Psychologisches Experiment

Psychologisches Experiment

Das psychologische Experiment weist im Vergleich mit anderen naturwissenschaftlichen Experimenten sowohl durch die Hypothesen, als auch durch die Besonderheiten der Untersuchungs-„Objekte“ einige zusätzliche Aspekte auf.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Experiment ist ein wichtiges methodisches Hilfsmittel der Psychologie und wurde in größerem Umfang Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. Die Experimentelle Psychologie wurde 1860 als eigener Wissenschaftszweig eingeführt, hauptsächlich unter dem Einfluss von Hermann Ludwig von Helmholtz (sensorische Psychophysiologie), Gustav Fechner (Psychophysik) und besonders Wilhelm Wundt (physiologische Psychologie). Wundt gründete 1879 das erste psychologische Laboratorium in Leipzig und machte die experimentelle Psychologie bekannt als die Wissenschaft zur Erforschung des normalen menschlichen Erlebens unter kontrollierten Bedingungen mit Hilfe der introspektiven Methode.[1] Das psychologische Experiment setzte sich auch mit der Verbreitung des Behaviorismus vorerst in der amerikanischen und später auch in der europäischen wissenschaftlichen Psychologie durch. Vor der Einführung des Experiments musste man sich auf die Erfahrungen einzelner Menschen stützen.

Experimental- und Kontrollgruppe

Häufig werden die Versuchspersonen (Vpn) in Experimental- und Kontrollgruppen eingeteilt. In einem „echten“ Experiment geschieht diese Einteilung per Zufall, in einem „Quasiexperiment“ liegt die Experimentalgruppe bereits vor (s. Arten von Experimenten). In der Experimentalgruppe (EG) wird die unabhängige Variable (UV) manipuliert (die UV ist die Variable, deren Einfluss untersucht werden soll). Dies bezeichnet man als Treatment. In der Kontrollgruppe (KG) geschieht dies nicht. Nach dem Treatment wird die abhängige Variable (AV, die Variable, die sich durch die Manipulation der UV verändern soll) in Experimental- und Kontrollgruppe gemessen. Die Ausprägung der AV in der Kontrollgruppe wird als baseline bezeichnet. Der Unterschied zwischen baseline und der Messung in der Experimentalgruppe wird auf den Effekt der UV zurückgeführt. Hierbei ist es wichtig, Alternativerklärungen ausschließen zu können, indem alle Variablen außer der UV konstant gehalten werden (s. Interne Validität). Daher ist es elementar, dass nicht von vorneherein Unterschiede zwischen Kontroll- und Experimentalgruppe vorliegen, da diese sonst die Ergebnisse des Experimentes verfälschen könnten (siehe auch Kontrolle von Störfaktoren).

Prinzipien des psychologisch-experimentellen Arbeitens

Neben den beiden bereits genannten Merkmalen muss eine Untersuchung noch weitere Bedingungen erfüllen, um dem wissenschaftlichen Anspruch des Experiments gerecht zu werden:

  • Planmäßigkeit: Experimentelle Bedingungen müssen nachher genau beschrieben werden, folglich ist eine Vorausplanung der Versuchsbedingungen unerlässlich.
  • Replikation: Ein Experiment muss so geplant sein, dass es jedermann bei Einhaltung der gleichen Versuchsbedingungen wiederholen und überprüfen kann.
  • Kontrollverlauf: Bei jedem Experiment ist die Versuchsperson als ganzer Mensch, u. a. mit ihren Motivationen, beteiligt. Folglich muss während des Versuchs kontrolliert werden, ob sich bei ihr nicht psychische Veränderungen ereignen.
  • Auswertung: Die Ergebnisse sind Rohdaten. Erst ihre Verarbeitung mit Hilfe statistischer Verfahren ermöglicht ihre Verwertung.

Probleme des psychologischen Experimentes

Versuchspersonenmotivation: Noch weitgehend ungeklärt ist, wie sich die Motive der Versuchspersonen auf die Versuchsergebnisse auswirken. An psychologischen Experimenten nehmen in aller Regel Freiwillige teil, z.B. weil sie Interesse an der Wissenschaft haben oder auf das Geld aus sind, das es oft als Belohnung für die Teilnahme gibt.[2] Außerdem sind Studierende der Psychologie oft verpflichtet, eine vorgegebene Anzahl an Stunden als Versuchspersonen zu dienen. Nach einer Untersuchung von Sears waren die Versuchspersonen der 1985 veröffentlichten sozialpsychologischen Experimente zu 74% Studierende.[3] Die Gruppe der Versuchspersonen unterscheidet sich also systematisch vom Populationsdurchschnitt. Dass sie keine randomisierte Stichprobe ist, gefährdet auch die externe Validität, denn gefundene Kausalzusammenhänge sollen natürlich das Verhalten aller Populationsmitglieder erklären.[4]

