Psychotherapieforschung

Psychotherapieforschung

Die Psychotherapieforschung beschäftigt sich mit der Wirksamkeit und Wirkweise psychotherapeutischer Verfahren. Die größte internationale Fachgesellschaft für Psychotherapieforschung ist die Society for Psychotherapy Research (SPR). In dem seit 1971 erscheinenden Handbook of Psychotherapy and Behavior Change werden regelmäßig die wichtigsten Ergebnisse der Psychotherapieforschung zusammengefasst. Das ursprünglich von Allen Bergin und Sol Garfield (seit der 5. Auflage von Michael J. Lambert) herausgegebene Standardwerk wird auch als die "Bibel" der Psychotherapieforschung bezeichnet[1].

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die empirische (statistisch orientierte) Psychotherapieforschung begann in den 1950er Jahren, nachdem Hans Eysenck 1952 die provokante These veröffentlicht hatte, dass Psychotherapie (Psychoanalyse) nicht besser wirke als Nichtstun - was später von D. J. Kiesler als "Mythos der spontanen Remission" bezeichnet wurde[2]. Die Annahmen zur Spontanremission wurden inzwischen auch revidiert.[1]

1970 gründeten die Psychotherapieforscher Kenneth I. Howard und David Orlinsky (u.a. mit Beteiligung von Hans Hermann Strupp) die Society for Psychotherapy Research[3][4].

In einer Überblicksarbeit zu Psychotherapie-Vergleichsstudien von 1975 kamen Lester Luborsky und Kollegen[5] zu dem vielzitierten Ergebnis "everybody has won and all must have prices" (auch bekannt als das "Dodo-Bird-Verdict", anspielend auf das Zitat aus Alice im Wunderland). Auch Smith und Glass kamen 1977 in ihrer Metaanalyse an fast 400 Therapie-Vergleichsstudien zu dem Ergebnis, dass Psychotherapie wirkt, die einzelnen Psychotherapieformen jedoch im Ausmaß ihrer Wirksamkeit keine bedeutsamen Unterschiede aufweisen[6]. Im deutschsprachigen Raum veröffentlichte Klaus Grawe 1994[7] die bisher umfangreichste Metaanalyse zu Psychotherapie-Vergleichsstudien und kam zwar ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es statistisch nur geringe bis keine Differenzen zwischen den Therapiearten gibt. Eine differenziertere Analyse der Ergebnisse zeigte jedoch eine überwiegend bessere Wirksamkeit der Verhaltenstherapie (für die auch weitaus die meisten Studien vorliegen) im Vergleich zu anderen Verfahren. Die Äquivalenzhypothese (gleiche Wirkung aller Psychotherapieverfahren) gilt somit aus heutiger Sicht als widerlegt[1]. Eine Übersicht über Einflussfaktoren auf den Therapieerfolg liefert das Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, auch zusammengefasst von David Orlinsky und Kenneth Howard in ihrem Generic Model of Psychotherapy (dt. "Allgemeines Modell der Psychotherapie").[8]

Methodik

Eine Fülle von Einzeluntersuchungen (experimentelle und statistische Studien, Fallstudien u. a.) überprüfte seitdem die Wirksamkeit unterschiedlicher psychotherapeutischer Verfahren. Meta-Analysen dienen dazu, die Ergebnisse vieler Einzeluntersuchungen zusammenzufassen und zu strukturieren.

Ergebnisse

Viele große Meta-Analysen zur Wirksamkeit von Psychotherapie belegen inzwischen bzw. seit langem die Wirksamkeit z. B. der Kognitiven Verhaltenstherapie und der Psychoanalytischen Kurzzeitpsychotherapie bei einer Vielzahl von psychischen Störungen. Dies gilt auch für die psychodynamisch–psychoanalytischen und humanistischen–gesprächspsychotherapeutischen Verfahren. Zuletzt konnte in einer Studie der Universitäten Mannheim und Trier die im Auftrag der Techniker Krankenkasse durchgeführt wurde ein störungsübergreifender starker Effekt (Cohen's d=1) von Psychotherapie nachgewiesen werden.[9]

Schwierigkeiten

Schwierigkeiten bei Wirksamkeitsstudien zur Psychotherapie, vor allem in der vergleichenden Therapieforschung, entstehen daraus, dass die unterschiedlichen therapeutischen Schulen teils sehr unterschiedliche Kriterien für Therapieerfolg postulieren und sehr unterschiedliche therapeutische Wirkmechanismen vermuten. Erschwerend kommt hinzu, dass sowohl therapeutische Wirkfaktoren als auch Erfolgskriterien unterschiedlich und teilweise gar nicht operationalisiert und somit empirischer Forschung nur sehr begrenzt zugänglich sind. Deshalb werden manche Ergebnisse der genannten Metaanalysen - teils leidenschaftlich - diskutiert.

