Prozesssoziologie

Prozesssoziologie

Die Prozesssoziologie bzw. Figurationssoziologie ist durch Norbert Elias bekannt geworden. Der Begriff Prozess bezieht sich auf soziale wie auf verbundene kognitive Prozesse, juristische Prozesse sind in diesem Zusammenhang allenfalls ein spezieller Fall für mögliche soziologische Analysen.

Inhaltsverzeichnis

Zum Begriff

Neben der Kritischen Theorie und der Systemtheorie zählt sie zu den Gesellschaftstheorien. Die Prozesssoziologie erhebt den Anspruch, eine möglichst angemessene Wahrnehmung der Realität in ihrer Dynamik wiederzugeben. Elias' Bestreben war es, eine Wissenschaft weiter zu entwickeln, in der Soziogenese und Psychogenese als nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Diesem Anspruch gerecht zu werden, hat er auch die Psychoanalyse herangezogen, um ein ganzheitliches Menschenbild zu entwickeln. In Deutschland ist die Weiterentwicklung der Prozesssoziologie jüngeren Datums vor allem an der Universität Hannover durch Dawud Gholamasad hervor zu heben.

Einordnung

Die Prozesssoziologie wurde genauso wie die Kritische Theorie stark von der Marxschen Theorie beeinflusst. Jedoch versteht sich die Prozesssoziologie als nicht normativ. Das Weltbild beinhaltet im Gegensatz zur Systemtheorie keine geschlossenen Systeme, sondern Prozesse ohne Anfang und ohne Ende, d.h. auch ohne Ziel. Menschen und ihre immer dynamischen Verflechtungen ("Figurationen"), nicht Kommunikationssysteme stehen im Mittelpunkt der Betrachtung.

Geschichte

1983 wurde auf Anregung von Norbert Elias die "Norbert Elias Foundation" in den Niederlanden gegründet. Hermann Korte, Emeritus (Universität Hamburg), Johan Goudsblom (Universität Amsterdam) und Bram van Stolk wurden die Schirmherren dieser Stiftung. In Holland etablierte sich so der Schwerpunkt der Figurationssoziologie. Besondere Erwähnung sollte auch Cas Wouters (Universität Utrecht) finden. In Deutschland ist die Prozesssoziologie im Schatten anderer Theorien noch relativ unbeachtet geblieben. In den 1970er Jahren folgten die Prozesssoziologen Peter Gleichmann und Dawud Gholamasad Oskar Negt von Frankfurt nach Hannover. An der Universität Hannover lehrt noch heute Hans-Peter Waldhoff, der ein Schüler von Norbert Elias aus dessen Zeit in Bielefeld war. Neben der Konzentration in Hannover gibt es in Deutschland vereinzelt noch weitere Prozesssoziologen: Reinhard Blomert (Humboldt-Universität Berlin), Heike Hammer (Universität Hamburg), Stefanie Ernst (Universität Hamburg) und Annette Treibel (Pädagogische Hochschule Karlsruhe). Weltweit wird die Prozesssoziologie punktuell von Europa über Lateinamerika bis nach Australien rezipiert. Die Prozesssoziologie hat auch der Entwicklung der geschichtswissenschaftlichen Strömung der World History, insbesondere ihrer Erweiterung als "Big History", wichtige Impulse gegeben.

Grundbegriffe

Grundbegriffe im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es in der Prozesssoziologie nicht. Denn bereits das Wort "Grund" suggeriert so etwas wie ein statisches monokausales Ursache-Wirkungs-Modell. Davon kann bei der Prozesssoziologie keine Rede sein. Da die Sprache die Welt ist, wie sie erfahren wird, spricht man besser von wichtigen Begrifflichkeiten. Hier wäre neben Figuration auch Engagement und Distanzierung zu nennen.

Literatur

  • Elias, Norbert, Was ist Soziologie?, München 1970
  • Elias, Norbert, Über den Prozeß der Zivilisation, 2 Bde., Frankfurt/M 1976
  • Elias, Norbert, Engagement und Distanzierung. Arbeiten zur Wissenssoziologie I, hrsg. und übers. von Michael Schröter, Frankfurt/M 1983
  • Elias, Norbert, Die Gesellschaft der Individuen, hrsg. von Michael Schröter, Frankfurt/M 1987
  • Elias, Norbert, Etablierte und Außenseiter, gemeinsam mit John L. Scotson, übers. von Michael Schröter, Frankfurt/M 1990
  • Elias, Norbert, Symboltheorie, Frankfurt/M 2001

Weblinks

Siehe auch


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