Versuchsleitereffekt: Relativ gut erforscht ist der „Versuchsleitereffekt“, dessen Wirksamkeit in zahlreichen Experimenten nachgewiesen konnte, z.B. in Form des Rosenthal-Effekts (siehe auch die Untersuchungen zum Greenspoon-Effekt). Darunter versteht man die Wirkung des Versuchsleiters (über Motivation, Einstellung, Methode u. a.) auf das Versuchsergebnis. Er kann z.B. ausgeschaltet werden durch Versuchsdurchführung per Computer oder einen Doppelblindversuch: Damit die Hypothesen des Versuchsleiters bzw. seine Annahmen über den Versuch nicht das Verhalten der Versuchsperson beeinflussen, lässt man bei der Verteilung der Bedingungen (z.B. Medikament und wirkungsloses Präparat, Placebo) auch ihn in Unkenntnis. Der Doppelblindversuch (double-blind procedure/study) ist ein Forschungsdesign, bei dem weder die Probanden, noch der Versuchsleiter zum Zeitpunkt der Datenerhebung wissen, ob der Proband zur Experimentalgruppe oder zur Kontrollgruppe gehört.

Arten von Experimenten

  • Labor- und Feldexperimente: Laborexperimente ermöglichen eine weitgehende Kontrolle eventueller Störvariablen. Feldexperimente finden in der „natürlichen“ Umgebung statt.
  • Echte Experimente und Quasi-Experimente: Echte Experimente weisen alle oben genannten Eigenschaften auf. Insbesondere sind sie durch eine zufällige (randomisierte) Verteilung der Versuchspersonen auf die Experimental- und die Kontrollgruppe und die Manipulation der unabhängigen Variablen gekennzeichnet. Bei Quasi-Experimenten bestimmen bereits vorhandene Eigenschaften der Versuchspersonen (z. B. der tägliche Fernsehkonsum), ob sie zur Experimental- oder Kontrollgruppe gezählt werden. Die unabhängige Variable wird nicht manipuliert. Deshalb ermöglichen Quasi-Experimente keine Kausalaussagen. Den Versuchsplan echter Experimente nennt man experimentelles Design, den Versuchsplan von Quasi-Experimenten quasi-experimentelles Design (Siehe hierzu Forschungsdesign).

Die möglichen Kombinationen der oben genannten Designs unterscheiden sich entsprechend nachfolgender Tabelle hinsichtlich der internen und der externen Validität (Gütekriterium). Interne Validität liegt vor, wenn die Veränderung der abhängigen Variable eindeutig auf die Variation der unabhängigen Variable zurückgeführt werden kann (keine Alternativerklärung). Externe Validität liegt vor, wenn das Ergebnis in der Stichprobe auf andere Personen, Situationen und Zeitpunkte generalisiert werden kann.

experimentell quasi-experimentell
Feld interne Validität hoch / externe Validität hoch interne Validität niedrig / externe Validität hoch
Labor interne Validität hoch / externe Validität niedrig interne Validität niedrig / externe Validität niedrig

Techniken zur Kontrolle von Störfaktoren

Die wichtigste Technik zur Kontrolle von Störfaktoren ist die Randomisierung, d.h. Versuchsteilnehmende werden nach dem Zufallsprinzip auf Experimental- und Kontrollgruppen aufgeteilt. Damit soll erreicht werden, dass mögliche ergebnisbeeinflussende (und eventuell noch unbekannte) Unterschiede, die die Probanden ins Experiment mitbringen, gleich stark in allen Versuchsbedingungen repräsentiert sind. Je größer die Anzahl der Versuchsteilnehmenden, desto größer ist die Chance, dass die Randomisierung ihren Zweck erfüllt. Bei kleiner Anzahl von Probanden und bei bestehenden Annahmen über relevante Unterschiede ist das alternative Vorgehen das „Matching“; die Probanden werden von vornherein so aufgeteilt, dass das Merkmal in allen Gruppen gleich stark präsent ist (Beispiel: Gleiche Geschlechterverteilung in allen Versuchsbedingungen).