Literatur

  • Louis G. Castonguay, J.C. Muran, & Lynne E. Angus: Bringing Psychotherapy Research to Life: Understanding Change Through the Work of Leading Clinical Researchers. American Psychological Association., Washington, 2010.
  • Markus Fäh, Gottfried Fischer (Hrsg.): Sinn und Unsinn in der Psychotherapieforschung. Eine kritische Auseinandersetzung mit Aussagen und Forschungsmethoden Psychosozial-Verlag, Gießen 1998, ISBN 3-932133-29-3, (Forschung psychosozial).
  • Peter Fonagy, Anthony Roth: What Works For Whom? A Critical Review of Psychotherapy Research. 2. Auflage. Guilford Press, New York NY u. a. 2005, ISBN 1-57230-650-5.
  • Klaus Grawe, Ruth Donati, Friederike Bernauer: Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. 5. unveränderte Auflage. Hogrefe, Göttingen u. a. 2001, ISBN 3-8017-0481-5, (bisher umfassendste Meta-Analyse).
  • Inez Gitzinger-Albrecht: Mehrebenendiagnostik von Abwehrprozessen als eine Strategie der Psychotherapieforschung. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1993, ISBN 3-631-45624-7, (Europäische Hochschulschriften 6, 404), (Zugleich: Freiburg i. Br., Univ., Diss., 1992).
  • Joachim Kosfelder u. a. (Hrsg.): Fortschritte der Psychotherapieforschung. Hogrefe, Göttingen u. a. 2005, ISBN 3-8017-1841-7.
  • Michael J. Lambert (Hrsg.): Bergin and Garfield's Handbook of Psychotherapy and Behavior Change. 5. Auflage. John Wiley & Sons, New York NY 2004, ISBN 0-471-37755-4, (Standardwerk).
  • F. Leichsenring: Zur Meta-Analyse von Grawe. In: Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik. 32, 1996, ISSN 0017-4947, S. 205–234.
  • Volker Tschuschke, Claudia Heckrath, Wolfgang Tress: Zwischen Konfusion und Makulatur. Zum Wert der Berner Psychotherapie-Studie von Grawe, Donati und Bernauer. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-45801-0.
  • Uwe Strümpfel: Therapie der Gefühle. Forschungsbefunde zur Gestalttherapie. EHP, Köln 2006, ISBN 3-89797-015-5.

Referenzen

  1. a b c Hans Reinecker: Therapieforschung. In: J. Margraf: Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2. Heidelberg: Springer, 2005, S. 50. ISBN 3-540-66439-4
  2. Donald J. Kiesler: Some myths of psychotherapy research and the search for a paradigm. Psychological Bulletin, Vol 65(2), Feb 1966, S. 110-136.
  3. Nachruf Kenneth Howard
  4. Nachruf Hans Strupp (abgerufen am 18. August 2011)
  5. Lester Luborsky, Barton Singer, Lise Luborsky: Comparative Studies of Psychotherapies: Is it true that "everyone has won and all must have prices"?. Archives of General Psychiatry, 1975, 32 (8), S. 995-1008.
  6. Mary Lee Smith, Gene V. Glass: Meta-Analysis of Psychotherapy Outcome Studies. American Psychologist, Sept. 1977, S. 752-760.
  7. Grawe, Donati und Bernauer: Psychotherapie im Wandel, 1994.
  8. Lambert: Bergin and Garfields Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 2004.
  9. Wittmann, W.W., Lutz, W., Steffanowski, A., Kriz, D., Glahn, E.M., Völkle, M.C., Böhnke, J.R., Köck, K., Bittermann, A. & Ruprecht, T.: Qualitätsmonitoring in der ambulanten Psychotherapie: Modellprojekt der Techniker Krankenkasse - Abschlussbericht.. Techniker Krankenkasse, Hamburg 2011, 9, S. 160-164 (PDF 4,9MB, http://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/342002/Datei/54714/TK-Abschlussbericht2011-Qualitaetsmonitoring-in-der-Psychotherapie.pdf, abgerufen am 18. September 2011).

Weblinks

Siehe auch


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