmung der Ebene des Grundschlags zu erklären versuchen. Oft wird dabei das Konzept des Schlags dahingehend modifiziert, dass die Schlagintervalle nicht mehr absolut gleichmäßig sein müssen, sondern in einem gewissen Rahmen schwanken können (vgl. etwa Temperley (2001), Cambouropoulos & Dixon (2000), Desain und Honing (1999)).

Literatur

  • Cambouropoulos, Emilios & Dixon, Simon: Beat Tracking with Musical Knowledge. in: Proceedings of the 14th European Conference on Artificial Intelligence (ECAI 2000), Berlin, 2000, S. 626-630.
  • Desain, Peter & Honing, Henkjan: Computational Models of Beat Induction. in: Journal of New Music Research, 28, 1999, S. 29-42.
  • Jackendoff, Ray & Lerdahl: A Generative Theory of Tonal Music. MIT Press, Cambridge 1983, ISBN 0-262-12094-1
  • Jourdain, Robert: Das wohltemperierte Gehirn: Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 1998, ISBN 3-8274-0224-7
  • Sadie, Stanley (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Macmillan, London 2001, ISBN 0-333-60800-3
  • Temperley, David: The Cognition of Basic Musical Structures. MIT Press, Cambridge, 2001, ISBN 0-262-20134-8

Siehe auch


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