Die Situationsmerkmale sollten nach Möglichkeit über die Versuchsbedingungen hinweg konstant gehalten werden (ein Beispiel hierfür ist der festgelegte Wortlaut der Instruktion). Experimental- und Kontrollbedingungen werden in gemischter Folge erhoben, also nicht beispielsweise am Tag 1 Bedingung A und am Tag 2 Bedingung B, da es ansonsten zu einer Konfundierung zwischen Treatment und Situationsmerkmalen kommen kann.

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Karl Arnold et al. (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Bechtermünz, Augsburg 1996, ISBN 3-86047-508-8, Sp. 547
  2. R. Rosenthal, R. L. Rosnow (1975): The Volunteer Subject. Wiley, New York
  3. D.O. Sears (1986). College sophomores in the laboratory: Influences of a narrow data base on social psychology's view of human nature. Journal of Personality and Social Psychology, 51, S. 515–530
  4. Jonas, Stroebe, Hewstone: Sozialpsychologie. 5. Auflage. Springer, 2007, S. 55

Siehe auch

Literatur

  • Jürgen Bortz: Lehrbuch der empirischen Forschung für Sozialwissenschaftler. Springer, Berlin 1984, ISBN 3-540-12852-2.
  • Oswald Huber: Das psychologische Experiment. Eine Einführung. Mit dreiundfünfzig Cartoons des Autors. 4., vollst. überarb. Auflage, Huber Bern 2005, ISBN 3-456-84201-5
  • Viktor Sarris: Methodologische Grundlagen der Experimentalpsychologie.
    • Band 1: Erkenntnisgewinnung und Methodik. Reinhardt, München, Basel 1990, ISBN 3-497-01111-8.
    • Band 2: Versuchsplanung und Stadien. Reinhardt, München, Basel 1992, ISBN 3-497-01112-6.

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Experiment — Vermehrung der Erfahrenheit durch den Trieb, allerlei zu versuchen. Kupferstich von Daniel Chodowiecki Ein Experiment (von lateinisch experimentum „Versuch, Beweis, Prüfung, Probe“) im Sinne der Wissenschaft ist eine methodisch angelegte… …   Deutsch Wikipedia

  • Experiment — Ex·pe·ri·mẹnt das; (e)s, e; 1 ein wissenschaftlicher Versuch <ein chemisches, physikalisches, psychologisches Experiment; ein Experiment durchführen; etwas ergibt sich aus einem Experiment, geht aus einem Experiment hervor; ein Experiment an… …   Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache

  • Experiment — Versuch; Studie; Test; Trockentest; Testlauf; Probelauf * * * Ex|pe|ri|ment [ɛksperi mɛnt], das; [e]s, e: a) wissenschaftlicher Versuch: ein Experiment durchführen; das Experiment ist gelungen. Syn.: ↑ …   Universal-Lexikon

  • Milgram Experiment — Dieser Artikel beschreibt ein Experiment zu Reaktion auf Autorität. Für das Experiment zu sozialen Netzwerken, siehe das Kleine Welt Phänomen. Das Milgram Experiment ist ein erstmals 1961 in New Haven durchgeführtes psychologisches Experiment,… …   Deutsch Wikipedia

  • Stanford-Experiment — In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen: Psychologische Theorien und Analysen Du kannst Wikipedia helfen, indem du sie recherchierst und einfügst. Das Stanford Prison Experiment …   Deutsch Wikipedia

  • Stanford-Gefängnis-Experiment — In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen: Psychologische Theorien und Analysen Du kannst Wikipedia helfen, indem du sie recherchierst und einfügst. Das Stanford Prison Experiment …   Deutsch Wikipedia

  • Stanford Gefängnis-Experiment — In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen: Psychologische Theorien und Analysen Du kannst Wikipedia helfen, indem du sie recherchierst und einfügst. Das Stanford Prison Experiment …   Deutsch Wikipedia

  • Stanford Prison-Experiment — In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen: Psychologische Theorien und Analysen Du kannst Wikipedia helfen, indem du sie recherchierst und einfügst. Das Stanford Prison Experiment …   Deutsch Wikipedia

  • Stanford Prison Experiment — In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen: Psychologische Theorien und Analysen Du kannst Wikipedia helfen, indem du sie recherchierst und einfügst. Das Stanford Prison Experiment …   Deutsch Wikipedia

  • Milgram-Experiment — Das Milgram Experiment ist ein erstmals 1961 in New Haven durchgeführtes psychologisches Experiment, das von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelt wurde, um die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”